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Calvin, Jean - Psalm 69.

Calvin, Jean - Psalm 69.

Inhaltsangabe: Dieser Psalm ist mit dem 22. nahe verwandt. Denn im Eingang klagt David über die wütenden Beleidigungen und die rasende Wut seiner Feinde: aber er beteuert, dass ihn das alles nicht davon abbringen könne, geduldig unter Gottes Schutz auszuhalten und in seiner Unschuld zu wandeln. Ja, er kann bezeugen, dass eben um seiner Frömmigkeit und seines Eifers für die Ehre Gottes willen jedermann sich feindlich zu ihm stellte. So beklagt er sich noch einmal darüber, dass seine Feinde ihn ebenso schmählich wie grausam unterdrücken, und betet auf sie die verdiente Strafe herab. Endlich am Schluss beginnt er zu frohlocken, als hätte er den Sieg schon in Händen, und verspricht dem Herrn ein feierliches Dankopfer.

1 Dem Musikvorsteher: ein Psalm Davids; von den Rosen. 2 Gott, hilf mir; denn das Wasser gehet mir bis an die Seele. 3 Ich versinke in tiefem Schlamm, da kein Grund ist; ich bin im tiefen Wasser, und die Flut will mich ersäufen. 4 Ich habe mich müde geschrieen, mein Hals ist heißer; das Gesicht vergehet mir, dass ich so lange muss harren auf meinen Gott. 5 Die mich ohne Ursache hassen, deren ist mehr, denn ich Haare auf dem Haupt habe. Die mir unbillig feind sind und mich verderben, sind mächtig. Ich muss bezahlen, das ich nicht geraubt habe. 6 Gott, Du weißt meine Torheit, und meine Schulden sind dir nicht verborgen.

V. 1. Von den Rosen. Zur Erklärung dieses Ausdrucks kann auf Ps. 45, 1 verwiesen werden. Was den Psalm im Ganzen angeht, so wird der Zusammenhang ergeben, dass David ihn nicht als bloßer Privatmann, sondern als Vertreter der ganzen Gemeinde verfasst hat. Das erscheint besonders bemerkenswert und leitet uns an, hier wie in einem Spiegel die Lage aller Fromme, überhaupt aufmerksam zu betrachten. Übrigens beschreibt David wahrscheinlich nicht bloß eine bestimmte Verfolgung, sondern fasst alles zusammen, was er in vielen Jahren an Übeln erfahren hat.

V. 2. Gott, hilf mir; denn das Wasser usw. Unter diesem Bilde beschreibt er, dass der Druck schlimmster Leiden ihn fast zur Verzweiflung brachte: und doch wissen wir, dass er nicht weichlich noch weibischen Gemüts war. Welches Elend auf ihm lastete, lässt sich daraus abnehmen, dass er nur mit Überkraft der schrecklichen Anfechtungen Herr werden konnte. Die „Seele“ bedeutet schwerlich einfach Leben, sondern vielmehr das Herz. Wenn jemand in einen tiefen Strudel gerät, mag er eine Weile den Zutritt des Wassers abwehren, indem er Mund und Nase verschließt. Weil man aber, ohne zu atmen, nicht leben kann, wird der Luftmangel uns endlich zwingen, das Wasser einzulassen, das nun bis zum Herzen dringt. So will David mit diesem Bilde sagen, dass das Wasser ihn nicht bloß mit erdrückender Gewalt rings umgab, sondern dass er es auch in sich schlucken musste. Des Weiteren (V. 3) vergleicht er seine Trübsale mit tiefem Schlamm, der noch viel gefährlicher ist: denn solange der Fuß noch auf festem Boden haften kann, vermag man noch sich wieder zu erheben, wie wir denn manchen, ob auch unter schwerem Kämpfen, sich aus dem Wasser herausarbeiten sehen. Wer aber im Schlamm steckt, geht zugrunde. Die weitere Aussage: die Flut will mich ersäufen, stellt uns förmlich Davids stürmisches Ringen vor Augen.

V. 4. Ich habe mich müde geschrieen. Dass David in seiner verzweifelten Lage den Herrn suchte, ist ein Beispiel seltener und wunderbarer Geduld. Er klagt aber darüber, dass er schreien musste, bis er heißer ward, und doch nur vergeblich sich müde machte. Damit will er nicht sagen, dass er zu rufen und zu beten aufhörte, als er keinen Erfolg sah, sondern er beschreibt vielmehr seine unablässige Beharrlichkeit. Sein Hals ist heißer, sein Gesicht vergeht ihm, aber trotzdem wird die Kraft seines Glaubens nicht ausgelöscht. Wenn nun David ausspricht, was Christus und alle Frommen mussten, sofern sie Christi Glieder sind, so sollen auch wir es nicht für etwas Fremdartiges achten, wenn uns zuweilen der Tod niederzudrücken und jeden Funken von Leben zu ersticken scheint. Ja, so lange Gott unsrer schont, wollen wir beizeiten solche Gedanken uns einüben, damit, wenn etwa eine Flut von Übeln heranrauschen sollte, der Glaube uns aufrecht erhalten, ja zu Gott empor tragen könne, wie denn nach dem Zeugnis des Paulus (Röm. 8, 39) weder Hohes noch Tiefes uns von der unermesslichen Liebe Gottes scheiden kann, welche alle Abgründe der Hölle verschlingt.

V. 5. Die mich ohne Ursache hassen usw. Jetzt wird ohne Bild ausgesagt, was soeben der Vergleich mit Wasserfluten und Schlamm andeutete. Da David mehr Feinde hatte, als Haare auf dem Haupt, musste er mit Recht hundertfachen Tod fürchten. Der Ausdruck ist keineswegs überschwänglich: denn er war dem ganzen Volk verhasst, weil jedermann überzeugt war, er sei ein gewissenloser und verbrecherischer Vaterlandsverräter. Weiter wissen wir aus der heiligen Geschichte, mit wie zahlreicher und starker Mannschaft Saul ihn verfolgte. Es lässt auf einen tödlichen Hass schließen, wenn David sagen kann, dass seine Feinde darauf ausgehen, ihn zu verderben. Und doch beteuert er, dass man ihn „ohne Ursache“ zu hart drängt: er hatte niemanden geschädigt, noch boshaft gereizt, und doch sinnt man auf seine Vernichtung. Deshalb sagt er, dass man ihm unbillig, buchstäblich „in lügenhafter Weise“ feind ist: denn diesem Krieg fehlte jeder gerechte Grund. So muss es nach Davids Beispiel unser Bestreben sein, dass wir uns in jedem Konflikt mit dem Zeugnis unseres guten Gewissens trösten und frei vor Gott bekennen können, dass unsre Feinde ungerecht handeln; und je schwieriger es ist, diesen Standpunkt in jedem Fall zu erreichen, desto ernstlicher müssen wir uns danach ausstrecken. Gegenüber dem törichten Weichmut, dem ein ungerechtes Leiden unerträglich dünkt, haben wir ein treffliches Wort aus dem Munde des Sokrates. Als nämlich seine Gattin im Gefängnis darüber jammerte, dass er ungerecht verurteilt sei, gab er zur Antwort: „Du wolltest also lieber, dass ich an meinem Untergang schuld wäre?“ David fügt auch hinzu, dass ihm nicht bloß Unrecht geschah, sondern dass er auch Vorwürfe und Schmach tragen müsse, als wäre er zahlreicher Verbrechen überführt, - und das ist einem Manne, der etwas auf sich hält, bitterer, als hundertfacher Tod. Mancher wird gern den Tod auf sich nehmen, der die Schande nicht zu tragen weiß. Wenn David bezahlen muss, was er nicht geraubt hatte, so hat man ihm nicht bloß sein Gut genommen, sondern ihn noch dazu wie einen Räuber und Dieb behandelt. Seine Feinde gebärdeten sich wie Richter eines überführten Verbrechers, - und man sie hielt sie auch in allen Ehren dafür. Darum soll dies Beispiel uns lehren, nicht bloß Missgeschick, Beschwerden und Tod, sondern auch Schande, Schmach und Verleumdung geduldig zu tragen. Wenn selbst Christus, der Quell aller Gerechtigkeit und Heiligkeit, von Verleumdungen nicht verschont blieb, warum sollte es uns den Mut nehmen, wenn wir in eine ähnliche Lage geraten, da doch eben dies der Beweis für unsre rechte Stellung ist, dass wir im Streben nach Gerechtigkeit unbeirrt bleiben, wenn auch die Welt uns noch so übel lohnt!

