Beck, Johann Tobias - 22. Beichtrede vor Studierenden gehalten.

Beck, Johann Tobias - 22. Beichtrede vor Studierenden gehalten.

„Ich habe den Weg der Wahrheit erwählet (Ps. 119, 30.); weise mir HErr deinen Weg, daß ich wandle in deiner Wahrheit“ (Ps. 86, 11.).

In diesen Psalm-Worten, geliebte Freunde, läßt sich kurz zusammenfassen, was auf dem Weg zum heiligen Abendmahl das Herz bewegen soll. Es gilt die Wahrheit in ihrem niedersten Anfang heilig zu halten, um sie in ihrer höchsten Vollendung als Gabe Gottes in Christo Jesu zu empfangen. Es gilt die Wahrheit in ihrem niedersten Anfang, wie sie nämlich in unserem Gewissen geschäftig ist als Gesetz Gottes, als heilige Richterin unseres Denkens und Sinnens und als Leuchte unseres Herzens, damit wir (Matth. 6,22 f.) die Schalkheit und Falschheit aus unserem Auge wegthun, und in der Einfalt, in der ungetheilten Hingebung an die Stimme unseres Gewissens, das Auge auf unsere Selbsterkenntniß richten und auf einen Weg, der uns aus der Finsterniß in's Licht führe, aus dem unseligen Widerspruch herausführe zwischen unsrem Gewissen und unsrem Dichten und Trachten, Reden und Thun; zwischen der Willigkeit des Geistes und der Unwilligkeit und Schwäche des Fleisches, zwischen unsrer Knechtschaft und unsrem Sehnen nach Freiheit. Diesen Widerspruch als unsre Noth anerkennen, und die Rettung daraus als unser Bedürfniß, als unsres Herzens Leben suchen und anstreben, heißt den Weg der Wahrheit erwählen; so lange wir dagegen unsre Noth und unser Bedürfniß uns ableugnen und das Herz davon abwenden, sind wir Lügner und die Wahrheit ist nicht in uns; wir machen aber auch Gott zum Lügner, indem wir seine Zeugnisse unsrer Unwahrheit zu lieb verdrehen müssen, und wir bleiben geschieden von seinem Licht und Leben. Sind wir aber aus der Wahrheit, so hören wir Gottes Stimme; thun wir die Wahrheit, die in unsrem Gewissen geschäftig ist, so kommen wir zum Licht (Joh. 3,21.); eben indem die Wahrheit uns inwendig züchtigt und richtet, uns all' unser Denken, Reden und Thun durchsichtet, läßt sie uns keine Ruhe in uns selber finden, mit keinem Schein uns begnügen, mit keinem stolzen Gerede und Gepränge falsch berühmter Kunst uns beschwichtigen; die strafende Wahrheit treibt und zieht uns zu einer freimachenden und heiligenden Wahrheit, und eine solche Wahrheit dringt uns als Licht in's Herz! aus ihr weht uns Ruhe und Friede an, und wir lernen beten: weise mir HErr deinen Weg, daß ich wandle in deiner Wahrheit.

Der inneren Wahrheit, der gewissenhaften Gesinnung kann Gott begegnen mit seiner Wahrheit; da bekommen wir die Wahrheit zu erfahren nicht mehr bloß als Gesetz und Gericht, nicht mehr bloß als einen im Verborgenen liegenden Herzenstrieb und als eine uns vorschwebende Verheißung, sondern die Wahrheit kommt uns als Gnade von Gott entgegen. Gottes Wahrheit hat sich für uns in's Zeugniß gestellt nicht nur als heilbringendes Wort der Wahrheit, sondern auch als der erleuchtende, heiligende, beseligende Geist der Wahrheit; ja die Wahrheit, wie sie in Gott ist als das beständige, lautere Leben, sie zeigt sich uns Fleisch und Blut geworden in unsrem HErrn; sie hat sich mit dieser Erden-Natur, dieser dem göttlichen Wahrheitsleben entfremdeten Erden-Natur wieder vereinigt, um in unsre ganze Natur wieder eingehen zu können, um Geist, Seele und Leib von der sie durchdringenden Sünde und Todesmacht zu reinigen und sie durch und durch in Gott wieder zu heiligen. Das, meine Theuren, ist das große Geheimniß des heiligen Mahls, das Geheimniß der ewigen Wahrheit, die da nicht nur ein wesenloser Gedanke und ein Gesetz ist, sondern das wesenhafte Leben, ohne welches alles geistige und leibliche Leben zur unwahren Scheinform, zur Lüge und Vergänglichkeit wird. Das ist die Gnade in Jesu Christo, daß uns durch Ihn eine Versöhnung mit Gott wird, in welcher uns ein Bund des Lebens aufgeht, daß uns wieder die Wahrheit wird, die das ewige Leben ist, und dieß göttliche Leben der Wahrheit wird uns nicht nur für Seele und Geist bezeugt im Zeugniß des Wortes und des Geistes, sondern in dem verklärten Menschensohn ist dieß Leben leibhaft geworden und will in Ihm leibhaft sich uns mittheilen zu unsrer Reinigung im Leibe der Sünde und des Todes, und zu unsrer Verklärung in das ganze Bild des Erstgeborenen, der viele Brüder sich nachziehen will.

