Arnold, Gottfried - Geistliche Erfahrungs-Lehre - Das 6. Capitel.

Arnold, Gottfried - Geistliche Erfahrungs-Lehre - Das 6. Capitel.

Von der Fürbitte des Hohenpriesters Jesu.

Wir haben einen Fürsprecher bei dem Vater, Jesum Christ, der gerecht ist. 1 Joh. 2,1.

1. Als der heilige Johannes das Gesicht von den sieben Posaunen und den darauf folgenden Plagen sahe, wie solche über die, so auf Erden mit ihren Begierden wohnen, kommen würden; da sahe er auch zuvor, wie Gott der Herr die Seinen würde retten und zwar durch die Fürbitte ihres ewigen Hohenpriesters Jesu Christi, der auch für, in und mit ihnen würde um Rettung beten. Offenb. 8,3.4.

2. Denn es kam ein anderer oder besonderer Engel, welcher war Jesus Christus, der insonderheit gewisser Verrichtungen halber der Engel des Bundes heißt; als des Vaters Gesandter zum Heil. 1 B Mose 28,15. 32,9.11. Mal. 3,1. Derselbe trat bei den Altar, und hatte ein güldenes Rauchfaß, er agieret und ordnet durch seine Kraft die wahre Anbetung des Vaters im Geist und in der Wahrheit, welche als ein Altar nach dem Vorbild des Alten Testaments ist, worauf geistliche Opfer gebracht werden dem Herrn zum Wohlgefallen, nemlich, wenn die Gläubigen sich ganz und gar Gott überlassen und dargeben.

3. Hiezu bringt er sein güldenes Rauchfaß, d. i. seinen Sinn und Willen, der allein mit des Vaters Sinn eins ist, und sein mitleidiges Erbarmen, worin er alles Verlangen der Seelen und alle Noch zusammen fasset, als feurige Kohlen des Geistes und des Glaubens; daher die Begierden der Auserwählten vor Gott brennen und glühen in heißer Brunst gegen Gott, und im Kampf um ihre Erlösung, daß sie sich mit Christi Herzen vereinigen, und darin allein vor den Vater kommen wollen. . Wie es heißt: Das Herz uns werd' entzündet in rechter Liebe des Glaubens rein.

4. Hier wird ihm viel Rauchwerks gegeben, oder die nöthige Kraft und Gnade empfangt er vom Vater, das er gebe zum Gebet aller Heiligen auf den güldenen Altar vor dem Stuhl. Und dieß ist der Rauch des Rauchwerks vom Gebet der Heiligen. Denn die Heiligen, so viel sie auch Gnade möchten empfangen haben, besitzen doch nichts Gutes aus sich selbst, und also auch nicht den Geist des Gebets, sondern der Hohepriester in Ewigkeit, Jesus Christus, muß es ihnen erstlich geben zu ihren Gebeten und Danksagungen.

5. Alsdann, wenn Christus ihnen Gnade schenkt, so gehet von ihren Herzen eine Kraft des süßen Geruchs auf, welchen Gottes Herz empfindet als einen Rauch von köstlichen Specereien. Denn das Gebet eines Gerechten, wenn es recht ernstlich und inbrünstig ist, gleichet einem solchen lieblichen Duft und Dampf, wie David bittet: Ps. 141,2. Mein Gebet müsse vor dir liegen wie ein Rauchopfer, meiner Hände Aufheben wie ein Abendopfer.

6. Solcher angenehme Rauch gehet dann auf, steiget überwärts, oder suchet Gottes Herz, und läßt nicht ab, bis er breche und sich erbarme: d. i. es beweget ihren himmlischen Vater, daß er darein sehe und die Seynen errette in einer Kürze, die Tag und Nacht so zu ihm schreien. Luc. 18,6. Und zwar wird es erhört, nicht sowohl um der Menschen willen, als des Sohnes willen. Denn es kommt solch' Gebet nicht von ihnen selbst, sondern von der Hand des Engels vor Gott, durch seine Fürbitte, kraft seines Leidens und Sterbens. Also kam Daniels und Cornelii Beten und Weinen hinauf in's Gedächtniß vor Gott, d. i. es erreichte seinen Zweck, wozu es geschehen war, und wurde erfüllet. Dan. 9,23. Ap. Gesch. 10,4.

7. Dieses hochtheure Amt Christi wurde im Alten Bunde vorgebildet durch den Hohenpriester, der da zu gewisser Zeit bei dem Sündopfer mit einem Rauchfaß hinein hinter den Vorhang gehen, und vor dem Herrn räuchern mußte, daß der Nebel den Gnadenstuhl bedeckte, damit er nicht stürbe, nach 3 B. Mose 16, 10.f. Also muß auch Jesu Fürbitte die bußfertigen Sünder vertreten, daß sie nicht sterben.

8. Wie nun ein Gebet ohne Kraft, Ernst und Brünstigkeit abgehet, wenn es ohne Christo und seinen Geist geschiehet, und so laulich dahin gethan wird: so ist hingegen lauter Leben und Geist in den Gebeten der Heiligen, zu welchen der Hohepriester seilst sein Rauchwerk dargibt, nemlich seinen Geist und Sinn, der allein mit dem Vater einstimmt. Deßhalben wir alle in unsern Gebeten unaufhörlich die Gnade Jesu Christi sollen suchen, und uns mit ihr durch den Glauben vereinigen, damit wir nie unerhört bleiben. Und dieses ist das eine Hauptwerk seines hohenpriesterlichen Amtes, welches mit dem ersten, nemlich mit seiner Versöhnung aufs Genaueste verbunden ist.

9. Wir haben also das andere Stück von dem Amt des Hohenpriesters Jesu zu betrachten, nemlich Christi hohenpriesterliche Fürbitte, und zwar 1) den Fürbitter, 2) die Verbetene, 3) die Fürbitte selbst, und 4) die Erhörung derselben.

10. Der Fürbitter für die Menschen ist eben derjenige, der ihr Versöhner und Erlöser worden ist, Jesus Christus, Gott und Mensch. Dieser war im Alten Bunde vorgebildet durch den Hohenpriester, welcher zu gewisser Zeit das Rauchwerk obbemeleter Maßen handlen mußte, und also die Menschen verbitten. Insonderheit bildete ihn Aaron ab, als er bei entbranntem Zorn Gottes das Volk aussühnete.

