Arnd, Johann - Die sieben Bußpsalmen - Psalm 38
Ps. 38,2.
Herr, strafe mich nicht in deinem Zorn, und züchtige mich nicht in deinem Grimm. Denn deine Pfeile stecken in mir, und deine Hand drückt mich.
Hier ist ein Herz beschrieben, das sich vor GOttes Zorn fürchtet. Aber so sicher macht der böse Feind die Menschen, dass sie nicht bedenken, dass GOtt der HErr ein gerechter GOtt ist, der da wider die Sünde eifert. Darum ist die Sicherheit ein recht teuflisch Gift, wodurch unsere Seelen des besten Schatzes beraubt werden.
Es möchte aber jemand sagen: Wie zürnt denn unser lieber GOtt und hat einen Grimm wie ein Mensch? Bewegt sich denn GOtt auch also in Seinem göttlichem Gemüt, das wäre ja ein Stück der Unruhe und Unseligkeit? Nein; wenn die Schrift von GOttes Zorn und Grimm redet, das ist nach menschlicher Weise geredet; denn GOtt ist unbeweglich und unwandelbar. Das ist aber GOttes Zorn, wenn Er leiblich und geistlich straft, wenn Er Seine Gnade entzieht und Seinen Trost abwendet, wenn Er den Menschen hinfallen lässt in sein eigen Elend, nimmt von ihm, was GOttes ist, das ist: alle Gaben, allen Trost und Frieden des Herzens, und lässt dem Menschen sein Eigenes, nämlich die Sünde und Kraft der Sünde, das ist Jammer und Elend, und das heißt in der Schrift der Zorn GOttes. Darum, wenn die Schrift sagt: Wer an den Sohn (GOttes) glaubt, der hat das ewige Leben, wer dem Sohne nicht glaubt, der wird das ewige Leben nicht sehen, sondern der Zorn GOttes bleibt über ihm; das ist nicht also zu verstehen, dass Sich GOtt in Ihm selbst durch Zorn bewege wie ein Mensch, sondern GOtt bleibt unbeweglich und ist die höchste Freude und Ruhe. Er lässt aber den Menschen, der sich von Ihm abwendet, und sich nicht wieder zu Ihm bekehrt,
hinfahren in seinem Unglauben und in seinen Sünden, dass ihn seine eigenen Sünden ängsten und quälen bis in die Hölle, und lässt ihn im ewigen Tode, und das heißt, GOttes Zorn, welcher ist ein verzehrend Feuer. Fürs andere ist GOttes Zorn also zu verstehen, wenn das Gesetz GOttes, welches GOtt der HErr in unser Gewissen geschrieben hat, lebendig wird und anfängt in Kraft zu gehen. Nun ist aber die Kraft und Wirkung des Gesetzes, dass es die Gewissen schreckt, ängstet und gleichsam tötet. Daher St. Paulus sagt, das Gesetz sei ein Amt, das die Verdammnis predigt, das geschieht nicht außer dir, sondern in dir und in deinem Gewissen, und des Gesetzes Fluch ist nicht so ein Fluch, der mit Worten geschieht außer dir, sondern es ist eine lebendige, tätige Kraft, so das Gewissen empfindet. Und das sind die Pfeile GOttes, darüber hier David klagt: deine Pfeile stecken in mir. Es ist ein Gleichnis, genommen von einem tödlichen Geschoss, da die Wunde nicht kann zur Ruhe kommen, man habe denn die Pfeile zuvor herausgenommen. Die innerlichen Pfeile sind die Schrecken des Gewissens, darüber klagt David, und die äußerlichen Pfeile GOttes erwecken die innerlichen, dass dem Gewissen oft weher, tut, denn ein leiblicher Pfeil. Und das ist eben die Hand des Allmächtigen, die uns drückt. Gleichwie nun ein weltlicher Richter, wenn er Gericht hält, sich nicht erzürnen darf, sondern bleibt unbeweglich und lässt ergehen, was recht ist, also der gerechte Richter, unser lieber GOtt, lässt Sein Gericht ergehen über alles Fleisch, dadurch alle Menschen wegen der Sünde zum Tode verurteilt werden. Das ist nun GOttes Zorn, GOttes Grimm, GOttes Pfeile.
