Comenius, Johann Amos - Lebensregeln (Regulae vitae)

Comenius, Johann Amos - Lebensregeln (Regulae vitae)

(und zwar Regeln)

I. eines weisen,
II. eines harmonischen,
III. eines ruhigen,
IV. eines tätigen,
V. eines in Geschäften vergrabenen,
VI. eines freier Muße gewidmeten, VII. endlich eines auf Reisen befindlichen Lebens.

Christus unser Licht!

Du hast, edler junger Mann, Herr Christian Ambros Kochlewski, mein geliebter Schüler, hinfüro aber mein hochzuverehrender Freund, gebeten, dass Du, der Du aus meinem Zusammenleben und meinem Unterrichte scheidest und in Bälde in das Ausland reisen wirst, irgend ein Liebespfand von meiner Hand haben dürfest. Warum aber erbittest Du dies? Wenn Du meine so oft wiederholten Ermahnungen und die auf Dich herabgerufene Gnade himmlischen Segens (dem das Siegel aufdrücke Gottes Wahrheit, von der Du in Wahrheit den Vorsatz hegst, dass sie Dich auf den Wegen Gottes halte) eingeprägt hast, wozu bedarf es noch jener papiernen Denkschrift? Damit ich jedoch Dir entspreche, siehe empfange aus freundlicher Hand und freundlichem Herzen gleichsam ein kurzes Verzeichnis, das Dir nur so lange Leitung in Deinen Handlungen sein soll, bis Du selbst gekräftigter geworden, der Stützen nicht mehr bedarfst.

I. Regeln eines weisen Lebens.

Weise zu sein ist dem Menschen eigen, der das Abbild des weisen Gottes ist. Wenn Du also weise bist, ja damit Du weise bist:

1) so bedenke, was Du tust und je tun wirst, den Zweck und verteile auf den Zweck die Mittel: lerne die genauen Arten, die gegebenen Mittel benützen, damit Du nicht zugleich mit Deinen Mitteln zwecklos bist, wie es zumeist geschieht, dass die genügend von der göttlichen Güte herbeigeschafften Mittel durch menschliche Torheit zugrunde gehen und ohne Nutzen sind. Wenn Du jene drei Punkte1) bei jedweder Sache kennst, dann kennst Du alles derselben.

2. Doch bedenke, dass Du die Zwecke der Dinge, die Mittel und Arten kennen musst, nicht zum müßigen Schauspiele, sondern zum Gebrauch. Sonst ist, etwas zu haben und zu besitzen und zu verstehen, wenn man es nicht benutzt, eitel.

Also (a) Alles von dem Du erkennst, dass es gut ist, das richte Dir gleichsam als Dein Ziel her. (b) Alles von dem Du siehst, dass es zur Erreichung dieses Zieles beiträgt, das ergreife, behalte, betreibe. © Bei allem, was Du betreibst, hüte Dich mit höchster Umsicht, dass Du es nicht zwecklos betreibst.

So wirst Du Deinen Wunsch erreichen: außer es möchte vielleicht da oder dort Gott es nicht wollen und Dir unüberwindliche Riegel vorschieben, aber dann ist der Trost da, dass Du nicht durch Deine Schuld jenes Gut entbehrst, sondern weil es Gott so gefiel, Deine Geduld wegen der ihm, wenn nicht Dir bekannten Gründe zu üben.

3. Und weil Dein Leben die gesamte Umfassung all Deiner Handlungen ist, so gestalte dies vor allen Einzelheiten Dir so, dass Du seinen Zweck vor Augen beständig hast und Du nach ihm allerwegen unablässig trachtest.

Was aber der Zweck unseres Lebens ist, wonach zu trachten Weisheit ist, lehrt Gott selbst (Deut. XXXII V. 29): „O dass sie weise wären und einsähen und vorhersähen ihre letzten Dinge.“2) Siehe letzte Weisheit, das heißt höchste ist, die letzten Zwecke voraussehen. Was ist aber das Letzte, wenn nicht die Ewigkeit. Denn es ist das Letzte, worüber hinaus es nichts gibt. Und doch über all dies, was es hier in der Welt gibt, gibt es immer noch etwas Weiteres.