11. Denn gleich wie dieser Hohepriester bei angegangener Plage das Rauchfaß nahm, und mit dem Rauchwerk mitten unter die Gemeine lief, und räucherte, und versöhnete das Volk, und stund zwischen den Todten und Lebendigen, daß der Plage gewehret ward. 4 B. Mose 16,48. Also war der Zorn des Vaters über alle Menschen entbrannt durch den Fall, und die Plage erfolgte, daß sie sterben mußten. Siehe, da trat der Sohn der Liebe aus Erbarmen mitten unter sie, und versöhnte sie mit seiner kräftigen Fürbitte.

12. Deßwegen finden wir ihn immer in den evangelischen Historien mitten unter den Leuten wandeln, und im Gebet und Versöhnen beschäftiget. Ja dazu hat er auch selbst unsere Natur angenommen, damit die Plage dieselbe nicht gar im Zorn Gottes auffresse. Ja er hat dazu selbst an seinem Leibe auf dem Holze unsere Sünden geopfert, und also das rechte Schuldopfer gebracht, damit uns alle Sünde erlassen würde.

13. Aus diesem seinem Opfer, dadurch er einmal in das Heilige eingegangen ist, hat er nun auch Recht und Fug, von dem Vater unser Heil zu begehren. Ein Fürbitter muß nicht nur mit dem wohl dran seyn, bei dem er verbittet, und ein Recht und Zutritt zu ihm haben, sondern auch an denen, die er verbittet, Theil haben, und mit ihnen in gewissem Maße verwandt seyn. Und so ist es mit Christo, sowohl nach seiner göttlichen als menschlichen Natur. Denn er ist nicht nur nach seiner Gottheit der Sohn der Liebe, der geliebte Sohn, an dem der Vater Wohlgefallen hat, Matth. 3,17. Eph. 1,6. 5,2. Col. 1,14. sondern er hat auch das größte Mitleiden mit uns, als unser Verwandter, und hat also nach seiner Menschheit mit Leiden und Sterben solch' Recht an uns erworben. Daher er auch in seiner Fürbitte getrost sagen konnte: Vater, ich will, nicht nur ich bitte, sondern ich habe auch ein Recht dazu, daß die bei mir seyn, die du mir gegeben hast. Joh. 17,24.

14. Da wir nun einen solchen Hohenpriester haben, Jesum den Sohn Gottes, so lasset uns doch, so viel unser nach der Gnade hungern, hinzu gehen mit wahrhaften Herzen, in völligem Glauben, besprenget in unsern Herzen, und los vom bösen Gewissen. Ebr. 10,22. Unser natürliches Elend sollte uns ja wohl treiben und lehren, daß wir uns recht zu ihm drängten und ihm nacheilten, weil wir ohne ihn in äußersten Nöthen verderben müßten.

15. Rufet er doch deßwegen alle Mühselige und Beladene zu sich. Und welcher unter den Menschen ist nicht also beschaffen nach seiner Natur? Matth. 11,28. Jener Taube und Stumme ließ sich in seiner Noth zu ihm bringen, und hat ihn durch Andere, daß er die Hände auf ihn legete. Marc. 7,32. Ei, wer wollte noch Bedenken tragen, zu diesem mitleidigen Hohenpriester zu gehen, der alle aufnimmt und erquicket, die zu ihm treten?

16. Wenn aber Jemand nach der Vernunft meinete, er wisse nicht, wie er soll zu Christo kommen; so lerne er doch Acht haben auf sein Herz, ob er nicht in seinem Elend so manchen Zug der Gnade empfindet, so manchen guten Trieb und Regung, so manche Bestrafung? Was ist das anders, als was er sagt: Joh. 6,37. Der Vater ziehe zu ihm, und alsdann körnen wir zu ihm kommen. Siehe, so ziehet der Vater zum Sohn in der Buße, und der Sohn bringet alsdann zum Vater und vertritt uns.

17. Darum laßt uns an Niemand anders denken bei unserm Mangel und Jammer. Und wenn die Vernunft weiter einstreuet, daß gleichwohl Gott die Sünder nicht höre, so laßt uns 2) lernen glauben, wie der Heiland nach der allgemeinen Liebe für alle Menschen bitte, keinen einigen ausgenommen. Denn so gewiß er alle und jede Menschen von Ewigkeit geliebet, auch in der Zeit alle erlöst und versöhnet hat, so gewiß sind die Verbetene insgemein alle Menschen. Sintemal sein Hohenpriesteramt allgemein und unpartheiisch ist, und also auch ein Theil desselben sowohl als das andere alle Menschen angehet.

18. Wir sehen solches aus seinem Verhalten in den Tagen seines Fleisches, da er ja ohne Unterschied alle aufnahm und heilete, sie mochten Juden oder Heiden seyn. Er machte gesund alle, die vom Teufel überwältiget waren. Wie man solches unter andern an dem obgedachten Tauben und Stummen wahrnehmen mag, über den er seufzete und betete.

19. Und Lieber, sind denn nicht auch alle natürliche Menschen an ihrer Seele taub und stumm? Taub sind sie ja alle, die noch nicht erleuchtet, und also mit eröffnetem Verstand durch den heiligen Geist begnadigt sind. Und noch mehr sind es die, so in solcher Taubheit muthwillig bleiben, wie es heißt: Ap. Gesch. 28,26. Mit den Ohren hören sie und verstehen es nicht, sie hören schwerlich.

20. Stumme sind ja solche ebenfalls, weil sie gebunden und gefangen sind in ihren Kräften von der Kraft des bösen Geistes, der ihr Herz und Sinn verstocket, daß sie zu lauter Bösen fertig und geschickt, zum Guten aber todt und stumm sind. Da sind die meisten Leute, sonderlich Richter und Lehrer zum Theil stumm, daß sie nicht reden wollen, was recht ist, und richten, was gleich ist. Ps. 58,2.

21. Die Ursache ist die geheime Kraft der Erbsünde, durch welche Satan Macht bekommen hat die Natur des Menschen einzunehmen, und geistlich zu besitzen, auch seine Kräfte, Sinne und Bewegungen zu hemmen, daß er seinem Schöpfer zum Verdruß, nicht zu Lobe lebet; wie von einem leiblich Stummen und Besessenen steht Matth. 9,32.