Mel.: Wend ab deinen Zorn.
Vergib HErr gnädig unser große Schulde,
Lass über das Recht deine Gnade walten,
Denn du pflegst zu schonen nach großer Hulde,
Uns zu erhalten.
Ps. 38,2.3
Züchtige mich nicht in deinem Grimm. Denn deine Pfeile stecken in mir und deine Hand drückt mich.
Jeremias im 10. K. V. 24 heißt es: Züchtige mich, HErr, doch mit Maß, auf dass du mich nicht aufreibst; daraus wir lernen sollen, wie ein Mensch durch die Sünde und Bosheit, durch seine eigene Schuld sich von GOtt abwendet und fällt in sein eigen Elend, Tod und Verdammnis, daran er selbst schuld ist. Denn GOtt ist die höchste Liebe, ist lauter Seligkeit und Leben; wer sich nun von GOtt abwendet, der fällt in die größte Traurigkeit und Unruhe seines Gewissens, in Tod und Verdammnis. Obgleich solche Angst nicht alsobald im Gewissen empfunden wird, so sticht sie doch zuletzt wie eine Schlange, die Sünde wachet endlich auf und wird lebendig, und GOtt hält dann durchs Gesetz Gericht in eines jeden Menschen Gewissen, und werden dann die Sünden durchs Gesetz geschärft.
Da fühlt dann ein Mensch in seinem Herzen GOttes Zorn und Grimm und Seine schwere Hand, das ist: GOttes Urteil und Gericht wider die Sünde; und in solcher Angst, welche nichts anders ist denn die Hölle, müsste der Mensch ewig bleiben, wenn er sich nicht wieder zu GOtt bekehrte. Und es kann auch ein Mensch von dieser Angst nicht eher erlöst werden, bis er sich wieder zu GOtt bekehrt; denn GOtt ist allein der Seelen Ruhe und Freude, und wer sich von GOtt abwendet, der wendet sich ab von seiner Ruhe und seinem Frieden.
Wir lernen auch hier, wie hochnötig die Buße sei, und welch eine große Gnade es sei, dass GOtt den Sündern Buße verordnet hat; denn ohne Buße kann der Mensch nimmermehr der Angst und Pein seiner Seele los werden. Dazu hat GOtt der HErr
den einigen Mittler, unsern HErrn JEsum Christum, verordnet, und uns Denselben zum Gnadenstuhl vorgestellt, durch welchen wir einen freudigen Zutritt zu GOtt haben durch den Glauben. An Denselben hat GOtt alle Sünder gewiesen. Welch eine große Gnade es ist, dass GOtt den Sündern Buße verordnet hat, erkannte Manasse; denn da er in seinem großen Elende war und nirgend Ruhe noch Trost fand, erinnerte er sich, dass GOtt Buße den Sündern verordnet habe, wendet sich daher von ganzem Herzen zu GOtt und bittet um Gnade und erlanget sie auch. Daraus zu erkennen ist, wie hoch GOtt erzürnt und verachtet wird, wenn man nicht will Buße tun. Denn Er hat ja Seinen lieben Sohn nicht darum in die Welt gesandt, dass Er die Welt richte, sondern dass die Welt durch Ihn selig werde; und werden auch die Menschen nicht darum verdammt, dass sie Sünder seien, sondern, dass sie nicht wollen Buße tun.
Mel. Aus tiefer Not.
Ach, GOtt, wenn mir das kommet ein,
Was ich mein Tag begangen,
So fällt mir auf mein Herz ein Stein,
Und bin mit Furcht umfangen:
Ja, ich weiß weder aus noch ein,
Und möcht wohl gar verloren sein,
Wenn ich dein Wort nicht hätte.
Ps. 38,4
Es ist nichts Gesundes an meinem Leibe vor deinem Dräuen, und ist kein Friede in meinen Gebeinen vor meiner Sünde.
