Arndt, Johann Friedrich Wilhelm – 30. Predigt.

Arndt, Johann Friedrich Wilhelm – 30. Predigt.

Text: Matth. VII:, V. 15-23.

Sehet euch vor vor den falschen Propheten, die in Schafskleidern zu euch kommen; inwendig aber sind sie reißende Wölfe. An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen. Kann man auch Trauben lesen von den Dornen, oder Feigen von den Disteln? Also ein jeglicher guter Baum bringet gute Früchte; aber ein fauler Baum bringet arge Früchte. Ein guter Baum kann nicht arge Früchte bringen, und ein fauler Baum kann nicht gute Früchte bringen. Ein jeglicher Baum, der nicht gute Früchte bringet, wird abgehauen, und in’s Feuer geworfen. Darum an ihren Früchten sollt ihr sie erkennen. Es werden nicht Alle, die zu mir sagen: Herr, Herr! in das Himmelreich kommen; sondern die den Willen thun meines Vaters im Himmel. Es werden Viele zu mir sagen an jenem Tage: Herr, Herr, haben wir nicht in Deinem Namen geweissaget? Haben wir nicht in Deinem Namen Teufel ausgetrieben? Haben wir nicht in Deinem Namen viele Thaten gethan? Dann werde ich ihnen bekennen: ich habe euch noch nie erkannt, weichet Alle von mir, ihr Uebelthäter!

So lautet die vierte und letzte Warnung des Herrn in der Bergpredigt. Die erste war gegen das Richten Anderer, die zweite gegen die Bekehrungssucht, die dritte gegen die geistliche Erschlaffung, sei es im Gebet zu Gott, sei es in der Liebe zu Andern, sei es im eigenen Glaubenskampfe, gerichtet, die vierte endlich bezieht sich auf die Verführung der Kinder Gottes im Stande der Gnade durch falsche Propheten. Zu solcher Verführung neigt mehr oder weniger jeder Gläubige hin. Seitdem in ihm das Trachten nach höherer Erkenntniß und nach der Gerechtigkeit des Reiches Gottes erwacht ist, ist auch bei dem angeborenen Triebe, immer Neues zu hören und immer weiter fortzuschreiten, in jedem Christen ein Hang, nicht selten ein leidenschaftliches Jagen nach Geheimlehren, nach strenger Rechtgläubigkeit und nach besonderen Zeichen der Frömmigkeit vorhanden. Wie wichtig daher, daß Jesus auch diese Neigung zum Gegenstande Seiner Warnungen gemacht hat! Laßt uns Seine Warnungen beherzigen. Wir fragen: 1) wer sind die falschen Propheten? 2) was sind die falschen Propheten? 3) woran haben wir sie zu erkenne? 4) wie sehr haben wir Ursach, auf unserer Huth zu sein!

I.

Unmittelbar vor unserm Texte hatte Jesus von dem rechten schmalen Wege und der engen Pforte in’s Himmelreich gesprochen. Da nun jeder Mensch einen Führer auf diesem Wege bedarf, so kommt Alles darauf an, daß er den rechten Führer finde, und die falschen Propheten, die Verführer, vermeide. Wer sind diese falschen Führer und Propheten? Jesus schildert im Texte Beides, ihre gute und ihre böse Seite. Die gute, indem Er sagt, daß sie zu Ihm Herr! Herr! sagen, also, daß sie Ihn erkannt haben in Seiner Gottesherrlichkeit, und sich nun auch angelegen sein lassen, Ihn zu bekennen. Er sagt ferner, daß sie in Seinem Namen weissagen, mit Begeisterung von Ihm zeugen und reden, Sein Evangelium predigen, und den Glauben daran und die Bekehrung dazu mit Dringlichkeit fordern. Er sagt, daß sie im Namen Jesu Teufel austreiben und viele Thaten thun, daß sie also Werkzeuge sind, Andere aus der Gewalt des Satans herauszureißen, ihnen fleißig zu dienen und in solchem Dienste es sich sauer werden zu lassen, und nach außen hin oft mehr Gerechtigkeit und Frömmigkeit zu beweisen, als die wahren Christen. Dann aber zeichnet Jesus auch ihre schlechte Seite. Die ist nämlich keine andere, als daß sie in Schafskleidern kommen, daß alles bisher Genannte nur Außenwerk ist, von dem das Herz nichts weiß. Sie sind also natürliche, unwiedergeborene Menschen, die sich die Werke des neuen Menschen aneignen, und sich als Kinder Gottes geberden, ohne von Neuem geboren zu sein; die Jesum ihren Herrn nennen, aber nicht durch den heiligen Geist; die großen Eifer für das Evangelium beweisen, aber ohne wahre Besserung, die reich sind an Wohlthätigkeit, aber ohne ächte Menschenliebe; die sich auszeichnen durch gewaltige Unternehmungen und Verdienste für’s Reich Gottes, aber ohne reine Absichten; die große Redner, Bekämpfer des Bösen und Eiferer für den Herrn sind, aber innerlich selbst verwerflich nach wie vor bleiben. Mit andern Worten: es sind nichts als schnöde Heuchler, angethan mit der Maske des reinsten, lautersten Christenthums, ohne daß sie im Mindesten das Wesen desselben erkannt und erfaßt hätten. Alles ist todt an ihrem Christenthum, ihre Erkenntniß, ihr Bekenntniß, ihr Wandel und ihr Leben.

