Arndt Johann Friedrich Wilhelm – 6. Predigt

Arndt Johann Friedrich Wilhelm – 6. Predigt

Schaffe ins uns, Gott, ein reines Herz, und gieb uns einen neuen gewissen Geist. Verwirf uns nicht von Deinem Angesichte, und nimm Deinen heiligen Geist nicht von uns. (Ps. 51,12.13.) Amen.

Text: Matth. V. V. 8.

Selig sind, die reines Herzens sind; denn sie werden Gott schauen,

Wenn irgend eine Rede unseres Herrn in jedem Worte, das sie enthält, schwer wiegt, wie Gold, so ist es die Bergpredigt. Wo Er selbst gepredigt hat, da ist schwer nachpredigen. Das hat sich uns, Geliebte, schon aufdrängen müssen in den fünf Betrachtungen, welche wir bereits angestellt haben; es fällt uns aber ganz besonders auf’s Herz in dem verlesenen Textworte: “Selig sind, die reines Herzens sind, denn sie werden Gott schauen.“ Wie könnten wir uns einbilden, es je zu verstehen, so lange wir uns gestehen müssen, daß wir unreines Herzens sind? Nur ein reines Herz kann würdig und rein vom reinen herzen reden: all’ unser Reden davon ist ein mangelhaftes, gebrechliches Stammeln, all’ unser Denken darüber ist mehr ahnen und stammeln können, so viel wollen wir versuchen im Namen des Herrn. Er aber, der in Galiläa auf dem Berge sprach, lege Seinen Geist auf unsere Lippen, daß sie geheiligt, lege Seinen Geist auf unsere Herzen, daß sie gesegnet werden. Wer sind die reinen Herzens? und was heißt: sie werden Gott schauen? Das sind die beiden Fragen, mit denen wir uns näher zu beschäftigen haben.

I.

Selig sind, die reines Herzens sind. Der Herr sagt nicht: „Selig sind, die reiner Lippen sind“ und unsträflich in ihren Worten und Bekenntnissen; er sagt auch nicht: „Selig sind, die reiner Hände sind“ und untadelhaft in ihren Werken und Handlungen; Er geht tiefer, in’s Innerste hinein, Er sagt: „Selig sind, die reines Herzens sind.“ Er, der Herzenskündiger, wußte recht gut, daß nicht die frommen Worte und Werke einen frommen Mann machen, sondern daß der fromme Mann die frommen Werke machen muß; daß man den Schein haben kann des gottseligen Wesens, und die Kraft desselbigen verläugnen; daß man nach Pharisäerart scheinheilig Gottseligkeit und Frömmigkeit heucheln kann, und das Herz ist fern von Ihm. Unsere Werke und Thaten sind werthlos, wenn die Gesinnung, aus welcher sie hervorgehen, verwerflich ist vor Gottes Angesicht.

Wann sind denn nun aber unsere Herzen rein? Jesus erwähnt des reinen Herzens, nachdem Er in den früheren fünf Seligpreisungen die geistliche Armuth, die Trauer über die Sünde, die Sanftmüthigkeit gegen Gott, das Hungern und Dursten nach Gerechtigkeit und die barmherzige Liebe vorausgeschickt hat. Er will also sagen, daß, wer seine Sünde nicht erkennt, nicht bereut, nicht haßt, wer nicht an Christum glaubt und diesen Glauben durch die Liebe offenbart, nimmermehr sich einbilden dürfe: er habe ein reines Herz. Natürlich! wer sich für gut und fehlerfrei hält, obgleich der Herr sagt, daß das Tichten und Trachten des menschlichen Herzens böse sei von Jugend auf, und jeder sich selbst betrüge, der da behaupte, er sei ohne Sünde: der ist nicht redlich und wahr, Falschheit und Lüge ist aber nicht Reinheit. Natürlich! wer auf seine Gerechtigkeit fußt und durch seine eigene, unvollkommene Tugend selig zu werden hofft, eines Heilandes aber nicht zu bedürfen glaubt und dem Evangelio widerstrebt, der ist selbstgefällig, eitel, stolz; Stolz aber ist nicht Reinheit. Natürlich! wer da sagt, er glaube, und offenbart diesen Glauben nicht durch die Liebe, dessen Glaube ist todt; Tod aber ist nicht Reinheit. Das reine Herz setzt jedenfalls die Erkenntniß seiner selbst und den lebendigen Glauben an Christum voraus. Ein bekehrtes und wiedergeborenes Herz erst kann ein reines Herz werden.