Infolge der Geburt kommt man ins Leben, von da geht es in den Tod, von dort aus zur Auferstehung; endlich beginnt ein unbegrenztes Leben, woraus kein Ausgang offensteht und folglich über das hinaus es nichts gibt. Also ist die Ewigkeit selbst dies unser letztes Ding, über das hinaus nichts mehr bleibt, also ist, diese von Anfang an gleich voraussehen und auf diese alle Mitteldinge einteilen, wahre Weisheit. Also sind jene, die sich nur um Mitteldinge kümmern, der letzten Dinge vergessen, Toren und zwar zu ihrem Schaden Toren, weil sie Mitteldinge ohne Zweck ergreifen und so bewirken, dass sie der ewigen Glückseligkeit verlustig gehen und in ewiges Unglück stürzen.

Bedenke also

1. Dass Deines Lebens Ziel ist, zur Ewigkeit Dich vorzubereiten. (Hast Du dies nicht vorhergesehen, so hast Du das Leben verloren. Und dann wäre es besser gewesen nicht geboren zu werden.)

2. Weil man jedoch zur Ewigkeit nur durch den Tod kommt, so sollst Du Dich im ganzen Leben auf den Tod vorbereiten (damit er für Dich ein guter sei, Dich nicht verschlinge, sondern zur Ewigkeit nur hinübergeleite).

3. Weil man aber zu einem guten Tode nur durch ein gutes Leben kommt, so sollst Du Dein ganzes Leben das tun, dass Du gut lebst, d. h. heilig nach dem Willen dessen, der als Herr über Leben und Tod den Guten Leben, den Bösen Tod bestimmt hat.

4. Und weil man zum guten Leben nur durch gute Auferbauung gelangt (der an das Schlechte Gewöhnte kann seinen Charakter, wie der Mohr seine Haut nicht ändern [Jerem. XIII, 23], weil die Gewohnheit zur Natur wird), so sollst Du im ganzen Leben das tun, dass Du alles was böse ist oder den Schein des Bösen hat (I. Thessalonich. V, 22) vermeidest: „hinwiederum aber, was ehrbar, was gerecht, was heilig, was lieblich, was wohllautet, ist etwa eine Tugend, ist etwa ein Lob, das bedenkest“ (Phil. IV, 8).

5. Und weil niemand dem Guten folgen, das Böse fliehen kann, außer wer einsieht, was wahrhaft gut und böse ist (weil es keine Begierde nach dem unbekannten Guten, keinen Abscheu vor dem unbekannten Bösen gibt), so wird man das im ganzen Leben tun müssen, dass Du Dich nicht dieser Welt gleichstellest, sondern Dich veränderst in Verneuerung Deines Sinnes und dass Du prüfen mögest, welches da sei der wohlgefällige und vollkommene Gottes Wille (Röm. XII, 2).

6. Und weil die Gedanken der Sterblichen zaghaft sind und ungewiss unsere Voraussichten (Weisheit IX, 14), so wirst Du dies im ganzen Leben tun müssen, dass Du mit Furcht und Zittern an Deinem Heil arbeitest (Philipp. II, 12), nicht bloß, dass Du, die Sünden scheuend, sie nicht begehst, sondern auch dass selbst Deine guten Taten weder der Meinung nach bloß gut sind, indem Heuchelei sich einmischt, noch sie Dich in pharisäisches Wohlgefallen an Dir selbst stürzen. Du sollst daher an keinen andern als an den im Grund der Barmherzigkeit Gottes und den des Verdienstes Christi befestigten Anker denken: indem Du erst dann mit diesem Schilde sicher sein wirst, wenn Du ganz mit Verzicht auf Deinen eigenen Willen und mit Verzicht auf alles Selbstvertrauen auf Dich und auf alle Geschöpfe Gott allein die Entscheidung überlässt, über Dich hier und in Ewigkeit zu bestimmen.

Kurz lebe, solange Du lebst, gleichsam als ob Du sterben wolltest: damit du stirbst, wenn Du stirbst, gleichsam als ob Du leben wolltest. Wehe nämlich denen, die zum Tode auferstehen. Wenn Du zum Leben wirst auferstehen wollen, dann musst Du sehen, dass Du nicht im Tode stirbst. Wenn Du im Tode nicht sterben willst, so musst Du vor dem Tode des Todes Stachel, der die Sünden sind, abstumpfen (1. Korinth. XV,56). Sterben aber werden vor Dir die Sünden, wenn Du Dir Mühe gibst, dass in Dir Christus lebt (Gal. II,20), denn weil Christus des Lebens Quell ist, wird er in Dir sprudeln zum ewigen Leben: und der Tod wird für Dich kein Tod sein, wie er für ihn es nicht war, sondern der Übergang zum unsterblichen Leben.