22. Alle solche elende und vom Teufel verdorbene Menschen will der Herr Jesus verbitten, sie mögen auch noch so greulich seyn. Denn nach seiner allgemeinen Liebe schließt er keinen davon aus, sondern fasset sie alle zusammen in sein erbarmendes Herz, und bringt sie dem Vater dar, weil er auch für sie sein Blut vergossen hat. Ja, je ärger sie sind von Natur, je kräftiger bittet er um ihre Besserung.

23. Will Jemand diese unendliche Liebe nicht glauben, der sehe nur Jesum am Kreuz an, für welche hat er da? Etwa für die schon Bekehrten? Nein, sondern für die Uebelthäter, wie geweissaget war, Jes. 53,13. Für solche betete er, die die allerärgste Missen that begingen, dergleichen nie geschehen war, und sprach: Vater, vergib ihnen, sie wissen nicht, was sie thun. Luc. 23,34. Siehe doch die unermeßliche Liebe an, da er sie noch beim Vater entschuldiget mit ihrer Unwissenheit. Sollten wir daraus nicht gewiß glauben, daß Christus ohne Ausnahme für Alle und Jede bete, weil sie es ja alle bedürfen, ob sie es schon noch nicht alle begehren.

24. Aber was bedeutet es denn, möchte man sagen, daß der Herr Jesus Joh. 17,9. gleichwohl sagt: Ich bitte nicht für die Welt? die Antwort ist: Er bittet freilich nicht auf solche Weise und mit solcher Frucht in dem besondern Gebet, da er seine Jünger dem Vater überantwortete, für die Welt und unbekehrte Menschen, so wie er für seine Gläubige bittet: Denn er kann nicht also für sie beten, weil sie es selbst hindern, ob er schon herzlich gern eben so für die Bösen bitten will.

25. Dieses soll uns dann nöthigen, daß wir bekümmert seyn, ob auch wir in dem Stande stehen, daß Christi Fürbitte uns zu gut komme. Denen aber hilft sie in der That, die sich lassen von der Welt absondern oder bekehren und bessern. Denn wie es von jenem Menschen heißt, für den Christus seufzete: Er nahm ihn von dem Volk besonders. Also ist dies das erste bei denen, die Christus kräftig vertreten soll; sie müssen sich von der Welt lassen abziehen in Buße und Glauben.

26. Dieß ist die unumgängliche Bedingung, unter welcher uns Gott in Christo auf- und annehmen will, daß wir nemlich alle Correspondenz oder geheime Verbindung und Gefälligkeit mit Gottlosen und Heuchlern auf ewig wegwerfen. Und ob wir schon in gemeiner Liebe stehen bleiben, sollen wir dennoch mit ihren Werken nicht Gemeinschaft haben, wie Gott spricht: 2 Cor. 6,16. Gehet aus von ihnen und sondert euch ab, so will ich euch annehmen, und will euer Gott seyn, und ihr sollt meine Söhne und Töchter seyn.

27. Hieraus können wir verstehen und zusammen reimen, wie Christus zwar für alle Menschen bitte, sonderlich aber für seine Gläubige. Gleichwie er ein Heiland aller ist, und doch sonderlich der Gläubigen. Nemlich für die Unbekehrten bittet er um ihre Bekehrung und Errettung, für die Bekehrten aber um ihre Erhaltung und Vermehrung der Gnade, oder um wahren Wachsthum in allem Guten. Nach dem nemlich einer jeden Seele Zustand ist, nach dem ergehet auch Christi Mittleramt für sie.

28. Weil denn Gläubige auch noch manchen Versuchungen und Sichtungen unterworfen sind, die zu ihrer Bewahrung dienen sollen: Siehe, so vertritt sie Jesu desto kräftiger, auch sogar, ehe sie noch versuchet werden. Sagte er nicht solches dort zu Simon? Luc. 22,32. Ich habe für dich gebeten, daß dein Glaube nicht aufhöre.

29. Und mein, wie unschätzbar ist das Gebet, welches er Joh. 17. für seine Jünger und für alle, die durch ihr Wort an ihn glauben würden, zu seinem himmlischen Vater that, ehe er aus dieser Welt sichtbarlich ging! Wie vertraulich, inniglich, angelegentlich und kräftig redet da der ewige Sohn mit dem Vater, und also Gott mit Gott, und bittet ihnen im Vorrath alles aus, was ihnen in Zeit und Ewigkeit noth ist!

30. Betrachtet nur diese Bitten nach einander Vers 9,11,15,17,20. Heiliger Vater, erhalte sie in deinem Namen, die du mir gegeben hast, daß sie eins seyn, gleich wie wir. Ich bitte nicht, daß du sie von der Welt nehmest, sondern daß du sie bewahrest vor dem Uebel. Heilige sie in deiner Wahrheit, dein Wort ist die Wahrheit.
Ich bitte aber nicht allein für sie, sondern auch für die, so durch ihr Wort an mich glauben werden.
Auf daß sie alle eins seyn in uns, auf daß die Welt glaube, du habest mich gesandt u. s. w.

31. Sehet, so bittet wahrlich der Hohepriester noch für alle, die an ihn glauben wollen, theils, damit er nichts verliere von allem, das ihm der Vater gegeben hat, theils, damit sie nicht an ihm zuschanden werden über ihrer Hoffnung. Wie ihn denn also der prophetische Geist schon im Ps. 69,7. redend einführet: Laß nicht zuschanden werden an mir, die dein harren, laß nicht schamroth werden an mir, die dich suchen. Das heißt ja ein gerechter Fürsprecher bei dem Vater nach 1 Joh. 2,1.
Merklich ist, daß der heilige Johannes bei allen seinen großen Gaben sich hier dennoch selbst nicht ausschließt. wie Augustinus fein anmerket: Sehet, wie Johannes selbst die Demuth in Acht nimmt. Er war gleichwohl ein gerechter Mann und groß, weil er aus Gottes Herzen selbst die Geheimnisse gesogen hatte. Dieser große Mann sagt nicht: Ihr habt einen Fürsprecher, auch nicht: Ihr habt mich dazu, sondern, wir haben Christum, da er Christum setzet, nicht sich selbst. Er hat sich lieber wollen unter die Zahl der Sünder setzen, daß er Christum zum Fürsprecher mochte haben, als daß er sich zum Advokaten vor Christo setzete, und also unter die verdammlichen Stolzen gerechnet worden wäre.
Und anderswo sagt er von Gläubigen insgemein: Wir mögen in Erlernung der Gerechtigkeit noch so sehr gewachsen seyn, so müssen wir doch wissen, daß wir nicht ohne Sünde sind, welche Christus immerdar abwaschet, indem er für uns bittet, bei unserm Gebet zum Vater.