Diese Reinheit des Herzens aber, wie wird sie sich offenbaren? In der Heiligung unseres ganzen Wesens. Zunächst also in der Reinheit der geheimsten Werkstatt unseres Wesens, unserer Gedanken und Vorstellungen. Und das will viel sagen. Wer sich einmal länger beobachtet und ernstlich geprüft hat, weiß, daß es leichter ist, Städte zu erobern, als seines Muthes Herr zu sein; leichter Zunge und Hand im Zaum zu halten, als diese innere Welt geistiger Bewegungen, die wir Alle mit uns herumtragen. Man kann sich zurückziehen vor den Menschen und jede Gelegenheit zu bösen Thaten meiden; und doch wird man nicht besser, weil man sein trotziges und verzagtes Herz überall mit sich hinnimmt. O wie können diese Gedanken und Vorstellungen auf der Bahn der Vervollkommnung uns zu schaffen machen! Wie ungerufen und unfreiwillig stellen sie sich bisweilen ein, knüpfen, ohne daß wir es wollen, sich an Erinnerungen der Vergangenheit, an Ereignisse der Gegenwart, an Hoffnungen der Zukunft an; rufen in uns reizende oder abschreckende, edle oder unedle, immer aber störende, aufregende, beunruhigende Bilder hervor; entzünden die verderblichen Flammen irgend einer Leidenschaft; umgaukeln uns mit leeren Träumen; beherrschen unsern Verstand, und verfolgen uns bei Tag und bei Nacht, in die Einsamkeit und in die Gesellschaft, in den Berufskreis und in die Kirche, zur Arbeit und zum Gebet. Wie sind sie die Verräther, die dem Feinde den Eingang leicht machen in’s arg- und sorglose Herz! Wie können sie wahre Höllen werden für ein ernstes Gemüth und dasselbe in einen solchen Zustand der Qual versetzen, daß es sich fürchtet, auch nur einen Augenblick allein oder unbeschäftigt zu sein, oder auch, daß es gar nicht mehr unter die Menschen zu gehen wagt, weil jene Gedanken überall Zunder und Nahrung finden für ihre Wirksamkeit; ja, daß es sich fürchtet, in Wahnsinn auf diesem Wege zu verfallen. Wie? habt ihr noch nie mit eurem Gedanken, eurem Gedächtniß, eurer Einbildungskraft harte Krämpfe zu bestehen gehabt? haben sie euch noch nie gequält auf’s Unerträglichste, daß ihr, in Thränen schwimmend, fragtet: „Warum, mein Heiland, nimmst Du nicht von mir dieß Verderben in meiner Brust, dieses Gesetz in meinen Gliedern, wodurch ich dir nur Betrübniß, mir nur Noth und Störung bereite? Herrscher, herrsche; Sieger, siege; König, brauch’ Dein Regiment, führe Deines Reiches Kriege, mach’ der Sklaverei ein End’?“ Habt ihr nicht oft mit Entsetzen wahrgenommen, wie die guten und frommen Gedanken selten lange Stand halten; hingegen die eiteln, die stolzen und vermessenen, die ängstlichen und kleinmüthigen, die selbstsüchtigen und lieblosen, die unreinen und von Gott abführenden Gedanken, Bilder, Triebe und Wünsche, in einer ewigen Unruhe und Unordnung wie im Strome daherfahren? Gewiß! Noch keine Spur einer Wirksamkeit des göttlichen Geistes wäre in euch vorgegangen, wenn dergleichen Erfahrungen euch fremd geblieben wären. – Aber darf es so bleiben, meine Brüder? Euer eigenes Herz antwortet: Nein! Unser Text erwiedert: „Selig sind, die reines Herzens sind!