Aurelius Augustinus - Bekenntnisse - 12. Buch

Aurelius Augustinus - Bekenntnisse - 12. Buch

Erstes Kapitel

Vieles bewegt mein Herz, Herr, in der Armseligkeit meines Lebens, wenn es von den Schlägen der Worte deiner Schrift getroffen wird; deshalb ist die Dürftigkeit der menschlichen Erkenntnis meistens wortreich; das Suchen der Wahrheit ist wortreicher als das Finden; das Bitten ist langweiliger als das Erlangen und geschäftiger ist die Hand, die anklopft, als die, welche nimmt wir haben die Verheißung, wer wird sie uns rauben? Ist Gott für uns, wer mag wider uns sein? Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan. Denn wer da bittet, der empfängt; und wer da suchet, der findet; und wer da anklopfet, dem wird aufgetan. Das sind deine Verheißungen; und wer fürchtet getäuscht zu werden, wenn die Wahrheit verheißt?

Zweites Kapitel

Deiner Hoheit bekennt meiner Zunge Niedrigkeit, dass du Himmel und Erde geschaffen hast; diesen Himmel, den ich sehe, und die Erde, die ich betrete; und auch die Erde, die ich an mir trage, hast du gemacht. Aber wo ist der Himmel des Himmels, Herr, von dem wir hören in dem Worte des Psalms: Der Himmel des Himmels ist des Herrn, aber die Erde hat er den Menschenkindern gegeben? Wo ist der Himmel, den wir nicht sehen, gegen den alles das, was wir sehen, Erde ist? Denn dieses ganz Körperliche, dessen Unterstes unsere Erde ist, erhielt nicht überall in den letzten Teilen eine schöne Gestalt, sondern gegen diesen Himmel des Himmels ist auch unserer Erde Himmel Erde. Und diese beiden großen Körper sind in Wahrheit Erde gegen jenen Himmel, der des Herrn ist, und nicht der Menschenkinder.

Drittes Kapitel

Freilich war diese Erde wüst und leer und ich weiß nicht welch eine Tiefe des Abgrundes, auf der es finster war, weil sie keine Gestalt hatte. Weshalb befahlst du, dass geschrieben würde, und es war finster auf der Tiefe, wenn dieses nicht die Abwesenheit des Lichtes wäre? Denn wo wäre Licht, wenn es wäre, wenn es sich nicht erhoben und die Dinge erleuchtet hätte? Wo also das Licht noch nicht war, was war da das Dasein der Finsternis anders als die Abwesenheit des Lichtes? Finsternis war daher auf der Tiefe, weil das Licht nicht da war, wie, wo kein Laut sich hören läßt, Schweigen herrscht. Und was ist, dass dort Schweigen herrscht, anders, als dass kein Laut hörbar ist? Hast du, Herr, nicht meine Seele gelehrt, was sie dir bekennt? Hast du, Herr, mich nicht gelehrt, dass, ehe du jene gestaltlose Masse bildetest und ordnetest, nichts da war, keine Farbe, keine Gestalt, kein Körper, kein Geist? Indes war nicht überhaupt nichts; es war eine gestaltlose Masse ohne Gestaltung.

Viertes Kapitel

Wie sollte man es also benennen, um es auch Einfältigeren irgendwie klarzumachen, als mit einem gebräuchlichen Worte? Was läßt sich aber in dem weiten Bereiche der Welt finden, das der gänzlichen Gestaltlosigkeit mehr entspräche als die Erde und der Abgrund? Denn auf ihrer untersten Stufe sind sie weniger gestaltet als alles Höhere, was lichtvoll und leuchtend ist. Warum sollen wir daher nicht die Gestaltlosigkeit des Stoffes annehmen, die du ohne Gestalt geschaffen hattest, um daraus die gestaltvolle Welt zu bilden, die du so passend den Menschen verständlich machtest, indem du die Erde wüst und leer nanntest.

Fünftes Kapitel

Wenn nun aber unser Gedanke fragt, was der Sinn erkenne, und sich selbst sagt: „Die Gestalt ist nicht erkennbar wie das Leben, die Gerechtigkeit, weil sie der Stoff der Körper ist; sie ist auch nicht empfindbar, weil es bei dem Wüsten und Leeren nichts gibt, was man sehen und empfinden könnte“, so versucht der menschliche Verstand, indem er dieses sagt, sie entweder durch Nichtwissen zu kennen oder durch Nichterkennen zu wissen.

Sechstes Kapitel

Wenn ich dir aber, Herr, alles mit Wort und Schrift bekenne, was du mich von diesem Urstoffe gelehrt hast, den ich schon früher nennen hörte, ihn aber nicht verstand, als jene Manichäer, die ihn nicht verstanden, davon sprachen, so dachte ich ihn mir in unzählig verschiedenen Gestalten und deshalb dachte ich ihn mir in Wirklichkeit nicht. Der Geist kehrte die Ordnung der Dinge um und wälzte in sich scheußliche und schreckliche Gestalten, aber doch immer Gestalten; und ich nannte ihn gestaltlos, nicht weil er der Gestalt entbehrte, sondern weil er eine solche besaß, dass, wenn er sichtbar hervorgetreten wäre, das Ungewöhnliche und Unpassende meine Sinne abgeschreckt und die Schwäche des Menschen mit Entsetzen erfüllt hätte. Aber was ich dachte, war nicht durch die Beraubung aller Gestalt, sondern durch die Vergleichung mit Wohlgestalterem gestaltlos; und die gesunde Vernunft riet, ich solle jeglichen Rest aller Gestalt überhaupt hinwegnehmen, wenn ich das schlechterdings Gestaltlose denken wollte; aber das vermochte ich nicht. Eher glaubte ich, das wäre gar nicht, was jeder Gestalt entbehrt, als dass ich dachte, es gäbe ein Etwas zwischen dem Gestalteten und dem Nichts, weder gestaltet noch gestaltlos, das beinahe nichts wäre. Mein Verstand stand davon ab, hierüber meinen Geist zu befragen, der angefüllt von Bildern von gestalteten Körpern war und sie nach Willkür ändern und umwandeln konnte; ich wandte meine Aufmerksamkeit auf die Körper selbst und drang tiefer in die Veränderlichkeit derselben, wodurch sie zu sein aufhören, was sie waren, und zu sein anfangen, was sie nicht waren; und vermutete, derselbe Übergang von einer Gestalt in die andere finde durch etwas Gestaltloses statt, nicht durch ein schlechterdings Nichts; aber ich wünschte dies zu erkennen, nicht nur zu vermuten. Und wem dir meine Stimme und meine Schrift dieses alles bekennen würde, was du mir über diese Frage geoffenbart hast, welcher Leser vermöchte dieses zu fassen? jedoch soll mein Herz nicht aufhören, dich zu preisen und zu loben um deswillen, was zu sagen ich nicht vermag. Denn die Veränderlichkeit der veränderlichen Dinge selbst ist aller Gestalten fähig, in die sich die veränderlichen verwandeln. Und was ist sie? Ist sie Geist? Ist sie Körper? Wenn man sagen könnte: „Das Nichts ist etwas“, und „was ist, ist nicht“, würde ich sie so nennen; und doch war es irgendein Etwas, wie es auch war, dass es jene sichtbare und geordnete Gestalt annahm.

Siebentes Kapitel

Und woher nur war dies, wenn nicht von dir, von dem alles ist, insoweit es ist? Aber je unähnlicher es dir ist, desto weiter ist es von dir entfernt, aber nicht räumlich. Du hast, O Herr, der du nicht bald auf diese, bald auf jene Weise bist, sondern immer und überall derselbe, heilig, heilig, heilig, Herr Zebaoth, im Anfange, der in dir ist, in deiner Weisheit, die aus deinem Wesen geboren ist, Etwas aus Nichts gemacht. Denn du machtest Himmel und Erde, nicht aus dir, aus deinem Wesen, dann wäre es deinem Eingeborenen gleich und dadurch auch dir, und in keiner Weise wäre es gerecht, dass das, was nicht aus dir ist, dir gleich sei. Außer dir aber war es nicht, woraus du es hättest machen können, Gott, Eins als Dreiheit und dreifach als Einheit; du machtest also aus nichts Himmel und Erde, etwas Großes und etwas Kleines, weil du allmächtig und gütig bist, um alles zu schaffen, einen großen Himmel und eine kleine Erde, ein Zwiefaches: Das Eine dir nahe, das Andere dem Nichts nahe; das Eine, über das du erhaben wärst, das Andere, das nur das Nichts unter sich hätte.

