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Calvin, Jean – Hiob 29, 1 – 5.

Calvin, Jean – Hiob 29, 1 – 5.

1) Da nahm Hiob aufs neue das Wort und sprach: 2) O wäre ich doch wie in der vergangenen Zeit, in den Tagen, da Gott mich behütete, 3) als seine Leuchte über meinem Haupte schien und ich beim Dunkel wandelte in seinem Licht, 4) wie ich war in den Tagen meiner Reife, da Gottes Rat in meiner Hütte war, 5) da der Allmächtige mit mir war und meine Knechte um mich her!

Auf den ersten Blick hat es den Anschein, als traure Hiob der vergangenen Zeit nach, ja, als ärgere er sich darüber, dass Gott ihm sein Los so ganz verändert habe – vorher habe er ihm lauter Glück beschert, und jetzt lauter Plage; aber so meint er es nicht. Denn er spricht ja zu denen, die mit seiner Not das ganz verkehrte Urteil verbinden, als wäre er von Gott verworfen. Ihnen will er beweisen, dass das ein ganz verkehrtes Urteil ist, weil sie nur auf den gegenwärtigen Schein sehen und darüber nicht hinauskommen. Hiob meint: Wenn sie überhaupt über ihn ein Urteil abgeben wollen, so sollen sie vielmehr auf die Zeit seines Glückes blicken. Er murrt nicht, er beklagt sich nicht, weil er sich seiner Güter beraubt sieht, die ihm Gott gegeben hatte; seine Worte sind vielmehr eine Anklage gegen seine Widersacher: Ihr Urteil über ihn ist falsch, weil sie nur auf den Wechsel seines Loses sehen und ihn deshalb für einen ganz verdammten Menschen halten, aber nicht daran denken, dass sie ihn zuvor in großen Ehren gehalten haben als einen vortrefflichen und auserlesenen Mann.

So sollen auch wir an unser Glück zurückdenken, wenn uns Gott Trübsal schickt. Das soll nicht unsre Traurigkeit mehren oder uns ungeduldig machen, nein, dies Erinnern soll uns die Trübsal, die wir leiden, versüßen: Gott hat uns doch seine Güte schmecken lassen, - das genügt, um uns zu trösten. Darin liegt eine für uns sehr nötige Mahnung: Wenn uns die Not zu einem unerträglichen Druck wird, dann sollen wir gedenken, dass Gott uns doch nicht immer so gedrückt hat, sondern dass er unsere Schwachheit angesehen und sie getragen und uns dadurch seine Liebe bezeugt hat; dann schöpfen wir wieder Hoffnung und haben keinen Zweifel mehr: Er will uns in der Geduld üben, will unsere Not heilen und uns daraus erretten. So müssen wir diesen Text auf unsere Trübsale anwenden.

Hiobs Widersacher sind blind, sie fällen ein ganz törichtes Urteil, weil sie an dem haften bleiben, was vor Augen ist. Denn weil Hiob in die äußerste Not geraten war, so schien es ihnen, Gott habe ihn verworfen und man müsse ihn für einen Verfluchten halten. Aber so muss man nicht vorgehen. Man muss mit seinem Urteil zurückhalten und Mitleid haben mit denen, die leiden müssen. Wenn ein Mensch von Gottes Hand geschlagen wird, sollen wir erst einmal zusehen, was er für ein Leben geführt hat. Vielleicht ist er ein ganz böser und verruchter Mensch gewesen; dann zeigt uns der Herr mit aller Klarheit, dass seine Drohungen keine leeren Worte sind; wir sollen da durch anderer Leute Schaden klug werden, wie man zu sagen pflegt, und unsern Wandel führen in Furcht. Es hat oft den Anschein, als achte Gott nicht auf die Dinge hier unten, sondern ließe alles durcheinander gehen; aber wenn Gott seine Gerichte vollstreckt, so soll uns das ja zur Gerechtigkeit unterweisen, wie es beim Propheten Jesaja heißt (26, 9): „Wo dein Recht im Lande gehet, so lernen die Bewohner des Erdbodens Gerechtigkeit.“ Oh, man darf mit Gott nicht scherzen“ Eine Zeitlang hält er sich verborgen, endlich aber ruft er die zur Rechenschaft, die da meinten, sie wären entwischt, und von denen man auch selber meinte, sie würden ungestraft bleiben.