Dies ist wahre Weisheit, stufenmäßige Unterordnung der Zwecke und Mittel von dem ersten bis zu dem letzten und ihre genaue Beachtung. Damit Du nicht abirrst von den Stufen und in den Abgrund stürzest, leite Dich Gott.

II. Regeln eines harmonischen Lebens.

Die Quelle jeder Harmonie, Gott, hat alles harmonisch gestaltet, besonders den Menschen, sein Ebenbild, sofern wir nun durch unsere Handlungen selbst nicht die Harmonie stören in den Augen und Ohren Gottes, der Engel, der uns weise betrachtenden Menschen. Damit Du sie also nicht störest, sollst Du folgendes tun:

1. Immer erwäge, treibe, behandle das Frühere früher, das Vornehmlichere vornehmlicher, das Ernste ernst, das Schöne schön, das Freundliche freundlich, das Göttliche göttlich, das Menschliche menschlich. Sonst wirst Du Dich und die Dinge verwirren.

2. Deine Theorie mit der Praxis seien sich immer untrennbare Gefährten. Alles was Du Gutes weißt, das tue, und alles was Du Gutes tust, das bedenke, ob Du es gut tust und warum. Damit du nicht ähnlich werdest entweder den Pharisäern, die sagen und nicht tun (Matth. XXIII,3), oder den Samaritanern, die anbeten und nicht wissen was (Joh. IV, 22).

3. Deine inneren Verhältnisse seien angemessen den äußeren. Nämlich, dass, was Du scheinen willst, Du auch wirklich bist: sonst wirst Du Gott zum Abscheu sein. Weil dessen Werke Wahrheit sind (Psalm 111, V. 6), so liebt er auch an uns die Wahrheit (Psalm 51, 7) und hasst Heuchelei. „Weh euch, ihr Heuchler, die ihr gleich seid wie die übertünchten Gräber, die auswendig hübsch scheinen, aber inwendig sind sie voller Totenbeine“ (Matth. XXIII, 27).

4. Endlich sollen vor den Menschen auch Deine Gedanken, Worte und Werke übereinstimmend auftreten. Nie soll das Herz mit dem Munde im Widerspruch stehen, noch der Mund mit der Hand. Ein Mann mit doppeltem Herzen ist ein Ungeheuer.

III. Regeln eines ruhigen Lebens.

Das höchste Gut im Leben ist ein ruhiger und heiterer Sinn, frei von den Stürmen der Ängstlichkeiten. Damit Du diesen Glückshafen innehast, beachte folgendes:

1. Was immer deinen Sinn oder dein Gewissen stören kann, dem suche zuvor zu kommen, damit Du an solchen Dingen keinen Anteil hast. Es können aber den Geist die Menge oder die Fremdartigkeit der Geschäfte stören, wenn sich jemand aber in diese verwickelt, wird er Dornen sicher finden, wenn sie auch manchmal Rosen scheinen. Damit Du also ruhig bist, hüte Dich ein Geschäftskrämer, ein geschäftiger Müßiggänger zu sein, und was Dein ist, das tue still, lass Fremdes; in Deinen Angelegenheiten, sei nicht allzu düftelig neugierig und über alle möglichen Kleinigkeiten ängstlich, tue das, was auf Dein und der Deinen Heil in erster Linie abzielt, das Übrige überlasse Gott, der sich um uns kümmert.

Das Gewissen wird aber gestört durch begangene Sünden: wenn die Seele, sich des Schlechten bewusst, vor den Augen Gottes und der Men den errötet und vor der verdienten Strafe zittert. Also wenn Du ein ruhiges Gewissen willst, dann mache, dass es nichts Dir vorzuwerfen hat, d. h. begehe niemals mit Wissen und Willen eine Sünde. Und wenn Du die Sünde meiden willst, so meide die Gelegenheiten hierzu, als da sind schlechte Gesellschaft, verdächtige Orte rc. Unklug ist, wer, wo er einen andern hat fallen sehen, doch dorthin geeilt ist. Ach, wir sehen täglich bei den Gelegenheiten Menschen fallen und zugrunde gehen, und doch hüten wir uns nicht.

