Burger, Carl Heinrich August von - Zwanzigste Predigt. Am zweiundzwanzigsten Sonntag p. Trin.

Burger, Carl Heinrich August von - Zwanzigste Predigt. Am zweiundzwanzigsten Sonntag p. Trin.

Text: Apost, Gesch. 26, 24-32,
Da er aber solches zur Verantwortung gab, sprach Festus mit lauter Stimme: Paule, du rasest; die große Kunst macht dich rasend. Er aber sprach: Mein theurer Feste, ich rase nicht, sondern ich rede wahre und vernünftige Worte; denn der König weiß solches wohl, zu welchem ich freudig rede. Denn ich achte, ihm sei der keines nicht verborgen, denn solches ist nicht im Winkel geschehen. Glaubest du. König Agrippa, den Propheten? Ich weiß, daß du glaubest. Agrippa aber sprach zu Paulo: Es fehlet nicht viel, du überredest mich, daß ich ein Christ würde. Paulus aber sprach: Ich wünschte vor Gott, es fehlte an viel oder an wenig, daß nicht allein du, sondern alle, die mich heute hören, solche würden wie ich, ausgenommen diese Bande.
Und da er das gesagt, stand der König auf, und der Landpfleger und Bernice, und die mit ihnen saßen; und entwichen beiseits, redeten mit einander und sprachen: Dieser Mensch hat nichts gethan, das des Todes oder der Bande werth sei. Agrippas aber sprach zu Feste: Dieser Mensch hätte können los gegeben werden, wenn er sich nicht auf den Kaiser berufen hätte.

Seit einer Reihe von Sonntagen haben wir den Apostel Paulus in diesen Predigten fast Schritt für Schritt begleitet auf dem Wege seiner Arbeiten und seiner Leiden, Wir schließen mit unsrer heutigen Betrachtung diesen Rückblick auf seinen Lebensgang. Seine letzte uns aufbehaltene Verantwortung wegen der Anklage, die seine Volksgenossen gegen ihn erhoben hatten, geht unserem Text unmittelbar vorher. Nachdem er von dem Landpfleger Felix schon zwei ganze Jahre wider Recht und Befugniß gefangen gehalten worden war, trat ein neuer Landpfleger, Pontius Festus, an dessen Statt, aber nicht ein gerechterer Mann. Um sich den Juden angenehm zu machen, war er vielmehr bereit den Apostel zurückzuführen nach Jerusalem in die Mitte seiner Feinde, vor deren List und Gewaltthat es mit genauer Noth gelungen war ihn zu erretten. Dem zu entgehen hatte Paulus auf den Kaiser in Rom sich berufen müssen, und sah nun seiner Abführung dorthin entgegen. Aber zuvor wollte Festus ihn noch einmal hören, und benützte dazu den Besuch des jüdischen Königs Agrippa aus dem Hause des Herodes, weil er von diesem erwartete, er werde mit den Fragen, wegen deren Paulus gefangen sitze, besser bekannt sein als er selbst. So ward denn Paulus vor eine glänzende Versammlung berufen, die mit absichtlicher Schaustellung großer Pracht in dem Gerichtshaus sich eingefunden hatte. Aber sein Muth und seine Freudigkeit verließ ihn gegenüber diesen prunkenden Zurüstungen und nach zweijähriger Kerkerhaft so wenig, als ihn das Wuthgeschrei und Drohen des erhitzten Pöbels zagen gemacht hatte, der nach seinem Blut verlangte. Er vertheidigte sich mit unerschrockner Freimüthigkeit in feuriger Rede, mit lichtvollem Zeugniß. Den Eindruck seiner Worte schildert unser Text. Aus ihm ersehen wir, was heute der Gegenstand unserer Betrachtung sein soll, wie der lebendige Glaube seine siegende Kraft angesichts der Welt beweiset; denn

  1. er überwindet den schalen Spott der Welt,
  2. er beschämt die Halbheit derer, die sich nicht entscheiden wollen,
  3. er macht allein den Menschen wahrhaft frei von dieser Welt, um in allen Lagen Gott zu dienen.