In diesen und den folgenden Sprüchen gedenkt David nicht der Traurigkeit und Angst seiner Seele, daran er doch die größte Not leidet, sondern klagt über seinen Leib und seine Gebeine, die so jämmerlich zugerichtet sind; denn wenn die Seele Not leidet, so verschmachtet auch der Leib und wird matt und frank, wie im 39. Psalm steht: „Wenn du einen züchtigst um der Sünde willen, so wird seine Schöne verzehrt wie von Motten. Ach, wie gar nichts sind doch alle Menschen.“ Und weil die Seelenangst unsichtbar ist, so hat sie der liebe David sichtbar machen wollen und uns vor Augen stellen durch leibliche Not und Krankheit, auf dass wir die Macht der Sünde verstehen lernen, darum spricht er hier: „Es ist nichts Gesundes an meinem Leibe vor deinem Dräuen.“ Die Drohungen GOttes in Seinem Worte werden so gering geachtet und haben doch so einen gewaltigen Nachdruck, wenn sie im Herzen lebendig werden, dass kein Mensch davor bleiben kann, wenn ihn GOtt nicht tröstet mit Seiner Gnade. O, denkt mancher, wer weiß, ob diese Drohungen auch Kraft haben? Dagegen höre hier, was David sagt: Es ist nichts Gesundes an meinem Leibe rc.; die Seele empfindet die Kraft der Drohworte GOttes, und dieselben werden lebendig; denn es sind nicht Menschenworte, sondern des lebendigen GOttes Worte, welche eine gewaltige Kraft haben, es sind die Anklagen des Gesetzes, und diese Anklage geschieht nicht außer uns, sondern in unserm Gewissen, da droht das Gesetz und übt seinen Fluch. Diese Drohungen GOttes, welche das Gewissen empfindet,
machen große Unruhe im Herzen, Traurigkeit, Furcht und Schrecken, dass das Gewissen keinen Frieden haben kann. Denn der Seelen Frieden ist GOtt allein und Seine Gnade, die Seele kann nicht ruhen als in GOtt, und wenn nun unser lieber GOtt beleidigt ist durch die Sünde wider das Gewissen, so entsteht großer Unfriede und Unruhe im Herzen, und den Seelenfrieden kann man nicht wieder erlangen als durch den Glauben an Christum; darum spricht unser lieber HErr: Kommt zu mir, so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen. Darum hat uns Christus, unser HErr, den Seelenfrieden wieder erworben durch Sein Leiden und Sterben. Dass er aber sagt: Es ist kein Friede in meinen Gebeinen vor meiner Sünde, ist also zu verstehen: Weil die Gebeine die Stärke des menschlichen Leibes sind, und der Sünden Sold ist der Tod, so frisst und naget der Sünden Wurm heimlich an den Kräften des Menschen und will sie tot haben, und verzehrt also heimlich die Gebeine und ihre Stärke. Die Arznei unserer Seelenangst ist die hohe Traurigkeit unseres HErrn JEsu Christi, da Seine Seele betrübt worden ist bis in den Tod; dadurch sollen wir die Schrecken unseres Gewissens heilen, dadurch hat uns Christus den Seelenfrieden erworben.
Mel.: Wenn meine Sünd mich kränken.
HErr, lass dein bitter Leiden
Mich reizen für und für,
Mit allem Ernst zu meiden
Die sündliche Begier,
Dass mir nie komme aus dem Sinn,
Wie viel es dich gekostet,
Dass ich erlöst bin.
Ps. 38,5.6
Denn meine Sünden gehen über mein Haupt, wie eine schwere Last sind sie mir zu schwer worden. Meine Wunden stinken und eitern vor meiner Torheit.
