Christoffel, Raget – Lebensbilder - Vorbemerkung.
Die Herausgabe einer größeren oder kleineren Druckschrift muss sich durch ihren Inhalt selbst rechtfertigen. So hoffe ich auch, dass die Zeichnung und Herausgabe nachfolgender „Lebens- und Leidensbilder“ in gegenwärtiger Zeit, wo die römische Kirche sich anschickt, ihre Gewissenstyrannei wieder herzustellen und zu befestigen, vor den Augen der urteilsfähigen Leser ihre Rechtfertigung in sich selbst tragen wird. Über die getroffene Auswahl bin ich dagegen dem Leser eine Erklärung schuldig, da ich darin nicht ganz frei und unabhängig verfahren konnte. Mein verehrter Freund, Herr Professor Dr. Piper in Berlin, ließ mich seiner Zeit die Lebensbilder des Giovanni Mollios, Luigi Pasqualis und Pietro Carnesecchis für seinen evangelischen Kalender bearbeiten. Da nun der Herr Herausgeber dieses Kalenders später eine Auswahl der darin gezeichneten Lebensbilder herauszugeben beabsichtigt und dabei den Verfassern derselben Gelegenheit zu Berichtigungen und Erweiterungen bieten wird, so musste ich hier von einer neuen Bearbeitung und Herausgabe der Lebensbilder Pasqualis und Carnesecchis absehen. Dagegen erscheint hier das Lebens- und Leidensbild des glaubensvollen Franziskaner Professors Giovanni Mollios in erweiterter Fassung, mit Erlaubnis und im Einverständnis mit Herrn Professor Dr. Piper; da in diesem Bild, weil Mollio an verschiedenen Orten Italiens gelebt und gewirkt hat, eine Zeichnung des Verlaufes, welche die evangelische Bewegung im sechzehnten Jahrhunderte in diesem Land genommen, sich geben ließ. Auch von der Zeichnung des Lebens- und Leidensbildes Aonio Palearios, des Verfassers von dem Büchlein „Von der Wohltat Christi“, habe ich Umgang genommen, weil die treffliche Biographie dieses evangelischen Märtyrers von Jules Bonnet durch die Vermittlung der Agentur des „Rauhen Hauses“ bei Hamburg, in einer wohlfeilen Volksausgabe in deutscher Sprache allen deutschen Lesern, die es begehren, zugänglich geworden ist. - Die von mir getroffene nachfolgende Auswahl berücksichtigt also vorzugsweise die Geschichte der Unterdrückung der Reformation in den Gebieten des Herzogtums Mailand und der Republik Venedig; indem Mittel- und Unteritalien in den Zeichnungen der Lebens- und Leidensbilder Carnesecchis und Pasqualis berücksichtigt werden. Die Einflechtung des Leidensbildes Francesco Spieras in die Darstellung des Lebens und Wirkens Baldo Lupetinos geschah einerseits, weil die Erzählung des geschichtlichen Verlaufes solches forderte, andererseits aber auch, um den furchtbaren Gewissensmord mit seinen entsetzlichen Folgen, den die römische Kirche schon an so vielen Tausenden mit kalter Grausamkeit vollführt, in einem ausgezeichneten Beispiel dem evangelischen Leser zu veranschaulichen. Wir lernen daraus auch den Wert des herrlichen Kleinodes der evangelischen Glaubens- und Gewissens-Freiheit schätzen, welche die seligen Reformatoren durch Gottes Gnade uns wieder erkämpft und geschenkt haben und jene apostolische Mahnung beherzigen: „So bestehet nun in der Freiheit, damit uns Christus befreit hat, und lasst euch nicht wiederum in das knechtische Joch fangen.“ Gal. 5, 1.
Indem ich den Herrn der Herrlichkeit anflehe, dass Er diese kleine Arbeit in seinem Dienste segnen wolle, ersuche ich auch den christlichen Leser, den Wunsch des edlen Florentiners Peter Martyrs1) als an sich gerichtet zu betrachten und zu beherzigen:
„Ich bitte Dich, bete auch Du für mein unglückliches Italien; denn so lange es nicht zu Christo bekehrt sein wird, wird es das Ende seines Elendes nicht sehen!“
Geschrieben am Montage nach dem Reformationsfeste, 24. Mai 1869.
Der Herausgeber
R. Christoffel.