Solche falsche Propheten waren zu Jesu Zeit unter den Juden die Pharisäer und Schriftgelehrten. Wer schien frömmer, pünktlicher in der Abwartung des Gottesdienstes, ängstlicher in der Erfüllung des Gesetzes, peinlicher in der Reinerhaltung der jüdischen Lehre zu sein? wer stand sogar mehr im Rufe der Frömmigkeit, als sie? Und doch war Alles nur Schein! Solche falsche Propheten waren zu der Apostel Zeiten die Judenchristen in den Gemeinden, die aus blindem Eifer für’s Gesetz dasselbe auch den Heiden aufzunöthigen und die Lehre von der Gerechtigkeit allein durch den Glauben zu beeinträchtigen suchten, die dem Apostel Paulus unaufhörlich widerstanden, und sein Ansehen auf alle Weise schmälerten. Solche falsche Propheten verkündigten die Apostel im Voraus schon für die spätern Zeiten der christlichen Kirche: „Das sollst du aber wissen, daß in den letzten Tagen werden gräuliche Zeiten kommen; denn es werden Menschen sein, die von sich selbst halten, geizig, ruhmräthig, hoffärtig, Lästerer, den Eltern ungehorsam, undankbar, ungeistlich, störrig, unversöhnlich, Schänder, unkeusch, wild, ungütig, Verräther, Frevler, aufgeblasen, die mehr lieben Wollust, denn Gott; die da haben den Schein eines gottseligen Wesens, aber Seine Kraft verläugnen sie. Solche meide!“ (2. Tim. 3,1-7. 1. Tim. 4,1-3.) Und ist etwa unsere Zeit frei geblieben von dergleichen falschen Propheten? Giebt es nicht deren genug, die den Schein des Glaubens erkünsteln und erlogene Frömmigkeit zur Schau tragen? die Herr! Herr! sagen, ohne daß ihr Herz an den Herrn denkt; die die heiligen Namen: Gott, Jesus, Heiland, unaufhörlich auf den Lippen tragen und den Satan im Herzen; die durch ein leeres und herzloses Schwatzen über Gottes Wort und über Gegenstände des Glaubens sich zu empfehlen meinen; die ihr Christenthum darin setzen, nur immer recht bitter auf die Welt loszuschlagen, recht leidenschaftlich zu richten und zu verdammen, recht lebhaft ihren Unwillen über Dieses und Jenes, was ihrer Habsucht, ihrem Ehrgeiz und ihren bösen Lüsten im Wege steht, auszulassen; die viele Bibelstellen unaufhörlich im Munde führen und eine nicht gewöhnliche Schriftkenntniß verrathen; aber siehe – es ist Alles nur Sache des Kopfes und des Wissens, nicht des Herzens und des Lebens! Giebt es nicht deren genug, die im Namen Jesu weissagen, Teufel austreiben und viele Thaten thun, die fleißig Kirche und Abendmahl besuchen, bei keinem wohlthätigen und gemeinnützlichen Werke fehlen, Almosen sehr reichlich geben, - aber in dem Allen nur sich selbst suchen? die viel Eigenthümliches erlebt, Erscheinungen aus der andern Welt, wunderbare Gesichte und Träume gehabt zu haben vorgeben und in diesen Zeichen ein besonderes Gepräge ihres Christenthums finden wollen? die viel mit geheimer Kunst und Wissenschaft prahlen; - ach, und es ist Alles nur ein gottloses Spiel mit dem Heiligen, und ein ungemessener geistlicher Stolz und Hochmuth! Sie wollen ihren Ehrgeiz auf neue Weise befriedigen und sich Meister nennen lassen. Sie wollen mit einem erzwungenen und prunkenden Scheine ihre vorigen Untugenden vergessen machen, und die Welt überreden, daß sie neu geboren wären. Ach, und im Geheimen leben sie böser Lust, sind sie ohne wahre Liebe gegen ihre Mitmenschen, ohne Treue gegen ihre Freunde, ohne Gewissenhaftigkeit in ihrem Berufe, ohne Demuth bei Glück und ehre, ohne ruhige Ergebung in Unglück und Noth. Es ist Alles nur Frömmelei, nicht wahre Frömmigkeit; es ist Alles nur Maske, Larve, Schminke, geborgtes Wesen, nicht guter Gehalt und fester Grund und Boden. Ihre Hände sind Esau’s Hände; aber ihre Stimme ist Jacob’s Stimme.