V. 6. Gott, Du weißt meine Torheit usw. Ganz überflüssiger Weise müht sich der Kirchenvater Augustin mit der Frage ab, wie solche Aussage auf Christum zutreffen könne, um dann auf die Glieder zu übertragen, was doch eigentlich vom Haupt gesagt wäre. Denn die Redeweise ist ironisch: David flüchtet sich vor dem ungerechten Urteil der Menschen zu Gott und ruft ihn zum Schutze seiner Unschuld auf. Diese Sprache wirkt viel nachdrücklicher, als wenn David klar und ohne Umschweife gesagt hätte, dass dem Herrn seine Unschuld bekannt sei. Er ergießt bitteren Spott über seine Feinde und erhebt sich hoch über ihre Schmähungen. Um nicht den verkehrten Urteilen der Menschen zu unterliegen, stellt er fest, dass Gott ein gerechter Richter in seiner Sache ist, und weil er ein gutes Gewissen hat, hält er es für nichts, wenn die Menschen an ihm als Torheit und Schuld ansehen, was Gott ganz anders beurteilt. Gewiss wäre zu wünschen, dass auch vor Menschen unsere Redlichkeit Anerkennung fände, und zwar nicht bloß um unsertwillen, sondern auch zur Erbauung der Brüder. Wenn wir aber uns bestreben, vor Menschen rechtschaffen dazustehen, und sie doch verkehren und falsch auslegen, was wir in rechter Weise tun und sagen, so wollen wir den hohen und freien Mut haben, mit Gottes Urteil allein uns zufrieden zu geben und der Welt und aller Teufel zu spotten. Denn wer gar zu ängstlich um seinen Ruf besorgt ist, wird endlich doch müde werden. Gewiss sollen wir immer zur Rechenschaft bereit sein: aber wenn man uns nicht hören will, gehen wir ruhig vorwärts durch gute Gerüchte und böse Gerüchte, wie auch Paulus sich ohne Furcht auf das Urteil des Gottes beruft, der ans Licht bringen wird, was im Finstern verborgen ist (1. Kor. 4, 5).

7 Lass nicht zu Schanden werden an mir, die dein harren, Herr, Herr Zebaoth! Lass nicht schamrot werden an mir, die dich suchen, Gott Israels! 8 Denn um deinetwillen trage ich Schmach; mein Angesicht ist voller Schande. 9 Ich bin fremd worden meinen Brüdern und unbekannt meiner Mutter Kindern. 10 Denn der Eifer um dein Haus hat mich gefressen; und die Schmähungen derer, die dich schmähen, sind auf mich gefallen.

V. 7. Lass nicht zu Schanden werden an mir, die dein harren. David will sagen, dass er für alle Frommen als ein Beispiel aufgestellt sei, welches ihnen Anlass zur Hoffnung oder aber zur Verzweiflung geben konnte. War er auch dem ganzen Volk verhasst, so waren doch noch ganz wenige, gerecht und lauter denkende Menschen vorhanden, die ihm seine Unschuld bezeugen konnten. Sie wussten, dass man ihn ungerecht drückte, und dass er sich dabei doch immer auf Gottes Gnade stützte und unter allen Anfechtungen fest in der Pflicht der Frömmigkeit beharrte. Diese würden nun aus einem traurigen und unglücklichen Ausgang keinen andern Schluss haben ziehen können, als dass er mit seiner frommen Verehrung Gottes sich nur vergeblich gemüht habe. Denn so oft Gott seinen Knechten hilft, bekräftigt er mit ebenso vielen Zeichen seine Gnade gegen sie. Wenn aber David in der äußersten Not verlassen worden wäre, hätte der Mut der Gläubigen notwendig zusammenbrechen müssen. Diese Gefahr stellt er dem Herrn jetzt vor Augen. Nicht als bedürfe derselbe irgendeiner Erinnerung: aber er gestattet uns, so vertraut mit ihm zu reden. Dass die Gläubigen auf Gott „harren“, deutet auf ihre Hoffnung, dass sie ihn „suchen“, auf ihre Gebete. Die Verbindung beider Stücke lehrt uns, dass der Glaube nicht müßig ist, sondern uns vielmehr treibt, Gott zu suchen.

V. 8. Denn um deinetwillen trage ich Schmach. Was David vorhin mit dem ironischen Ausdruck sagen wollte, dass seine Vergehen Gott bekannt seien, drückt er jetzt deutlicher aus. Ja, er geht noch weiter: es geschehe nicht bloß gegen Recht und Gerechtigkeit, dass man ihn bedrängt, sondern seine Sache sei sogar Gottes Sache, weil er ohne dessen Befehl nichts angefangen habe. Mochte Saul mancherlei Gründe oder wenigstens Vorwände haben, so unterlag es doch keinem Zweifel, dass sein Hass darum entstanden war, weil David nach göttlicher Berufung zum König gesalbt war. So kann dieser mit Recht bezeugen, dass man ihn nicht wegen eines Verbrechens von seiner Seite, sondern darum so allgemein verurteilte, weil er dem Rufe Gottes gefolgt war. Darin liegt aber für die Gläubigen eine Quelle großen Trostes, wenn sie bezeugen dürfen, dass sie nichts über den rechtmäßigen, ihnen von Gott gewordenen Beruf hinaus unternommen haben. So wird unsre Zuversicht nur verdoppelt, wenn die Welt uns wegen des Bekenntnisses des Glaubens feind ist, wie wir denn die Gottlosen nie heftiger wüten sehen, als wenn sie wider Gottes Wort und die Frömmigkeit streiten. Unsere Stelle zeigt also auch, wie die Bosheit der Menschen ans Wunderbare streift, da sie den Eifer für Gottes Ehre als Schande einschätzen. Uns aber wird Gutes zuteil, weil Gott die Vorwürfe, welche die Gottlosen auf uns häufen, nicht bloß abwischt, sondern sogar in solches Licht setzt, dass wir uns über das Triumphieren der Welt zu erheben vermögen. Auch der Umstand gibt dem David Anlass zu verstärkter Klage (V. 9), dass selbst seine Brüder und Blutsverwandten ihn schmählich haben fallen lassen. Daraus lernen wir, dass wir auf Fleisch und Blut keine Rücksicht nehmen, sondern dem Herrn folgen sollen, wenn wir um der Frömmigkeit willen einen Anstoß auch bei den nächsten Angehörigen nicht vermeiden können.