Achtes Kapitel

Aber jener Himmel des Himmels ist nur dein, Herr; die Erde aber, die du den Menschenkindern überließest zu schauen und zu berühren; Sie war wüst und leer und es war eine Tiefe, auf der es finster war, oder Finsternis war über der Tiefe, das heißt, mehr als in der Tiefe. Denn die Tiefe der jetzt sichtbaren Gewässer hat auch in ihren Abgründen ein Licht eigentümlicher Art, das nur den Fischen und den in seinem Abgrunde kriechenden Tieren empfindbar ist; dieses Ganze war aber nahe dem Nichts, weil es überhaupt noch ungestaltet war, jedoch war es gestaltsunfähig. Denn du, Herr, machtest die Welt aus gestaltlosem Stoff, den du aus Nichts zu einem kaum Etwas schufest, um aus ihm Großes zu machen, das wir Menschenkinder bewundern. Bewunderungswürdig ist dieser sinnliche Himmel, den du als eine Feste zwischen den Gewässern und Gewässern gründetest, als du am zweiten Tage nach der Erschaffung des Lichtes sagtest: Es werde; und es geschah also. Diese Feste nanntest du Himmel; aber den Himmel dieser Erde und des Meeres, die du am dritten Tages schufest, durch Verleihung einer sichtbaren Gestalt dem ungestalteten Stoffe, den du vor allen Tagen machtest. Denn auch den Himmel hattest du bereits vor allen Tagen geschaffen, aber den Himmel dieses Himmels, da du im Anfange Himmel und Erde geschaffen hattest. Die Erde selbst aber, die du geschaffen hattest, war gestaltlose Masse, weil sie wüst und leer und es finster auf der Tiefe war, und aus dieser wüsten und leeren Erde, aus dieser Gestaltlosigkeit, aus diesem dem Nichts so nahen Wesen wolltest du das alles bilden, woraus die veränderliche Welt besteht, an der die Veränderlichkeit sich zeigt, an der die Zeiten empfunden und gezählt werden können; denn durch die Veränderungen der Dinge entstehen die Zeiten, indem ihre Gestalten, deren Stoff vorhin die wüste Erde genannt wurde, sich verändern und verwandeln.

Neuntes Kapitel

Deshalb schweigt der Geist, der Lehrer deines Dieners, wenn er erwähnt, du habest im Anfange Himmel und Erde geschaffen, von Zeiten, er redet nicht von Tagen, denn der Himmel des Himmels, den du im Anfange schufest, ist eine geistige Schöpfung, und wenn auch in keiner Weise dir, der Dreieinigkeit, gleich ewig; doch beschränkt die Teilnahme an deiner Ewigkeit sehr seine Veränderlichkeit durch die Wonne deiner seligen Anschauung, und seit seiner Schöpfung ohne Störung mit dir verbunden, ist er über allen flüchtigen Wechsel erhaben. jene Gestaltlosigkeit aber, die wüste und leere Erde, wird selbst nicht nach Tagen gezählt. Denn wo keine Gestalt, da ist keine Ordnung; nichts kommt, nichts vergeht, und wo dies nicht geschieht, da sind überhaupt keine Tage, kein Wechsel von Zeiträumen.

Zehntes Kapitel

O Wahrheit, Licht meines Herzens, lass meine eigene Finsternis nicht zu mir reden. Zu diesen Dingen, die vergehen, bin ich hinabgesunken und von ihnen verfinstert, aber auch von dort gewann ich dich lieb. Ich irrte, aber ich gedachte deiner. Ich vernahm deine Stimme von ferne, die mich zur Rückkehr trieb, und ich hörte sie kaum vor der Unruhe und dem Lärm. Und nun kehre ich erschöpft und atemlos zu deinem Lebensquell zurück. Niemand möge mich hindern; daraus will ich trinken, um dann zu leben. Ich bin nicht selbst mein Leben; habe ich böse gelebt aus mir, so war ich mir selbst der Tod; und in dir lebe ich wieder auf Sprich du zu mir, rede du zu mir. Ich glaubte deinen Schriften, aber ihre Worte sind geheimnisvoll.

Elftes Kapitel

Schon hast du, o Herr, mir mit starker Stimme in mein inneres Ohr gesagt, dass du ewig bist, dass du allein Unsterblichkeit habest, da du dich durch keine Gestalt oder Bewegung verwandelst noch dein Wille sich in den Zeiten ändert, weil ein Wille, der bald so, bald anders ist, nicht unsterblich ist. Möchte mir dies in deinem Angesichte klarwerden und mir mehr und mehr einleuchten, ich bitte dich, und möchte ich bei dieser Offenbarung demütig unter deinen Flügeln verharren; ebenso hast du mir, Herr, mit starker Stimme in mein inneres Ohr gesagt, dass du alle Geschöpfe und Wesen, die nicht sind, was du bist, und doch sind, gemacht hast, und nur das ist nicht von dir, was nicht ist; und die Bewegung des Willens von dir, der du bist, zu dem, was weniger ist, weil eine solche Bewegung ein Vergehen und Sünde ist; und dass keines Menschen Sünde weder dir schadet noch die Ordnung deines Reiches stört, weder im höchsten noch im niedrigsten der Geschöpfe. Möchte mir dies in deinem Angesichte klarwerden und mir mehr und mehr zur Gewissheit werden, darum bitte ich dich, und möchte ich bei dieser Offenbarung demütig unter deinen Flügeln verharren.

Ferner hast du mir mit starker Stimme in mein inneres Ohr gesagt, dass jene Schöpfung auch nicht mit dir gleich ewig ist, deren Wille du allein bist, die mit ewiger Keuschheit dich in sich aufnimmt, die ihre Wandelbarkeit nie und nirgends offenbart und die, da du, an dem sie mit voller Inbrunst festhält, ihr stets gegenwärtig bist, nichts Zukünftiges zu erwarten und nichts der Vergangenheit zu übergeben hat, um dessen sich zu erinnern, die keiner Wandlung und keinem Wechsel der Zeiten unterworfen ist. O wie selig ist diese Schöpfung, wenn es eine gibt, durch die Teilnahme an deiner Seligkeit; selig durch deine beständige Gemeinschaft und Erleuchtung! Ich wüsste nichts, was ich eher glaubte, den Himmel des Himmels, der dein ist, Herr, nennen zu sollen, als deine Wohnung, die deine Wonne schaut ohne irgendeine Lust zur Abschweifung auf andere Dinge; einen reinen Geist, auf das engste vereinigt durch das Band des Friedens der heiligen Geister, der Bürger deiner Stadt im Himmel über dem Firmamente der Erde.

Hieraus möge die Seele, deren Pilgerfahrt lange währt, erkennen, wenn sie schon nach dir dürstet, wenn schon ihre Tränen sind ihre Speise Tag und Nacht, weil man täglich zu ihr sagt: Wo ist nun dein Gott?, wenn sie schon eins von dir bittet, das sie gerne hätte, dass sie im Hause des Herrn bleiben möge ihr Leben lang; und was ist ihr Leben, wenn nicht du? Und welches sind deine Tage, wenn nicht deine Ewigkeit, die wie deine Jahre kein Ende nehmen, weil du ewig unveränderlich bist? - Hieraus möge also die Seele, die es vermag, erkennen, wie weit die Ewigkeit über alle Zeiten erhaben ist, wenn deine Wohnung, die durch keine Zeit pilgert und gleichwohl nicht mit dir ewig ist, doch durch die unaufhörliche und unerschütterliche Gemeinschaft mit dir keinen Wechsel der Zeiten erleidet. Möchte mir dieses in deinem Angesicht klar und zur Gewissheit werden, ich bitte dich, und ich bei dieser Offenbarung demütig unter deinen Flügeln verharren.

Siehe, ich weiß nicht, was für ein Ungestaltetes es in den Veränderungen gibt, welche die äußersten und untersten Dinge erfahren. Wer kann mir sagen, als nur wer in der Lehre seines Herzens mit seinen eitlen Einbildungen umherirrt und sich verliert; wer, wenn nicht ein solcher, wird mir sagen können, wie, wenn nach Verminderung und Aufhören aller Gestalt nur die Ungestalt zurückbliebe, durch welche ein Ding von Gestalt zu Gestalt sich bewegt und übergeht, sie den Wechsel der Zeiten erzeugen könne? Das ist unmöglich, weil ohne Verschiedenheit der Bewegungen keine Zeiten sind, und wo keine Gestalt ist, da ist auch keine Mannigfaltigkeit der Bewegung.