“ und ihr fragt: Wie werde ich sie denn los, diese fremdartigen Bilder und Gedanken? Höret und befolget den Rath der Erfahrung. Vor Allem meidet jede Gelegenheit, wo sie erwachen könnten. Sind es Vergnügungen, und wären es die unschuldigsten, die erlaubtesten: fliehet sie; jedes Vergnügen, das euch von Gott trennt, das Sündenreize in euch erweckt, ist für euch kein erlaubtes mehr, sondern ein verbotenes. Sind es Bücher, die eine ungesunde Nahrung eurem Geiste darbieten und aus dem innern Friedensumgang mit dem Herrn euch herausbringen: werfet sie weg, werfet sie in’s Feuer, vernichtet sie; jede Schrift, die verwerfliche Gegenstände behandelt, ist ein Gräuel vor Gottes Augen. Sind es Menschen, sind es eure Freunde, mit denen ihr bisher gelebt hat: brechet auf der Stelle den Umgang mit ihnen ab; können sie euch nicht zum Herrn führen, wollen sie nicht mit euch eine Straße ziehen, dann verführen sie euch in die Hölle und in’s Verderben. Fliehet um Gotteswillen jede Halbheit des Wesens: nicht eher wird es besser mit euch werden, bis ihr das Herz ganz dem Herrn ergeben habt. Heißen muß es bei euch immerdar: Zerbrich, verbrenne und zermalme, was Dir nicht ewig wohlgefällt; ob mich die Welt an einem Halme, ob sie mich an der Kette hält, ist Alles gleich in Deinen Augen, da nur ein ganz befreiter Geist, der alles And’re Schaden heißt, und nur die laut’re Liebe taugen! Dann aber vertreibet eure bösen Gedanken durch gute; denket oft und gern an Gott, an Seine Gegenwart, an euren Tod, an Gericht und Ewigkeit, an eure Vollendeten im Himmel; zuallermeist an Jesum Christum, den Gekreuzigten, wie Er euch geliebt hat bis in den Tod hinein, wie Sein Blut für euch geflossen, wie ihr Ihm zu lebenslänglicher Dankbarkeit verpflichtet seid, wie ihr Ihn betrüben, ja aus Seiner Gemeinschaft herausfallen würdet, sobald ihr irgend einen fremden Götzen in euch dulden anbeten wolltet, - und, wir geben euch unser Wort, die unreinen Gedanken werden von euch weichen, bisweilen plötzlich und wie mit einem Schlage; ihr werdet euch satt weinen vor dem Herrn vor innerer Rührung und Bewegung; ihr werdet loben und danken; eure Einbildungskraft wird mit den erhabensten Gegenständen genährt und ganz befriedigt werden; ein hoher, himmlischer Gedanke wird dem andern die Hand reichen, und die fremden, unreinen Gedanken werden, so oft ihr auf diese Weise eure Zuflucht zum Herrn nehmet, an Zudringlichkeit und Stärke, an Dauer und Reiz verlieren. Wahrlich, das Gebet des Gerechten vermag viel, wenn es ernst ist. Betet daher öfter als bisher, lernet besser beten, leset fleißiger Gottes Wort, füllt damit eure müßigen Stunden aus, sammelt euch einen immer größern Schatz himmlischer Erkenntnisse und Erfahrungen: und ihr werdet über kurz oder lang, bald leichter, bald schwerer, Meister werden über eure innere Zerstreuung; jedenfalls aber davor bewahrt bleiben, jemals Wohlgefallen zu haben und das Herz zu weiden an irgend einem ungöttlichen und sündhaften Bilde.