Herr, mehre uns solchen Glauben! beten wir mit allen Deinen Jüngern. Er thut uns immer noth und nicht am wenigsten in diesen letzten Tagen. Laß uns in eigener Erfahrung inne werden, daß Du allein der Quell bist alles Lichts und Lebens, und lehre uns in solcher selig machenden Erkenntniß Dich ehren und die eigne Seligkeit gewinnen. Dazu segne die Verkündigung Deines Wortes auch heute an uns allen. Amen.

I.

Das Zeugniß des lebendigen Glaubens überwindet den schalen Spott der Welt. Einen solchen Spott erkennen wir in dem Ausruf des Landpflegers Festus, mit dem er den Apostel Paulus unterbrach: „Paule, du rasest, die große Kunst macht dich rasend.“ Er hielt das Wort von Christi Tod und Auferstehung, von Seiner Erscheinung auf dem Wege Pauli nach Damaskus und von dem Aufgang Seines Heiles über alle Völker, mit welchem Paulus sich vertheidigte, für Hirngespinst und Schwärmerei, für das Ergebniß überspannter Studien, durch welche Paulus den nüchternen Gebrauch der Sinne und Vernunft verloren habe. Durch dieses Urtheil stellet er sich auf die gleiche Stufe der Einsicht und Gesinnung, die in den Worten des Pilatus an den Herrn sich aussprach: „Was ist Wahrheit?“ Gleich leer an innerer Erfahrung und an geistigem Bedürfniß halten diese Leute Alles, was über den engen Kreis ihrer sinnlichen Wahrnehmung oder ihrer verstandesmäßigen Berechnung sich erhebt, für Trug und Thorheit. Die Wahrheit ist für sie ein leeres Wort; sie meinen an der Wirklichkeit, die sie mit Händen fassen können, Alles zu haben, was ein vernünftiger Mensch begehrt und womit er sich abgibt. Ihre Weisheit ist kurz beisammen; sie lautet: Was vor dir ist, das nimm, und was du haben kannst, genieße; mache das Leben dir so leicht du kannst; die Gegenwart ist dein und der Besitz befriedigt, nicht die Hoffnung! Was kann für einen solchen ganz in das Fleisch versunknen und begrabenen Mann die Sprache des Geistes sein, in der ein Paulus redet von der nothwendigen Bekehrung aus der Finsterniß zum Lichte, von der uns unentbehrlichen Vergebung unsrer Sünden, und von dem Erbtheil, das behalten wird den Gläubigen an Christum Jesum! Er nennt das Schwärmerei, sich mit dergleichen Dingen befassen eine Ueberspannung, an solche Hoffnungen vollends etwas wagen Aberwitz und Thorheit. Darin ist Festus ein Vorgänger großer Scharen, die zu allen Zeiten mit dem Geräusche ihrer lockern Philosophie, wenn man den Namen anders daran verschwenden darf, die Welt erfüllt haben, und deren Thaten ganz im Einklang stehen mit den Grundsätzen, welche sie bekennen; die sich mit ihrer Klugheit brüsten, und dennoch, wie der Apostel Petrus schon von ihnen schreibt (2. Petr. 2,12.13), sich ganz und gar auf gleiche Linie stellen „mit den unvernünftigen Thieren, die von Natur dazu geboren sind, daß sie gefangen und geschlachtet werden, lästern, da sie nichts von wissen, und werden in ihrem verderblichen Wesen umkommen und den Lohn der Ungerechtigkeit davon bringen.