2. Wenn Du einmal in Gelegenheiten (welcher Sünde immer) gerätst, bestärke Deinen Geist, damit Du nicht unterliegst, sondern als Sieger davongehst. Also bedarf es des Kampfes: und zum Kampf für die Erhaltung eines unbefleckten Gewissens der Waffen der Tugend. Entreiße Du Dich also durch Flucht (indem Du gleichgültig erachtest, was schlechte Gesellschaften über Dich urteilen werden) oder bleibe unerschütterlich, jenes Apostolische Wort bedenkend: Ich bin der Welt gekreuzigt und die Welt für mich.3) Und weil es nicht umsonst gesagt ist, die Gelegenheiten machen den Menschen nicht schlecht, sondern sie zeigen, wie er ist (zum Feuer gebrachter Sand brennt nicht, wohl aber Werg), so bedenke, in Versuchung geführt: Wenn ich dem Schlechten zustimme, so habe ich gezeigt, dass ich böse bin und ein Heuchler war. Also werde ich an dem Vorsatz, die Tugend zu erhalten, festhalten und mich nicht umstimmen lassen. Bedenke aber, dass bei den Versuchungen des Fleisches die Flucht immer besser ist, als der Kampf, und dass Joseph weise gehandelt hat, der, da eine vernünftige Verteidigung seines ehrbaren Vorsatzes nicht hinreichte, durch Flucht sich lieber entziehen als mit Worten streiten wollte. Mit mehr Schimpf (und Gefahr) treibt man einen Feind hinaus, als man ihn nicht hereinlässt4).

3. Wenn aber einmal gegen Laster zu kämpfen ist, und Du überhaupt nicht den Verletzungen des Gewissens entgehst, dann sammle Dich rasch und zerstöre dem Satan, der in Dir es bauen will, das Nest, d. h. gleich nach dem Beginn der Sünde betätige sofort Reue, ehe der Abscheu vor der Sünde erlischt und das tödliche Gift süß wird und das Gewissen zu sterben beginnt. Wer mit Wissen und Willen sich an die Sünde gewöhnt, der bietet dem Teufel Hände und Füße, um sie in die Bande schlechter Gewohnheit verstricken zu lassen, so dass er später sich nicht befreien kann, auch wenn er will (2. Timoth. II.25,26). Es gelte Dir also gleich einem ewigen Gesetz jener Spruch:

Widerstehe dem Anfang; zu spät sonst sucht man ein Mittel,
Wenn das Übel ward mächtig durch langen Verhalt. 5)

Gegen die Stimme des von der Sünde gestörten Gewissens gibt es einen Zufluchtsort nur in dem Hafen der Reue; leichter, wenn Du nicht zu weit fortgeschritten bist; schwieriger und mit der Gefahr der Verschlingung, wenn Du weiter dahingerissen worden bist. Niemals also sündige wegen der Hoffnung auf Reue, da Du nicht weißt, ob Du sie üben kannst. Freiwillig Sündige pflegen nämlich vom Geiste Gottes verlassen zu werden, von diesem Führer aber zur Reue verlassen, finden sie die Reue nicht (Hebr. XII,17). Aber auch dies bedenke, dass es an sich besser ist, das Gefäß nicht beschmutzen zu lassen, als es auszuspülen; dass es besser ist, nicht verwundet zu werden, als sich heilen zu lassen; besser, den Feind vom Innern des Landes auszuschließen, als ihn hineinzulassen und ihn, der alles verwüstet, vertreiben zu wollen rc., weil es sowohl leichter als sicherer ist.

4. Kurz, weil diese Welt ein Meer von Beunruhigungen ist, und wir in einem Gewirre der Dinge leben, so tue, damit Du so sicher wie nur möglich, wenn nicht überhaupt ruhig sein kannst, dies:

a) Unterhalte Dich mehr mit Gott als den Menschen (Er sei Dir Deine vertrauteste Wonne).

b) Achte mehr auf Dich als auf andere, nämlich damit Du das Deine, nicht Fremdes tuest. Habe selbst mehr Sorge um Dich, als dass Du sie anderen überlässt; und endlich stütze Dich auf Dich selbst eher als auf irgend jemanden anderen. Gewöhne Dich nicht, sage ich, Dich auf andere zu stützen (was recht sehr wohl beachte!) Deine Tätigkeit in Deinen Geschäften, Dein Bewusstsein der rechten Absicht, Dein Vertrauen auf Gott seien Dir ein heiliger Anker.