Die Reinheit des Herzens offenbart sich sodann in der Reinheit eurer Neigungen, und, da die Hauptneigung des wiedergeborenen Herzens die Liebe ist, in der Reinheit unserer Liebe gegen Gott, gegen andere Menschen und gegen uns selbst. Im Anfange der Bekehrung ist unsere Liebe gegen Gott in der Regel eine Gegenliebe um der Barmherzigkeit willen, die Er uns erwiesen, und um der seligen Gnadenstunden willen, die sie in dem Umgange mit Ihm gefunden. Offenbar ist solche Liebe nicht ohne Eigennutz und Selbstsucht; wir lieben den Herrn um unsert-, nicht um Seinetwillen. Wie? wenn Er nun Seine Gnadenerweisungen fühlbar uns entzieht, wenn Er Sein Antlitz voll Liebe und Erbarmen vor uns verbirgt, wenn Er durch den Druck schwerer leiden zu unserer Läuterung uns heimsucht, wenn Er unser Herz kalt und öde und stumm macht, und jede Flamme himmlischer Begeisterung erlischt und untergeht: werden wir ihn da auch noch lieben? mitten unter unsern Seufzern und Thränen Ihn lieben? Ihn ebenso lieben, wie wir Ihn vorher geliebt haben? Eine Liebe, die das Alles nicht ertragen, die nicht sprechen kann: „Wenn ich nur Dich habe, so frage ich nichts nach Himmel und nach Erde, und wenn mir gleich Leib und Seele verschmachtet, so bist Du doch allezeit meines Herzens Trost und mein Theil; Du bist mir lieber, als alle Deine Gaben; Dich haben und lieben dürfen, ist mir Trost und Erquickung genug, auch wenn mir aller sonstiger Trost verloren geht,“ ist keine wahre und reine Liebe. Oder warum liebet ihr, Eltern, eure Kinder? Etwa, weil sie euch Freude machen, weil sie wohlgerathen sind und ihr mit großen Hoffnungen auf sie und ihre Zukunft hinblickt? Nein, ihr liebt sie auch dann, wenn sie euch Schmerzen bereiten und ihr sie strafen und züchtigen müßt, ihr liebt sie darum, weil sie eure Kinder sind. Warum liebt Gott Seine Menschen? Etwa, weil wir Seine Gebote halten und vor Seinen Augen wandeln? Ach, dann könnte Er Keinen unter uns lieb haben! Nein, Er liebt uns, weil wir Seine Kinder sind; selbst mitten in unsere Sünde hinein hat Er uns geliebt und den Eingeborenen gesandt zu unserm Heile. Demnach wird eine wahre, reine Liebe gegen Gott auch nur die sein, die Ihn liebt, wie Er uns liebt, die Ihn liebt um Sein selbst willen, nicht um Seiner Gaben willen. – Wohnt aber erst reine Liebe zu Gott in unserm Herzen: dann wird auch die Liebe zu unserm Nächsten sich rein gestalten, und das ist nicht minder schwer. Es giebt eine Bruderliebe, die den Andern liebt, wenn er mit uns gleicher Ansicht und Meinung in Glaubenssachen ist, aber sofort ihm die Liebe entzieht, ihn richtet, ihn verdammt, sobald er in einem Punkte von uns abweicht. Unreine Liebe! Wer den Andern nicht lieben kann als seinen Bruder um Christi willen, auch wenn er im Irrthum sich befindet und nur erst Wahrheit sucht, in welcher Gestalt und in welchem Grade es sein mag, der hat noch nie seinen Bruder lieben gelernt. Es giebt eine Bruderliebe, die den Andern liebt, so lange sie nichts augenfällig Schlechtes an ihm wahrnimmt, aber kalt und scharf ihn verwirft, sobald sie irgend eine Schwäche an ihm angetroffen hat. Unreine Liebe! Wer den Andern nicht lieben kann, auch wenn er ihn straucheln und fallen sieht, wer nicht lieber das Gute, als das Böse bei ihm aufsucht, wer das Böse nicht willig bedeckt, und wo er es sehen muß, nicht denkt, der Gefallene sei doch besser, als er erscheint, und wo er auch diesen Glauben fahren lassen muß, nicht der göttlichen Gnade vertraut, daß sie auch ihn noch wird lieben können: der hat noch nie seinen Bruder lieben gelernt. Es giebt eine Bruderliebe, die zu dem Andern sich hingezogen fühlt, wenn sein eigenthümlicher Charakter, sein besonderes Temperament uns anspricht und eine gewisse Seelenverwandtschaft sich vorfindet, aber kalt und frostig wird und fremd thut, wenn diese Gleichheit der Stimmung und Richtung wegfällt. Unreine Liebe! Wer den Andern nicht lieben kann, auch wenn sein Wesen ganz von dem unsrigen abweicht und uns Vieles an ihm nicht zusagt, und wer in seinen Liebeserweisungen sich bald genug thut, und nicht wünscht, immer noch mehr zu lieben, der hat noch nie den Bruder wahrhaft lieben gelernt. Die reine Liebe liebt, wie sie Gott um Sein selbst willen liebt, so auch alle Menschen, nicht um ihret-, nicht um unsert-, sondern um Gottes willen. – Ja, sie liebt sich selbst sogar nur um Gottes willen. Die reine, ächte Selbstliebe ist keine Eigenliebe, sie liebt an sich nicht ihr Fleisch und Blut, nicht das Vergängliche, Sündhafte und Selbstische; sondern die Gabe des Herrn, Sein Werk und Seine Gnade, wie Paul Gerhardt singt: „An mir und meinem Leben ist nichts auf dieser Erd’, was Christus mir gegeben, das ist der Liebe werth.“ Darum ist sie nicht Eigenwille, noch Eigensinn; denn Eigensinn wäre Selbsthaß, - sie verläugnet sich selbst, wenn es der Herr gebietet. Darum ist sie nicht Vernunftstolz; Vernunftstolz wäre Selbsthaß, - sie ist demüthig, und hört, wo der Herr spricht und entscheidet. Darum ist sie nicht Empfindlichkeit, Laune, wankelmüthiges Wesen, das nur heiter ist, wenn es nach eigenem Kopfe geht; Empfindlichkeit wäre Selbsthaß, - sie giebt sich gern hin den Neigungen ihrer Brüder. Alles um Gottes willen! Selbst die Seligkeit, die sie sich wünscht und nach der sie sich sehnt, ist im Grunde nichts Anderes, als die Liebe ihres Gottes. Ihn sucht sie in Allem, und nichts sucht sie außer Ihm.