“ Solch einen Mann hat Paulus hier sich gegenüber. Aus seinen Vorwurf erwidert er: „Ich rase nicht, sondern ich rede wahre und vernünftige Worte; denn der König,“ er meint den gegenwärtigen Agrippa, „weiß solches wohl, zu welchem ich freudig rede. Denn ich achte, ihm sei der keines nicht verborgen; denn Solches ist nicht im Winkel geschehen.“ Berufen jene sich aus den Augenschein der Wirklichkeit für ihre Art zu denken und zu leben: wir haben mehr. Wir haben auch Thaten zur Grundlage unsrer Predigt, die offenkundig worden sind vor Jedem, welcher sehen und hören wollte. Wir reden auch nicht von klug erdachten Fabeln und Schöpfungen einer überreizten Phantasie, sondern von Ereignissen, die leibhaftig, faßbar, gewaltig in die Welt getreten sind und Gottes Herrlichkeit dem Blödesten geoffenbaret haben. Die Gründung unsres Heils durch Jesum Christum ist Thatsache und Geschichte, auf welcher unser Glaube steht, in welcher unser Zeugniß wurzelt. Aber während jene den Schein von Wirklichkeit, deß sie sich trösten, tagtäglich unter ihren Händen sich verzehren und vor ihren Augen hinschwinden sehen ohne Rückkehr, und, seien sie nun satt oder leer von dieser Welt, von deren Eitelkeit und Nichtigkeit ein redendes Exempel sind durch ihre Friedlosigkeit und ihr Herüber- und Hinüberschwanken von Gier zum Ueberdruß, vom hastigen Genuß zum Ekel: so stehet die höhere Wirklichkeit der Wahrheit, die mit der Ankunft Christi und der Begründung Seines Reiches auf Erden Platz zu greifen begonnen hat, in ewig jugendlicher Kraft und Frische unversehrbar, ein Quell des Lebens jedem, der sich zu ihr wendet, ein Strom des Lichts und eine Flamme, jedes Auge zu erhellen, jedes Herz zu durchwärmen, das müde des Streites bei ihr Friede sucht, und in den Thaten Gottes Trost und Schutz wider die Unthaten dieser Welt und ihrer Kinder. Mochte Festus immer höhnen: „Paule, du rasest!“ daß er „wahre und vernünftige Worte“ geredet hat, das haben Millionen seitdem an sich selbst erfahren. Wo ist ein Festus hingekommen und ein Felix und Pilatus? Die Zeit hat sie verschlungen, und daß die Nachwelt noch das Geringste weiß von ihnen, verdanken sie nicht sich, sondern der Verflechtung ihres Namens in die Geschichte der Geschmähten, die sie einst für einen Spott gehalten haben. Aber was jetzt vor unsern Augen steht, war dem Apostel schon damals so gewiß, da er sein Zeugniß abgab, als wenn er es vor sich sahe. Nicht die Erfüllung erst, schon der lebendige Glaube gibt selige Gewißheit und macht den Spott der Welt durch seine Zuversicht zu Schanden. Denn er weiß, was er glaubt, er hat, worauf er fußt. Die Thaten Gottes, die sein Heil begründen, sind nicht geschehen im Winkel, und der Geist des Herrn, der sie ihm deutet, führt ihre Bestätigung mit sich, die Kraft der tiefsten innersten Erfahrung. Mag ihrer spotten, wer es wagt; er bebt doch innerlich und ist von ihr geschlagen. Festus und Tausende nach ihm sind also überwunden worden, ob sie es wohl nicht zugestehen mochten. Hinter dem äußern Schein des Gegentheils macht sich die Wahrheit Platz und stellet einen Paulus auf die Ehrenstufe, vor welcher Festus und alle seines Gleichen sich im Staub verkriechen müssen.