32. Es fragt sich aber, ob denn Christus nur damals hat gebetet, oder ob er es noch thue, und worin die Fürbitte und ihre Art bestehe? Vor allen Dingen müssen wir uns dieselbe nicht so unanständig einbilden, wie etwa wir arme Menschen in solchem verächtlichen Zustand beten müssen: sondern wie es der Majestät des wesentlichen Sohnes Gottes gemäß ist, da er auch nach seiner Menschheit über alles erhöhet worden.

33. Wir müssen uns auch nicht einbilden, als habe nur Christus dazumal in seiner sichtbaren Menschheit äußerlich für uns gebetet. Zwar wird dessen von den Evangelisten gedacht, daß er nicht nur bei gewissen Gelegenheiten geseufzet in seinem Geist. Marc. 7,34. 8,12. sondern auch wohl ganze Nächte im Gebet zu Gott geblieben. Luc. 6,12. Matth. 14,23. Uns zum Vorbilde der nöthigen Nachfolge, daß wir auch im Schlafen unser Herz sollen zu Gott wachen lassen nach Hohelied 5,2. und zu gewissen Zeiten, sonderlich auch wo wir nicht schlafen können, im Gebet uns übest, damit die unnützen Gedanken und Phantasien vertrieben werden. Denn so beten wir den Vater mit und in Christo Tag und Nacht an, und werden allezeit erhöret.

34. Insonderheit ward seine Gebetskraft verdoppelt, je naher sein Leiden kam, also daß er am Oelberg in seinem Ringen mit dem Tode heftiger betete als zuvor. Matth. 26,36. Ja es wird überhaupt von ihm gerühmet Ebr. 5,7. Er habe in den Tagen seines Fleisches Bitten und Flehen zu dem, der ihm von dem Tod aushelfen konnte, mit starkem Geschrei und Thränen geopfert.

35. Ob nun wohl dieß also gewiß ist, daß der Herr äußerlich und sichtbarlich stets gebetet, und sein ganzes Leben ein immerwährendes Gebet gewesen ist, wie es auch bei wahren Jüngern seyn soll; so geschiehet doch solche seine Fürbitte noch immerhin. Ja es ist von Anbeginn der Welt her geschehen, und ist also ein ewiges Gebet eines ewigen Hohenpriesters.

36. Es ist kein Zweifel, daß Christus nicht nur in den Tagen seines Fleisches, sondern auch von Anfang des Falles her für die Menschen gebeten hat. Denn deßwegen heißet er unter andern auch das Lamm, das erwürget ist von Anbeginn der Welt, Offenb. 13,8. weil er von Anfang her über den Fall so edler Creaturen gejammert, und in seinem Liebesherzen unendliche Erbarmung geheget, so wie er ja die ewige Liebe selbst ist. Es hat ihm Adam schon mit seinem Fall Arbeit gemacht, und Mühe mit seiner Missethat. Es. 43,24.

37. Daher hat er auch alsobald angefangen aus Mitleiden für die gefallenen Menschen zu arbeiten, und sie bei dem Vater wider den Zorn zu vertreten. Denn wie etwa von Mose nach einander erzählt wird, daß er, als sich das Volk versündiget, mit Gott geredet und gerungen, auch es endlich mit seiner Bitte versöhnet. 2 B. Mose 32,19. f. 33. und 34. 4 B. Mose 14,13. 16,22. 5 B. Mose 9,26. Also kann man sich in gewissem Maße einbilden, daß der Sohn Gottes bei dem Vater die gefallenen Menschen vertreten, und ihnen Gnade ausgebeten, auch sich zum Mittler und Bürgen dargegeben hat: obschon seine Majestät mit Moses Zustand nicht darf verglichen werden. Denn er hat als wahrer Gott mit Gott für uns gehandelt.

38. Wir können also hieraus sehen, wie hochnöthig und theuer Christi Fürbitte von Anbeginn gewesen, und worin sie bestanden, nemlich in Herwiederbringung dessen, was durch den Fall verloren war. Da er sich sofort in's Mittel schlug, und für die Menschen gut sagte, sie zu erlösen. Dieses können wir uns aufs Einfältigste (jedoch ohne Vergleichung in allen Stücken der menschlichen Dinge mit göttlichen) also einbilden; wie etwa wenn ein königlicher Prinz gewisse rebellische Unterthanen bei dem Könige verbäte, und ihnen Gnade auswirkte, auch für sie gut sagte, und wohl gar im Nothfall sich für sie zu leiden darböte.

39. Diejenigen Stücke, die zu solcher Fürbitte Christi gehören, sind insgemein folgende: 1) Die Gerechtigkeit des beleidigten Gottes forderte Satisfaction und Befriedigung. 2) Christus stellte sich selbst zum Mittler, Bürgen und Versöhner dar, damit um seinetwillen den Menschen Gnade widerführe. Denn er ist nicht einer von denen, die Erlösung bedürfen, weil er sonst nicht hätte können Andere vertreten, Ebr. 7,26. f. sondern ohne Sünde und untadelich. 3) Er erbot sich auch zu allen den Wegen und Weisen, wodurch die Aussöhnung geschehen konnte, nahm deßwegen die Natur der gefallenen Menschen an, damit er als ihr Verwandter sich darstellen, ihre Schuld auf sich nehmen und also als ein Mensch den Menschen helfen könnte. Ebr. 2,11. f. Gal. 4,5. Eph. 5,23. f. 1. Tim. 2,5. Jedoch so, daß er auch als wahrer Gott Kraft und Macht hätte, die Menschen zur Erlösung anzunehmen, und Tod und Teufel sammt der Sünde zu überwinden. Ebr. 9,15. f. 7,26. f. Und hierin suchte der Heiland allein des Vaters Ehre und Wohlgefallen nebst unserer Seligkeit, welches auch der Vater gern annahm.