II.

Vor solchen Menschen warnt der Herr Seine Jünger und Nachfolger; denn was sind solche falschen Propheten in der That und Wahrheit? „Sehet euch vor vor den falschen Propheten,“ sagt Jesus, „die in Schafskleidern zu euch kommen, inwendig aber sind sie reißende Wölfe.“ Reißende Wölfe sind sie, nichts Anderes, als das. Mögen sie es noch so gut zu meinen scheinen: es ist doch Alles unächt an ihnen, und auch nicht das Mindeste probehaltig; und darum sind sie im höchsten Grade gefährlich für alle Gläubigen, die, aus Begierde selig zu werden, gern Jeden, der die Miene der Frömmigkeit annimmt, anhören, und ohne den rechten Unterschied immer gleich treffen zu können, zumal im Anfange ihrer Erweckung und Bekehrung, Alles gutmüthig und leichtgläubig annehmen, was solche scheinbare Helden des Glaubens ihnen als annehmbar anempfehlen.

Wölfe sind sie. Der Wolf ist kein Hausthier, sondern ein wildes Thier des Waldes; er kann nicht vor den Pflug gespannt werden, er kann nicht das Haus bewachen, er kann keine treuen Dienste leisten, und zu welchen Künsten und Kunststücken er auch abgerichtet werde, seine Wolfsnatur kann er doch nimmer verläugnen, und wahren Nutzen stiftet er niemals. Sehet da, Geliebte, was wir von den falschen Propheten zu erwarten haben! Bei aller angenommenen Liebe zu uns suchen sie doch nie unser Heil und Bestes, sondern immer nur ihren eigenen Vortheil. Alle ihre Worte und Thaten quillen aus eigenliebigem Herzen. Sie stellen sich nur gut und fromm; aber im Grunde ihres Wesens sind sie böse und gottlos. Sie gleichen dem Wurme im rothen Apfel. Ihre süßen Worte, ihre frommen Mienen, ihre andächtigen Seufzer sind nichts als Lug und Trug. Wohl wissen sie, daß kein Irrthum Eingang findet, wenn er nicht wenigstens etwas Wahres an sich trägt, und daß die Sünde keinen Beifall erntet, wenn sie nicht das Gewand des Rechts und der Gottseligkeit um sich wirft: - darum benutzen sie die Vermummung, um ihre selbstsüchtigen, heillosen Zwecke desto gewisser zu erreichen.