II.

Aber noch ein anderes Bild tritt in unserem Texte uns entgegen, das der Halbheit, die der Entscheidung sich entziehen will. Auch sie wird beschämt durch den lebendigen Glauben des Apostels. Der König Agrippa gewährt uns jenes Bild, ein Jude ob auch nicht der Abkunft, doch dem Bekenntnisse nach wie schon seine Väter. Ihn fordert der Apostel zum Zeugen auf deß, das er redet, und wendet sich geradezu an ihn mit seiner Frage: „Glaubest du, König Agrippa, den Propheten? Ich weiß, daß du glaubest.“ Aber Agrippa war der Mann nicht, der in „guter Gesellschaft,“ so pflegt man sie ja zu nennen, sich die Blöße gegeben hätte, aus eine solche Frage eine offene Antwort auszusprechen. Viel mächtiger ist bei ihm die Rücksicht auf die Leute, welche ihn umgaben, deren Gesinnung ihm bekannt war und deutlich genug an das Licht trat, als daß er das stillschweigend angenommene Einverständniß mit ihnen in Abrede zu stellen Muth genug besessen hätte. Zu leugnen wagt er nicht. Er darf nicht sagen: Nein, ich glaube nichts, was die Propheten sagen; denn sein Gewissen straft ihn. Er glaubt zwar nicht, wie er sollte; gleichwohl fürchtet er sich vor ihrem Wort. Der freudigen Gewißheit, welche er aus ihnen schöpfen könnte, entschlägt er sich. Der unfreiwilligen Scheu und Aengstlichkeit, daß mehr daran sei, als er zugestehen mag, kann er sich nicht entziehen. So ergreift er den Ausweg, der schon manchem schwachen Kopf und Herzen hat die innere Armseligkeit verdecken helfen sollen, und sucht mit einem Scherz den Ernst der Frage von sich abzuwehren. Er sprach zu Paulus: „Es fehlet nicht viel, du überredest mich, daß ich ein Christ würde.“ Der arme Mann! mit solcher leichten Rede meint er das Gewicht des Augenblickes von sich abgewälzt zu haben, und doch hat er nichts mehr erreicht, als daß er hat seine Menschenfurcht zur Schau getragen. Den Schein hat er gerettet, daß er auch denke wie der „aufgeklärte“ Kreis, in dem er sich befindet; dem Wort, das ihn erschreckt hat, weil es die Wahrheit traf, die er doch nicht auskommen lassen wollte, da Paulus sagte: „Ich weiß, daß du glaubest!“ dem ist er glücklich ausgewichen, und kann doch denken, was er will, nach seiner Meinung. Aber wie wird er dem Herrn einmal Rede stehen für diese Stunde? Er fühlt den Stachel der Wahrheit; aber indem er ihrem Stiche sich zu entwinden sucht, der ihn befreien konnte aus dem Dämmerlicht unsichern Ahnens und haltlosen Schwankens zum hellen Tage lohnender Gewißheit, wird ihre Wunde tödtlich, und drückt ihm das Brandmal auf: du hast dein Heil zurückgestoßen, ob es schon dir nahe war und mit seiner Leben spendenden Kraft dich umfangen wollte! Wie kläglich und armselig zieht der stolze König aus ihrer segnenden Umarmung sich zurück, und wer fühlt nicht die Kluft, die zwischen ihm sich aufthut und dem freudig zeugenden Apostel: „Ich wünschte von Gott, es fehlte an viel oder wenig, daß nicht allein du, sondern alle, die mich heute hören, solche würden, wie ich bin, ausgenommen diese Bande.“ Wer ist hier der Sieger? An wessen Stelle müßte ein jeder unter uns zu stehen sich wünschen? Von aller heilsamen Anregung, die der König empfangen hat, bleibt ihm nichts übrig als der innre Vorwurf geheimer Unwahrhaftigkeit, und zum Ersatz das übel lohnende Bewußtsein, als einverstanden angesehen zu werden mit Leuten, die er selbst nicht achten konnte, und die das Opfer, das er ihnen bringt durch Augendienern und Eitelkeit, bezahlen werden mit Verleugnung und Verrath, sobald es ihnen gut deucht oder sich ihr Vortheil von dem seinen scheidet. Und doch gibt es so viele, die in seine stapfen einzutreten immer noch für weise halten. Ja wodurch wird der Fürst dieser Welt so übermächtig, daß er noch heute das Regiment zu führen scheint selbst in der Mitte der Christenheit, die sich der Herr der Herrlichkeit zum Eigenthum erworben hat mit Seinem Blute, als weil er auf die Furchtsamkeit der Mehrzahl vertrauen kann, die wider ihr Gewissen einstimmt in den Spott und Frevel lästernder Gesellen, oder doch durch feiges Schweigen das Vorurtheil begründet, daß sie mit einverstanden sei. Die offnen Gegner thun der Sache Christi nicht entfernt so vielen Schaden, als jene halben unentschiednen Freunde, die doch in jedem Augenblick bereit sind Ihm abzusagen, wo sie wählen sollen zwischen Ihm und denen, welche Ihn verleugnen; welche erschrecken vor jedem unzweideutigen Bekenntniß; die stets auf beiden Seiten hinken, mit der Freundschaft der Welt ihr begehrliches Fleisch füllen, mit dem Scheine der Unparteilichkeit und Mäßigung das Gewissen übertäuben wollen, welches ihnen deutlich genug anzeigt, auf welcher Seite Recht und Wahrheit steht, wohin sie sich zu schlagen hätten, wollten sie dem oft an sie ergangnen innern Zug und Rufe folgen. Jedes entschiedene Zeugniß, welches an ihr Ohr schlägt, ist für sie eine Mahnung an ihre Pflicht, und weil sie sich nicht mahnen lassen, eine Last auf ihr Gewissen. Was aber kann, was muß der Ausgang sein, als eine Verbitterung des Gemüths, die immer zunimmt und sie völlig den Gegnern in die Arme stürzt. Unter allen Widersachern des Christenthums sind in Zeiten ernstlichen Kampfes von jeher die leidenschaftlichsten und heftigsten diejenigen gewesen, die ihm am nächsten einst gestanden waren; sie haben eine Schuld zu sühnen, die an ihnen nagt, und wehren sich wider ihren Stachel mit dem Ringen hassender Verzweiflung, durch das sie ihr Gericht vollenden und besiegeln. Darum kann Paulus nicht zugeben, daß nur wenig fehle bei Agrippa, daß er ein Christ würde; er läßt es hier dahingestellt: „Es fehle an viel oder wenig,“ sagt er; denn wo nur wenig fehlt, und es kommt doch nicht zur Entscheidung, da wird es viel, je länger je mehr, und die Kluft am Ende ganz unübersteiglich.