40. Allein so groß nun des Sohnes Ernst von Anfang her gewesen ist, uns zu vertreten, so dauert er annoch und läßt nicht ab, so lange noch verderbte Menschen zu finden sind, bis ihm alles unterthan sey. Denn dazu sitzet er nun zur Rechten Gottes, daß er uns vertrete. Röm. 8,34.

41. Wie aber und auf welche Art solches geschehe, das ist zwar menschlichen Sinnen unbegreiflich, doch einigermaßen in der Schrift angezeigt. Derjenige, bei welchem er bittet, ist der himmlische Vater, mit welchem er ohnedem ewig vereinigt ist und stets umgehet. Deßwegen hat er auch äußerlich oft gen Himmel aufgesehen, und zum Vater geseufzet. Marc. 7,34. Ja, er bezeugte auch vor Menschen, daß er allein zum Vater bete, indem er einst bei Lazari Grabe die Augen emporhub und sprach: Joh. 11,41. Vater, ich danke dir, daß du mich erhöret hast, doch ich weiß, daß du mich allezeit erhörest.

42. Es heißet der Heiland (und ist auch wesentlich) das Wort des Vaters, unter andern auch deßhalben, weil er unser Wort bei Gott redet, und Mittler ist. Wie an Mose vorgebildet wird, zu dem das Wort sprach: Rede du mit uns. 2 B. Mose 20,20. Denn wir selbst haben von Natur eine schwere Sprache, wenn wir beten sollen; der himmlische Aaron aber ist unser Mund nach dem Vorbild. 2 B. Mose 4,16.

43. Hieraus sehen wir schon, daß jetzt solche Fürbitte Jesu geschehe auf eine Geistesart im tiefsten Geheimniß der heiligen Dreieinigkeit, welches Ignatius daher ein Geheimniß des Geschreies nennet, weil das Blut Jesu besser schreiet, als das Blut Abels. Ebr. 12, 24. Oder weil es vor dem Vater in seinem Herzen so große Bewegungen zur Barmherzigkeit macht, als etwa ein starkes Geschrei die, so es hören, beweget und erwecket.

44. Wir arme Menschen können dieß Geheimniß nur meist auf menschliche Art verstehen, wie etwa Einer von dem Andern etwas ausbittet. In der Gottheit aber gehet es auf göttliche Art zu, doch so, daß auch der Mensch Christus Jesus, als ein Mittler zwischen Gott und den Menschen, sein Werk dabei hat. Denn also heißt es von dem ganzen Christo, als Gott und Menschen. Ebr. 7,25. Er kann vollkommen selig machen Alle, die durch ihn zu Gott kommen, und lebet immerdar, und bittet für sie. Cap. 9,24. Er erscheinet für uns vor dem Angesichte Gottes, auch nach seiner Menschheit.

45. Um deßwillen heißt er auch ein Fürsprecher oder Advocat, und zwar ein gerechter, weil er unsere Sache, die nicht gut war, bei Gott vertreten und also eingerichtet, und gut gemacht hat, daß kraft derselben Vertretung auch sogar denen, die da sündigen, noch immer ihre Sünden können ausgesöhnet und vergeben werden, wenn sie Buße thun, und durch ihn zum Vater mit dem verlornen Sohn kommen. 1 Joh. 2,2.
Etliche verstehen zwar hier sonderlich einen Ermahner, Zurufer und Aufmunterer, daß Christus die Seinen innerlich als das Wort des Vaters vermahne und warne, wie Gregorius sagt; Wir haben Jesum zum Vermahner, denn er führet uns durch sein Leiden zur Geduld, als das Wort und als ein Erinnerer. Und dieß ist an sich selbst wohl von Christo gewiß, und wohl dem, der es suchet und erfährt, wie Jesus der große Prophet ihn unterweiset und zurecht führt. Aber weil hier dabei stehet: Bei dem Vater, so stehet freilich der heilige Geist auf das Mittleramt Jesu, in welchem er die Versöhnung ist. Daher es auch von allen Andern hievon angenommen wird.

46. Nun möchte Jemand sagen: Ob man denn solche Fürbitte Jesu Christi in seinem Herzen könne gewahr werden oder verstehen, wenn man sie wahrhaftig genießen wolle? Hierauf ist die Antwort, daß allerdings ein bußfertiger und gläubiger Mensch solches an seiner Seele erfahren kann, wie der Herr ihn vertrete. Und solches äußert sich in der Beruhigung seines Gewissens, und in dem Trost des heil. Geistes, der nach der Aussöhnung erfolget durch Christum. Röm. 5,1.

47. Als der Herr jenen tauben Menschen anrührete, siehe, da ward er gesund; das konnte er wohl empfinden und gewahr werden. Also wo er noch eine Seele verbittet, die sich zu ihm nahet, so berührt er sie mit seinem Finger oder Geist, als mit seiner unsichtbaren Kraft, daß sie innerlich versichert wird, der Mittler sey ihr nahe, und helfe ihr wider den Zorn und alle Feinde siegen. Gleichwie damals in seinem Fleische eine Kraft von ihm ausging, Luc. 8,46. davon die Leute heil wurden.

48. Am gewissesten aber können wir Christi Fürbitte erkennen aus den Früchten oder der Erhörung selbst. Wir müssen ihre Kraft lebendig inne werden, und also göttlich gewiß seyn, daß nemlich alles Gute sowohl, als die Erlösung von allem Bösen allein daher kommt, weil Jesus die erworbene Seligkeit auch noch immer einem Jeden ausbittet, der sie nur suchet.

49. Diese Erhörung ist so gewiß und unfehlbar, daß der Heiland selbst zu seinem himmlischen Vater uns zur Versicherung sprach: Er wisse, daß ihn der Vater allezeit erhöre. Joh. 11.41. Gleichwie es auch heißt Ebr. 5,7. Er sey erhöret worden, darum daß er Gott in Ehren hatte oder von der Ehrfurcht, die er dem Vater erwies, indem er bis in den Tod des Kreuzes gehorsam war.

50. Der Grund solcher gewissen Gewährung der Bitte Jesu ist seine ewige Kindschaft, da er als der Sohn der Liebe nicht anders kann, als dem Vater wohlgefallen in allem, was er thut. Indem er ja als der Sohn mit ihm auf das Allerinnigste mit unaussprechlicher Liebe Eins ist und bleibet. Daher sein Wille vollkommen des Vaters Wille, und des Vaters seiner ist. Wo aber der bittende mit dem andern Eins ist, da kann nichts anders als Erhörung folgen.