So gilt es in dem Mahl des HErrn ein Mahl des ewigen Lebens; es bietet uns die Wahrheit in ihrer höchsten Vollendung, in ihrer ganzen Fülle, wie sie das Himmlische und Irdische umfaßt, als das Leben aus Gott, in Gott und zu Gott, das, wo es eindringt, Sünde und Tod ausscheidet als Finsterniß, und sein heiliges, unsterbliches Wesen einpflanzt als das Licht der Menschen. Solches Leben der Wahrheit nun aus unsrem HErrn Jesus Christus hineinzunehmen in unsern ganzen Menschen, aus seinem Wort, aus seinem Geist, aus seinem Leib und Blut in unsre Seele sammt unsrem Geist und Leib hin einzunehmen: das, theure Freunde, ist die überschwängliche Gnade und Gabe Gottes unsers Heilandes, die ihr im Sakrament empfangen dürft. Hier ist das Brod Gottes, das vom Himmel kommt, und gibt der Welt das Leben! Hier ist der Kelch des Bundes, in welchem die Sühnung ist für eure Sünden! Hier sind Worte, die Geist und Leben sind! Hier ist Geist, der da lebendig macht! Das nimm an mit Anbetung und Dank, du in Sünde und im Sehnen nach Erlösung umgetriebene Seele!

Erfreue dich des Heils, mein Geist, das Gott für dich erkoren! Der Heilige, der Jesus beißt, ward auch für dich geboren, wem leuchtet nicht sein reines Licht hinauf zum Gott der Liebe!