V. 10. Denn der Eifer um dein Haus usw. Obgleich Davids Feinde beteuert haben werden, dass ihnen nichts ferner liege, als Gottes heiligen Namen anzutasten, so reißt er ihnen doch mit der Beteuerung, dass er für Gott streite, die Maske vom Gesicht. Er brennt von Eifer für Gottes Gemeinde. Damit redet David übrigens nicht nur von dem Anlass, der zu seiner Verfolgung führte, sondern sagt auch, dass er trotz aller unwürdigen Behandlung doch sich selbst vergesse und einen heiligen Eifer anziehe, die Gemeinde und zugleich die Ehre Gottes zu verteidigen. Wollen wir dies recht verstehen, so müssen wir bedenken, dass zwar jedermann mit dem Munde sich rühmt, er lasse Gott seine Ehre, dass aber die meisten Gottes spotten, wenn es sich um sein Gesetz, als die Regel eines frommen Lebens, handelt. Viele greifen ihn sogar wütend in seinem Worte an. Als ob seine Verehrung nur ein Luftgebilde wäre und er nicht vielmehr seinen Thron unter den Menschen aufgeschlagen hätte, um sie zu regieren! Darum stellt David hier Gottes Haus oder Gemeinde an die Stelle des Herrn selbst, nicht um auf sie zu übertragen, was ihm gehört, sondern um zu zeigen, dass man Gottes Namen vergeblich im Munde führt, wo man die wahre Regel der Frömmigkeit verachtet, als deren treue Hüterin Gottes Gemeinde bestellt ward. Weiter wollen wir uns erinnern, dass David mit Leuten zu tun hatte, die sich fälschlich als Glieder des wahren Gottesvolks ausgaben. Denn Sauls ganze Anhängerschaft gab sich für Gottes Gemeinde aus, erklärte dagegen David für einen Abtrünnigen und ein faules Glied. Dies unwürdige Gebahren kann ihm nun seinen Mut nicht rauben: er hält zur Verteidigung der wahren Gottesgemeinde alle Angriffe gern aus. Die Schmähungen, die ihn persönlich treffen, rühren ihn nicht: aber wenn er auch an sich gar nicht denkt, so betrübt und ängstigt ihn doch tief die Unterdrückung der Gottesgemeinde; der Schmerz darüber brennt in ihm, ja zehrt ihn innerlich auf. Eben dasselbe sagt der nächste Satz: die Schmähungen derer, die dich schmähen, sind auf mich gefallen. David kann seiner selbst vergessen; all sein Schmerz fließt aus seinem heiligen und brennenden Eifer: er mag nicht sehen, dass man Gottes heiligen Namen mit unwürdigen Lästerungen schmäht. Sein Beispiel soll uns, die wir von Natur gar zu empfindlich sind, um Unrecht ruhig zu tragen, dazu erziehen, diese sündhafte Stimmung abzulegen: nur Schmach, die auf Gott fällt, soll uns Schmerz bereiten und in heiligen Eifer bringen; persönliche Beleidigungen sollen wir sanftmütig hinunterschlucken. Wenn wir nicht lernen, gegen persönliche Nachreden gleichgültig werden, wird in uns nie der wahre Eifer für den Kampf um Gottes Ehre sich entzünden. Da nun David im Namen der ganzen Gemeinde redet, musste, was er von sich sagt, an deren oberstem Haupt in Erfüllung gehen. Darum ist es nicht verwunderlich, dass die Evangelisten unsere Stelle auf Christum anwenden (Joh. 2, 17). Mit dem gleichen Rechtsgrund erstreckt aber Paulus (Röm. 15, 3 ff.), wo er die Gläubigen zur Nachfolge Christi ermahnt, den letzten Satz auf sie alle. Er lässt auch ersehen, wie umfassend die Tragweite dieser Lehre ist, dass wir nämlich uns der Ehre Gottes ganz zur Verfügung stellen und in allen unsern Taten und Reden es auf sie absehen, auch uns eifrigst hüten sollen, dass sie nicht durch unsre Schuld verdunkelt werde. Wenn aber Christus, in dem die volle Majestät Gottes sich strahlend offenbarte, sich in seiner Herablassung für den Namen des Vaters allen Schmähungen aussetzte, wie hässlich und beschämend ist es dann für uns, solchen Erfahrungen aus dem Wege gehen zu wollen!

11 Und ich weine und faste bitterlich; und man spottet mein dazu. 12 Ich habe einen Sack angezogen; aber sie treiben Gespött mit mir. 13 Die im Tor sitzen, schwatzen von mir, und in den Zechen singet man von mir. 14 Ich aber bete, Herr, zu dir. Angenehme Zeit ist, o Gott! Durch deine große Güte erhöre mich mit deiner treuen Hilfe.

V. 11. Und ich weine usw. Hier zeigt David mit einem weiteren Hinweis auf sein Verhalten, dass er mit reinem und wohl gemäßigtem Eifer auf die Verherrlichung Gottes bedacht war: er brauste nicht auf in fleischlicher Ungeduld, sondern beugte sich zum Gebet und nahm Gott zum Zeugen seiner Traurigkeit. Wie hebt sich das ab von dem eigensinnigen und hochfahrenden Gebahren seiner Feinde! Es kommt oft vor, dass Leute, die mutig für Gottes Ehre eintreten, die Gottlosen noch mehr reizen und erbittern, weil sie mit Bitterkeit und ohne die nötige Mäßigung den Kampf führen. David aber bezeugt hier, dass er seinen Eifer in einer solchen Weise gezügelt habe, dass darüber auch ein eisernes Herz hätte weich werden müssen. Seine Beschreibung zeigt, wie die Feinde in ihrem Übermut ihn drückten: er durfte keinen Ton von sich geben und konnte Gottes Sache durch keine andern Mittel verteidigen, als durch Tränen und Traurigkeit. Die Freiheit zu reden war ihm verwehrt: hätte er, über den das Verwerfungsurteil feststand, das Wort genommen, so wären die heftigsten Schmähungen die Antwort gewesen. Umso tapferer war es, wenn sein Eifer nicht abkühlte und er von seinem freiwilligen Ringen, dass er um der Frömmigkeit willen auf sich genommen hatte, nicht abstand. Dass er fastete und (V. 12) einen Sack angezogen hat, sind bei den Juden Zeichen der Traurigkeit. Die Feinde müssen durch eine teuflische Wut vergiftet gewesen sein, wenn sie das alles mit Spott und beißenden Witzen übergossen. Dies Beispiel soll uns zur Stärkung dienen, damit die Schmähungen, mit welchen die Feinde des Evangeliums sich heutzutage mehr als Teufel denn als Menschen gebärden, uns nicht außer Atem bringen. Inzwischen sollen wir uns bemühen, dass wir nicht Öl ins Feuer gießen, sondern einem David und Lot (2. Petr. 2, 7) gleichen, welche nicht einmal einen Tadel gegen die gottlosen Leute aussprechen durften und doch ihre Seele von ihnen quälen lassen mussten. Aber selbst wenn die Gottlosen unsre Worte einmal anhören müssen, so wird die beste Würze unseres Eifers Mäßigung und Demut sein.