c) Widme Dich immer mehr dem Geiste als dem Leibe. Recht sagt Epiktet:6) Das, was unsern Körper betrifft, tue man flüchtig. Die Dinge des Geistes sind gefesselter Sorgfalt würdig. Den Körper haben wir nämlich von der Erde, der nicht höher zu schätzen ist, als irdene Gefäße verdienen. Der Geist ist aus Gott, also größer als die Welt, hoch zu schätzen, rein zu halten, um ihn unbefleckt Gott zurückzugeben. Wenn Du die Seele verlierst, dann wird zu ihrer Wiedergewinnung die ganze Welt nicht genügen. Also der Leib diene, die Seele herrsche: wenn Du dieser das Szepter gibst und sie den Leib frei gebrauchen lassest, dann wirst Du König Deiner Handlungen sein, und es werden sich Dir unendliche von allzu großer Sorge um den Leib gewöhnlich kommende Beschwerden mindern.

Dies sind die wahren Wege der Ruhe. Wenn Du in diese trittst, wird nicht leicht Dich etwas mit Deiner Schuld stören. Wenn aber etwas von fremder Bosheit kommen wird oder von der Zulassung Gottes (der die Seinen ohne Prüfung irgend welcher Art nicht sein lässt), so wird es zur Vermehrung der Freude dienen, und zur umso größeren Heiterkeit des Geistes. Du Glücklicher, wenn Du Dich in diesen Schranken halten wirst!

IV. Regeln eines tätigen Lebens.

Zu Geschäften sind wir geboren. Das tätige Leben ist in Wahrheit ein Leben: der Müßiggang des lebenden Menschen ist Grab. Je ausgezeichneter irgend ein Geschöpf ist, desto tätiger: wie es an dem Beispiel der Engel, der Sonne, des Himmelsgewölbes, das immer in Bewegung ist, erhellt. Wie auch die Quellen, die immer ihre Gewässer sprudeln lassen und die Flüsse, die hierher und dorthin sie zu menschlichen Zwecken hinführen. Hingegen je träger etwas ist, desto unnützer, wie Stein, Kot, Pfütze rc. Du also wirst Dich bemühen, dass Du nicht ein Stein, eine nutzlose Last der Erde bist, sondern eine tätige, immer leuchtende Sonne, oder ein immer den Menschen an Gottes Statt dienender Engel. Was ist aber hier zu beobachten?

1. Alles, was Du siehst, das von Dir geschehen soll und wozu Du die Mittel und den weisen Gebrauch der Mittel wohl kennest, das packe mutig an. Besser ist es, des gewagten Guten verfehlen (was manchmal der Fall ist), als die Gelegenheiten verabsäumen, das Gute, was es immer ist, zu vermehren.

2. Alles, was Du durch Dich selbst erledigen kannst, das erwarte nicht von andern, indem Du nämlich Deine Tätigkeit mehr verbrauchst als die eines andern. Häufiger auch trifft es sich zu, dass, ehe Du einem andern eine Sache mitgeteilt hast, jener aber sie aufgefasst, darüber nach gedacht und sich hierzu angeschickt hat, Du selbst die Sache erledigt hast. Also lieber gerade darauf los ohne Umschweife.

3. Alles was Du heute erledigen kannst, verschiebe nicht auf morgen. Immer war es von Nachteil denen, die zu verschieben bereit waren. Die Rabenstimme (kra, kra)7) ist ein deutliches Verderben der Geschäfte.

4. Wem immer Du nützen kannst, freue Dich, zu nützen, auch wenn es der ganzen Welt wäre, denn es ist bereits gesagt, dass es Eigenheit ausgezeichneter Naturen ist zu dienen und zu nützen. Also wenn Du kannst, ahme Gott nach, der allen dient, oder dem Engel, so vielen wie möglich. Träge und nutzlos sein rechne zu den verabscheuungswürdigen Dingen.