51. Solches ist uns deßhalb höchst nöthig zu glauben, weil wir einen Fürsprecher bei Gott so hoch bedürfen; gleichwohl aber im Himmel und auf Erden Niemand finden, der uns verlorne Menschen könnte erhörlich verbitten, indem alle Creaturen vor sich selbst der Gnade leben müssen. Weßwegen wir es mit desto größerem Verlangen und Dank annehmen sollen, daß wir einen so gewissen und erhörlichen Hohenpriester an dem Sohn selbst haben, der allezeit erhöret wird, und allezeit die Seinen erhöret.
Es ist vorlängst aus den ältesten Kirchenlehrern dargethan, daß die ersten Christen in den ersten zweihundert Jahren von keinem andern Fürsprecher und Mittler gewußt oder gemeldet haben, als allein von Jesu Christo.

52. Welche Proben hat er nicht schon in seinem Fleisch, ja mitten in seiner größten Niedrigkeit dargelegt. Er hat für die Kreuziger selbst, Luc. 23,34. welche doch dem Ansehen nach das höchste Unrecht thaten, indem sie den Herrn der Herrlichkeit kreuzigten. Aber hat er wohl umsonst? Keineswegs, sondern er ward so gewiß erhört, daß auch hernach eben diese bösen Leute durch Petrus gerührt, überzeugt und bekehrt wurden. Ap. Gesch. 3,17. Siehe, so gewiß ist die Frucht seiner Fürbitte.

53. Wir können demnach gewiß schließen: Ist Jesus in seiner tiefsten Niedrigkeit auch für die ärgsten Missethäter erhört worden, so wird er nun in seiner höchsten Herrlichkeit auch für Andere, sonderlich für seine Gläubigen noch ungleich mehr seiner Bitte gewähret werden. Ja, gewißlich thut er niemals eine Fehlbitte, da ja auch ein Vater in der Natur einen Sohn erhört und erfreuet.

54. Aus welchen Früchten aber ist solche Gewährung zu erkennen? Lieber Mensch, wenn du dich oder einen Andern stehest zur Bekehrung und wahrer Herzens-Aenderung gebracht, so sey gewiß, Christus hat dir's ausgebeten und erlanget. Wenn dein sonst vor Gottes Wort verschlossenes Herz geöffnet wird, zu vernehmen, was des Geistes Gottes ist, so hat es Christus gethan. Der hat den Schlüssel Davids, der aufschließt, daß Niemand zuschließen kann. Offenb. 3,7.

55. Jenen Tauben nahm der Herr, und sprach seufzend: Hephata, thue dich auf, und alsbald wurden seine Ohren aufgethan, und das Band seiner Zunge ward los, und redete recht. Marc. 7,35. Ja in aller Wahrheit werden allen geistlich verschlossenen Seelen ihre Kräfte, womit sie Gottes Liebe wieder fassen können, aufgeschlossen, daß sie wissen können, was ihnen von Gott gegeben wird. Da öffnet er einer begierigen Lydia das Herz, daß sie Acht hat auf die Rede und Zeugnisse Jesu. Ap. Gesch. 16, 14. Er öffnet den Jüngern das Verständniß, daß sie die Schrift verstehen. Luc. 24,32.

56. Nicht weniger thut er der Stummen Mund auf, daß sie nicht mehr zu göttlichen Dingen so todt und verdrossen sind, wie zuvor. Er schaffet eine wahre Veränderung mit der Seele, daß sie nach und nach in ihren ersten Stand wieder kann versetzt, und zu den verlornen Kräften wieder gebracht werden, wo sie folget. Das alles hat man der Fürbitte Jesu zu danken.

57. Wer nun diese und andere Gnade an seiner Seele gewahr wird, der lasse es alles ihm dazu gesegnet seyn, daß er auch seinen Mund getrost aufthue, und vor allen Dingen lerne recht reden, oder nur Gott zu Gefallen und lobe hinfort alles Vornehme, damit Christi Fürbitte an ihm immer kräftiger werde.

58. Es ist vom Messia geweissaget Jes. 35,5. Alsdann werden der Blinden Augen aufgethan, und der Tauben Ohren werden geöffnet werden. Dieß muß täglich noch an allen eintreffen, die den Mittler Jesum genießen wollen, daß sie in der That andere Menschen werden, und nun aller unnützen Worte und Werke sich enthalten, hingegen allein alle ihre Kräfte, die ihnen der Heiland erbeten und erworben hat, dem Herrn zum Preis anwenden.

59. Jesus selbst sagt: Er wolle den Vater bitten, und er werde ihnen einen andern Tröster geben. Joh. 14,16. Wer diesen Geist vom Vater auf Christi Fürbitte empfängt, den erfüllet er auch also, daß er lernet mit neuer Zunge die großen Thaten Gottes ausreden, oder Gott hoch preisen. Ap. Gesch. 2,11. Er lernet Christo zu Ehren leben, und so wird ihm immer mehr Gnade von Christo erbeten, daß er endlich erfüllet wird mit Früchten der Gerechtigkeit zur Ehre und Lobe Gottes. Phil. 1,11.

60. Demnach soll uns diese Fürbitte aufs Kräftigste aufmuntern, daß wir ja ihm Herz und Mund überlassen, ja täglich aufopfern damit er selbst in und mit uns bete. Es gilt ja kein Geber vor dem Vater, das nicht der Sohn selbst wirket und schenket. Wer also recht erhörlich beten will, der muß in und mit dem Sohn beten.

61. Das geschieht, wenn wir nicht in unserm Namen, Sinn und Willen vor den Vater kommen, sondern in Jesu Namen, d. i. in seiner Gemeinschaft, Vereinigung und Liebe durch Glauben, daß er selbst in uns bete, wir aber nur dabei leidend und gelassen stehen. Da betheuert er denn so hoch Joh. 16,23. Wahrlich, wahrlich, ich sage euch, was ihr den Vater bitten werdet in meinem Namen, das wird er euch geben.

62. Siehe, so ist es nun Gottes Wille, daß wir niemals ohne und außer Christo beten, sondern durch ihn das Bet- und Lob-Opfer bringen. Ebr. 13,15. Er allein gibt das Rauchwerk allen Heiligen, daß sie den Vater anbeten können. Offenb. 8,3.