V. 13. Die im Tor sitzen, schwatzen von mir. Es wäre noch erträglich gewesen, wenn nur gemeine Leute den David mit ihren Witzen verspottet hätten: denn man darf sich nicht wundern, wenn schmutzige Menschen, die auf einen ehrbaren Schein nicht zu geben brauchen, sich schamlos gebärden. Es ist aber ganz unwürdig, wenn sogar die Richter ihre Würde vergessen und solchen frechen Reden sich herablassen. Darum klagt David ausdrücklich, dass er selbst diesen obrigkeitlichen Personen zum Gespött ward. Denn, die im Tor sitzen, sind die Richter, nicht das Volk überhaupt: mochten allerlei Leute im Tor zusammenkommen, so pflegten doch nur die Richter daselbst zu sitzen. Auch im zweiten Satzglied wird an die Vornehmen zu denken sein, die das Geld haben, schweren Trank zu trinken, wie wörtlich zu übersetzen wäre. Dies war das Schrecklichste an Davids Geschick, dass nicht nur die gemeinen Leute den heiligen Mann durchhechelten, sondern dass dabei die Hüter der Gerechtigkeit und die Vorsteher der Gemeinde das erste führten. Auch heute noch wüten im Papsttum diejenigen am meisten gegen das Evangelium und seine Diener, welche die höchsten Ehrenstellen bekleiden und sich am gewissesten als Verteidiger des katholischen Glaubens beweisen wollen. Und wie spottet man unter den Großen dieser Erde über Christi Diener und ihre Torheit, in der sie angeblich ohne Erfolg sich für die Sache der Frömmigkeit zerreißen und abmühen!

V. 14. Ich aber bete. Es war eine seltene Tugend, dass David selbst unter diesen allerhärtesten Erfahrungen den Mut nicht sinken ließ. Er zeigt uns aber auch, womit er sich gegen den schwierigen Anstoß gewappnet hat. Während die Gottlosen mir ihren Spottreden wie mit Wurfgeschossen seinen Glauben über den Haufen werfen wollten, hat er Gebete ausgeströmt, um alle Angriffe zurückzutreiben. Da ihn Menschen zum Schweigen zwangen, wandte er sich von der Welt hinweg zu seinem Gott. Das ist ein Mittel, durch welches auch heute die Gläubigen siegen werden. Übrigens halte ich es für unrichtig, wenn viele Ausleger ohne Unterbrechung zusammenfassen: „Ich bete zur angenehmen Zeit.“ Dafür könnte man sich allerdings auf Jes. 55, 6 berufen: „Suchet den Herrn, solange er zu finden ist.“ Hier aber fordert der Wortlaut eine Trennung: „Angenehme Zeit ist, o Gott.“ Damit beschreibt David den Trost, den ihm sein Gebet brachte, indem er sich etwa vorstellte: wenn auch jetzt unruhige Zeit ist und ich mit meinem Beten nichts zu erreichen scheine, so wird Gottes gnädiger Rat sich doch durchsetzen. In diesem Sinne sagt auch der Prophet Habakuk (2, 1), dass er auf seiner Warte stehen wolle. Ähnlich lesen wir bei Jesaja (8, 17): „Ich hoffe auf den Herrn, der sein Antlitz verborgen hat vor dem Hause Jakob.“ Denn dies allein kann zum Siege führen, dass uns inmitten der Finsternis die Hoffnung leuchtet und uns die Erwartung der angenehmen Zeit aufrechterhält, die Gott nach seinem Wohlgefallen uns schenken wird. So stärkt sich David, um ausharren zu können. Und nun hat er Zuversicht geschöpft durch den Blick auf Gottes Wesen. Darum kann er hinzufügen: Durch deine große Güte erhöre mich. Und zur Güte fügt er Gottes Treue und Wahrheit: Gottes treue Hilfe, in der er die Seinen aus der Verzweiflung reißt, wird ein Tatbeweis seiner Gnade sein. Dies Gebet fließt aus der Quelle des zuversichtlichen Glaubens daran, dass Gott die Finsternis verscheuchen und eine neue schöne Zeit heraufführen werde. Weil David in dieser Weise alle seine Gedanken auf Gott richtet, können die Umtriebe der Gottlosen ihn nicht wankend machen.

15 Errette mich aus dem Kot, dass ich nicht versinke; dass ich errettet werde von meinen Hassern und aus dem tiefen Wasser; 16 dass mich die Wasserflut nicht ersäufe, und die Tiefe nicht verschlinge, und das Loch der Grube nicht über mir zusammengehe. 17 Erhöre mich, Herr, denn deine Güte ist tröstlich; wende dich zu mir nach deiner großen Barmherzigkeit, 18 und verbirg dein Angesicht nicht vor deinem Knechte, denn mir ist angst; erhöre mich eilend. 19 Mache dich zu meiner Seele und erlöse sie; erlöse mich um meiner Feinde willen.

V. 15. Errette mich aus dem Kot. Ein eben schon gebrachtes Bild (V. 3) kehrt jetzt in etwas anderer Wendung wieder. Hatte David zuvor gesagt, dass er schon versunken sei, so bittet er jetzt, dass er nicht versinken möge. Dieser Unterschied erklärt sich daraus, dass er vorher nach seiner Empfindung und Erfahrung redete, jetzt aber schon auf den Ausgang hinblickt und in der Hoffnung auf Befreiung mitten im Tode lebendig ist. Dies drückt einer der nächsten Sätze noch deutlicher aus, in welchem er wünscht, dass (V. 16) das Loch der Grube nicht über ihm zusammengehe. Dies hat den Sinn, dass ihn die Last der Betrübnisse nicht erdrücken und der Schmerz ihn nicht verschlingen möge. Dass er aber Gott (V. 17) gewissermaßen bei seiner Güte und Barmherzigkeit beschwören muss, zeigt, wie enge ihn die Angst umstrickte. Wenn er nach solchen Waffen greift, muss er in einem schweren Kampfe gestanden haben. Und sicherlich ist es eine fast unerschwingliche Sache, von Gott glauben zu sollen, dass er gnädig ist, während er doch zürnt, und dass er nahe ist, während er sich doch zurückgezogen hat. Darum greift David nach allem, was er wider das nahe liegende Misstrauen stellen kann. Wenn er Gottes Güte und große Barmherzigkeit anruft, so zeigt er, dass er nur darum hoffen kann, weil Gott barmherzig ist. Der Ausruf: „Wende ich zu mir“, hat den Sinn: beweise es mit der Tat, dass du mich erhört hast, indem du mir hilfst. Auch der nächste Vers verfolgt noch den gleichen Gedanken. Diese ständige Wiederholung ist ein Beweis wie für die Heftigkeit des Schmerzes, so für die Glut des Gebetswunsches. Wenn David sagt: Verbirg dein Angesicht nicht, so fürchtet er nicht etwa in Wirklichkeit eine Zurückweisung; aber es kann ja nicht anders sein, als dass die Angst einen Menschen in seinem Elend umtreibt. Weil aber Gott insbesondere seine Knechte in seine Nähe ruft, beteuert David, dass er in ihre Zahl gehört. Damit will er freilich nicht sagen, dass er mit seinem Gehorsam irgendetwas verdient habe; vielmehr stützt er sich ganz auf Gottes Gnadenwahl. Immerhin kann er sich zugleich das Zeugnis geben, dass er dem Gott, der ihn berief, treulich gedient hatte. Wieso es heißen kann, dass Gott eilend helfen solle, ist zu Ps. 38, 23 (vgl. 40, 14) erörtert worden.

V. 19. Mache dich zu meiner Seele. Gewiss war David im Glauben überzeugt, dass Gott ihm nahe sei. Aber da wir auf seine Nähe oder Ferne aus dem Erfolg zu schließen pflegen, klagt er hier aus der Empfindung seines Fleisches heraus, als wäre er ihm fern. So weit der Augenschein ergab, hatte Gott die Sorge um Davids Heil weggeworfen. Bittet dieser ihn nun, dass er zu seiner Seele, d. h. zu seinem Leben sich nahen möge, das er verlassen zu haben schien, so ist dies ein herrlicher Beweis seines Glaubens. Ja, je grausamer man ihn drängt, desto mehr vertraut er auf Gott als seinen Helfer, wie es denn immer den Grundsatz festzuhalten gilt, dass Gott trotz alles gegenteiligen Scheins den Hoffärtigen widerstehet (Jak. 4, 6). Darum kann es nicht anders sein, als dass er endlich die Frechheit derer, die sich ziellos wider ihn empören, zu Boden schlägt.