Die Reinheit des Herzens offenbart sich endlich in unsern Entschließungen und Bestrebungen. Daß diese auf nichts Anderes, als auf den Willen Gottes gerichtet sind, versteht sich von selbst; es fragt sich nur: Warum sind sie auf diesen Willen gerichtet? Warum bestreben wir uns, immer vollkommener zu werden, immer weiter zu gehen, rechts oder links zu schauen, als ob die Versuchungen des Lebens uns gar nichts angingen und Fleisch und Blut uns nichts zu sagen hätten, ohne uns einmal zu besinnen, ob wir der Sünde uns hingeben sollen oder nicht? Warum sprechen wir mit dem Apostel: „Ich vergesse, was dahinten ist, und strecke mich nach dem, was vor mir liegt, nach dem himmlischen Kleinod in Christo Jesu“? Entschließen wir uns für das Gute etwa um der Vortheile willen, die es uns bringt; um des Segens willen, den Gott darauf legt; um des Friedens willen, der die That begleitet, und um der Seligkeit willen, die ihr folgt? Oder entschließen wir uns dafür, weil die nachtheiligen Folgen der Sünde, die Krankheit, die Armuth, die Schmach und Schande vor der Welt, die Verluste und Einbußen zu augenfällig und niederschlagend sind? Dann wären unsere Entschließungen nur aus Hoffnung auf Gewinn, nur aus Furcht vor Strafe hervorgegangen; mithin keine reinen Entschließungen. Das reine Herz thut das Gute und entscheidet sich für das Gute um des Guten selbst willen, weil das Gute Gottes ist, weil die Sünde Christo so viel Schmerzen gemacht hat und jede neue Sünde Ihn von Neuem betrüben würde; weil jedes Böse uns und Gott von einander trennt, nichts Entsetzlicheres aber für uns gedacht werden könnte, als Trennung von Gott; weil das wiedergeborene Herz nicht mehr sich selbst angehört, sondern Dem, der für dasselbe gestorben und auferstanden ist. Das reine Herz wacht über seine Regungen und Triebfedern wie über ein Auge, dem ein Stäublein wehe thut, und das nicht aufhört, zu thränen, bis es wieder herausgeflößt ist; es kann keinen Flecken an sich dulden, ohne zu erröthen und ihn wegzuwaschen.