Sehen wir aber einen rechtschaffenen Menschen in Trübsal geraten, so dass es uns scheint, Gott habe ihn vergessen, ja, er verfolge ihn mit seinem Zorn, was sollen wir dazu sagen? Wir sollen mit unserm Urteil zurückhalten; denn das wäre doch eine gar zu große Leichtfertigkeit, wollten wir über unbekannte und verborgene Dinge urteilen! Demütigen will uns der Herr, er will das Bekenntnis von uns hören, dass er gerecht ist, obwohl wir die Ursache seines Handelns nicht sehen und kennen. So müssten auch Hiobs Freunde urteilen; stattdessen verdammen sie ihn zu Unrecht. In sein ganzes Leben haben sie hineingesehen wie in einen Spiegel der Heiligkeit und aller Vollkommenheit; nun sie ihn aber also geschlagen sehen, dass Gott ihn scheinbar völlig in den Abgrund gestoßen hat, da müssten sie denken: „Wir wissen nicht, was wir sagen sollen, wir sind in diesem Falle wie blind; dieser Mensch hat ein heiliges Leben geführt, wie kann Gott ihn denn so hart behandeln? Wir wissen´s nicht. Darum sollen wir ihn vielmehr preisen und die Augen schließen, bis Gott uns zeigt, warum er so handelt.“

Das müssen wir auf uns selber anwenden. Denn, wie Christus sagt, „so man das tut am grünen Holz, was will am dürren werden?“ (Luk 23, 31). Vergleichen wir also die, die wir als fromme und gottesfürchtige Leute kennen, mit uns – und wir werden finden, dass an uns sehr große Mängel sind, so dass wir sagen müssen: „Ach, ich sehe wohl, Gott hat Geduld mit mir, er hat Mitleid mit meiner Schwachheit, wenn er so gelinde mit mir umgeht; denn ich bin schlechter als jener. Ich sehe, mein Wandel lässt sich mit dem seinen gar nicht vergleichen; nichtsdestoweniger plagt ihn Gott, und ich lebe in Ruhe und Frieden! Kommt es daher, dass ich es wert bin? Keineswegs, sondern mein Gott weiß, ich bin so schwach, dass ich die Trübsale nicht tragen könnte, darum verschont er mich, und deshalb muss ich alles seiner Güte zuschreiben. Werde ich aber gezüchtigt und muss Trübsal leiden, so muss ich doch ohne Unterlass Gott anrufen, weil ich weiß, dass alles zu meinem Heil geschieht, und wenn ich erst nur seine Drohungen höre, so soll mich das zum Ertragen des Leids zurüsten.“ Gefällt es ihm dann, uns mit seinen Ruten anzutasten, so wird uns das nicht mehr befremden und überraschen, weil wir uns ja von langer Hand darauf gerüstet haben.

Was Hiob hier zu seinen Anklägern sagt, ist sicherlich zur allgemeinen Unterweisung der Kinder Gottes aufgeschrieben. Über die Züchtigungen, mit denen die Menschen heimgesucht werden, muss man nicht vorschnell urteilen. Gewiss sind Züchtigungen im allgemeinen ein Zeugnis von Gottes strafender Gerechtigkeit über unsere Sünden, denn wären wir völlig rein und unschuldig, so würde Gott uns sicherlich anders behandeln, als er es tut. Wenn wir also die Menschen so elend und mannigfach gequält sehen, so sind das Früchte ihrer Sünden, im allgemeinen wie im einzelnen Falle. Indessen darf man nicht alles mit einer Elle messen. Denn es gibt mancherlei Ursachen, weshalb Gott die Trübsale in die Welt schickt. Denn weil Gott die Dinge auf mancherlei Weise sieht, so dürfen wir nicht alles ineinander wickeln, sondern müssen vorsichtig sein, unsern Verstand im Zügel halten und genau mit Maßstab und Zirkel vorgehen. Wir sollen eines jeden Lebensführung bedenken, und wenn dann die, die unter Verachtung Gottes und seines Wortes ein zuchtloses Leben geführt haben, in Trübsal geraten, dann dürfen wir den Schluss daraus ziehen, Gott wolle uns durch sie eine Lehre geben, und es sollen uns die Augen dafür aufgehen, dass auch unsere Sünden am letzten Ende einmal vor dem himmlischen Richter zur Abrechnung kommen. Sehen wir aber nicht ein, warum Gott diesen oder jenen plagt, sondern meinen, das Gegenteil sei richtig, so sollen wir sagen: „Herr, du bist gerecht, es sei, wie es wolle; wir aber sind blind, und unser Fleisch reizt uns, gegen dich zu murren. Aber wir wollen nicht mit dir rechten, sondern ruhig und geduldig warten, bis du uns Aufschluss gibst über das, was jetzt verborgen ist.“ Schenkt Gott uns aber Glück und Wohlfahrt, so wollen wir uns nicht in vermessenem Stolz überheben, sondern merken, dass er uns Zeit lässt, um uns auf die künftigen Trübsale zu rüsten; denn wir dürfen wissen, er hat Mitleid mit uns und wird uns nicht mit harter Strenge behandeln. Sehen wir aber, dass Gott sich um die Gottlosen nicht kümmert, dass er ihnen den Zügel schießen lässt und sie nicht gleich zu Boden stürzt, so sollen wir nicht meinen, sie wären um so viel besser dran, und ihnen ihr Glück nicht missgönnen, wie es Ps 37, 1 heißt: „Erzürne dich nicht über die Bösen!“ – Nun zu den einzelnen Worten Hiobs.