Wölfe sind sie, und zwar reißende Wölfe. Es ist ihnen nicht allein darum zu thun, sich selbst zu suchen und ihre eigene Ehre: sie suchen sich selbst nur auf Kosten Anderer. Diese zu täuschen, zu betrügen, zu verderben, sie loszureißen von Gott, jeden Grund der Frömmigkeit in ihrem Herzen auszurotten: das ist ihre Aufgabe und ihr Streben. Honig tragen sie im Munde, aber Gift im herzen. Ihre Nähe, ihr Umgang, ihr Vorbild ist vergiftend. Wer sich ihnen als seinen Führern überläßt, der wird bald ihnen gleich werden in schnöder Heuchelei, wird den Pfad des Lebens verlieren und den schrecklichsten aller verderblichen Wege betreten. Wehe, wer mit Heuchlern zu thun hat, und von ihnen sein Christenthum lernt! Sie stecken an und tödten, wie Pesthauch. jeder Heuchler ist ein Gespenst, unheimlich in der Nacht verhüllt umherwandelnd, und er ist darum auch zu fliehen wie ein Gespenst. Nicht schadet der Frömmigkeit mehr, als die Frömmelei. Gewiß, das Christenthum wäre schon viel weiter verbreitet in der Welt und hätte schon viel kräftiger alle Lebensverhältnisse durchdrungen, wenn nicht jene Falschheit, die fast so alt ist, wie die Menschheit, da sie in Kain ihren Stammvater findet; wenn nicht jene Heuchelei, die sogar älter ist, als die Menschheit, da sie im Teufel ihren ersten Ursprung hat, der sich zu verstellen weiß wie ein Engel des Lichts, genagt hätte vom Anfang an am innersten Mark und Leben der christlichen Kirche. Wer fühlte sich nicht zurückgestoßen vom Heuchler, wenn dieser als solcher offenbar wird? Wessen heiligste Pflicht ist es daher nicht, ihn zu fliehen, wenn er mit seinen verführerischen Grundsätzen, Lehren und frömmelnden Uebungen, ihm naht? Und wie wichtig ist es daher, zu wissen, woran man den Gleißner zu erkennen hat, um sich vor seinem verderblichen Umgange zu hüten!

III.

Welches sind also die Kennzeichen der falschen Propheten? Jesus giebt sie im Texte an: „An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen. Kann man auch Trauben lesen von den Dornen, oder Feigen von den Disteln? Also ein jeglicher guter Baum bringet gute Früchte; aber ein fauler Baum bringet arge Früchte. Ein guter Baum kann nicht arge Früchte bringen, und ein fauler Baum kann nicht gute Früchte bringen. Ein jeglicher Baum, der nicht gute Früchte bringet, wird abgehauen, und in’s Feuer geworfen. Darum an ihren Früchten sollt ihr sie erkennen.“ Jeder Baum hat seine Frucht; er kann keinem andern auf die Dauer es nachmachen; durch Gärtnerkunst kann er wohl veredelt, aber nicht verwandelt werden; noch nie ist aus einem Dornenstrauch ein Weinstock, noch nie aus einer Distel ein Feigenbaum geworden; sondern der Dornstrauch ist immer Dornstrauch geblieben, auch wenn er noch so reich mit Weintrauben behangen war, und die Distel ist immer Distel geblieben, auch wenn sie in der Fülle der reifsten Feigen prangte. So kann der Heuchler auch wohl den Schein des Guten anlegen; aber auf die Dauer geht’s nicht; über kurz oder lang tritt seine nackte, kahle Gestalt heraus, und Jedermann gewahrt, was er an ihm hat, einen widerwärtigen Heuchler. Was nur angelernt und angenommen ist, besteht die Probe nicht.