Bereitet euch denn, theure Freunde, in der Wahrheit des Herzens, damit ihr die Wahrheit des Lebens aus Gott empfangen möget; gehet ein in das Wort der Wahrheit, damit der Geist und Leib der Wahrheit, wie er ist in Jesus Christus, in euch eingehen könne. Im Wort der Wahrheit findet ihr die Erkenntniß der Wahrheit, die euch hilft, euch rettet aus dem Fluch in den Segen des Vaters, die euch frei macht zur Freiheit des Sohnes, die euch heiligt in der Heiligung des Geistes. Das Wort der Wahrheit greift Jeden von euch an dem Orte an, wo ihm der Bann der Finsterniß noch festsitzt, der ihn an's Licht nicht kommen läßt; es deckt dir auf die heimliche Sünde, die Befleckung des Fleisches und Geistes, die dein Herz unverständig und träge macht zum Glauben; es legt sie bloß die Treue und Gewissenhaftigkeit, die du vorgibst und im Grunde nicht hast; es stellt dir in's Licht, wie viele gute Rührungen, Bewegungen und Vorsätze in dir schon erweckt worden sind, welche du wieder um des Ansehens der Menschen willen, aus Nachlässigkeit und Falschheit unfruchtbar verschwinden ließest; darüber setzt das Wort der Wahrheit dem Menschen zu, wie er einmal im Licht jenes Tages werde so nichtig dastehen, wenn Gott das Verborgene des Herzens richten werde. Aber dem in's Innerste bestraften Menschen zeigt das Wort der Wahrheit auch den Weg Gottes, da man in der Wahrheit wandeln kann, wie Er sich finden läßt von denen, die Ihn redlich suchen, wie man in's Licht Gottes kommt, wenn man nur sein Herz darauf ergibt, der Wahrheit unterthan zu werden und gehorsam zu bleiben. Wer so viel Lust zur Wahrheit bekommt, der merkt, es ist doch ein elend, jämmerlich Ding, wenn ein Mensch mit seiner Verstellung und Aeußerlichkeit Gott und Andere betrügen will, und betrügt doch Niemand mehr als sich selbst; ich will mich doch einmal ernstlich darauf legen, daß ich von dem Blendwerk und Betrug frei werde und zu einem rechtschaffenen Wesen komme; ich will auf den Zug Gottes, auf die Offenbarung der Wahrheit in meinem Gewissen merken, die Furcht Gottes als meinen Hauptpunkt vor mir haben, und das Blendwerk des menschlichen Ansehens überwinden; nicht den Menschen zu Gefallen fromm werden, aber eben so wenig den Menschen zu Gefallen die Kraft der Wahrheit bei mir unterdrücken; was mich innerlich demüthigt und bessert, soll mir höher gelten als Alles, was Menschen für Verstand ausgeben, höher als jede aufblühende Wissenschaft. Gewiß, meine Theuren, wer nur einmal so viel redliche Wahrheit will in sich aufkommen lassen und darin sich täglich erneuert: der wird von selbst dazu kommen, daß er erkennen und glauben lernt, wie Niemand den Weg Gottes recht gelehrt hat, als unser HErr Jesus Christus mit seinen heiligen Propheten und Aposteln, wie ihm aus dem Verderben seiner Natur und der Welt nicht wieder gründlich und wahrhaft kann geholfen werden als durch Glauben an den Welt-Heiland und sein Evangelium. Und hast du einmal das gute Vertrauen zu Ihm, als dem wahrhaftigen Zeugen: dann kannst du nichts Besseres thun, als daß du auf seine Betheurungen und Verheißungen hin, wie seine ersten Jünger, dich Ihm nahst und dein Innerstes Ihm aufschließt; klage Ihm deine Noth und Schwäche, deine bisherige Falschheit und Selbstbetrug; bekenne Ihm die in deinem Herzen aufgegangene bessere Ueberzeugung, dein Verlangen nach Wahrheit, deinen Hunger nach Gerechtigkeit, und bitte Ihn, Er wolle dich doch in Seine Jüngerschaft und Gemeinde aufnehmen, daß Er dir zur Weisheit werde, zur Gerechtigkeit und Heiligung und zur Erlösung, daß Er seine Versöhnung an dir zu Kraft und Wahrheit bringe, und den Zugang zum Vater und zum himmlischen Heiligthum dir öffne, daß Er mit seiner Gnade dein wankelmüthiges, unbeständiges Herz fest mache, damit es durch den Geist dieser Welt von der Spur der Wahrheit nicht mehr abkomme, vielmehr durch den Geist aus der Höhe in alle Wahrheit geleitet werde. Dieß übet, theure Freunde, darin haltet an, und ihr werdet den Segen eures Gebets erfahren dürfen; es wird sich euch zeigen, daß euch aus dem Tode geholfen wird in's Leben, aus der Finsterniß in's Licht, aus der Heuchelei und Falschheit in die Wahrheit; es wird euch wohl sein, daß ihr los geworden seyd von dem Zwang der Verstellung und von der damit verbundenen geheimen Furcht und Anklage, daß ihr alle die Feigenblätter, alle die künstlichen Ausflüchte und Verdrehungen wegwerfen dürft, mit welchen ihr vorher der Wahrheit Gottes ausgewichen seyd; denn ihr lernt den immer besser kennen, der eben ein Mittler und Fürsprecher bei Gott ist für Alle, die den Weg der Wahrheit erwählen. Wohl werdet ihr, auch bei dem neuen, aufrichtigen Wandel vor Gott, noch das Ankleben der Sünde, der angeborenen Falschheit und Blindheit erfahren; wohl wird euch Manches von den allgemeinen Vorurtheilen der Welt, von den eingesogenen alten Meynungen und Gewohnheiten noch nachgehen, und die Schalkheit und Täuscherei der Menschen noch zu schaffen machen (Eph. 4,14.). Aber das ist der Kampf, der euch verordnet ist (Ebr. 12,1.), damit ihr aus der demüthigen Beugung unter die Heerde Gottes nicht wieder herausfallet in die eitle Selbsterhebung, die uns scheidet von Gott, damit ihr Treue und Dankbarkeit üben lernt für die empfangene Gottes-Liebe; und die Macht, in der ihr überwindet und zum Ziele gelanget, gewinnet ihr darin, daß ihr beharret im Gebet und bleibet als rechte Schüler in den Reden Jesu, daß euch diese gewisser und heiliger sind als alle Einwendungen und Einfälle der Welt und des eigenen Herzens; dann werdet ihr die Wahrheit, eben an den Gegensätzen in euch und um euch, nur immer völliger, tiefer und schärfer erkennen, und die Wahrheit setzt ihre freimachende Wirkung in euch fort (Joh. 8,31 f.), daß ihr freimüthiges Bekenntniß und der Wandel in ihr ohne Menschenfurcht und ohne Ehregesuch bei Menschen euch zur Speise und Freudigkeit des Herzens wird; ihr erfahret die Gnade Gottes eures Heilandes, daß Er euch immer weiter weg von den löcherichten Brunnen dieser Welt zur Quelle des Lebens führt, und daß Er auf der Wallfahrt durch dieses Leben euch speist mit seinem Brod des ewigen Lebens.

Also, Geliebte, prüfet euch nun in der Wahrheit, demüthiget euch unter sie, damit sie euch erhöhen könne. Amen.

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