O reines Herz, wie bist du so herrlich! Du bist ein einfältiges Herz, hast gleichsam nur eine Falte, den Zug zum Herrn; und darum bist du ein seliges Herz. Du bist ein freies, unabhängiges Herz, durch nichts gebunden, als durch den Herrn allein; und darum bist du ein seliges Herz. Für Eins entschieden mit deinen Kräften und Wünschen, mit deinen Neigungen und Gedanken; zufrieden, wenn du lebst, und glücklich, wenn du stirbst. Mit Recht sagt unser Text: Selig sind, die reines Herzens sind!

II.

Er setzt aber noch etwas hinzu, und zwar eine große Verheißung: „Selig sind, die reines Herzens sind; denn sie werden Gott schauen.“ Nur reine Herzen sind im Stande, schon auf Erden Gott zu schauen. Daß der Sünder es nicht vermag, ist klar; aber auch nichts Anderes vermag es, als das reine Herz. Nicht Gelehrsamkeit, nicht Kunst und Wissenschaft, nicht Witz und Scharfsinn führt zur lebendigen Erkenntniß Gottes, sondern nur das reine Herz. Stolze Weltweise mögen noch so viel vom Anschauen Gottes reden: so lange die Erkenntniß des Herrn ihnen nur ein Gegenstand der Forschung ist, so lange sie das Feld der himmlischen und ewigen Wahrheit nur unter Führung ihrer Vernunft betreten und aus sich selbst heraus Gottes Dasein, Wesen und Walten beweisen und bauen wollen: so lange umgiebt sie grauenvolle Dunkelheit, und sie sind in Gefahr, nicht nur Gottes Wesen zu läugnen, sondern sogar ihre eigene Persönlichkeit aufzugeben. Das macht: Gott ist nicht da, um die Wißbegierde unseres Geistes, Er ist da, um die Bedürfnisse unseres Herzens zu befriedigen. Das macht: die menschlichen Dinge muß man erst erkennen, um sie zu lieben; aber die göttlichen Dinge muß man erst lieben, um sie zu erkennen. Nur Verwandtes kann das Verwandte in sich aufnehmen. Ja, man kann sogar den Buchstaben der Gotteserkenntniß haben, ohne zum lebendig machenden Geiste zu gelangen; man kann rechtgläubig sein, ohne recht gläubig zu werden. Die Gotteserkenntniß, die Gottesanschauung ist Sache des Herzens; ihm gehört sie zu, darum wird sie auch ihm zugesprochen und zuertheilt. Oder warum sagt die Schrift: „So Jemand Gott liebt, derselbige ist von Ihm erkannt und erkennt Gott.“ (1. Cor. 8,2.3.) „Christum lieb haben ist besser, denn alles Wissen.“? Warum ruft Petrus aus: „Wir haben geglaubt und erkannt, daß Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes.“ (Joh. 6,66.) und setzt den Glauben vor die Erkenntniß? Warum nennt Paulus, als den Weg, die Wahrheit zu erkennen, die Buße? (2. Tim. 2,25.) Warum spricht Christus, der Mund der Wahrheit: „So Jemand wird Deß Willen thun, der mich gesandt hat, der wird inne werden, ob diese Lehre von Gott sei, oder ob ich von mir selber rede“ (Joh. 7,16.17.)? Offenbar, weil nur das Herz der Schlüssel und Dollmetscher ist der Wahrheit des Evangeliums, weil nur die Selbsterkenntniß der Weg ist zur lebendigen Gotteserkenntniß, weil nur das Gefühl der eigenen Ungenüge den Menschen in die Stimmung setzt, in der er wünscht, das Evangelium möchte wahr sein; denn er braucht es in allen seinen Theilen.