III.

Denn wer die Bande der Menschenfurcht und Halbheit zu durchbrechen säumt, so lange er noch kann, den machen sie zu ihrem völligen und ganzen Knechte. Frei ist nur, wer sich mit erwogener Zuversicht dem Herrn hingibt ohne Vorbehalt und Rückhalt, es gehe durch Ehre oder Schande, zum Leben oder Tod. In solcher Freiheit stehet Paulus hier vor seinen Richtern unbeirrt durch seine Ketten und durch seinen Kerker. Er dienet seinem Gott mit heiliger Lust; deß Reich zu mehren ist sein Ruhm, Ihn zu bekennen seine Freude, und in Ihm genießt er einen Frieden, neben dessen Kraft und Dauer die eitle Pracht des Königs und sein glänzendes Gefolge vergleichbar sind dem bunten Blätterschmuck, der jetzt die Bäume ziert, um noch auf wenige gezählte Tage ihre kahle Nacktheit zu verhüllen. Wir haben im Geiste dem Apostel zugesehen, wie er unaufhaltsam von Land zu Land das Evangelium siegreich verkündet und die Welt erfüllt hat mit der Botschaft Christi. Da war der Dank von Tausenden, die er zum Licht des Lebens ausgeführt hat, sein süßer Lohn, und die Gemeinden, die sein Dienst gepflanzt hat, seine Krone. Jetzt liegt er länger als zwei Jahre schon gefangen; sein Lauf ist gehemmt, seine rasche Thätigkeit gebunden. Ist er dadurch schwach geworden? Hat diese lange Probe seinen Muth gebeugt? Hat ihm die aufgedrungne Ruhe etwas nehmen können an seiner Freudigkeit und Zuversicht, an seiner Frische, seinem Feuer? Es steht das Gegentheil vor unsern Augen. Wo aber ist das Zeugniß wahrer Freiheit, als wo wir sie erhaben sehen über den äußern Wechsel des Geschicks! wo sie in gleicher Kraft sich kund gibt auf der Sonnenhöhe des Erfolgs und in der Niedrigkeit scheinbaren Unterliegens! Der ist noch nicht frei, dessen Muth und Zuversicht bedingt ist durch das äußere Ergehen, durch das Gelingen oder das Fehlschlagen seiner Plane; der der aufregenden Beschäftigung bedarf, um mannhaft seinen Weg zu gehen, und wo sie ihm gewehrt ist, matt in sich zurücksinkt. Sondern der ist es, welchem seine Kraft zufließet aus dem unversiegten Born des innern Lebens, mag der äußere Mensch leiden oder wirken, frohlocken oder Schmerz empfinden. Und dieses innre Leben ist die Gabe Christi, das Band und Siegel der Gemeinschaft mit Ihm, das Unterpfand der Herrlichkeit, die folgen muß und wird, wenn aller Schein verschwindet und nur das wirklich und beständig Wahre auf dem Plan bleibt. Wer aber empfängt diese Gabe, als wer glaubt, daß Jesus Christus Gottes Sohn ist und derselbe zugleich unser Blutsfreund, unser Retter und Erlöser, der unsern Fluch getilgt hat und als König der Ehren zur Rechten Seines Vaters sitzt, um Seine Heiligen durch Noth und Tod, durch Kampf und Sieg zu Sich zu führen. In dieser gläubigen Gewißheit stehet der Christ weit erhaben über der Menschen Furcht und Gefälligkeit. Er dienet ihnen gern um Gottes willen, aber er ist nicht ihr Knecht. Er liebt