63. Das ist eine gewisse Frucht der Fürbitte Christi, daß die Seinigen also Christum in sich lassen beten, und zwar nicht nur für sich selbst, sondern auch für Andere. Denn obschon auch Christus in seiner Schwachheit für sich betete zu dem, der ihm aushelfen konnte, Ebr. 5,7. so that er es doch mehr um unsertwillen, daß er uns mit sich dem Vater darbrächte und opferte. Eben also sollen wir den Geist Jesu uns salben und bereiten lassen, auch für Andere zu beten. Welches denn ein Hauptstück des geistlichen Priesterthums mit ist. Wiewohl wir uns eben nicht aus Verstellung vor Fürbitter ausgeben und unterschreiben sollen, sondern es mehr in der That und im Verborgenen thun; da es denn der Vater und nicht Menschen vergelten wird.

64. Denn wir müssen uns nach 1 Petri 2,5. als die lebendigen Steine bauen zum heiligen Priesterthum, zu opfern geistliche Opfer, die Gort angenehm sind durch Jesum Christ. Und eben hiezu hat uns der Meister sein Gebet vorgeschrieben, daß wir aus seinem Munde durch seinen eigenen Geist dasjenige von unserm gemeinen Vater erbitten sollen, was nicht nur uns, sondern auch der ganzen Creatur heilsam, ihm selbst aber herrlich ist.

65. Ja, wie der Heiland in der größten Noth dennoch auch für seine Feinde gebeten hat mit der innigsten Begierde, sie selig zu haben, so sollen wir nicht weniger aus herzlichem Verlangen nach der Seligkeit aller Menschen, auch alle und jede in unser Gebet einschließen lernen, sogar auch unsere Widerwärtige und Lästerer. Denn das ist eben Christi wahrer Geist und Sinn, wenn das allgemeine Heil aller Menschen ernstlich ohne Unterschied gesucht wird, wie er auch für alle ohne Ausnahme gelitten und gearbeitet hat.

66. In diesen Stücken besteht der wahre Gebrauch der Fürbitte Christi. Hierin muß uns seine Gnade treu machen, daß wir diese Hauptwahrheit des Evangeliums nicht gering achten oder vergessen. Lassen wir uns von seinem Geist regieren, so wird er uns in allen Gebeten, Bitten, Fürbitten und Danksagungen erinnern, daß wir nichts begehren oder reden, als was Christi Sinn ist vor dem Vater.

67. Denn eben daher kommt so viel Elend und Mangel im Geistlichen, weil Christi Mittleramt nicht recht erkannt noch gesucht wird. Die Meisten pflegen in eigenem Trieb aus der Natur Kraft nach menschlichen Vorschriften zu Behauptung ihres eigenen Willens nur zu beten, ohne allein durch Christum vor den Vater zu kommen. Daher auch so wenig erhöret wird, und die Seele sich in eigenem Treiben, Rennen und Laufen verzehrt, bis sie inne wird, es habe ihr an dem rechten Fürsprecher gefehlt.

68. Noch übler handeln Diejenigen, welche die Gnade Jesu Christi auf Muthwillen ziehen, und fälschlich schließen: Weil mir einen Fürsprecher haben, so dürfen wir wohl sündigen. Da doch eben daraus Johannes das Gegentheil schließet: Er schreibe solches, daß wir nicht sündigen; ob aber auch Jemand sündigte, und mit einem Fehler übereilet würde, so haben wir einen Fürsprecher und zwar einen Gerechten, nicht der muthwillige Sünde leide, oder gar mit Fürbitten beschöne und behaupte. 1 Ep. 2,1.
Wider den Mißbrauch dieser Gnade zur Sicherheit zeuget u. A. Augustinus gar ernstlich, wenn er sagt: Damit es nicht scheine, als gebe Johannes Freiheit zu sündigen, indem er sagt: Gott ist getreu und gerecht, daß er uns von aller Ungerechtigkeit reiniget, und damit die Leute nicht sagen: Laßt uns sündigen und sicher thun, was wir wollen, Christus reiniget uns ja, er ist getreu und gerecht, und reiniget uns von aller Untugend. Siehe, so benimmt er dir diese böse Sicherheit, und drücket dir eine heilsame Furcht ein. Du willst zu deinem Schaden sicher seyn, sey vielmehr sorgfältig. Denn er ist so getreu und gerecht, daß er die Sünden vergibt, wenn du nur dir selbst stets mißfällst, und so lange dich ändern lässest, bis du vollkommen werdest.

69. Und freilich sind gewisse Bedingungen, unter welchen Christus die Menschen vertritt und sie versöhnt. Denn wer dieses haben will, der muß nothwendig diejenigen Sünden lassen, davon er erlöst seyn will, und deßwegen ihn Christus verbitten soll, sonst hilft ihm dieses nicht. Er muß sich auch in diejenige Ordnung schicken, die Gott vorgeschrieben hat, daß wir in und nach der Versöhnung uns darnach richten sollen. Nemlich er erfordert den Gehorsam des Glaubens, daß wir uns auch von unserm Fürbitter sollen regieren lassen. Sintemal er nur denen will eine Ursache der ewigen Seligkeit werden, die ihm gehorsam sind. Ebr. 5,9.

70. Daher hilft den Ungläubigen und Ungehorsamen Christi Fürbitte nichts, so lange sie solche selbst zunichte machen und hindern. Sonst hätte der heil. Geist nicht bezeugen dürfen, daß die, so nicht glauben, schon gerichtet sind, und daß der Zorn Gottes über sie bleibe. Joh. 3, 18. 36. Ja es bedürfte dieses schrecklichen Unheils nicht, daß die muthwillig Sündigende, nachdem sie die Erkenntniß der Wahrheit empfangen haben, hinfort kein Opfer für die Sünde und also auch keine Fürbitte haben. Ebr. 10,26. f.

71. O gewißlich, so lieblich es in den Ohren des Glaubens klinget, daß wir einen so treuen Hohenpriester haben: so gefährlich ist es hingegen, wenn wir ihm nicht recht folgen! Ja, so schrecklich ist es, daß wir sodann keinen Andern finden würden, wenn wir diesen einigen Mittler nicht recht brauchen. Denn so lautet das Urtheil, welches wir jetzt vernommen haben, daß wir ja diesen einzigen und alleinigen Mittler nicht versäumen noch verwerfen, als lieb uns unser ewiges Wohl seyn mag.