5. Kein Tag ohne Pinselstrich. Du siehst, wie schnell sich das Gebäude der Welt bewegt, während wir träge verweilen. Also sei nicht langsam in Geschäften: obschon ich auch nicht will, dass Du hastig bist. Überlege, was zu tun nötig ist, aber eine wohl überlegte Sache greife rasch an, damit Dir nie umsonst die Sonne scheint. Von jeder uns gegebenen Zeit wird gefordert werden, wie sie verausgabt ist.

V. Regeln eines in Geschäften ganz vergrabenen Lebens.

Bisweilen trifft es sich, dass Tätige ganz in Geschäften vergraben werden: doch deshalb darf man nicht die Tätigkeit des Lebens aufgeben. Denn es werden Verkürzungen gegeben, wodurch die Beschwerden sich heben können. Damit Du aber dies weißt, beachte dieses:

1. Lege der Zeit Wert bei, damit Du nichts von ihr nutzlos vorüberfliehen lässt. So werden Dir weit mehr Zeiträume zum Handeln zur Verfügung offen stehen als einem andern, der die Gelegenheiten nicht zu ergreifen weiß.

2. Wer viel tun muss, der soll wenig sprechen. Ich meine es im tätigen und leidenden Sinn, d. h. sowohl selbst sprich wenig, wenn zu sprechen ist, als auch verlange, dass ein anderer sich kurz dessen entledigt, was er sprechen will. Der Weisen Rede ist kurz; Possen ohne Notwendigkeit zu treiben ist der Trägheit eigen.

3. Bei allem, was sich mit Hilfe anderer schneller erledigen lässt, versäume es nicht, jene heranzuziehen. So gehen die Geschäfte schneller von statten. Mehr Hände, mehr Arbeit, nur beachte Ordnung, damit Dich oder gegenseitig sich diese Deine Mitarbeiter nicht hindern oder stören.

4. Damit Du jedoch zu Arbeiten flinker bist, lasse manchmal Deinen Geist ausruhen oder wechsle mit der Art der Beschäftigung. Was der abwechselnden Ruhe entbehrt, ist nicht dauernd. Ein gespannter Bogen bricht.

VI. Regeln eines freier Muße gewidmeten Lebens.

Wenn es sich trifft von Arbeiten auszusetzen, dann ist es nicht notwendig nichts zu tun, d. h. träge zu sein und seine Zeit nutzlos zu vergeuden, noch sich auf nutzlose Spiele mit Karten, Würfeln zu werfen. Man muss etwas tun, was sowohl Geist als Leib erfrischt. Dies wird geschehen durch Spazierengehen, Gespräche mit Freunden, Betreibung irgend einer häuslichen Tätigkeit rc.

VII. Regeln, die einer, der reisen will, zu beobachten hat.

Ich sehe, dass Du Verlangen nach Reisen hast und es auch Absicht der Deinen ist. Was Du also auch hierbei zu beachten hast, das will ich kurz hinzufügen:

1. Vor allem sollst Du daran denken, warum Du die Mühe der Reise auf Dich nimmst. Nämlich nicht um neue Berge, Felder, Wälder, Flüsse, Meere, Menschen oder Tiere rc. zu sehen; denn solche kannst Du zuhause sehen. In diesem Sinne wurde von jemanden das richtige Wort gesprochen: Wer einen Menschen, einen Löwen, einen Berg, einen Wald, eine Stadt gesehen hat, hat die Welt gesehen. Denn die Welt besteht aus solchen Dingen. Sondern damit Du weise und gelehrte Männer siehst, hörest, ansprichst, aus deren Unterhaltung Du Mehrung der Weisheit und Tugenden gewinnst.

2. Daher, wenn Du im Begriffe bist zu Fremden zu gehen, sollst Du nicht dahin gehen, gleichsam wie auf einen anderen Erdball (die ganze Welt ist für einen weisen Mann Vaterland), sondern gleichsam wie in eine Schule, die Gott allgemein sein lassen wollte, damit wir einander ein Schauspiel sind, und damit wir durch wechselseitigen Anblick und Reibung uns einander üben und schärfen.

3. Du sollst denken, dass weil Du nicht aus der Welt gehen kannst, Du überall Welt finden wirst: d. h. eitle Menschen, weltliche, eine Mischung von Gut und Böse. Also gegen die vergifteten Pfeile der Ärgernisse und Verderbtheiten sollst Du Deine Brust wappnen, indem Du den Schild des festesten Vorsatzes nimmst, nichts zu beachten, zu bewundern, zu lieben, nachhause zu bringen als das, wodurch Dir und den Deinen und dem Vaterland oder der Kirche irgend ein Zuwachs an Tugend und Glück werden kann.