Hier ist ein Gleichnis, genommen von einer tiefen Grube, da einem der Schlamm über das Haupt zusammengeht, dass man nicht emporkommen kann, wie der 69. Psalm dasselbe erklärt: „GOtt hilf mir, denn das Wasser geht mir bis an die Seele; ich versinke in tiefem Schlamm, da kein Grund ist.“ Was dies für eine große Seelennot sei, ist nicht auszudenken; darum erklärt David dieselbe mit einer solchen leiblichen Not, dass wir etlichermaßen die große Tiefe erkennen sollen, darin die Seele durch die Sünde gestürzt wird. Welch eine schwere Last die Sünde sei, ist wohl daraus abzunehmen, dass Christus JEsus, GOttes Sohn, vom himmlischen Vater hat müssen verordnet werden, unsere Sünde zu tragen. Jes. 53,4. Manasse klagt GOtt dem HErrn: Meiner Sünden sind viel, wie Sand am Meere. Diese schwere unerträgliche Last fühlen die sicheren Menschen nicht; wenn aber die Sünde recht erkannt wird, ists unmöglich, dass ein Mensch es ertragen kann. Darum hat uns der Sohn GOttes zu Sich gerufen und gesagt: „Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid.“ Ich weiß wohl, dass ihr eure Sünden nicht ertragen könnt, darum kommt zu mir. Ach! dass doch das alle armen Sünder bedächten, so würden sie von der schweren Last nicht unterdrückt werden. Denkt doch, wie erschrecklich es sei, die Last der Sünden ewig tragen müssen, denket, welche Wohltat es sei, dass Christus, unser HErr, unsere Sünden getragen, und nicht eines Menschen, sondern der ganzen Welt Sünde, und dass Er uns von dieser grausamen Last erlöst hat, dass wir nicht sagen dürfen: ihr Berge fallt über uns, ihr Hügel bedeckt uns.
„Meine Wunden stinken und eitern vor meiner Torheit.“ Hier ist ein Gleichnis, genommen von einer schmerzhaften Wunde, womit David die inwendigen Schmerzen der Seele, die geistlich verwundet ist, schildern will. Wie nun der Gestank eines faulen menschlichen Körpers unerträglich ist, also ist die Sünde ein solcher Gräuel, dass sie den höllischen Gestank aus dem Pfuhl des Abgrunds mit sich bringt. Und kann denselben ein Mensch nimmermehr ertragen, wo er sich nicht tröstet, dass Christus, unser HErr, Sich für uns aufgeopfert hat zu einem süßen Geruch. Der süße Geruch des Opfers Christi ist der Gehorsam Christi, womit Er Seinen Vater versöhnt hat. Der ist auch uns armen Sündern ein Geruch des Lebens wider unsere stinkende Sünde geworden. Wenn aber David hier seiner Torheit gedenkt, so lehrt er uns damit, dass die Sünde die größte Torheit sei, wodurch wir, um einer kurzen fleischlichen Lust, solchen ewigen Jammer auf uns laden.
Mel.: JEsu, der du meine Seele,
JEsu, du hast weggenommen
Meine Schulden durch dein Blut.
Lass es, o Erlöser, kommen
Meiner Seligkeit zu gut.
Und dieweil du, sehr zerschlagen,
Hast die Sünd am Kreuz getragen,
Ei, so sprich mich endlich frei,
Dass ich ganz dein eigen sei.
Ps. 38,7-9
Ich gehe krumm und sehr gebückt, den ganzen Tag `gehe ich traurig. Denn meine Lenden verdorren ganz, und ist nichts Gesundes an meinem Leibe. Es ist mit mir gar anders, und bin sehr zerstoßen. Ich heule vor Unruhe meines Herzens.
Wie eine große schmerzhafte Krankheit einen Menschen gar ungestalt machen kann, also tut solches vielmehr die Sünde; wenn nun ein Mensch ewig die große Angst der Sünden tragen sollte, gedenkt doch, wie grässlich es sein würde. Gedenkt an den HErrn JEsum, der war der Schönste unter den Menschenkindern, aber da Er unsere Sünde in Seinem Leiden tragen musste, wie sahe Er da so jämmerlich aus, dass auch Pilatus sagte: Seht, welch ein Mensch! Und der Prophet Jesaia 53,3. weissagt von Ihm, dass Seine Gestalt hässlicher sei, denn anderer Leute rc. Weil uns nun der HErr Christus von unsern Sünden erlöst hat, und die Kraft der Sünden über sich hat lassen gehen, dass Er so jämmerlich ist zugerichtet, so hat Er auch damit uns die Verklärung unserer Leiber erworben, dass wir Seinem verklärten Leibe sollen ähnlich werden.