Aber nicht nur setzt die lebendige Erkenntniß Gottes ein lebendiges, nach Gott verlangendes Herz voraus, um zu entstehen: sie wird auch immer heller, tiefer, reicher, beseligender, je mehr das Herz zunimmt an Reinheit und Gottergebenheit. Paulus sagt: „Nun aber schauen wir Alle die Klarheit des Herrn, wie in einem Spiegel, mit aufgedecktem Angesicht, und wir werden verklärt in dasselbige Bild, von einer Klarheit zu der andern, als vom Herrn, der der Geist ist.“ (2. Cor. 3,18.) Jede Wahrheit hat ihre Zeit; nicht auf einmal geht sie uns auf, sondern stufenweise; je reiner die Augen werden, mit denen wir sehen, desto heller wird auch das Licht, welches wir wahrnehmen. Wollte Gott dem Kinde das Maß der Erkenntniß offenbaren, wie dem Jünglinge und dem Manne: es würde von den überwältigenden Eindrücken, für welche jede Empfänglichkeit ihm fehlt, erdrückt und zermalmt werden. Je mehr das Herz an Reinheit zunimmt, desto mehr schauet es Gott. Je tiefer es seine Sünde fühlt, desto heller strahlt ihm Gottes Heiligkeit und Gerechtigkeit entgegen. Je brennender es hungert und durstet nach Gerechtigkeit, desto gewaltiger ergießt sich über dasselbe der Strom der göttlichen Gnade und Erbarmung. Je fester es seine Gedanken, Neigungen und Bestrebungen sammelt um den Herrn und auf den Herrn, desto bestimmter verklärt sich an ihm Gottes Weisheit, Größe, Majestät, Allgenugsamkeit und Unentbehrlichkeit. Der Herr wird ihm Alles; immer herrlicher, immer größer, immer anbetungswürdiger und wunderbarer.

Und kann es etwas Seligeres geben, als diese Gotteserkenntniß? Hatte Paulus Alles für Schaden geachtet, um sie zu gewinnen; ermahnt uns Petrus, reich zu werden an der Erkenntniß und zu wachsen in der Erkenntniß der Gnade Jesu Christi, wünschen alle Apostel ihren Gemeinden viel Gnade und Friede durch die Erkenntniß Gottes und Jesu Christi, unseres Herrn: wie selig muß diese wachsende Erkenntniß Gottes im reinen Herzen sein! Sie ist es, durch welche Er, der Gerechte, Viele gerecht macht. Sie schenkt uns Alles, was zum Leben und göttlichen Wandel dient. Sie erneuert das Herz und ist die nie versiegende Quelle von Licht und Leben; ja, sie selbst ist das ewige Leben. (Joh. 17,3.) Sie führt zu dem Gott wohlgefälligen Ruhme, da wir uns deß rühmen, daß wir den Herrn wissen und kennen, daß Er der Herr sei, der Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit übt auf Erden.