Ferner verlangt der Herr offenbar gute Früchte, Feigen und Trauben, nicht Dornen und Disteln; und die finden wir beim Heuchler nicht durchgängig. So lange das Innere eines Menschen nicht erneuert ist, so lange er noch nicht wirklich durch herzliche Buße über seine Sünde und durch lebendigen Glauben an Jesum Christum ein Kind Gottes geworden ist, kann er keine guten Früchte tragen. Schöne kann er wohl tragen, aber nicht gute. Und wenn er noch so gottselige Gespräche führte, und wenn er noch so oft und inbrünstig betete, und wenn er alle Sonntage Vor- und Nachmittag in die Kirche ginge, und wenn er keine Erbauungsstunde versäumte, und wenn er, so oft das heilige Sacrament gespendet wird, am Altare erschiene, es entsprächen aber seinen frommen Uebungen nicht seine Handlungen und Thaten, er fröhnte zügellos auch nur einer Leidenschaft und buhlte unverholen auch nur mit einer Lieblingssünde: so ist sein ganzes Christenthum Heuchelei, so ist er wie ein übertünchtes Grab, das auswendig hübsch scheint, aber inwendig voll Todtengebeine und Unflaths ist. Ein wiedergeborener Christ dagegen kann wohl in eine Schwachheit fallen; aber arge Früchte kann er nicht bringen, offenbare Sünden kann er nicht begehen, einen durchaus schlechten Wandel kann er nicht führen, es sei denn, daß er vom Herrn abfiele und die Gnade Gottes verlöre. Denn der lebendige Glaube bringt allezeit gute Werke und muß sie bringen, oder er hat aufgehört, lebendiger glaube, Umgang mit dem Herrn und Nachfolger Seiner Fußtapfen zu sein. Ist Jemand in Christo, so ist er eine neue Creatur!

Die Früchte, an denen wir den Heuchler vom Christen zu unterscheiden haben, sind nicht nur gute Früchte und bleibend gute Früchte, - sie sind auch deutliche Früchte, die man sogleich als solche erkennen kann. Jedermann weiß auf den ersten Blick, was eine Traube und was ein Dornbusch, was eine Feige und was ein Distelkopf ist (Der Stechdorn trägt kleine schwarze Beeren, denen der Weintraube ähnlich, und die Disteln haben einen Blumenkopf, der wohl mit den Feigen verglichen werden kann.). So ist auch die Demuth der Kinder Gottes eine so unverkennbare, so stille, so herzliche, so einzige, daß Keiner, der sich auf’s Menschenherz versteht, sie übersehen kann; und ihr innerer Muth, ihre Freudigkeit und Kraft des Glaubens ist so siegreich, so gegenwärtig, so viel erprobt, daß sogar die Welt sie eingestehen und anstaunen muß. Wer nicht solche Werke thut, sagt Luther, ist ein glaubensloser Mensch, tappt und sieht sich um nach Glauben und guten Werken, und weiß weder, was Glaube ist, noch, was gute Werke sind, wäschet und schwatzet doch viel Worte vom Glauben und guten Werken. Deutlich sind demnach die Früchte des Christen, aber deutlich erkennbar auch die Früchte des Heuchlers; und es ist wichtig für uns, Geliebte, auf dieses Kennzeichen wohl zu merken, damit wir nicht in Gefahr kommen, für Heuchelei zu halten, was keine ist, und dagegen die entschiedenste Heuchelei nicht zu erkennen! Gott bewahre uns davor, daß wir jemals einen Menschen in ungerechtem Verdacht der Heuchelei haben! Wir wollen das Gericht über die Herzen Dem anheim stellen, der da recht richtet; aber wo wir entschieden arge Früchte wahrnehmen, da wollen wir auf unserer Huth sein.