„Es ist mit mir gar anders, und bin sehr zerstoßen. Ich heule vor Unruhe meines Herzens.“ Das ist, ich bin als wenn ich kein Mensch wäre, alle Kräfte haben mich verlassen, ich bin gar zerschlagen, ich habe mich so heiser geweint, dass ich gar keinen Laut mehr von mir geben kann. Seht, Geliebte im HErrn, so zerbricht und zerknirscht einen Menschen die Sünde. Wenn die Reue des Herzens groß ist, so zerbricht sie das Herz und alle Kräfte des Leibes und der Seele; denn keine menschliche Kraft ist so stark, dass sie die Macht der Sünde ertragen könnte. Wenn der HErr Christus nicht wahrer GOtt und Mensch gewesen wäre, so hätte Er
die Macht der Sünde nicht ertragen und überwinden können. Und weil dann im Herzen eitel Unruhe und kein Friede ist, so bricht das Herz herfür durch den Mund und weint nicht, wie die pflegen zu weinen, denen das Herz betrübt ist, sondern es heult vor großer Angst, als die keinen Trost haben, sondern verlassen sind, wie der HErr Christus klagt im 22. Psalm: „Mein GOtt, mein GOtt, warum hast du mich verlassen? Ich heule, aber meine Hilfe ist ferne.“ Als wollte Er sagen: Ich weine nicht als die Betrübten, sondern ich heule als einer, der verlassen und gar trostlos ist, und daher wird es kommen, dass die Verdammten nicht bloß weinen werden, sondern heulen, als die keinen Trost haben; daher die Hölle beschrieben wird, dass sie sei die äußerste Finsternis, da Heulen und Zähnklappen sein wird. Seht doch, was die Sünde für ein Gräuel ist. Christus, unser HErr, aber hat uns von dem ewigen Heulen erlöst.
Mel.: Aus tiefer Not schrei ich zu dir.
Ach, HErr, mein GOtt und Zuversicht,
Wann wirds einmal geschehen,
Dass ich dein gnädig Angesicht
Mög schauen und ansehen?
Sieh an mein Elend, Angst und Not;
Lass mich nicht sein der Feinde Spott,
Errette meine Seele.
Ps. 38,10-11
HErr, vor dir ist alle meine Begierde, und mein Seufzen ist dir nicht verborgen. Mein Herz bebt, meine Kraft hat mich verlassen, und das Licht meiner Augen ist nicht bei mir.
Diese Begierde, von der der Psalm hier redet, ist ein Verlangen nach der Gnade GOttes und nach dem Trost, danach das Herz in so großer Angst seufzt; und obwohl das Seufzen des Herzens tief verbergen ist, dass einem dünkt, es sei gar erloschen, dennoch ist es GOtt dem HErrn nicht verborgen. Gleichwie ein kleines Fünklein Feuer unter vieler Asche verborgen liegt, also liegt das Fünklein des Glaubens in großer Seelenangst im Herzen verborgen, welches aber GOtt sieht. Und das ist der Trost derer, so solche große Seelennot leiden, dass noch immer ein Seufzer mit unterläuft zu GOtt dem HErrn, dass die Seele nicht verzweifele, sondern bei GOtt bleibe. Und wenn der letzte Seufzer zu GOtt geht, so kommt die Seele zu GOtt und wird erledigt von aller Angst und Not; und das ist gewisslich wahr, wo der letzte Seufzer hingeht, da kommt die Seele auch hin, wie uns der HErr Christus am Kreuz mit Seinem letzten Wort gelehrt: „Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist.“
„Mein Herz bebt in meinem Leibe, meine Kraft hat mich verlassen, und das Licht meiner Augen ist nicht bei mir.“ Hier ist ein Gleichnis, genommen von einem Sterbenden: So zittert das Herz, wenn die Geister des Lebens brechen und das Herz verlassen wollen; wie ein Licht zittert, wenn es auslöschen will, so zittert das Herz und wird bewegt von den Geisterlein des Lebens, dann verlässt die natürliche Kraft den Menschen, die Glieder werden kalt, das Licht des Gesichts erlöscht und die Augen werden nicht mehr bewegt, so verzehrt die große Seelennot einen Menschen auch. Alle Kräfte der Seele werden in solchen Seelennöten so gestört, dass man nicht weiß, wo aus noch ein, wie man sieht an manchem Trostlosen, dass er keinen Trost fassen kann.