72. Ach, scherze Niemand mit diesem verzehrenden Feuer, und wage es mit seinen Sünden auf Christi Verdienst freventlich, gleich als ob dessen Fürbitte immer könnte mit Füßen getreten und fruchtlos gemacht, endlich aber doch in der Noth genossen werden! Wissen wir doch, daß Gott die Sünder nicht hört. Hat er doch wohl ehe seinen Knechten verboten, für gewisse verstockte Leute zu beten, wie er zu Jeremia c. 7,16. 11,4. 14,11. 15,11. Ezechiel und Andern gesagt hat, sie sollten nicht für das Volk beten, weil sie nicht folgen wollten.

73. Woraus wir ja wohl sehen können, daß es gar nicht Christi Wille sey, daß wir dürften auf Gnade hin sündigen, und hernach seine Fürbitte darüber breiten, weil er ja damit uns selbst zu unserm Verderben beförderlich wäre. Christus bittet nicht für dich dazu, damit du desto gottloser seyn dürftest; so wäre er ein Sündendiener; sondern daß du fromm und selig werdest; wie Luther recht erinnert über Joh. 17,9. Christus bittet nicht, daß der Vater ihm der Welt und Ungläubigen ihr Thun lasse gefallen, wie Moses wider Korah Opfer und David baten. 4 B. Mose 16,15. Ps. 59,6.

74. Welche aber dieses theure Kleinod des Mittleramts Jesu recht mit zerknirschtem und gnadenhungrigen Herzen suchen und brauchen, in Lauterkeit und Wahrheit, zu ihrer Heilung und Besserung, die werden durch den Geist Christi selbst genugsam versichert und versiegelt werden, daß dieser ewige Hohepriester auch nicht aufhören werde, sie in ihrer Schwachheit zu vertreten, bis sie vollendet worden.

75. Das gewisseste Zeichen solcher Gnade ist die geheime Gebets-Kraft des Geistes, durch welchen wir rufen: Abba, lieber Vater! Röm. 8,15. Denn wo dieses Seufzen und Geschrei des Geistes auch in der größten Schwachheit uns unwissend geschiehet, da ist Christi Geist gewiß. Wo aber Christi Geist ist, da ist Christus selbst. Wo Christus ist, da gehet seine Fürbitte immer fort, und also wird das Heil stets ausgewirket und bestärket.

76. Ueberfällt uns denn gleich manche Schwachheit, Zweifel, Furcht, Mißtrauen und dergleichen, so daß der Ankläger scheint stärker zu werden, als der Vertreter und Fürsprecher, so scheint es doch nur, ist aber in der That nicht also. Denn mitten in der tiefen Versuchung bittet Jesus, daß der Glaube nicht aufhöre, wie dort für Petrus. Luc. 22,32. Es ist und bleibt dennoch dies ewige Wort in dem Herzensgrund, ob wir es schon vor vielen Wolken der Versuchungen nicht können merken. Der in uns ist, nach 1 Joh. 4,1. ist größer, als der, der in der Welt ist, nemlich der Feind.

77. Darum, o Seele! glaube gewiß, wenn du nach Christo und seiner Gerechtigkeit hungerst, so wirst du satt. Du betest alsdann nicht, sondern Christus lebet und betet in dir, ob es auch noch so schwach und lallend von Außen schiene. Er tritt an deine Stelle und erhält dich. Wo das nicht wäre, daß Christi Fürbitte uns erhielte, und des Vaters Zorn stillete, so müßten wir längst vergangen seyn. Ja die ganze verdorbene Creatur wäre schon längst im Feuer des gerechten Zorns Gottes verschlungen, wo der Söhn nicht gleich anfänglich vorgebeuget, und die, Liebe wieder empor gebracht halte zu unserer Erlösung.

78. Dessen sollen wir uns hoch freuen, daß wir an Jesu einen so gnädigen Hohenpriester haben, der Mitleiden hat mit Schwachen und Irrenden. So arg nun als es der Feind mit seiner Verführung durch die Sünde gemacht hat, so gut macht es Christus alles wieder. Ja, wie in der ersten Schöpfung alles, was Gott gemacht hatte, sehr gut war, 1 B. Mose 1,31. also will der Heiland in der andern alles wieder gut machen, daß man endlich wird ihm zum Preise sagen können: Er hat alles wohl gemacht, auch die verdorbenen Menschen macht er wieder gut; ihm sey ewig Ehre und Lob. Amen.

Gebet.

Du treuer Hoherpriester in Ewigkeit, Jesu Christe, der du so gnädiglich versprochen, uns bei dem Vater zu verbitten, wenn wir nur dein seyn wollen; siehe, hier sind wir, deine arme Würmlein, die in sich nichts als Tod und Noth haben, und also deiner Fürbitte bedürfen. Du bist einmal durch den Zorn durchgebrochen, und hast eine ewige Erlösung erfunden. Weil wir aber so mancher Gefahr unterworfen sind, auch oft zu schwach, bisweilen auch träge werden zum Beten und Wachen: Ach so komm uns zu Hülfe, und wohne so beständig in uns, daß du uns in uns mit unaussprechlichen Seufzern deines Geistes vertretest, damit unser Glaube nicht aufhöre! Ach wecke uns recht auf zum Kampf wider den Unglauben, daß wir uns dir ganz und gar lassen mit allen rechten Christen, und du also ersetzen könnest, was uns fehlt! Halte doch immer den Zorn zurück, daß er uns nicht treffe, und ob wir auch sündigten oder fehlten, so sey du unser Fürsprecher bei dem Vater, daß wir gleich wieder aufstehen, und unsere Seelen retten. Sollten wir auch in solche Versuchung gerathen, daß wir nicht wüßten, ob wir beteten oder nicht, ach so thue du das Beste mit deiner kräftigen Fürsprache, und hilf auf allen Niedergeschlagenen! Gib auch viel Rauchwerk zu den Gebeten deiner Heiligen im Himmel und auf Erden, damit deine geistliche Priester durch dich dem Vater stets zum Opfer bringen sich und die ganze verdorbene Creatur, und also endlich in dir alles Verlorne wiedergebracht werde, damit du für dein hohenpriesterliches Amt ewiglich gelobet werdest von Allen, die du erkauft hast. Amen.

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