20 Du weißt meine Schmach, Schande und Scham; meine Widersacher sind alle vor dir. 21 Die Schmach bricht mir mein Herz und kränket mich. Ich warte, ob´s jemand jammere, aber da ist niemand; und auf Tröster, aber ich finde keine. 22 Und sie geben mir Galle zu essen, und Essig zu trinken in meinen großen Durst.

V. 20. Du weißt meine Schmach. Das ist eine Bekräftigung des vorigen Satzes. Denn woher kommt es, dass die meisten Menschen den Mut verlieren, wenn sie ohnmächtig mit ansehen müssen, wie die Gottlosen gleich einer alles verschlingenden Flut daherstürmen? Doch nur daher, dass sie den Himmel mit Wolken verdeckt glauben, sodass Gott auf Erden nichts sehen könne. Darum muss Gottes Vorsehung uns hier in den Sinn kommen, damit wir nicht zweifeln, er werde zur rechten Zeit Hilfe senden: denn er kann die Augen nicht von unserem Elend verschließen, noch die Bösen ungestraft gewähren lassen, ohne sich selbst zu verleugnen. An diesen Trost kann David sich also halten, dass er an Gott einen Zeugen seines Schmerzes, seiner Furcht, seiner Bitternisse und Sorgen habe: denn dem Richter und Regierer der Welt kann nichts entgehen. Dass David mit vielen Worten seine Schmach schildert, wird uns nicht wundernehmen: denn gegen den schweren Angriff solcher Anfechtungen, die auch den tapfersten Geist zum Wanken bringen konnten, musste ein festes Bollwerk aufgerichtet werden. Menschen von freiem und hohem Sinn empfinden ja nichts bitterer als Schande. Wenn nun vollends doppelte Schmach und ganze Haufen von Schande auf sie geschüttet werden, so ist eine unvergleichliche Kraft aufzuwenden, dass man nicht verschüttet werde. Wenn man sich träge dem Widerwillen hingibt, ist Verzweiflung fast unausbleiblich. Um also der Last nicht zu erliegen, macht David den Schluss, dass die vielen Widrigkeiten, die auf ihm lasten, dem Herrn nicht unbekannt sein können. Schande und Scham kann sowohl die äußere Verfassung, als die innere Empfindung bezeichnen: äußerlich wurde David reichlich verspottet, und solche Schmähreden mussten ihm innerlich nicht bloß Schmerz, sondern auch Scham bereiten. In der gleichen Absicht, aus welcher der erste Satz hervorging, fügt David hinzu: meine Widersacher sind alle vor dir, d. h. Herr, du weißt, dass ich wie ein Lamm von tausend Wölfen umgeben bin.

V. 21. Die Schmach bricht mir mein Herz. Jetzt vernehmen wir noch deutlicher, dass David nicht bloß vorübergehend durch den Schein trostloser Verlassenheit beschämt wurde, sondern dass er dem Schmerz nahezu unterlag, da er lange Zeit in dieser beschämenden Lage ausharren musste. Daraus ersehen wir, dass er nicht ohne schweren Kampf gesiegt hat. Nicht hat er den Ansturm der Anfechtungen darum standhaft ertragen, weil sie etwa seine Seele nicht wirklich berührten, sondern weil er gegen die heftigen Stöße eine ganz besondere Tapferkeit setzte. Er beschreibt seine Lage: Ich warte, ob´s jemand jammere. Er findet also keinen, der ihn tröstete, oder in dessen Herz er seine Leiden ausschütten dürfte. Mit dieser Aussage will er den Herrn zur Barmherzigkeit bestimmen, da er in der Welt weder Hilfe noch Trost findet. Darnach (V. 22) erklärt er noch einmal mit Nachdruck, dass die Feinde in ihrer Wut bis zum äußersten gehen: sie geben mir Galle zu essen und Essig zu trinken. Obgleich dies bildliche Redewendungen sind, stellt Johannes doch fest (Joh. 19, 28 f.), dass diese Schrift erfüllt wurde, als man Christus am Kreuz mit Essig tränkte. Denn durch dieses sichtbare Zeichen sollte an Christo dargestellt werden, mit welcher Grausamkeit die Verworfenen seine Glieder behandeln. So merkten wir auch zu Ps. 22, 19 an, dass dieser Vers mit gutem Grund angezogen wurde, als die Soldaten Christi Kleider verteilten: „Sie teilen meine Kleider unter sich und werfen das Los um mein Gewand.“ Gewiss will auch damit David bildlich beschreiben, dass er beraubt und sein Hab und Gut wie Beute verteilt wurde. Auch an unsrer Stelle gilt es also, den nächsten Sinn festzustellen: man gönnte dem heiligen Sänger keine Erquickung, wie wenn man einem schwer leidenden Menschen auch noch Speise und Trank mit bitteren Zusätzen vergällen wollte.

23 Ihr Tisch werde vor ihnen zum Strick und ihr Frieden zu einer Falle. 24 Ihre Augen müssen finster werden, dass sie nicht sehen, und ihre Lenden lass immer wanken. 25 Geuß deine Ungnade auf sie, und dein grimmiger Zorn ergreife sie. 26 Ihre Wohnung müsse wüste werden, und sei niemand, der in ihren Hütten wohne. 27 Denn sie verfolgen, den Du geschlagen hast, und mehren den Schmerz deiner Verwundeten. 28 Lass sie in eine Sünde über die andre fallen, dass sie nicht kommen zu deiner Gerechtigkeit. 29 Tilge sie aus dem Buch der Lebendigen, dass sie mit dem Gerechten nicht angeschrieben werden. 30 Ich aber bin elend, und mir ist wehe. Gott, deine Hilfe wird mich erhöhen.