Zwölftes Kapitel

Nach diesen Betrachtungen, mein Gott, soweit du es mir verleihest, mich zum Anklopfen aufforderst und dem Anklopfenden öffnest, finde ich ein zweifaches, das du der Zeit nicht unterworfen hast, obgleich keines von beiden mit dir gleich ewig ist: das eine, das so gestaltet, dass es ohne irgendeine Unterbrechung in der Anschauung, ohne irgendeinen Zwischenraum der Veränderung, obgleich veränderlich, doch nie verändert, deine Ewigkeit und Unveränderlichkeit genießt; das andere, was so ungestaltet ist, dass, aus welcher Gestalt und in welche Gestalt der Bewegung oder der Ruhe es auch überging, es doch keine Gestalt hatte, um der Zeit unterworfen zu sein. Aber du ließest dies nicht so ungestaltet, weil du vor allen Tagen, im Anfange Himmel und Erde, diese beiden Dinge, von denen ich eben sprach, geschaffen hast. Die Erde war aber wüst und leer und es war finster über der Tiefe. Mit diesen Worten wird die Gestaltlosigkeit bezeichnet, und es sollen dadurch auch diejenigen belehrt werden, die sich jedwede Beraubung einer Gestalt, ohne dass sie deshalb ein reines Nichts wäre, nicht denken können, woraus ein anderer Himmel und eine sichtbare und wohlgestaltete Erde und klare Gewässer entstanden und was darnach bei der Bildung dieser Erde in Tagen, wie erzählt wird, gemacht wurde; weil diese Dinge der Art sind, dass sie dem Wechsel der Zeiten unterworfen sind, weil sie bestimmte Veränderungen in ihren Bewegungen und Gestalten erfuhren.

Dreizehntes Kapitel

Ich verstehe dies einstweilen so, mein Gott, wenn ich die Worte deiner heiligen Schrift höre: Im Anfange schuf Gott Himmel und Erde; die Erde aber war wüst und leer und es war finster über der Tiefe, wobei nicht erwähnt wird, an welchem Tage du dies tatest. Ich verstehe einstweilen so unter diesem Himmel des Himmels den geistigen Himmel, in welchem die Erkenntnis ein vollständiges Erkennen ist, nicht stückweise, nicht wie in einem Rätsel, nicht durch einen Spiegel, sondern völlig offenbar von Angesicht zu Angesicht; nicht bald dieses, bald jenes, sondern, wie gesagt, ein vollständiges Erkennen ohne irgendeinen Wechsel der Zeit; und unter der wüsten und leeren Erde, auf der bald dieses, bald jenes stattfindet, weil, wo keine Gestalt ist, auch wie dieses oder jenes ist; unter diesen beiden, dem gleich anfangs Gestalteten und dem gänzlich Ungestalteten, verstehe ich unter jenem den Himmel, jedoch den Himmel des Himmels; unter diesem aber die Erde, jedoch die wüste und leere Erde; in Beziehung auf dieses, beides glaube ich, dass deine heilige Schrift ohne Erwähnung von Tagen sagt: Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Sie fügt sogleich hinzu, welche Erde gemeint sei. Da sie am zweiten Tage die Erschaffung der Himmelsfestung erwähnt und sie den Himmel nennt, so wird dadurch angedeutet, von welchem Himmel früher ohne Erwähnung der Tage die Rede war.

Vierzehntes Kapitel

Wunderbar ist die Tiefe deiner Worte, deren Oberfläche uns anlächelt; aber ihre Tiefe, mein Gott, ist wunderbar! Mit erbebendem Schauer richte ich meine Blicke auf sie, mit einem Schrecken der Ehrfurcht und mit einem Zittern der Liebe. Ich verabscheue ihre Feinde in rechtem Ernst. O wenn du sie mit dem zweischneidigen Schwerte tötest, dass sie nicht mehr ihre Feinde wären! Denn ich wünsche, dass sie sich sterben, damit sie dir leben. Andere aber tadeln nicht das Buch der Schöpfung, sondern loben es und sagen: „Der Geist Gottes, der durch seinen Diener Moses dieses schreiben ließ, wollte nicht, dass diese Worte in dem Sinne verstanden würden; er wollte es nicht verstanden wissen, wie du es sagst, sondern anders, wie wir es sagen.“ Diesen antworte ich vor dir, mein Gott, der du mein und ihr Schiedsrichter bist, in folgender Weise.

Fünfzehntes Kapitel

„Wollt ihr sagen, es sei falsch, was die Wahrheit mit starker Stimme in das innere Ohr von der wahrhaften Ewigkeit des Schöpfers sagt, dass sein Wesen dem Wechsel der Zeiten nicht unterworfen ist und dass sein Wille nicht von seinem Wesen getrennt werden könne? Dass er deshalb nicht bald dieses wolle, bald jenes, sondern dass er es auf einmal, zugleich und immer alles wolle, was er will, nicht wieder und wieder, nicht bald dieses, bald jenes, so dass er hernach das wolle, was er früher nicht wollte, oder nicht wolle, was er früher wollte; denn ein solcher Wille ist wandelbar, und alles Wandelbare ist nicht ewig; unser Gott aber ist ewig. Ferner, was sie mir ins innere Ohr sagt, dass die Erwartung der künftigen Dinge nicht zur Anschauung wird, wenn sie kommen; ferner, dass jede Richtung der Seele, die so dem Wechsel unterliegt, wandelbar und alles Wandelbare nicht ewig ist; unser Gott aber ist ewig.“ Dies stelle ich zusammen, vergleiche es und finde, dass mein Gott, der ewige Gott, nicht durch irgendeinen neuen Willen die Schöpfung gebildet habe und dass sein Wissen nicht den Wechsel des Vorübergehens dulde.

„Was werdet ihr antworten, ihr Widersacher? Etwa dass es falsch sei?“ „Nein“, sagen sie. „Was dann? Ist es falsch, dass jedes gestaltete Wesen oder jeder gestaltungsfähige Stoff nur von dem sei, der unendlich gütig ist, weil er unendlich ist? “ „Auch dies leugnen wir nicht“, sagen sie. Was also? Oder leugnet ihr das, dass irgendein erhabenes geschaffenes Wesen mit so reiner Liebe mit dem wahrhaftigen und wahrhaft ewigen Gott so innig verbunden sei, dass es, obgleich mit ihm nicht gleich ewig, doch durch keinen Wechsel der Zeiten sich von ihm löse und vergehe, sondern in völliger Anschauung Seiner allein ruhe? Dem, mein Gott, der dich liebt, wie du es befiehlst, zeigst du dich und bist ihm volles Genüge; und darum wendet er sich von dir nicht noch hin zu sich. Dies ist das Haus Gottes, nicht irdisch, auch nicht durch irgendeinen himmlischen Stoff körperlich, sondern geistig, das auch an deiner Ewigkeit teilnimmt, weil auf ewig ohne Fehl. Er hält die Himmel immer und ewiglich; er ordnet sie, dass sie nicht anders gehen müssen. Aber doch ist es mit dir, Gott, nicht gleich ewig, weil es nicht ohne Anfang ist, weil es geschaffen ist.

Denn obgleich wir vor ihm keine Zeit finden, denn die Weisheit ist vor allen Dingen geschaffen, so ist doch diese Weisheit nicht mit dir, unser Gott, ihrem Vater gleich ewig und völlig gleich, durch die alles geschaffen ist und in welchem Anfang du Himmel und Erde schufest, sondern gewiss eine Weisheit, die geschaffen ist, freilich ein geistiges Wesen, das durch die Anschauung des Lichtes Licht ist; denn auch sie, obgleich geschaffen, wird Weisheit genannt. Aber wie groß der Unterschied ist zwischen dem Lichte, das erleuchtet, und dem Lichte, das erleuchtet wird, ebenso groß ist der Unterschied zwischen der Weisheit, die schafft, und der Weisheit, die geschaffen ist; wie zwischen der Gerechtigkeit, die gerecht macht, und der Gerechtigkeit, die durch Rechtfertigung geworden ist. Denn auch wir werden deine Gerechtigkeit genannt. Es sagt einer deiner Diener, auf dass wir würden in ihm die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt. Es gibt also eine Weisheit, die erschaffen ist, die aber vor allen Dingen erschaffen ist als vernünftiges und geistiges Wesen deiner heiligen Stadt, die unser aller Mutter ist, die droben ist, frei und ewig in den Himmeln; welchen Himmeln als in den Himmeln der Himmel, die dich loben, weil dieser Himmel der Himmel des Herrn ist? - Obgleich wir von ihr keine Zeit finden, da sie der Schöpfung der Zeit voranging, da sie allen Dingen voran geschaffen wurde; vor ihr aber ist die Ewigkeit des Schöpfers selbst, von dem gemacht sie ihren Anfang nahm - wenn auch nicht in der Zeit, da es noch keine Zeit gab - doch aber ihres Daseins selbst.