Wie selig aber auch diese Erkenntniß des Herrn hienieden sei: sie ist und bleibt nichtsdestoweniger immer nur Stückwerk, weil das Herz hienieden nie ganz rein wird. Erst dort, wo wir jede Sünde werden abgestreift haben und nichts Unreines mehr uns ankleben wird, werden wir Ihn ganz und vollkommen erkennen, wie wir von Ihm erkannt sind (1. Cor. 15,12.); erst dann wird das ganz reine Herz der Spiegel sein, in welchen die Geistersonne reine Strahlen werfen wird. Denn ohne Heiligung kann Niemand den Herrn sehen. (Ebr. 12,14.) Ihn sehen, wie Er ist, und Ihm gleich sein, stellt Johannes zusammen. (1. Joh. 3,2.) Ihn aber sehen von Angesicht zu Angesicht, an dem Orte, wo Seine Herrlichkeit in ungetrübtem Glanze leuchtet, unter lauter Wesen, die ihre Seligkeit gleichermaßen im vollsten Genusse dieser Herrlichkeit finden, und Ihn da immerfort zu sehen und zu ruhen in Seinem Frieden: welch eine Seligkeit, welch ein Genuß wird das sein! Gott schauen: das ist die letzte, die höchste Stufe im Lieben; es ist die Stufe, wo das Zwei aufhört und in Eins zerfließt; wo es nicht mehr heißt: Du und ich, sondern wo es heißt: Er in mir, und ich in Ihm. (Joh. 17,22.23.) Gott schauen: das ist Vollendungszustand, wie ihn der Psalmist andeutete, wenn er sang: „Ich will schauen Dein Antlitz in Gerechtigkeit, ich will satt werden, wenn ich erwache nach Deinem Bilde. Vor Dir ist Freude die Fülle und liebliches Wesen zu Deiner Rechten ewiglich.“ (17,15. 16.11.) Was sollte da der seligen Seele noch mangeln, wo Er, der Herr, selbst Alles in Allem ist; wo wir nichts schauen, als himmlische Schönheit, nichts hören, als himmlisches Harfengetön, nicht schmecken, als himmlische Seligkeit; wo den kleinsten Kindern wird klar und offenbar sein, was hier die größten Geister kaum ahnen konnten; wo wir im Lichte Gottes das ewige Licht sehen, und Ihn lieben werden ohne Ueberdruß, Ihn loben ohne Ermüdung, Ihn besitzen ohne Aufhören. Wahrlich, Gott schauen ist die vollendetste Freude und Seligkeit; eine Freude, die alle andern weit übersteigt, ja außer welcher es gar keine Freude giebt. Gott schauen, ist Inbegriff aller Vollkommenheit und die angenehmste Beschäftigung der vollendeten Gerechten.

Wen verlangte nicht nach solcher Seligkeit? wer sehnte sich nicht, dermaleinst Gott zu schauen? sehnte sich nicht danach, so oft er des Tages Last und Hitze trägt, so oft er an Sterbebetten geliebter Menschen steht, so oft in heiligen Augenblicken ihm ein ferner Blick in das himmlische Heiligthum vergönnt ist? Wohlan, sorget für reine Herzen; betet: „Schaff’ in mir, Gott, ein reines Herz, und gieb mir einen neuen, gewissen Geist; verwirf mich nicht von Deinem Angesichte, und nimm Deinen heiligen Geist nicht von mir!“ und ihr werdet Gott schauen.

Selig sind, die funden werden
Reines Herzens jederzeit;
Die in Werk, Wort und Geberden
Lieben Zucht und Heiligkeit.
Diese, welchen nicht gefällt
Die unreine Lust der Welt,
Sondern sie mit Ernst vermeiden,
Werden schauen Gott mit Freuden.

Amen.

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