V. 23. Ihr Tisch werde vor ihnen zum Strick. Jetzt folgen schwere Verwünschungen, bei denen wir zu bedenken haben, was wir früher schon sagten, dass David sich nicht etwa gehen ließ und seine Galle ausschüttete, wie denn freilich die meisten Menschen durch erlittenes Unrecht sich zu maßlosem Schmerz hinreißen lassen. Vielmehr leitete ihn der heilige Geist, Gottes Gericht auf die Verworfenen herabzubeten; und er betrieb nicht sein persönliches Anliegen, als er im heiligen Eifer für Gottes Ehre die Frevler vor Gottes Richterstuhl zog. Darum widerfuhr es ihm auch nicht, dass ihn etwa wie einen Menschen, der sich selbst rächen will, eine ungezügelte Leidenschaft getrieben hätte. Hat nun aber der Geist der Weisheit, der Rechtschaffenheit und Mäßigung dem David diese Verwünschungen eingegeben, so dürfen sich Leute, die nach Beleiben ihren Jähzorn ausströmen lassen, nicht auf sein Beispiel berufen. Denn man darf sich nicht durch Ungeduld zur Rache derartig hinreißen lassen, dass man entweder das rechte Ziel oder das rechte Maß verliert. Weisheit ist nötig, die zwischen den Verworfenen und den andern unterscheidet, die noch zurechtgebracht werden können. Und ein rechter Sinn ist nötig, damit man nicht rein persönliche Interessen walten lasse. Endlich bedarf es der Mäßigung, die unsren Sinn zur sanften Geduld anleitet. Weil David diese drei Stücke ohne Zweifel besaß, darf man, wenn man ihn in rechter Weise zum Vorbild nimmt, nicht in blinder Wut Drohungen ausstoßen; sodann gilt es, die stürmische Leidenschaft unserer Seele zu bändigen; endlich soll sich ohne Rücksicht auf persönlichen Vorteil unser Eifer und ganzer Sinn auf Gottes Ehre richten. Wir müssen Christum anziehen, wenn anders nicht sein Vorwurf auch uns gelten soll (Lk. 9, 55): „Wisset ihr nicht, welches Geistes Kinder ihr seid?“ – Hatte David geklagt, dass seine Feinde Galle in seine Speise mischten, so bittet er jetzt umgekehrt, dass ihr Tisch ihnen zum Strick werde und ihr Frieden zu einer Falle. Was also ihnen zum Leben und zur Behaglichkeit diente, soll Gott nun zum Verderben wenden. Daraus ziehen wir einen doppelten Schluss. Erstlich: wenn Gott uns gnädig ist, müssen Dinge, die von Natur schädlich sein könnten, uns zum Guten helfen. Zum andern: ist Gott unser Feind, so liegt auf allen an sich nützlichen Dingen ein Fluch, so dass sie uns Anlass zum Verderben werden müssen. Es soll also uns in tiefe Furcht hineintreiben, wenn der heilige Geist als Gottes Strafe ankündigt (Tit. 1, 15), dass den Verworfenen alles, was zur Erhaltung des Lebens dient, tödlich werden muss: auch die Sonne, die sonst Heilung unter ihren Flügeln trägt (Mal. 3, 20), muss ihnen einen Pesthauch bringen.

V. 24. Ihre Augen müssen finster werden usw. Wenn David neben den Augen die Lenden verwünscht, so begreift er darunter die gesamte Betätigung des Menschen. Er will etwa sagen: Herr, beraube sie des Verstandes und der Einsicht; dazu zerbrich ihre Kraft, sodass sie sich nicht mehr von der Stelle bewegen können. Wissen wir doch, dass man ohne das Licht der Vernunft nichts planen und ohne die entsprechende Kraft nichts ausführen kann. Da aber diese Drohung den Feinden der Gottesgemeinde gilt, so braucht uns die Bosheit und Wut der Gottlosen nicht zu schrecken. Denn Gott hat es in der Hand, sie plötzlich mit Blindheit zu schlagen, sodass sie nichts mehr sehen, und ihre Lenden zu zerbrechen, sodass sie zu Boden liegen müssen.

V. 25. Geuß deine Ungnade auf sie usw. Wir dürfen uns nicht wundern, dass David so lange bei diesen Verwünschungen verharrt: wissen wir doch, dass die rasenden Feinde des Gottesvolkes, denen er Furcht einjagen wollte, sich nicht so leicht erschüttern lassen. Darum fährt er heftig gegen sie los, damit sie von ihrer Frechheit ablassen sollen. Insbesondere aber hat David dabei die Gläubigen im Auge, die unter dem Druck der Leiden keine andere Stütze haben, als dass sie aus Gottes Munde hören dürfen, eine wie schreckliche Strafe ihrer Feinde wartet, sofern dieselben nämlich zu den Verworfenen gehören. Denn nur die rettungslos Verlorenen will David dem Verderben weihen, während er für noch heilbare Sünder um bessernde Züchtigung gebetet haben würde. Im nächsten Vers denkt er nicht bloß an die Verworfenen selbst, die der für sie bestimmten Strafe nicht entgehen sollen, sondern geht noch weiter: auch über ihre Nachkommen soll Gott seinen Zorn ausschütten. Es ist ja nichts Unerhörtes, dass die Sünden der Väter in den Busen der Kinder vergolten werden sollen. Denn David hat diese Drohungen nicht nur unter dem Antrieb des Geistes ausgesprochen, sondern geradezu dem Gesetz entnommen, wo es heißt (2. Mo. 20, 5), dass Gott die Missetat seiner Verächter bis ins dritte und vierte Glied heimsuchen wolle. Es soll also auch ihr Andenken verflucht sein, sodass Gottes Strafe auch nach ihrem Tode noch nicht ruht.

V. 27. Denn sie verfolgen, den Du geschlagen hast. Der Hinweis auf dieses Verbrechen soll zeigen, dass sie die schwersten Strafen verdienen. David hält dem Herrn vor: nicht zufrieden damit, dass du mich geschlagen hast, wüten sie noch gegen mich in meinem Elende, obwohl ich doch schon durch deine Hand verwundet bin. Das menschliche Gefühl pflegt dazu zu treiben, bedrängten Menschen zu helfen. Wer also wider Unglückliche noch frevelt, muss schon von tierischer Wut besessen sein. Dass der Herr seinen Knecht „geschlagen“ hatte, war ein Zeichen, dass er ihn als eines seiner Kinder demütigen wollte: so war schon in dieser Züchtigung die Spür väterlicher Liebe zu erkennen. – Und mehren den Schmerz deiner Verwundeten. Der Ausdruck: „Deine Verwundeten“ erinnert an Jes. 26, 19: „deine Toten“, welches Leute sind, die mitten im Tode Gott angehören und unter seiner Hut bleiben. Auch an unserer Stelle ist nicht an alle Volksglieder zu denken, sondern nur an die Gläubigen, deren Gehorsam Gott durch das Kreuz prüft. Wenn diese Prüfung den Gottlosen Anlass zu desto größerer Feindseligkeit gibt, so dürfen sie sich nicht wundern, wenn Gott sie desto schwerer straft. Denn der Blick auf das Beispiel der Frommen hätte ihnen den Schluss nahe legen müssen (Lk. 23, 31): „Wenn dies am grünen Holz geschieht, was wird erst mit dem dürren werden?“ Wenn sie stattdessen sich nur noch mehr verstocken, so ist klar, dass ihre hochfahrende Feindschaft gegen die Kinder Gottes aus Verachtung und Hass der Frömmigkeit geboren ist. Das Wort, welches wir „mehren“ übersetzen, heißt eigentlich „zählen“. Die Meinung wird nicht sein, dass die Gottlosen hämisch von dem Leiden der Frommen erzählen. Vielmehr zählen sie noch ihrerseits etwas darauf, d. h. sie vermehren den Schmerz bis zum äußersten.