Sie ist also von dir, unserem Gott, und zwar so, dass sie etwas ganz anderes ist als du und dass ihr Wesen von dir verschieden ist. Denn obgleich wir nicht bloß vor ihr, sondern auch in ihr keine Zeit finden, da sie das Vorrecht hat, stets dein Angesicht zu schauen, und niemals ihren Blick von demselben abwendet, wodurch es geschieht, dass sie keiner Veränderung unterworfen ist - so liegt doch in ihrer Natur selbst die Veränderlichkeit, wodurch sie verdunkeln und erkalten würde, wenn sie nicht mit inniger Liebe dir anhinge und dadurch gleich einer ewigen Mittagssonne von dir leuchtete und entbrennete. O Haus, strahlend von Licht und Glanz, wie habe ich deine Stätte so lieb und den Ort, wo die Ehre wohnt meines Herrn, der dich gegründet hat und in dir wohnt! Nach dir sehnt sich meine Pilgerfahrt; und ich sage zu dem, der dich gemacht hat, dass Er auch mich aufnehme, da Er auch mich gemacht hat. Ich bin wie ein verirrtes und verlorenes Schaf, aber auf den Schultern meines Hirten, meines Erbarmers, hoffe ich zu dir zurückgebracht zu werden.

Was sagt ihr mir nun, ihr Widersacher, zu denen ich redete, die ihr indes Moses für einen treuen Diener Gottes und seine Bücher für Aussprüche des heiligen Geistes haltet? Ist dies nicht das Haus Gottes, zwar nicht mit Gott gleich ewig, aber doch in seiner Weise ewig im Himmel, wo ihr den Wechsel der Zeiten vergeblich sucht, weil ihr dort ihn nicht .findet? Denn es ist weit erhaben über jede Ausdehnung, über jeden dahinfliegenden Zeitraum, da es seine Seligkeit ist, stets mit Gott vereinigt zu sein. „ja“, sagen sie. Was ist nun nach eurer Behauptung von dem, was mein Herz zu meinem Gott rief, als es in seinem Innern die Stimme seines Lobes hörte, was ist denn nun falsch? Etwa, dass eine ungestaltete Materie war; wo aber keine Ordnung war, da konnte auch kein Wechsel der Zeiten sein, und doch war dies, das fast nichts war, insofern es überhaupt nichts war, auch von dem, von welchem alles ist, was irgendwie etwas ist, „Auch dieses“, sagen sie, „leugnen wir nicht.“

Sechzehntes Kapitel

Ich will etwa nur mit denen vor dir, mein Gott, reden, die alles das als wahr erkennen, was deine Wahrheit mir in meinem Herzen nicht verschweigt. Denn die, welche dies leugnen, mögen schreien, soviel sie wollen, und sich selbst betäuben; ich will nicht versuchen, sie zu bereden, dass sie ruhig sind und deinen Worten den Eingang zu ihrem Herzen gestatten; wollen sie dies nicht und weisen sie mich zurück, so bitte ich, mein Gott, so schweige du mir nicht. Rede du wahrhaftig in meinem Herzen, denn du allein redest so, und diese will ich hinausgehen lassen, dass sie in den Staub blasen und Staubwolken in ihre eigenen Augen blasen; ich will mich in stille Verborgenheit zurückziehen, dir ein Loblied deiner Liebe singen und unaussprechliche Seufzer auf meiner Pilgerfahrt seufzen, ich will Jerusalems gedenken mit einem zu ihm emporgehobenen Herzen, des Jerusalems, das meine Heimat und meine Mutter ist, und zu dir, der du sein König, sein Licht, sein Vater, sein Beschützer, sein Bräutigam, seine reine und ewige Wonne, seine wahrhaftige Freude, sein einziges und unaussprechliches Gut, alles zugleich und insgesamt bist; und ich mich nicht abwenden, bis du mich ganz, wie ich bin, in dem Frieden der geliebtesten Mutter, wo schon die Erstlinge meines Geistes sind, woher mir diese Gewissheit kommt, sammelst aus dieser Zerstreuung und Ungestalt und bis du mich in deiner Ewigkeit, mein Gott und mein Erbarmer, gestaltest und befestigst. Mit denen aber, die alles, was wahr ist, nicht als falsch behaupten, indem sie deine heilige Schrift, durch Moses geschrieben, verehren und ihr mit uns das höchste Ansehen einräumen und doch uns in gewisser Hinsicht widersprechen, rede ich folgendermaßen: Sei du, unser Gott, Richter zwischen meinen Bekenntnissen und ihren Widersachern.

Siebzehntes Kapitel

Sie sagen nämlich: „Wenn dies auch wahr ist, so hat doch gewiss Moses, als er durch Eingebung des heiligen Geistes schrieb: Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde, dieses beides nicht vor Augen gehabt. Er hat mit dem Worte Himmel nicht jene geistige oder übersinnliche Schöpfung gemeint, die stets das Angesicht Gottes schauet, noch auch mit dem Worte Erde jene ungestaltete Materie.“ „Was denn also?“ „Was wir sagen, das hat jener Ausdruck gemeint, und das hat er mit diesen Worten gesagt.“ „Welches?“ „Mit dem Namen des Himmels und der Erde“, sagen sie, „wollte er jene ganze sichtbare Welt überhaupt mit wenigen Worten bezeichnen, uni darnach durch die Aufzählung der Tage gleichsam im Einzelnen das Ganze, wie es dem heiligen Geist gefiel, es zu bezeichnen, zu ordnen. Denn das rohe und fleischliche Volk, zu dem er sprach, waren Menschen der Art, dass er glaubte, ihnen nur die sichtbaren Werke Gottes darstellen zu dürfen. Dass unter der wüsten und leeren Erde und der mit Finsternis bedeckten Tiefe, aus der, wie in der Folge gezeigt wird, in jenen Tagen alles Sichtbare, was bekannt ist, gemacht und geordnet ist, nicht unpassend jener ungestaltete Stoff zu verstehen sei, darin stimmen sie überein.“

Wie wenn nun ein anderer sagte, eben diese Gestaltlosigkeit und Vermischung des Stoffs sei vorerst mit dem Namen des Himmels und der Erde angedeutet, weil aus ihr diese sichtbare Welt mit allen Wesen, die jetzt auf ihr offenbar erscheinen, gebildet und vollendet worden ist, die gewöhnlich Himmel und Erde genannt wird? Wenn ein anderer sagte, nicht unpassend werde die unsichtbare und sichtbare Natur Himmel und Erde genannt und hierdurch sei die allgemeine Schöpfung, die Gott in der Weisheit, das heißt im Anfange schuf, in diesen beiden Worten begriffen; da jedoch alles nicht aus dem Wesen Gottes selbst, sondern aus Nichts gemacht ist, weil es nicht dasselbe ist, was Gott ist, und allem eine gewisse Veränderlichkeit innewohnt, so möge es bleiben wie das ewige Haus Gottes oder sich verändern wie des Menschen Seele und Leib; sei der jetzt noch ungestaltete und gewiss gestaltungsfähige gemeinsame Stoff aller unsichtbaren und sichtbaren Dinge, woraus Himmel und Erde werden sollte, das heißt beide bereits gebildeten Schöpfungen, die unsichtbare und sichtbare, hervorgehen sollten, mit diesen Worten bezeichnet, wüste und leere Erde und es war finster über der Tiefe, mit dem Unterschiede, dass unter der wüsten und leeren Erde die sinnliche Materie vor Annahme einer Gestalt; unter dem es war finster über der Tiefe der geistige Stoff vor Hemmung der gleichsam fließenden Maßlosigkeit und vor Erleuchtung der Weisheit verstanden wird.

Es ließe sich noch ein anderes sagen, wenn man wollte, „dass, wenn es heißt, im Anfang schuf Gott Himmel und Erde, unter Himmel und Erde nicht die vollendete und gestaltete unsichtbare und sichtbare Natur bezeichnet werden sollte, sondern der noch rohe Entwurf der Dinge, der bildungs- und schaffungsfähige Stoff; in ihm bereits vermischt nur noch nicht durch Eigenschaft und Gestalt geschieden war, was nun, in bestimmter Weise geordnet, Himmel und Erde genannt wird, jener die geistige, diese die sinnliche Schöpfung bezeichnend“.