sie und bekümmert sich um ihre Seelen, um ihr Wohl und Wehe; aber nicht, um von ihrer Liebe, ihrem Beifall, ihren Gaben reich zu werden; denn den Reichthum, den er sucht, hat er gefunden und schöpft ihn immerdar aus seinem Gott; sondern um die Seligkeit, die uns bereitet ist, mit ihnen zu theilen, sich mit ihnen daran zu erfreuen, mit ihnen Bande anzuknüpfen, die kein Tod bricht, keine Macht der Hölle und der Welt zerreißet. Er ist erfinderisch in Worten und Werken, das Heil, das er genießet, auszubreiten; aber ihn treibt kein ungestümer Eifer, in dem sich nur zu häufig die Abhängigkeit verräth von den gewünschten und zu lange zögernden Erfolgen. In ruhiger Gewißheit kann er thun und lassen, was Gott ihn heißt; denn Seines Herrn ist doch die Ehre und die Macht, und alle Frucht, die er gewinnt, ist Christi Siegespreis; der sagt ihm, wann es Zeit ist zu laufen oder still zu stehen, geduldig auszuharren oder muthig vorzuschreiten. Aus der Gewißheit dieses Glaubens kommt der sichre Takt, der Maaß zu halten weiß, der sich nicht übereilt, nicht Blößen gibt, nicht fremdes Feuer mischt in die reine Opferflamme des lauteren Bekenntnisses und liebenden Bemühens. Wie Paulus Ehre gibt, dem sie gebührt, und unterthan ist aller menschlichen Ordnung, auch ungerechter und willkürlicher, weil der Herr sie zuläßt: so bleibt der Christ von eigenmächtiger Selbsthülse frei; er bedarf sie nicht, zu rechter Zeit wird Gott ihm helfen, in dessen Hand er sich geborgen fühlt und weiß, daß nicht ein Haar von seinem Haupt fällt ohne Seinen Willen. Er zürnt nicht auf die Ungerechten; denn was können sie ihm schaden? Sein Glück und seinen Frieden wünscht er allen, die ihn drücken; sein Ungemach ist bald verschmerzt; verheißt doch Gott selbst alle Thränen ihm einst abzuwischen von den Augen. So will auch Paulus seine Bande gern für sich behalten; nur seinen Glauben möchte er allen gönnen, welche um ihn her sind. Denn selbst in seinen Banden ist er dennoch frei, sie aber sind die Knechte. Er verliert nichts durch die Gefangenschaft; sie aber wären gerettet, wenn sie werden könnten, was er ist. Seht da die Freiheit eines wahren Christen! Seht den Triumph, mit welchem Jesus Christus Seinen Diener schmückte in jener Stunde, die wir jetzt betrachtet haben! Laßt das Verlangen doch in euch entzünden, daß ihr ihm ähnlich werden möchtet, daß die Quelle, die ihn so überfließend füllt, auch euch erquicke. Der Weg zu ihr steht offen. Glaube an den Herrn Jesum Christum, und du hast sie in dir. „Denn der Herr ist der Geist; wo aber der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit“ (2. Cor. 3,17). „Wer an mich glaubt, von deß Leibe sollen Ströme lebendigen Wassers fließen,“ spricht unser Herr (Joh. 7,38). So trauet Seinem Wort, und heute, so ihr Seine Stimme höret, verstocket eure Herzen nicht! Amen.

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