V. 28. Lass sie in eine Sünde über die andre fallen. Andere Übersetzer denken vielmehr an immer neue Strafen, welche über die Frevler kommen sollen. Aber obgleich das betreffende hebräische Wort diesen Sinn wohl haben könnte, zeigt doch das nächste Satzglied, dass David vielmehr bittet, Gott möge die Frevler seines Geistes berauben und sie in verkehrten Sinn dahingeben, damit sie niemals zur Umkehr kommen. Dass sie nicht kommen zu deiner Gerechtigkeit deutet nämlich, wie ich glaube, nicht auf die Vergebung, sondern vielmehr auf die Heiligung des Lebens. Der Satz hat also den Sinn: möge doch ihre Ungerechtigkeit mehr und mehr wachsen, sodass sie vollends vom rechten Weg abkommen und jedermann sehe, dass sie dem Herrn ganz entfremdet sind. Solche Ausdrucksweise, die in der Schrift häufig vorkommt, darf uns nicht zu hart dünken. Man darf Gott nicht etwa dadurch entschuldigen wollen, dass man sein Wirken zum Bösen in ein bloßes Zulassen abschwächt. Es muss uns genügen, dass der Herr gerechte Ursachen hat, wenn er die Verworfenen verblendet, sodass die Menschen ganz vergeblich darüber murren und mit Gott streiten werden, als sündigten sie nur vermöge seines eigenen Antriebes. Denn wenn auch die Ursachen der Verblendung in Gottes geheimen Ratschluss verborgen liegen, so überführt doch einen jeden sein Gewissen, und es kommt uns zu, die Geheimnisse Gottes, die über unsern Verstand gehen, ehrfürchtig anzubeten und zu bewundern. Denn es heißt mit gutem Grunde (Ps. 36, 7), dass seine Gerichte wie eine große Tiefe sind. Sicher wäre an unsrer Stelle, welche davon spricht, dass Gott sein Gericht vollzieht, nichts verkehrter, als einen Teil der Schuld bei ihm zu suchen. Alles in allem: durch Gottes gerechte Strafe werden die Gottlosen in einen tiefen Schlund von Ungerechtigkeit hinab gestoßen, sodass sie niemals wieder gesunden Sinnes werden, - denn (Offenb. 22, 11): „Wer unrein ist, der sei fernerhin unrein.“

V. 29. Tilge sie aus dem Buch der Lebendigen. Dies ist die letzte und schrecklichste Verwünschung, die sich doch immer nur an die Unbußfertigkeit und verstockte Selbstverhärtung, von der soeben die Rede war, anschließt. Nachdem also den Betreffenden der Weg zur Buße abgeschnitten wurde, wird ihnen jetzt auch das ewige Verderben angedroht. Denn wer nicht im Buch des Lebens geschrieben steht, muss notwendig verloren gehen. Die Ausdrucksweise ist bildlich, passt sich aber dem Maß unseres Verständnisses trefflich an: denn das Buch des Lebens ist nichts anderes, als Gottes ewiger Ratschluss, kraft dessen er die Seinen zum Heil zuvorbestimmt hat. Derselbe ist ohne Zweifel unabänderlich. Ferner wissen wir, dass die zum ewigen Heil Erwählten schon vor Grundlegung der Welt in das Buch des Lebens geschrieben wurden (Eph. 1, 4). Weil aber Gottes ewige Erwählung unbegreiflich ist, so wird in Rücksicht auf unser menschliches Verständnis gesagt, dass jemand in das Lebensbuch geschrieben wird, wenn Gott ihn offensichtlich und mit kenntlichen Zeichen seinem Volke einfügt. Anderseits ist von einer Streichung die Rede, wenn Gott jemanden offensichtlich aus seiner Gemeinde ausstößt und ausscheidet. So drückt auch David den Wunsch, Gottes Rache möge seine Feinde ins Verderben stoßen, gemäß unserm Verständnis so aus: Zähle sie nicht mehr unter die Zahl der Deinen, sondern mache offenbar, dass sie nicht zu deiner Gemeinde gehören; mögen sie eine Zeitlang ihre Stelle unter den Gläubigen behauptet haben, so schneide sie nun endlich ab, damit offenbar werde, dass sie sich als Fremdlinge unter deine Hausgenossen gemischt haben. So heißt es auch Hes. 13, 9, dass die falschen Propheten nicht in dem geheimen Verzeichnis des Gottesvolkes gefunden werden sollen. Bei alledem bleibt wahr, was Johannes sagt (1. Joh. 2, 19), dass keiner, der in Wahrheit zu den Kindern Gottes gehörte, abfallen kann. Weil aber die Heuchler in ihrem Hochmut sich als die Ersten in der Gottesgemeinde gebärdeten, so wird ihre Verwerfung ganz passend unter dem Bilde beschrieben, dass sie aus dem Buch des Lebens getilgt werden. Im zweiten Satzgliede sind unter den Gerechten alle Auserwählten zu verstehen: denn wir sind, wie Paulus sagt (1. Thess. 4, 7), nicht zur Unreinigkeit, sondern zur Heiligung berufen, damit ein jeder sein Gefäß in Ehren zu behalten wisse (1. Thess. 4, 4). Und bekannt ist die steigernde Rede des Apostels (Röm. 8, 30): „Welche er verordnet hat, die hat er auch berufen, welche er aber berufen hat, die hat er auch gerecht gemacht.“

V. 30. Ich aber bin elend. Aus diesem Vers lässt sich noch deutlicher ersehen, wie weit entfernt David von jener hochfahrenden und stolzen Leidenschaft war, welche Menschen erfasst, die ihre Rachgier ohnmächtig ausschäumen. Wir können jetzt nicht mehr zweifeln, dass er sich seinem Gott mit dem Opfer eines gedemütigten und zerschlagenen Geistes zur Verfügung stellt, um durch solche Sanftmut seine Gnade zu gewinnen. Darum fügt er auch hinzu: Deine Hilfe wird mich erhöhen. Ganz gewiss reden Leute, die von übermäßiger Rachgier sich hinreißen lassen, nicht so demütig, sondern vielmehr sehr hochfahrend. David aber stellt eine innere Verbindung her zwischen dem Elend, in welchem er tief darniederlag, und der Hilfe Gottes, von welcher er Aufrichtung erhofft. Woraus ein anderer Anlass zur Verzweiflung genommen hätte, daraus verspricht er sich Rettung. Allerdings könnten die beiden Sätze auch einfach gegensätzlich verstanden werden: obgleich ich jetzt im Elend liege, wird deine Hilfe mich erhöhen. Ich zweifle jedoch nicht, dass David auf seine tiefe Beugung hinweist, um von Gott Barmherzigkeit zu erlangen. Und er sagt nicht bloß, dass Gottes Hilfe ihn aufrichten, sondern dass sie ihn sogar „erhöhen“ werde, wie eine Burg, die auf hohem Felsen liegt.

31 Ich will den Namen Gottes loben mit einem Lied, und will ihn hoch ehren mit Dank. 32 Das wird dem Herrn besser gefallen denn ein Farre, der Hörner und Klauen hat. 33 Die Elenden sehen´s, und es freuen sich, die Gott suchen: und euch wird das Herz leben. 34 Denn der Herr höret die Armen und verachtet seine Gefangenen nicht.