O wäre ich doch in der vergangenen Zeit, da Gott mich behütete! Er meint also, jetzt habe ihn Gott verlassen. Wenn die Gläubigen sich beklagen, Gott habe sie verlassen, so meinen sie das nicht so, als sei das wirklich der Fall, sondern es ist in uns zweierlei Empfinden: das eine das natürliche, das andere das des Glaubens. Der natürliche Sinn sieht auf das, was man fühlt, sieht und betastet. Wenn uns nun Gott in der äußersten Not stecken lässt, dass wir nicht wissen, wo es hinaus soll, so hat es wohl den Anschein, als breitete sich eine große, dicke Wolke zwischen ihm und uns, ja, als ständen wir nicht mehr in seiner Hand und Hut. Dabei aber verheißt uns Gott: Gerade wenn ihr mich ferne wähnet, so bin ich euch nahe, und gerade wenn ihr meinet, ich hätte die Augen geschlossen, dann sollt ihr denken: Hat Gott so gesprochen, so wollen wir uns an seine Verheißung klammern. Es ist also ein doppeltes Empfinden in uns. Widerfährt uns ein Unglück, so kann es nicht anders sein, als dass wir denken: Gott hat uns den Rücken gekehrt – das entspricht unserm natürlichen Empfinden. Dann aber müssen wir alsbald unsere Zuflucht nehmen zu den Verheißungen Gottes, der zu uns spricht: „Rufe mich an in der Not!“ (Ps 50, 15). Diese Einladung ist ein Zeichen, dass wir in seinem Schutz und Schirm sind.

Da sieht man nun, wie der Glaube das natürliche Empfinden verdrängen muss, damit wir mitten in all unserm Jammer doch Frieden haben. In diesem Sinne meint es auch Hiob: Wo sind die Zeiten, da mich Gott behütete? Gott hatte ihm doch tatsächlich und absichtlich bewiesen, dass er ihn behütete! Die Menschen mag es wohl bedünken, und er selbst mag es nach seinem natürlichen Sinne so empfinden, als habe ihn Gott jetzt verlassen, wiewohl er dem in Kraft des Glaubens entgegentritt und also gegen die Anfechtung streitet.

Geht es uns aber wohl, so dürfen wir das nicht Glück nennen – wie denn die boshaften Menschen mit diesem Ausdruck Gott seine Ehre stehlen und rauben -, sondern wir müssen es so bezeichnen: Gott behütet uns. Wie kommt es denn, dass es uns wohl geht? Gott hat Erbarmen mit uns, er ist unser Schirmherr. Zur Vorsehung Gottes müssen wir allezeit unsere Zuflucht nehmen und ihm das Lob spenden für all die Wohltaten, die er an uns tut, auch in diesem vergänglichen armen Leben.

Hiob fährt fort: als seine Leuchte über meinem Haupte schien und ich beim Dunkel wandelte in seinem Licht. Von göttlicher Erleuchtung spricht man bisweilen, wenn er uns durch sein Wort unterweist; darum wird es auch eine Leuchte genannt (Ps 119, 105). Aber an unserer Stelle hat das Wort einen andern Sinn: Hiob denkt an den Trost, den Gott ihm bescherte in seinen Trübsalen, und an den guten und erwünschten Ausgang, den er ihm bescherte. Was ist also die Leuchte Gottes? Es ist Gottes Beistand in guten Tagen. So sehen wir ja auch die Trübsal in der Schrift mit der Finsternis verglichen. Geht aber Gott lieblich mit uns um, so ist das, als wenn die Sonne schiene. Sonniges Wetter macht die Leute froh, während die Nacht uns schwermütig macht, und wenn das Wetter umschlägt und Regen kommt, so sind wir wie geschlagen, und jeder verkriecht sich in seinen Winkel. Sooft uns etwas Gutes widerfährt, sollen wir wissen, dass Gott uns erleuchtet und uns ein gütiges Angesicht zeigt: wir sollen ihn als Vater erkennen und preisen.

Wie ich war in den Tagen meiner Reife. Das Wort, das Hiob hier braucht, bedeutet eigentlich den Herbst, aber gleichnisweise wird es auch im Sinne von Jugend gebraucht, und zwar von der Zeit, da der Mensch in seiner Lebensreife und auf der Höhe seiner Kraft steht. Warum wird dies Lebensalter mit dem Herbst verglichen? Weil der Mensch dann seine Früchte bringt. Da Gottes Rat in meiner Hütte war: als ich die Vorsehung Gottes über meiner Hütte hatte, als er mir seine Gemeinschaft schenkte, als ich seine Güte und Nähe fühlte und er mich gleichsam auf seinem Schoße trug. Ist wohl je ein geschaffenes Wesen so geplagt worden wie Hiob? Trotzdem wendet er sich zu Gott und gibt ihm die Ehre: Gott ist es, der seine Leuchte über mir angezündet hat, er hat mich geleitet, er ist mir nahe gewesen. Ist das nicht ein zweifaches und dreifaches Verdammungsurteil über die, die nicht so hart geschlagen sind und gleichwohl Gott vergessen und seine Wohltaten in sich hineinschlingen, ohne ihm dafür zu huldigen?

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