Achtzehntes Kapitel

Wenn ich dieses alles höre und erwäge, will ich nicht mit Worten streiten; denn es ist zu nichts nütze, denn zu verkehren, die da zuhören. Ist dein Gesetz, Herr, nicht bestimmt, diejenigen zu erbauen, die einen rechten Gebrauch davon machen? Denn die Hauptsumme des Gebotes ist Liebe von reinem Herzen und von gutem Gewissen und von ungefärbtem Glauben. Und unser Meister wusste wohl, in welchen zwei Geboten das ganze Gesetz und die Propheten begriffen sind. Wenn ich dies inbrünstig bekenne, mein Gott, du Licht der inneren Augen meines Herzens, was schadet es mir, wenn diese Worte verschieden verstanden werden können, die dessenungeachtet wahr sind, was schadet es mir, sage ich, wenn ich eine andere Meinung als ein anderer darüber hege, was der Verfasser damit gemeint habe? Wir alle, die wir diese Worte lesen, suchen zwar den Sinn zu erforschen und zu erfassen, dessen Schrift wir lesen; und da wir Am für wahrheitsliebend halten, wagen wir nicht die Vermutung, er habe etwas gesagt, wovon wir wissen oder meinen, es sei falsch. Wenn also jeder sich bestrebt, das in der heiligen Schrift zu erkennen, was der Verfasser dachte, und was kann es denn Böses sein, wenn er das darin findet, was du, Licht aller derer, welche die Wahrheit aufrichtig suchen, ihm als wahr zeigst, wenn auch der, dessen Worte er liest, dies nicht dachte, so dachte er doch Wahres, wenn auch nicht gerade dieses.

Neunzehntes Kapitel

Denn wahr ist, Herr, dass du Himmel und Erde gemacht hast; wahr ist es, dass deine Weisheit der Anfang ist, in dem du alles gemacht hast. Ferner ist es wahr, dass diese sichtbare Welt ihre zwei großen Teile habe, wenn man die ganze Schöpfung der gemachten und gebildeten Wesen kurz in die zwei Worte Himmel und Erde zusammenfasst. Wahr ist es, dass alles Wandelbare unserer Erkenntnis eine gewisse Gestaltlosigkeit mitteilt, worin es Gestalt gewinnt oder worin es sich verändert umwandelt. Wahr ist es (dass die Gestaltlosigkeit), dass das, was so mit der unveränderlichen Gestalt vereinigt ist, obwohl veränderlich, doch nicht verändert wird und der Herrschaft der Zeit nicht unterliegt. Wahr ist es, dass die Gestaltlosigkeit, die dem Nichts nahe ist, keinen Wechsel der Zeit erfahren kann. Wahrheit ist es, dass das, woraus etwas wird, nach einer gewissen Redeweise schon den Namen der Sache trägt, die daraus hervorgeht; daher konnte jene Gestaltlosigkeit Himmel und Erde genannt werden, woraus Himmel und Erde gebildet wurde. Wahr ist es, dass von allen Gestalten nichts dem Ungestalteten näher steht als Erde und Tiefe. Wahr ist es, dass du nicht bloß allem Geschaffenen und Gestalteten, sondern auch allem, was geschaffen und gebildet werden kann, das Dasein gegeben hast, du, von dem alles ist. Wahr ist es, dass alles, was aus dem Ungestalteten eine Gestalt gewann, zuerst ungestaltet war, bevor es Gestalt gewann.

Zwanzigstes Kapitel

Aus all diesem Wahren, an dem niemand zweifelt, dem es verliehen ist, solches mit dem inneren Auge zu schauen, und der unerschütterlich glaubt, dass dein treuer Diener Moses im Geiste der Wahrheit gesprochen habe; aus all diesem Wahren hebt der eine dies hervor, wem im Anfang schuf Gott Himmel und Erde; das heißt, „durch sein Wort, das mit ihm gleich ewig ist, schuf Gott die übersinnliche und sinnliche oder die geistige und körperliche Schöpfung“. Ein zweiter hebt ein anderes hervor, wenn er sagt: Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde, das heißt, „in seinem Worte, das mit ihm gleich ewig ist, schuf Gott jene allgemeine Masse dieser körperlichen Welt mit allen sichtbaren und bekannten Wesen, die sie enthält“. Ein dritter entnimmt ein anderes, wenn er sagt: Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde, das heißt, „in seinem Worte, das mit ihm gleich ewig ist, schuf Gott die ungestaltete Materie der leiblichen Schöpfung, wo noch Himmel und Erde vermischt waren, die wir jetzt geschieden und gestaltet in dem Gebäude dieser Welt bemerken“. Ein vierter sagt: Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde, das heißt, „beim Beginn des Schaffens und Wirkens schuf Gott die ungestaltete Materie, die Himmel und Erde noch ungeordnet in sich umfasste, woher diese gebildet nun hervortreten und mit allem erscheinen, was in ihnen ist“.

Einundzwanzigstes Kapitel

Was nun ferner den Sinn der folgenden Worte betrifft, so hebt auch hier aus allem Wahren der eine etwas hervor, wenn er sagt: Die Erde war wüst und leer und es war finster auf der Tiefe, das heißt, „jenes Materielle, was Gott schuf, war der nur noch ungestaltete Stoff der körperlichen Dinge, ohne Ordnung, ohne Licht. Ein anderer sagt: Die Erde war wüst und leer und es war finster auf der Tiefe, das heißt, „das Ganze, was Himmel und Erde genannt wurde, war noch eine ungestaltete und finstere Masse, aus der der körperliche Himmel und die körperliche Erde gebildet werden sollte mit allem, was wir auf ihnen mit den Sinnen wahrnehmen“. Ein dritter sagt: Die Erde war wüst und leer und es war finster auf der Tiefe, das heißt, „das Ganze, was Himmel und Erde genannt wurde, war die noch ungestaltete und finstere Masse, woraus der übersinnliche Himmel hervorgehen sollte, der sonst der Himmel des Himmels genannt wird; und die Erde, die ganze körperliche Natur, mit welchen Worten auch der körperliche Himmel verstanden wird, das heißt, woraus alle unsichtbare und sichtbare Schöpfung hervorgehen sollte“. Ein vierter dagegen sagt: Die Erde war wüst und leer und es war finster auf der Tiefe; „nicht jene Gestaltlosigkeit bezeichnete die Schrift mit den Worten Himmel und Erde, sondern diese Gestaltlosigkeit selbst war es, die sie eine wüste und leere Erde und eine finstere Tiefe nennt und von der sie vorher gesagt hatte, dass aus ihr Gott Himmel und Erde gemacht habe, nämlich die geistige und sinnliche Schöpfung.“ Endlich sagt ein anderer: Die Erde war wüst und leer und es war finster auf der Tiefe, das heißt, „die Gestaltlosigkeit war gewissermaßen schon der Stoff, woraus, wie die Schrift schon vorher sagte, Gott Himmel und Erde schuf, nämlich das ganze sinnliche Gebäude der Welt in ihren zwei großen Teilen, dem oberen und dem unteren, mit allen gewöhnlichen sichtbaren Geschöpfen, die auf ihnen sind“.

Zweiundzwanzigstes Kapitel

Wenn jemand diesen beiden letzten Erklärungen also zu widersprechen versuchen wollte: „Wenn ihr nicht behaupten wollt, dass diese Gestaltlosigkeit des Stoffes mit den Worten Himmel und Erde bezeichnet werde, so war also bereits etwas vorhanden, was Gott nicht geschaffen hatte, um daraus Himmel und Erde zu schaffen; denn die Schrift erzählt nicht, dass Gott diesen Stoff geschaffen hat, es sei denn, dass wir zugeben, dass mit den Worten Himmel und Erde bloß die Erde bezeichnet werde, wenn gesagt wird, im Anfang schuf Gott Himmel und Erde, sowie das, was folgt, die Erde war wüst und leer, obgleich es gefallen hat, den ungestalteten Stoff so zu benennen, so verstehen wir darunter doch nur den Stoff, den Gott nach den vorhergehenden Worten, Gott schuf Himmel und Erde, geschaffen hat. Dann werden die, welche diese beiden Ansichten, diese oder jene, die wir zuletzt anführten, aufstellen, wenn sie dieses hören, erwidern und sagen: Wir leugnen zwar nicht, dass diese ungestaltete Materie von Gott geschaffen sei, von dem Gott, von dem alles Gute stammt; wie wir aber sagen, dass das weniger gut ist, - was mit der Fähigkeit geschaffen ist, dass es umgeschaffen und gestaltet werden kann, dass es aber doch gut ist; die Schrift aber hat nicht erwähnt, dass Gott die Gestaltlosigkeit geschaffen habe, ebenso, wie sie vieles andere nicht erwähnt, als: die Cherubim und Seraphim und was der Apostel ausdrücklich anführt, Thronen, Herrschaften, Fürstentümer, Gewalten, die doch Gott offenbar geschaffen hat. Wenn alles in den Worten, Er schuf Himmel und Erde, enthalten sei, was sagen wir dann von den Wassern, auf denen der Geist Gottes schwebte? Denn wenn sie unter der Benennung Erde zugleich mit begriffen sind, wie kann dann unter dem Namen Erde die ungestaltete Materie verstanden werden, wenn wir die schönen Wasser sehen? Oder wenn es so verstanden wird, warum steht dann geschrieben, dass aus eben dieser Gestaltlosigkeit das Firmament gemacht und Himmel genannt wurde, während nicht gesagt ist, es seien daraus die Wasser gebildet? Denn das ist nicht mehr gestaltlos und leer, dass wir so herrlich dahinfließen sehen. Oder haben sie damals jene Gestalt erhalten, als Gott sprach, es sammele sich das Wasser unter dem Himmel an besondere Örter, so dass das Sammeln selbst das Gestalten ist; was sollen wir da in Beziehung der Wasser erwidern, die über dem Firmamente sind? Denn ungestaltet hätten sie einen so ehrenvollen Platz nicht verdient, auch steht nicht geschrieben, durch welche Stimme sie gestaltet sind. Wenn die Genesis verschweigt, dass Gott etwas geschaffen habe, was weder dem gesunden Glauben noch der gewissen Erkenntnis zweifelhaft ist, dass Gott es dennoch geschaffen habe, so wird doch deshalb der gesunde Verstand nie zu behaupten wagen, diese Wasser seien mit Gott gleich ewig, weil wir sie in dem Buche der Genesis zwar erwähnt finden, aber nicht lesen, wann sie geschaffen sind; warum sollen wir nicht, unter Belehrung der Wahrheit, erkennen, dass auch jener ungestaltete Stoff, welchen die Schrift wüst und leer und die finstere Tiefe nennt, aus Nichts erschaffen sei und deshalb mit ihm nicht gleich ewig, obgleich jene Erzählung zu sagen unterlassen hat, wann er geschaffen sei?“