V. 31. Ich will den Namen Gottes loben. Jetzt folgt ein Ausbruch freudiger Stimmung: David singt in zuversichtlicher Hoffnung schon ein Siegeslied. Mag er auch den Psalm mitten unter Furcht und Gefahren gedichtet haben, so werden ihn trotz seiner Angst doch auch solche Gedanken gekommen sein: denn er ergriff die Gnade mit gewissem Glauben, obgleich dieselbe noch verborgen war und sich nun der Hoffnung zeigte. Dass er den Herrn mit seinem Dank hoch ehren will, hat nicht die Meinung, dass er seine unermessliche Ehre vermehren könne, sondern nur, dass er unter den Menschen seinen Namen erheben will. Und um sich noch besser im Glauben zu stärken, hält David sich vor, dass die Danksagung, zu welcher er sich anschickt, dem Herrn ein Opfer von gutem Geruch sein wird (V. 32). Denn dies ist der beste Antrieb zur Dankbarkeit, wenn wir gewiss sein dürfen, dass dem Herrn das Opfer unserer Frömmigkeit gefällt, wie er denn auch für alle die Güter, die er uns reichlich spendet, keine andere Gegengabe verlangt, als dass wir seinen Namen preisen. Wie unentschuldbar ist also die Trägheit, welche durch Verschweigen oder Vergessen den Herrn um sein Lob betrügt! Obgleich nun David die äußeren Opfer, welche das Gesetz verlangte, weder übersieht noch gering schätzt, zieht er ihnen doch mit Recht die Anbetung Gottes im Geist vor, auf welche ja alle Zeremonien hinzielten (vgl. zu Ps. 50, 8. 14). Dabei erscheint Davids Bescheidenheit immerhin bemerkenswert: obgleich seine Gedanken sich zu dem höchsten himmlischen Ziel erheben, lässt er sich doch zur gemeinen Ordnung des Gottesvolkes herab, als wäre er eines seiner geringsten Glieder. Er lernt gern aus den gesetzlichen Vorbildern, was später im Evangelium deutlicher geoffenbart wurde, dass das Lob Gottes, sofern es aus unserm Munde kommt, unrein ist, bis es durch Christum geheiligt wird. Darum sollen aber wir nicht in abergläubische und pomphafte Kultusformen zurückfallen, welche durch das Opfer des Todes Christi abgeschafft sind, und welche schon David weit hinter die eigentliche Anbetung zurückstellte. Als ein Farre, der Hörner und Klauen hat, wird ein auserwähltes, besonders schönes Tier bezeichnet. David will sagen, dass ein kostbareres und dem Herrn wohlgefälligeres Opfer als Danksagung gar nicht gebracht werden kann.

V. 33. Die Elenden sehen´s usw. David spricht aus, dass seine von Gott erbetene Errettung auch für andere Frucht bringen wird (Ps. 22, 26). Das tut er einerseits, um Gottes Gnade bei den Gläubigen in ein helles Licht zu setzen, anderseits um den Herrn zur Hilfe noch geneigter zu stimmen. Seine Meinung ist nicht, dass die Gläubigen nur um der brüderlichen Liebe willen an dem Schauspiel seiner Errettung Freude haben würden, sondern dass, was er erfährt, ein für alle gültiges Unterpfand des Heils sein soll. Unter diesem Gesichtspunkt spricht er von den „Elenden“. David will sagen: alle, die den Herrn suchen, obgleich vielerlei Elend sie drückt, werden durch den Blick auf mein Vorbild neuen Mut bekommen. Denn dies beides muss in engem Zusammenhang gelesen werden: die Elenden freuen sich, und die Gott suchen. Für Leute, die in ihrem Elend doch nach dem Herrn ausschauen, soll Davids Vorbild tröstlich sein. Denn unter den Schlägen Gottes lernen nur diejenigen etwas, die im rechten Sinn des Glaubens bei ihm ihr Heil suchen. Das letzte Satzglied redet in der zweiten Person: euch wird das Herz leben. Diese Anrede wirkt besonders nachdrücklich. Sie stellt uns die Elenden gleichsam als Tote vor Augen und führt uns dann wie im Bilde die Auferstehung vor: Euch, ihr Toten, soll neue Lebenskraft zuteil werden! Damit ist freilich nicht gemeint, dass an den Kindern Gottes der Glaube völlig ertötet werden könnte, bis ihn der Blick auf die Errettung eines andern wieder zum Leben erweckt: aber wenn ein halb ersticktes Licht wieder angefacht wird, kann man wohl sagen, dass es neues Leben erlangt. Wie dies bei den Gläubigen geschieht, sagen die nächsten Sätze (V. 34): Denn der Herr höret die Armen usw. Wenn Gott an dem einen David beweist, dass allen Unterdrückten seine Hilfe bereit liegt, dürfen sie getrost den Schluss ziehen, dass er das Rufen der Armen nicht überhört und die Gefangenen nicht sich selbst überlässt.

35 Es lobe ihn Himmel, Erde und Meer und alles, was sich drinnen reget. 36 Denn Gott wird Zion helfen und die Städte Judas bauen, dass man daselbst wohne und sie besitze. 37 Und der Same seiner Knechte wird sie ererben, und die seinen Namen lieben, werden drinnen bleiben.

V. 35. Es lobe ihn Himmel usw. Diese letzten Verse zeigen vollends deutlich, was ich schon sagte, dass David in diesem Psalm im Namen der ganzen Gemeinde redet: denn er wendet jetzt auf sie an, was er von seiner persönlichen Erfahrung gesagt hatte. Dass er die empfindungslose Natur zum Lobe Gottes aufruft, ist eine überschwängliche Ausdrucksweise, die zeigen soll, dass unsere Begeisterung, Gottes Lob zu singen, viel zu geringe ist: geht doch sein Lob über die ganze Welt und darum über unser Begreifen. Was aber insbesondere Davids Herz höher schlagen macht, ist (V. 36) die Behütung der Gemeinde Gottes. Ohne Zweifel überblickt er im prophetischen Geist den ganzen Zeitraum, während dessen nach Gottes Willen im Volk des alten Bundes das Königtum und Priestertum Bestand haben sollte. Er hebt aber an mit der Erneuerung, welche durch seine Mühe und seine Hand plötzlich nach Sauls Tode aufleuchtete, da doch die jämmerliche Zerrüttung aller Verhältnisse den Gottesdienst mit dem Untergang und das Land mit Verwüstung zu bedrohen schien. Zuerst heißt es: Gott wird Zion helfen. Denn sicherlich wird der Herr den Ort, von dem er angerufen werden will, schützen und wird den von ihm verordneten Gottesdienst nicht zugrunde gehen lassen. Darnach soll sich von der Bundeslade und dem Heiligtum der Segen Gottes auf die Städte Judas, d. h. auf das ganze Land ergießen. Denn auf der Religion ruhte das Glück des Volkes. Dabei gibt David zu verstehen, dass die Wendung zum Besseren nicht eine vorübergehende sein, sondern dass das Volk unter Gottes sicherem und beständigem Schutz allezeit behütet bleiben werde. Unter seinem Königtum soll bekräftigt und befestigt werden, was der Herr so oft im Gesetz verheißen hatte, nämlich dass Israel in seinem Lande wohne und es besitze. Diese Ausdrücke stehen im Gegensatz zu einem nur zeitweiligen Aufenthalt: hat Gott seinen heiligen Sitz aufgerichtet, so ist die Zeit gekommen, in der Abrahams Kinder ohne Furcht, wieder wandern zu müssen, den verheißenen Frieden genießen dürfen. Der letzte Vers erstreckt es auf alle Zukunft, dass die Väter den Söhnen, und die Söhne den Enkeln den empfangenen Besitz vererben sollen. Denn dass alle Güter einen festen Bestand haben, stützt sich auf Christus, dessen Abbild David war. Dabei werden wir erinnert, dass nur, die Gottes Namen lieben, also die rechten Abrahamskinder, das Land ererben werden. Denn den Heuchlern, die im Vertrauen auf ihre bloße Abstammung sich des Erbrechts rühmten, obgleich sie vom Glauben der Väter abgefallen waren, musste dieser Selbstbetrug ausgetrieben werden. Obgleich es nun das Land Kanaan war, welches dem auserwählten Volk bis zu Christi Ankunft überwiesen ward, so haben wir dasselbe doch als ein Symbol des himmlischen Vaterlandes zu betrachten. Darum wird heute in voller Wahrheit und mit größter Gewissheit erfüllt, was wir hier über die Behütung der Gottesgemeinde lesen: denn es nicht zu fürchten, dass der Bau des geistlichen Tempels, an welchem Gott vom Himmel her seine Kraft erweist, jemals zusammenstürze.

Quelle: Müller, Karl / Menges I. - Johannes Calvins Auslegung der Heiligen Schrift - Psalter

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