Wie klagt der HErr Christus in Seiner Seelenangst am Kreuz Ps. 22,15: „Ich bin ausgeschüttet wie Wasser, alle meine Gebeine haben sich zertrennt, mein Herz ist in meinem Leibe wie zerschmolzenes Wachs.“ Nun seht, von der ewigen Todesangst, da wir ewig hätten sterben müssen, und doch nimmermehr hätten sterben können, welches der ewige Tod ist, hat uns nun Christus, unser HErr, erlöst; dankt Ihm dafür und lernt hieraus, was die Sünde sei. Wir wissens nicht, was die Sünde für eine große Macht habe, GOttes Wort lehrts uns, und macht es so schrecklich, dass wir dafür erzittern sollen. Daraus könnt ihr die teure Erlösung Christi, unseres HErrn, erkennen.
Mel.: Es ist gewisslich an der Zeit.
Ich danke dir für deinen Tod,
HErr JEsu, und die Schmerzen,
Die du in deiner letzten Not
Empfandst in deinem Herzen.
Lass die Verdienste solcher Pein
Ein Labsal meiner Seele sein,
Wenn mir die Augen brechen.
Ps. 38,12-13
Meine Lieben und Freunde stehen gegen mir und scheuen meine Plage, und meine Nächsten treten ferne. Und die mir nach der Seele stehen, stellen mir; und die mir übel wollen, reden, wie sie Schaden tun wollen, und gehen mit eitel Listen um.
Das ist vollkommen in der Passion erfüllt, da sich die Jünger des HErrn scheuten vor der Plage, die der HErr am Kreuz leiden musste. Wenn uns nun dasselbe auch widerfährt, wie Hiob klagt K. 16,20: Meine Freunde sind meine Spötter, aber mein Auge tränt zu GOtt, so müssen wir uns mit dem Exempel des HErrn Christi trösten; denn der Knecht wirds doch nicht besser haben, denn sein HErr, und das dient uns dazu, dass wir auf keinen Menschen uns verlassen, sondern auf unsern lieben Vater und Erlöser, der Glauben hält ewiglich. Es folgt hier ferner: Und die mir nach der Seele stehen, stellen mir, und die mir übel wollen, reden, wie sie Schaden tun wollen. Es ist ein großes Kreuz, wenn uns die Freunde verlassen; viel ein größer Kreuz ist es aber, wenn sie helfen verfolgen. Darum klagt hier David: Sie stellen mir, wie man einem Vogel stellt. Solches hat unser HErr Christus in Seinem ganzen Leben erfahren müssen, wie man Seinem Leben nachgestellt hat, mit großer List; denn die alte Schlange hat Ihn in die Fersen gestochen. Dawider müssen wir lernen beten den 25. Psalm V. 15: Meine Augen sehen stets zu dem HErrn, denn Er wird meinen Fuß aus dem Netz ziehen. Die größte Untreue ist es, wenn man uns Arges tut, darum, dass wir über dem Guten halten. Ach, wie vielfältig hat unser HErr Christus das erfahren müssen! Für alle Seine Wohltat hat Er die höchste Übeltat bekommen, und ist allein darum verfolgt, dass Er über dem Guten gehalten hat, das ist, dass Er uns das Evangelium von unserer Seligkeit verkündigt hat. Darum sind alle Propheten und Apostel verfolgt und erwürgt worden; darum ist ihr Tod so köstlich vor GOtt; gleich als wenn man einen Rubin oder Diamant in Gold fasst, also ist die Verfolgung und der Tod der Heiligen, so um der Gerechtigkeit willen verfolgt sind, köstlich vor GOtt. „Selig sind, die um Gerechtigkeit willen verfolgt werden, denn das Himmelreich ist ihr.“ Da seht ihr nun und lernt, wie es den Gläubigen geht in dieser Welt, die Freunde verlassen sie auch, wie Christum. Das ist aber unser Trost, dass der höchste und beste Freund, GOtt, unser lieber Vater, bei uns bleibt und uns erhält.
Mel.: O Christe, Morgensterne.