Diese Früchte sind endlich allentscheidend. Scheinbar sind selbst den Heuchlern die Früchte die Hauptsache, auf die sie pochen und trotzen, von der sie viel Lärm und Geschrei machen in der Welt und nach der sie wollen gerichtet werden: nun, sie werden auch danach gerichtet werden! als eine Wage stellen sie sich das Gericht vor, und es wird ihnen gewogen, und sie werden zu leicht befunden. Von Vergeltung und nie von Vergebung schwatzen sie auf Erden, und es wird ihnen vergolten werden jede böse That, jedes unnütze Wort, jeder unlautere Gedanke, jede schlechte Neigung, und vergeben nichts, weil sie von Vergebung nichts wissen wollen. Fürwahr, ein ernstes, schweres, drohendes Gericht! Jesus nennt im Texte lauter Sachen, die an sich gut, groß und herrlich sind; Er sagt: “Es werden nicht Alle, die zu mir sagen: Herr! Herr! in das Himmelreich kommen, sondern die den Willen thun meines Vaters im Himmel. Es werden Viele zu mir sagen an jenem Tage: Herr, Herr, haben wir nicht in Deinem Namen geweissagt? Haben wir nicht in Deinem Namen Teufel ausgetrieben? Haben wir nicht in Deinem Namen viele Thaten gethan? nach unserer Zeit zu reden: Haben wir nicht Kirchen gebaut, Schulen gegründet, Gemeinden gestiftet, das Evangelium den Heiden verkündigt? Bibel-, Missions-, Tractats-Gesellschaften unterstützt? Erbauungsstunden gehalten und besucht? Kranke gepflegt, wohlthätige Anstalten gefördert? um des Glaubens willen uns verfolgen lassen? Und Er antwortet ihnen nicht: „Ihr lügt, ihr habt das nicht gethan!“ Er widerspricht nur dem Schlusse, den sie machen von ihren Leistungen auf die Erlangung der ewigen Seligkeit, und antwortet ihnen: “Ich habe euch noch nie erkannt, weichet Alle von mir, ihr Uebelthäter!“ alle eure gepriesenen guten Thaten waren nichts als Uebelthaten, alle eure frommen Uebungen nichts als glänzende Sünden. Welch ein ernstes, schweres, drohendes Gericht! Sie dachten dort zu den Belohntesten zu gehören, und sie müssen sich zu den Verworfensten zählen unter Allen. Ihre Maske ist abgerissen, und sie stehen da vor der ganzen Welt, wie sie sind, als Heuchler und Betrüger, als Falschmünzer und Diebe. Wie furchtbar, wenn es so einmal tagen, so einmal licht und hell werden wird um die verblendete Seele! Ach, dann werden sie noch vielmehr erschrecken, als David, wie Nathan zu ihm sprach: „Du bist der Mann!“ – als Herodes, wie Johannes der Täufer ihm erklärte: „Es ist nicht recht, daß du deines Bruders Weib habest!“ Ach, dann ist jegliche Reue zu spät; die Zeit hat ihre Thore geschlossen, und das bedeutungsvolle, das heilig-ernste Leben ist unwiederbringlich verschleudert.

Sehet, Geliebte, so vielumfassend sind die zwei mal im Text wiederholten, nachdrucksvollen Worte: An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen! Hier schon, da die wahrhaft guten Früchte immer über kurz oder lang als solche deutlich heraustreten; dort noch mehr, wenn das unbestechliche Gottesgericht wird gehaltne und die Bücher aufgeschlagen und offenbar werden wird Alles, was im Finstern verborgen ist.

IV.