Dreiundzwanzigstes Kapitel

Nachdem ich nun diese Ansichten nach der Schwachheit meiner Fähigkeit, die ich dir, meinem allwissenden Gott, bekenne, gehört und erwogen habe, erkenne ich, dass zwei Arten verschiedener Ansichten möglich sind, wenn von glaubhaftigen Zeugen irgend etwas in Bildern mitgeteilt wird: erstens, dass eine verschiedene Meinung über die Wahrheit der Dinge, zweitens über die Meinung dessen besteht, der berichtet. Denn etwas anderes ist es, zu fragen, was in Beziehung auf die Schöpfungsgeschichte wahr ist, etwas anderes aber ist es, zu fragen, was Moses, der ausgezeichnete Diener deines Glaubens, mit diesen Worten dem Leser und Hörer hat sagen wollen. Hinsichtlich der ersten Frage bin ich verschiedener Meinung von allen denen, die der Meinung sind, sie wüssten, was falsch sei. Hinsichtlich der zweiten Frage trenne ich mich ebenso von allen, welche meinen, Moses habe, was falsch ist, gesagt. Vielmehr werde ich mich denen anschließen und mich mit ihnen in dir erfreuen, die sich in deiner Wahrheit, in der Fülle der Liebe ihre Nahrung suchen; wir wollen vereint zu den Worten deines Buches treten und wollen in ihm deinen Willen suchen, nach dem Willen deines Dieners, durch dessen Feder du uns dies mitgeteilt hast.

Vierundzwanzigstes Kapitel

Indes, wer von uns wird bei so vielem Wahren, das sich, bei dem abweichenden Verständnis jener Worte, dem Forschenden darbietet, den völlig erschöpfenden Gedanken finden, so dass er mit ebenso vollständiger Zuversicht zu sagen vermöchte, dieses habe Moses gemeint und dieses habe er in jener Erzählung sagen wollen, als er mit Zuversicht sagen kann, dies sei wahr, sei es, dass er dies besonders gemeint habe, oder nicht? Siehe, mein Gott, ich, dein Diener, der ich dir das Opfer des Bekenntnisses in diesem Buche gelobt habe, ich bitte, dass ich durch deine Barmherzigkeit dir meine Gelübde erfülle; siehe, wie zuversichtlich ich sage, du hast durch dein unwandelbares Wort alles geschaffen, Unsichtbares und Sichtbares; kann ich mit derselben Zuversicht sagen, dass Moses nichts anderes als dieses gemeint habe, als er die Worte schrieb: Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde? Nicht so wie ich jenes in der Wahrheit als gewiss erkenne, erkenne ich in seinem Geiste, er habe jenes gedacht, als er dieses schrieb. Denn er konnte, als er sagte.- Im Anfang, an den Anfang des Schaffens selbst denken; er konnte hier auch unter Himmel und Erde eine noch ungebildete und unvollendete, aber bereits angefangene und noch unausgebildete geistige oder körperliche Schöpfung verstanden wissen wollen. Ich sehe, dass jede dieser Ansichten, die ausgesprochen wurden, wirklich aufgestellt werden konnte; welche von diesen Ansichten er aber bei diesen Worten gehabt habe, das erkenne ich nicht in dieser Weise, obgleich ich gewiss bin, dass jener große Mann, mag er nun etwas von dem gedacht haben, was ich anführte, oder etwas anderes, was ich nicht erwähnt habe, im Geiste gesehen haben, als er diese Worte schrieb, Wahres gesehen und auf angemessene Weise berichtet habe.

Fünfundzwanzigstes Kapitel

Niemand sei mir noch lästig dadurch, dass er zu mir sagt: Moses hat nicht gemeint, was du sagst, sondern er hat gemeint, was ich sage. Denn wenn er mir sagte: „Woher weißt du, dass Moses gemeint habe, was du in seinen Worten findest?“, so müsste ich es ruhig ertragen und ihm etwa erwidern, was ich bereits oben sagte, oder vielleicht noch ausführlicher, wenn er noch hartnäckiger darauf bestehen sollte. Wenn er aber sagte: *Das hat er nicht gesagt, was du sagst, sondern was ich sage“, und doch nicht bestreitet, dass beides, was jeder von uns sagt, wahr sei, dann, o mein Gott, du Leben der Armen, in dessen Innerem kein Widerspruch gegen die Wahrheit wohnt, gieße in mein Herz Ströme der Milde, auf dass ich die Menschen geduldig ertrage, was sie sagen, sondern weil sie voll Hochmut sind und nicht die Gedanken von Moses kennen, sondern nur die ihrigen heben, nicht weil sie wahr sind, sondern weil sie die ihrigen sind. Sonst würden sie ja die Ansicht anderer nicht ebensosehr lieben, wenn sie wahr ist, wie ich liebe, was sie sagen, wenn sie sagen, was wahr ist; nicht weil es ihre Meinung ist, sondern weil es wahr ist; und deswegen weil es wahr ist, ist es nicht mehr das ihrige. Wenn sie es aber deswegen lieben, weil es wahr ist, so ist es sowohl das Ihrige, wie das Meinige, das allen Freunden der Wahrheit gemeinschaftlich gehört. Aber gerade das, dass sie behaupten, Moses habe nicht gemeint, was ich sage, sondern was sie sagen, das will ich nicht, das liebe ich nicht; denn auch wenn es so wäre, gibt ihnen diese Vermessenheit nicht die Wissenschaft, sondern der Hochmut; nicht ein Schauen, sondern Stolz erzeugt sie. Deswegen sind deine Gerichte, Herr, schrecklich; weil deine Wahrheit nicht mir gehört nicht diesem oder jenem, sondern uns allen, die du öffentlich zu ihrer Teilnahme berufest mit der ernstesten Erinnerung, dass wir dieselbe nicht allein für uns besitzen sollen, um ihrer nicht gänzlich beraubt zu werden. Denn jeder, der für sich in Anspruch nimmt, was du für alle bestimmst, und der das als das Seinige ansieht, was das Gut aller ist, wird von dem Gemeinsamen auf das Seinige zurückgedrängt, das heißt, von der Wahrheit zur Lüge. Wenn er die Lüge redet, so redet er von seinem Eigenen.