O JEsu, lieber HErre,
Du einger GOttes Sohn,
Von Herzen ich begehre,
Du wollst mir Hilfe tun;
Du bist der Gnadenthron.
Du hast für mich vergossen
Dein rosinfarbes Blut,
Des lass mich, HErr, genießen,
Tröst mich durch deine Güt,
Hilf mir, das ist mein Bitt.
Ps. 38,14-23
Ich aber muss sein wie ein Tauber, und nicht hören, und wie ein Stummer, der seinen Mund nicht auftut, und muss sein wie einer, der nicht hört, und der keine Widerrede in seinem Munde hat.
Wir sollen lernen, durch große Geduld die Untreue der Welt überwinden. Solches sehen wir bei unserm HErrn JEsu, der in Seiner heiligen Passion Seinen Verleumdern und falschen Anklägern nichts geantwortet, sondern stille geschwiegen hat, wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird, und das verstummt vor seinem Scherer. Das müssen wir auch üben lernen: Durch Stille sein und Hoffen würdet ihr stark sein. (Jes. 30,15.)
David sagt ferner: „Aber ich harre, HErr, auf dich; du, HErr mein GOtt, wirst erhören,“ du wirst für mich antworten, ich will schweigen und mich nicht rächen; „denn ich denke, dass sie ja sich nicht über mich freuen. Wenn mein Fuß wankte, würden sie sich hoch rühmen wider mich.“ Damit tut man seinen Verfolgern das größte Leid an, wenn man geduldig und beständig ist, und sich nicht abwenden lässt, weder von GOtt; noch von Seinem Wort, noch von der Gerechtigkeit; denn dadurch überwindet man endlich. „Wenn mein Fuß wankte, würden sie sich hoch rühmen wider mich.“ Wenn man auf richtigen Wegen geht in Glaubenssachen, so ist GOttes Wahrheit unser Schirm und Schild; darum müssen endlich unsere Widersacher zu Schanden werden. „Denn ich bin zu Leiden gemacht, und mein Schmerz ist immer vor mir. Denn ich zeige meine Missetat an und sorge für meine Sünde.“ Wenn einer diese zwei Stücke in seinem Kreuz erkennt: dass ihm nichts ohne GOttes Rat und Willen widerfahren kann, sondern GOtt habe es also geordnet, und dass GOtt der HErr Seine besonderen Ursachen hat, uns zu läutern und auserwählt zu machen im Ofen des Elends, so lindert's das Kreuz und stärkt die Geduld; und solches tut GOtt auf mancherlei Weise durch mancherlei Leiden. Ich sorge für meine Sünde heißt ferner: ich bekümmere mich, wie ich derselben los werde, und der großen Strafe, die ich damit verdient habe, es tut mir wehe im Herzen, wenn ich an meine Sünden gedenke; das ist die wahre Reue und göttliche Traurigkeit, das ist das rechte Opfer, welches GOtt nicht verachten wird.
Endlich beschließt der liebe David also: „Verlass mich nicht, HErr, mein GOtt, sei nicht: ferne von mir. Eile mir beizustehen, HErr, meine Hilfe.“ Ach! es ist ein großer Trost, dass wir wissen, GOtt sei bei uns in unserm Kreuz, und helfe uns unser Kreuz tragen. So wahrhaftig wie Seine Verheißungen sind, so gewiss ist Er auch bei uns; darum spricht GOtt der HErr: Fürchte dich nicht, ich bin mit dir, weiche nicht, denn ich bin dein GOtt. Ich stärke dich wenn du kraftlos bist, ich helfe dir, wenn du keinen Helfer hast. Ich errette dich durch die Hand meiner Gerechtigkeit von denen, die dir zu stark und zu mächtig sind, und dir Gewalt tun.
Mel.: Zion klagt mit Angst und Stöhnen.
O mein GOtt, vor den ich trete
Jetzt in meiner großen Not,
Höre, wie ich sehnlich bete,
Lass mich werden nicht zu Spott..
Meinen schwachen Glauben stärk,
Und zerbrich des Teufels Werk,
Dass ich nimmermehr verzage,
Christum stets im Herzen trage.