Sehet euch vor! sagt der Herr. Geliebte, es ist eine ernste Warnung. Ernst, wenn wir von Heuchlern umgeben sind und jeden Augenblick in Gefahr stehen, von ihnen getäuscht zu werden; noch ernster aber, wenn wir selbst die falschen Propheten sind, vor denen Jesus Seine Jünger warnt. Dann klingt es noch viel bedeutsamer, das vollwichtige: “Sehet euch vor!“ Sehet euch vor vor euch selbst, daß ihr nicht in Falschheit und Heuchelei gerathet, daß euer Christenthum nicht bloß Schein und Trug sei, sondern Wahrheit und Redlichkeit, daß ihr nicht reißende Wölfe an euch selbst werdet. Ach, der Heuchler wähnt Gott und Menschen zu täuschen; aber in der That täuscht er nur sich selbst. Heuchelei ist die Wassersucht der Seele, sie giebt den Schein der Fülle und des Gedeihens, beherbergt aber den Tod. Sie glaubt in vollem Ernste, ein Christ zu sein, und besser als ihre Mitmenschen, und ist nichts weniger als das. Sie redet sich ein, dem Herrn anzugehören, und sie gehört wesentlich dem an, der da ist der erste Lügner, der Mörder und Lügner von Anbeginn. Sie trennt je länger je mehr Gott und den Menschen, und befestigt eine Kluft, die nie wieder ausgefüllt werden kann. Sie verwirkt zuletzt immer das achtmalige Wehe, welches der Richter aller Welt über die Heuchler ausruft. (Matth. 23.) O darum prüfe Jeder sich selbst, damit er sich nicht täusche über das Allerwichtigste, über seine ewige Seligkeit. Es ist nichts leichter, als in Heuchelei zu gerathen. Wenn wir die Kirche besuchen, und voller Andacht zu sein scheinen, aber unsere Gedanken sind nicht bei dem verkündigten Worte, sondern bei unsern Sorgen, Genüssen, Arbeiten, Plänen: heucheln wir da nicht? Wenn wir beten das Gebet des Herrn, aber verlangen nach nichts weniger als nach der Heiligung des göttlichen Namens, nach dem Kommen Seines Reichs, nach der Vollbringung Seines Willens, begehren mehr als unser täglich Brodt, wollen nicht vergeben, noch die Versuchung fliehen: heucheln wir da nicht? Wenn wir singen, wie wir vorhin sangen: „Mache dich, mein Geist, bereit, wache, bet’ und singe!“ aber denken auch nicht im Entferntesten daran, uns bereit zu machen und zu wachen und zu beten: heucheln wir da nicht? Wenn wir als Taufzeugen am Tauftische erscheinen, und sprechen das „Ja!“ zum apostolischen Glaubensbekenntniß sogleich aus, ohne daß wir wirklich glaubten, was in demselben enthalten ist, und für dasselbe zu wirken beabsichtigten: heucheln wir da nicht? Wenn wir zum Abendmahle gehen wollen, und bekennen bei der Beichtvorbereitung, daß wir arme, elende, verdammungswürdige Sünder sind und nur durch Gottes Gnade um Christi willen selig werden wollen, halten uns aber im Herzen für sehr tugendhaft und würdig zum Sacrament: heucheln wir da nicht? Wenn wir scheinbar die Liebe selbst sind gegen unsere Brüder, und überhäufen sie mit süßen Worten, mit herzlichen Redensarten, hinter dem Rücken verläumden, verspotten, beeinträchtigen wir sie aber, so viel wir nur können: heucheln wir da nicht? Wahrlich, es ist eine Sache des heiligen Ernstes, das Seligwerden! Wer noch fürchten kann, fürchte, daß er die Verheißung, einzukommen zu des Herrn Ruhe, nicht versäume!

Zumal da diese Warnung vor Selbstbetrug noch vermehrt wird durch den Umstand, daß erst an jenem Tage des großen Gerichts die falschen Propheten inne werden, daß sie zu allermeist sich selbst verführt und betrogen haben. Es kann also Jemand das ganze Leben hindurch in Selbstbetrug befangen gewesen sein, in diesem Selbstbetruge aus der Welt gehen, und erst dort erwachen. Wie schaurig aber, hienieden nicht zu wissen, woran man ist, und das Gegentheil von dem sich einzubilden, was man wirklich ausmacht. Der Wahnsinnige, der sich einbildet, er sei ein großer, mächtiger König, ist lange nicht so übel daran, als der Christ, der sich einredet, er sein ein Heiliger Gottes, wie Keiner, und ist vor des Allwissenden Augen nichts als ein Uebelthäter. Wie schaurig, dort erst zu erfahren, daß man nicht gut, sondern schlecht, nicht fromm, sondern gottlos gewesen, und in dem allerwichtigsten Lebenswerke sich vergriffen hat! Wohl wird dann wahr werden das Wort eines frommen Mannes: daß in der Ewigkeit große Entwirrungen stattfinden werden. Viele, von denen wir es hier unten nie gedacht, werden wir unter den Seligen wahrnehmen; Viele dagegen, denen wir um ihrer Frömmigkeit willen die Seligkeit zugesprochen, werden von Gott ewig abgewiesen werden. Darum, darum sehet euch vor, daß ihr nicht reißende Wölfe an euch selber werdet, und bedenket alle Zeit das Wort der Schrift: „Die Freude Heuchler währt einen Augenblick, und die Hoffnung der Heuchler wird verloren sein.“ Amen.

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