Höre, du gerechtester Richter, Gott, der du die Wahrheit bist, höre, was ich diesen Widersachern erwidere, höre; denn ich spreche vor deinem Angesichte und vor meinen Brüdern, die das Gesetz, dessen letztes Ziel die Liebe ist, auf die rechte Weise gebrauchen; höre und siehe, was ich ihnen sage, wenn es dir gefällt. Ich erwidere ihnen diese brüderlichen und friedlichen Worte: Wenn wir beide erkennen, dass dies wahr ist, was du sagst, woher, ich bitte dich, können wir dies erkennen? Gewiss, weder ich in dir noch du in mir, sondern wir beide in der unwandelbaren Wahrheit, die weit über unseren Geist erhaben ist. Wenn wir also nicht über das Licht unseres Herrn und Gottes streiten, warum wollen wir über den Gedanken des Nächsten streiten, der unserem Geiste nicht zugänglich ist wie die unwandelbare Wahrheit; denn wenn selbst Moses uns sagte, „dies habe ich gemeint“, wir würden auch dann den Gedanken nicht so erkennen, sondern müssten wir nicht wiederum glauben? Nicht soll jemand höher von sich halten, denn jetzt geschrieben ist, auf dass sich nicht einer wider den andern um jemandes willen aufblase. Wir sollen Gott unseren Herrn heben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüte und unseren Nächsten als uns selbst. Wenn wir nicht glaubten, dass in Beziehung auf diese beiden Gebote der Liebe Moses alles das gemeint habe, was er in seinen Büchern gemeint hat, so würden wir Gott zum Lügner machen, da wir von dem Geiste des Mitknechtes anders denken, als er gelehrt hat. Siehe endlich, wie töricht es ist, unter so vielen völlig aufrichtigen Ansichten, die man in jenen Worten finden kann, verwegen behaupten zu wollen, welche von ihnen Moses vorzugsweise gemeint habe, und in verderblichem Streite die Liebe selbst zu verletzen, um deretwillen er, dessen Worte wir zu erklären wagen, alles gesagt hat.

Sechsundzwanzigstes Kapitel

Und doch, mein Gott, du Ruhm meiner Niedrigkeit und Ruhe in meiner Mühsal, der du meine Bekenntnisse vernimmst und mir meine Sünden vergibst, weil du mir gebietest, meinen Nächsten zu lieben wie mich selbst, kann ich annehmen, dass dein treuer Diener Moses weniger Gaben empfangen habe, als ich von dir gewünscht und begehrt hätte, wenn ich in jener Zeit, worin er lebte, gelebt hätte und du mich an jene Stelle gesetzt hättest, also dass durch den Dienst meines Herzens und meiner Zunge jene Schriften hätten verfasst werden sollen, die so lange nachher allen Völkern zum Heile dienen sollten und auf dem Erdkreise durch ihr unermessliches Ansehen die Worte aller Lehren der Lüge und des Hochmutes niederwerfen sollten? Ich hätte gewünscht, wenn ich damals Moses gewesen wäre - wir gehen ja alle aus derselben Materie hervor; und was ist der Mensch, dass du seiner gedenkest? - ich hätte also gewünscht, wenn ich damals gewesen wäre, was er war, und wenn es meine Aufgabe von dir gewesen wäre, das Buch der Genesis zu schreiben, mir wäre eine solche Kraft der Rede verliehen worden und eine solche Art, meine Gedanken auszudrücken, dass die, welche noch nicht begreifen können, wie Gott schafft, meine Worte, die über die Kraft ihres Geistes hinausgingen, nicht hätten widerlegen können, und die, welche dieses zu begreifen bereits imstande sind, auf welchen wahren Sinn sie auch immer mit ihren Gedanken stießen, finden möchten, auch er sei in den wenigen Worten deines Dieners nicht übergangen; und wenn ein anderer wieder einen andern Sinn im Lichte der Wahrheit fände, dass auch dieser in denselben Worten enthalten wäre.

Siebenundzwanzigstes Kapitel

Wie eine Quelle in geringem Raume reicher ist und in mehreren Bächen größere Strecken bewässert als jeder einzelne Bach, der aus dieser Quelle hervorgeht und über große Strecken dahinfließt, so entquillt die Erzählung deines treuen Dieners, die so vielen anderen Verkündigern dienen sollte, in ihrer einfachen Art der Rede wie ein Strom lauterer Wahrheit, aus dem jeder das Wahre schöpft, der eine dies, der andere jenes, wie er es fassen kann, durch die Krümmungen langer Schlüsse. Denn wenn die einen diese Worte lesen oder hören, so denken sie sich Gott als einen Menschen oder als ein materielles Wesen mit einer unbegrenzten Macht, das durch einen neuen und plötzlichen Entschluss außer sich und in entfernten Räumen Himmel und Erde geschaffen habe, zwei große Körper, den einen oben, den andern unten, die alles umfassten. Und wenn sie hören, Gott sprach, es werde und es ward, dann denken sie sich wirklich Worte, die anfingen und endeten, in der Zeit ertönten und vorübergingen, nach deren Verklingen sogleich der Gegenstand da wäre, der nach Seinem Befehle da sein sollte, und ähnliches, was sie sich alles in dieser Weise ihres fleischlichen Geistes denken. In diesen noch unmündigen Wesen wird, während ihre Schwäche durch die große Einfalt der Sprache gleichsam wie im mütterlichen Schoße getragen wird, der Glaube heilsam erbauet, dass Gott alle diese Dinge geschaffen, die ihre Sinne in ihrer wunderbaren Mannigfaltigkeit um sich her erblicken. Wenn aber irgend jemand von ihnen diese niedrige Schreibart verachten und in vermessener Schwachheit seine tragende und nährende Wiege verlassen wollte, der Unglückliche würde elend dahinfallen. Herr mein Gott, erbarme dich, dass nicht die, welche des Weges vorübergehen, das zarte Junge zertreten, und sende deinen Engel, dass er es wieder in sein Nest trage, damit es nun leben bleibe, bis es fliegen kann.

Achtundzwanzigstes Kapitel

Andere dagegen, für welche diese Worte kein Nest mehr sind, sondern schattiges Gebüsch, erblicken die in ihnen verborgenen Früchte, fliegen fröhlich umher, suchen schwatzend und pflücken sie. Denn wenn sie diese Worte lesen oder hören, sehen sie, mein Gott, dass deine unwandelbare Ewigkeit über alle vergangenen und zukünftigen Zeiten erhaben ist und dass es doch nichts in der zeitlichen Schöpfung gibt, was du nicht geschaffen hast, der du selbst dein eigener Wille bist, in welchem sich nichts ändert oder Neues entsteht, was nicht schon vorher dagewesen wäre und kraft dessen du alles geschaffen hast; aber nicht dein Ebenbild aus deinem Wesen, das Urbild aller Dinge, sondern aus nichts das Gestaltlose, das dir unähnlich, aber durch dein Ebenbild gestaltet werden sollte, so dass jede Art von Geschöpfen sich dir, dem Allmächtigen, nach dem ihr verliehenen Vermögen anschlösse, und dass alles sehr gut würde, möge es mit dir vereint bleiben oder stufenweise der Zeit und dem Raume nach sich von dir entfernend die herrliche Mannigfaltigkeit des Alls bewirken oder erleiden. Dies sehen sie und freuen sich im Lichte deiner Wahrheit, soviel sie hier es vermögen.

Ein anderer von ihnen sieht auf das, dass gesagt ist, im Anfang schuf Gott, und versteht unter dem Anfange die Weisheit, weil auch sie selbst zu uns spricht. Ein anderer sieht ebenfalls auf diese Worte und versteht unter dem Anfang das Entstehen der geschaffenen Dinge, und so fasst er, im Anfang schuf Gott, auf, als wenn gesagt wäre, zuerst schuf er. Von denen, die unter im Anfang verstehen, in der Weisheit hast du Himmel und Erde gemacht, meint der eine, Himmel und Erde sei der noch zu erschaffende Stoff des Himmels und der Erde genannt; ein anderer sieht darin die bereits gebildeten verschiedenen Wesen; noch ein anderer ein gestaltetes, und zwar geistiges Wesen unter dem Worte Himmel und eine ungestaltete körperliche Materie unter dem Namen Erde. Die aber unter dem Namen Himmel und Erde eine noch ungestaltete Materie verstehen, aus der Himmel und Erde gebildet werden sollen, die fassen auch dies auf verschiedene Weise auf. der eine versteht darunter die geistige und leibliche Schöpfung, der andere erkennt darin nur das, woraus jene sichtbare körperliche Masse, die in ihrem großen Schoße sichtbare und erkennbare Wesen birgt, vollendet werden sollte. Auch die sind nicht eins, die der Ansicht sind, dass die bereits geordneten und ausgebildeten Geschöpfe an dieser Stelle Himmel und Erde genannt würden; sondern der eine versteht darunter die unsichtbare und sichtbare Schöpfung; der andere bloß die sichtbare, in der er den lichtvollen Himmel erblickt und die finstere Erde und was auf ihnen ist.