4. Du sollst von den Blicken der Eltern und von dem Heimatland nicht weggehen wie Kain8) von dem Antlitz Gottes, um ein Feld für Gottlosigkeit und Frechheit zu suchen (denn wohin immer Du gehst, es werden Dich die Augen Gottes begleiten und mit diesen muss sich der Segen oder Fluch über Dich ergießen), sondern wie der junge Tobias,9) um dem Wunsch der Eltern zu entsprechen, und um bei den Fremden die irgendwo innen liegenden Schätze der Weisheit und der guten Beispiele zu suchen. Also mit reiner Absicht, reinem Gemüte, Herzen und mit ganz keuschen Sinnen. So wird bei Dir endlich der sein, der Dich geleitet, hin- und zurückführt, der Engel des Herrn.

Kurz: wo immer Du bist,
Lebe Gott, der der Geber Deines Lebens ist,
Lebe dem Gewissen, das das Leben Deines Lebens ist,
Lebe dem guten Namen, der das Leben nach Deinem Leben ist.

Und so sei mit Dir der Geist Christi (damit Du dies alles wohl erfassest und beachtest) und ich wünsche Deiner Seele Heil, alles Glück Deinen Handlungen und Eurem Haus in Kirche und Vaterland dauernden, durch Dich auch der Nachwelt zu überliefernden Glanz von ganzem Herzen.

Dein innigster Freund
Am Tage, an dem Du von mir scheidest, am 9. Juni
des Jahres 1645

Comenius.

1)
Zweck, Mittel, Art ihrer Benutzung
2)
Comenius zitiert die Bibel stets nach dem Texte der Vulgata. Dass dieser mit dem von den Päpsten Sixtus V. und Clemens VIII. allein als für die katholische Kirche giltig anerkannten Texte nicht an allen Stellen übereinstimmt, ist sehr erklärlich, da das ganze Mittelalter hindurch dieser Text kleine Abweichungen durch die Abschreiber erlitt. Comenius hat auch die alte hebräische Psalmeneinteilung, wonach Psalm IX in zwei Psalmen zerfällt, so dass die Psalmenzahl bis zum Psalm CXIII um einen größer ist, bis im 113. Psalm der katholischen Vulgata neuerdings eine Zusammenziehung zweier Psalmen erfolgt, während der Psalm XCIV mit Vers 9 abbricht, Vers 10 den Psalm CXV beginnt und in gleicher Weise Psalm CXLVI mit Vers 11 schließt, Psalm CXLVII mit Vers 12 anfängt, so dass gegen den Schluss die Psalmenzahl (150) wieder die gleiche wird. Besonders gerne zitiert außer den Psalmen Comenius Stellen aus den Briefen des Apostels Paulus. Die hier zitierte Stelle lautet in der Vulgata: „Utinam saperent et intelligerent ac novissima providerent.“
3)
Es ist die Stelle aus dem Brief des Apostels Paulus an die Galater VI,14 gemeint
4)
Dieser Satz ist ein Hexameter aus Ovidius Tristia lib. V. c. 6 V. 13
5)
Auch hier wird wieder ein Distichon aus Ovid zitiert und zwar das so allbekannte, obschon viele , die es im Munde führen, nicht wissen, dass es aus einer so wenig sittlichen Schrift, wie es Ovids Remediorum amoris liber ist, V. 91 und 92 stammt.
6)
Von den Schriften des Epiktet selbst, der ein griechisch-römischer Philosoph zur Zeit des Kaisers Domitian war, aber in Folge der von diesem Kaiser ausgesprochenen Verbannung aller Philosophen aus Rom nach Nikopolis zog, ist uns nichts erhalten. Sein Schüler Flavius Arrianius aus Nikomedien, nachmaliger Statthalter von Kappadokien unter Kaiser Hadrian, aber hat uns zwei Aufzeichnungen von Lehren und Sprüchen des Epiktet teilweise hinterlassen.
7)
Das Wortspiel „cras“, das den Krächzlaut der Raben (Krähen) andeutet und als lateinisches Wort „morgen“ heißt, lässt sich im Deutschen nicht wiedergeben.
8)
Genesis IV,16
9)
Tobit V,1
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