Neunundzwanzigstes Kapitel

Aber der, welcher das: Im Anfang schuf Gott in dem Sinne versteht, als wenn gesagt würde, zuerst schuf Gott, der kann sich in Wahrheit unter Himmel und Erde nichts anderes vorstellen als den Stoff des Himmels und der Erde, nämlich der ganzen, das heißt, der geistigen und leiblichen Schöpfung. Denn wenn er sie sich als bereits ganz gestaltet denken will, so könnte man ihn mit Recht fragen: „Wenn Gott dies zuerst schuf, was hat er denn noch nachher gemacht?“ Nach dieser vollendeten Schöpfung wird er nichts mehr finden und wird wider seinen Willen hören müssen: „Wie hat er dieses zuerst geschaffen, wenn er nachher nichts mehr geschaffen hat?“ Wenn er aber sagt, er hat zuerst das Gestaltlose, dann das Gestaltete gemacht, so ist das nicht ungereimt, wenn er nur fähig ist zu unterscheiden, was durch Ewigkeit, was durch Zeit, was durch Zweck, was durch Ursprung früher ist; durch Ewigkeit, wie Gott allem vorangeht; durch Zeit, wie die Blume der Frucht vorangeht; durch Zweck, wie die Frucht der Blume; durch Ursprung, wie der Ton dem Gesange. Von diesen erwähnten vier Arten ist die erste und die letzte am schwersten zu verstehen, die beiden mittleren am leichtesten. Denn es ist ein seltener und überaus erhabener Anblick, Herr, deine Ewigkeit zu schauen, die, selbst unwandelbar, das Wandelbare schafft und folglich allem vorangeht. Wer hat ferner einen so feinen Sinn, dass er ohne große Mühe zu unterscheiden vermag, wie der Ton früher ist als der Gesang, weil der Gesang ein gestalteter Ton ist und freilich schon etwas da sein kann, was noch nicht gestaltet ist, wie aber das nicht gestaltet werden kann, was überhaupt nicht ist? So ist die Materie früher als das, was daraus gemacht wird; aber nicht deswegen ist sie früher, weil sie die wirkende Ursache ist, da sie vielmehr selbst erst wird; auch ist sie nicht früher in der Ordnung der Zeit. Denn wir bringen nicht zuerst ohne Gesang ungestaltete Töne hervor und bilden dann später daraus die Gestalt des Gesanges, wie wir aus Brettern einen Kasten, aus Silber ein Gefäß machen. Stoffe dieser Art gehen, auch der Zeit nach, der Gestalt der Dinge voran, die daraus gemacht werden; aber bei dem Gesange verhält es sich nicht so, denn wenn gesungen wird, hört man den Ton des Gesanges, aber er ertönt nicht zuvor in ungestalteter Weise, um dann zum Gesange sich zu bilden. Was vorher irgendwie ertönte, das geht vorüber, und man wird an ihm nichts finden, was man zurücknehmen und mit Kunst ordnen könnte; deshalb beruht der Gesang in seinen Tönen, da seine Töne sein Stoff sind. Denn dieser wird nicht gestaltet, damit er zum Gesange werde, und deshalb, wie gesagt, ist der Stoff des Tones früher als die Gestalt des Gesanges, nicht aber früher durch die wirkende Ursache, denn nicht der Ton erzeugt den Gesang, sondern durch den Körper ist er der Seele untertan, damit sie daraus den Gesang bilde. Auch der Zeit nach nicht früher, da er zugleich mit dem Gesange zutage tritt; auch nicht dem Werte nach, denn der Ton hat keinen höheren Wert als der Gesang, weil der Gesang nicht bloß ein Ton ist, sondern ein melodischer Ton. Aber früher dem Ursprunge nach; denn der Gesang wird nicht gebildet, damit der Ton sei, sondern der Ton, damit der Gesang sei. Dieses Beispiel läßt uns erkennen, dass die Materie der Dinge zuerst geschaffen und Himmel und Erde genannt ist, weil daraus Himmel und Erde gemacht sind; aber der Zeit nach nicht zuerst geschaffen, weil die Gestalten der Dinge erst die Zeiten hervorgehen lassen, jene Materie aber war ungestaltet und wurde erst zugleich in der Zeit wahrgenommen, und doch läßt sich von ihr nichts anderes sagen, als dass sie gleichsam der Zeit nach früher ist, obgleich sie geringer zu achten, weil gewiss das Gebildete vollkommener ist als das Ungebildete, obwohl die Ewigkeit des Schöpfers diesem vorangeht, damit aus dem Nichts etwas entstände, um daraus etwas zu bilden.

Dreißigstes Kapitel

Bei dieser Mannigfaltigkeit von wahren Meinungen möge die Wahrheit selbst die Übereinstimmung erzeugen und möge unser Gott sich unser erbarmen, dass wir einen rechten Gebrauch machen und wir alle eins seien in der Liebe, die des Gesetzes Endzweck ist; wenn mich daher jemand fragt, was Moses von diesem allem gemeint habe, so sind dies nicht Reden, die zu meinen Bekenntnissen passen, wofern ich dir nicht bekenne, ich weiß es nicht, und doch weiß ich, dass diese Meinungen wahr sind, mit Ausnahme der grob sinnlichen, über die ich auch soviel als nötig meine Ansicht geäußert habe. jene hoffnungsvollen Kleinen mögen die Worte deines Buches, in ihrer Einfalt so erhaben und in ihrer Kürze so reich, nicht abschrecken. Aber wir alle, die wir, wie ich bekenne, in diesen Worten Wahres erkennen, lasst uns gegenseitig lieben und uns ebenso dich lieben, unseren Gott, die Quelle der Wahrheit, wenn wir nicht nach Eitlem, sondern nach ihr dürsten, und lasst uns ebenso deinen Diener, den Spender dieser Schrift, voll deines Geistes, also ehren, dass wir glauben, dass er diese Worte durch deine Eingebung geschrieben habe, was durch das Licht der Wahrheit wie durch den heilsamen Erfolg aus ihnen hervorleuchtet.

Einunddreißigstes Kapitel

Wenn daher jemand sagte: „Moses hat gemeint, was ich meinte“, und ein anderer, „nein, das, was ich meine“, so glaube ich, würde ich der Furcht Gottes gemäßer sagen: „Warum nicht vielmehr beides, wenn beides wahr ist?* Und wenn noch ein dritter und noch ein vierter in diesen Worten überhaupt etwas anderes als alles dieses erkannt habe, durch den Gott die heiligen Schriften dem Fassungsvermögen so vieler anpasste, die darin einen so verschiedenen und doch wahren Sinn finden sollten? Ich wenigstens erkläre unerschrocken aus der Tiefe meines Herzens, schriebe ich etwas von so großer Bedeutung, so wünschte ich lieber so zu schreiben, dass meine Worte nachklängen, was jeder Wahres aus diesen Worten zu nehmen imstande wäre, als dass ich die wahre Meinung so bestimmt beschränken sollte, dass ich alle anderen ausschlösse, wenn mich ihre Unrichtigkeit nicht verletzte. Ich will daher nicht vermessen sein, mein Gott, dass ich glauben könnte, jener große Mann habe dieses Vorrecht von dir nicht empfangen. Als er dieses schrieb, hat er gewiss bei jenen Worten empfunden und gedacht, was wir bis jetzt darin finden konnten, und selbst was wir darin nicht finden konnten, was aber in ihnen verborgen liegt.

Zweiunddreißigstes Kapitel

Endlich, Herr, der du Gott bist und nicht Fleisch und Blut, wenn auch ein Mensch dieses alles nicht gesehen hätte, konnte es deshalb deinem Geiste der Güte, der mich den ersten Weg leiten wollte, verborgen bleiben, was du selbst in späterer Zeit denen, die deine Worte lesen, offenbaren wolltest, obgleich jener, durch den sie gesprochen, vielleicht nur an eine der vielen Meinungen gedacht hat? Wenn es sich so verhält, dann wäre freilich diejenige, an die er dachte, vortrefflicher als alle. Uns aber lehre sie, Herr, oder wenigstens eine andere wahre, dass du uns entweder dasselbe offenbarst, was du auch jenem Manne offenbarst, oder uns vermittels dieser Worte beweisest, dass du uns doch weidest und uns kein Irrtum täusche. Siehe, Herr, mein Gott, wie vieles habe ich über so wenige Worte geschrieben, wie vieles, ich bitte dich! Würden alle unsere Kräfte, alle unsere Zeit in dieser Weise allen deinen Büchern genügen? Lass mich also kürzer in ihnen dir bekennen und irgend etwas wählen, was du als wahr, gewiss und gut eingabest, wenn auch vieles mir entgegentrat, wo so vieles mir entgegentreten kam; lass mein Bekenntnis so treu sein, dass, wenn ich sage, was dein Diener gemeint hat, ich es richtig und gut ausdrücke; denn darauf muss mein Streben gerichtet sein; wenn ich diesen Sinn nicht träfe, möchte ich wenigstens sagen, was deine Wahrheit mir durch seine Worte sagen wollen, die auch ihm gesagt hat, was sie wollte.

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