Schlatter, Adolf - Der Römerbrief - Kap. 2. Die Kenntnis des Gesetzes - keine Hilfe.

Schlatter, Adolf - Der Römerbrief - Kap. 2. Die Kenntnis des Gesetzes - keine Hilfe.

Tritt uns Zerfall und Niedergang des Lebens vor Augen, so rufen wir nach Gesetz und Moral, nach Verbot und Gebot und nach dem Richter, der dem Gesetz Nachachtung verschafft und es gegen den Übeltäter in Vollziehung setzt. Und das ist nicht nur menschliche Willkür, sondern Gesetz und Gericht kommen von Gott. Darum erhielt das Gesetz auch in der Geschichte der göttlichen Offenbarung seine feierliche Sanktion. Wir müssen uns von vornherein des Gedankens gänzlich entschlagen, als ob Paulus seine Freiheit vom Gesetz und seine Erhebung über dasselbe dadurch suche und erlange, dass er das Gesetz seiner göttlichen Würde entkleide. Nein, das Gesetz bleibt voll und ganz Gottes Gesetz und der Weg in die Freiheit besteht nimmermehr darin, dass wir es brechen, sondern darin, dass wir es in seiner unverletzlichen Heiligkeit aufrichtig ohne Rückhalt bejahen. Aber das ist die Frage: ist das Gesetz für uns die Hilfe, deren wir bedürfen? werden wir durch Moral vom Bösen frei? Paulus sagt: nein! Freilich ist die Kenntnis des Gesetzes ein großer Vorzug, da sie uns eine gewisse sittliche Bildung verleiht; aber diese ist nur Verhüllung und nicht Heilung der Sünde. Das glaubte ihm aber der Jude nicht; ihm schien das Gesetz das höchste Gut und der Weg in die Gerechtigkeit. Die Frömmigkeit, die er sich durch seinen Fleiß und Eifer am Gesetz erwarb, galt ihm als ein herrlicher Reichtum und Besitz. Doch nicht nur der Jude allein, sondern der Mensch im Juden und der Mensch zu aller Zeit glaubt das zunächst nicht, sondern greift nach dem Gesetz als nach dem Mittel, durch welches er sich aufzurichten hofft. Darum tritt Paulus mit großem Ernst auf die Frage ein: was wird der Mensch durch das Gesetz?

Darum, o Mensch, weil du zwar wohl Gottes Recht kennst und somit nach demselben andre richten kannst, und dennoch an seiner Übertretung deine Lust hast, darum, weil die Verdammlichkeit deiner Sünde gerade darin besteht, dass du die Wahrheit hast und kennst, aber sie in dir niederdrückt, kannst du dich nicht entschuldigen, du der du richtest, Vers 1. Fassen wir die heidnische Verdorbenheit ins Auge, jene finstern Religionen, welche dem Laster nicht nur ohnmächtig gegenüberstehen, sondern es vielmehr selbst erzeugen, nach jener gerechten göttlichen Vergeltung, durch welche sich Unfrömmigkeit in Unsittlichkeit umwandelt und fortsetzt, so ist das nächste, wozu wir uns getrieben fühlen, ein Akt des Richtens; „das ist,“ sagen wir, „verwerflich und schlecht.“ Nun wohl, sagt Paulus, damit nimmst du dir selbst jede Verteidigung und Rechtfertigung. Jedes Urteil, das du gegen den andern. aussprichst, trifft dich selbst.

Wir wollen allerdings, wenn wir richten, gegen die Sünde protestieren und uns von den Sündern scheiden; wir einigen uns mit Gottes Gesetz und kehren dasselbe gegen seine Übertreter. Eben darum fühlen wir uns selbst gehoben im Richten, wie wir denn immer wieder der Torheit unterliegen, uns selbst dadurch erhöhen und rechtfertigen zu wollen, dass wir die andern herabsetzen und verurteilen. Allein diese Einigung mit Gottes Gebot und Recht geht nur in unsern Gedanken vor sich, nicht auch in unserm Handeln, nur wenn es andre trifft, nicht auch wenn wir selbst von demselben getroffen werden. Das ist aber ganz derselbe Vorgang, wie er Kap. 1, 18 beschrieben ist. Die Wahrheit ist in uns, aber wir erdrücken sie; wir schließen sie in unsern Verstand ein und sperren sie von unserm Wollen ab; wir kehren sie nur nach außen gegen die andern und nehmen sie nicht in unser eignes Leben hinein. So scheidet uns unser Richten nicht wahrhaft und reell von den Sündern; im Gegenteil, es stellt uns denselben gleich, und beweist, dass wir uns mit Wissen und Willen an Gottes Recht vergreifen. So zeugt unser eigner Mund gegen uns, und nötigt uns vor Gott zu verstummen und uns seinem Urteil zu ergeben ohne Einrede und Widerspruch.

Paulus sagt jedem Richtenden mit großer Zuversicht: du tust dasselbe. Wenn er sich wahrhaft unter das Gesetz Gottes stellte und ernstlich versuchen würde, dasselbe in seinem eignen Leben festzuhalten, so würde er nicht richten. Dann wüsste er, dass die Verurteilung des Gesetzes gegen ihn selber steht, und er würde dieselbe eben darum nicht auf andre werfen. Er hätte weiter erkannt, dass der Kern und die Vollendung des Gesetzes die Barmherzigkeit ist, und er stünde in der herrlichen Regel drin, die Christus den seinigen als ihr kostbares Vorrecht übergeben hat: richtet nicht!

Wie vollständig hat doch Paulus den Pharisäer ausgezogen! Dieser setzte seine Heiligkeit darin, dass er Heiden, Zöllner und Sünder verurteilte. Je heiliger er sein wollte, um so ängstlicher schied er sich von allen, die er für sündig hielt, und um so eifriger richtete er sie. Eben dies macht ihm nun Paulus zum Beweise, dass seine Heiligkeit null und nichtig ist. Wäre er wahrhaft mit Gottes Gesetz einig, so träte er nicht von den Sündern weg, sondern zu ihnen hin als einer, der dasselbe tat wie sie. Wie groß ist zugleich des Apostels Antwort auf jene Bedenken, die man dem Eifer und der Freiheit entgegenstellte, mit welcher er die Heiden zu Christo rief! Er kennt die Sünde der Heiden wohl; aber soll er seine Gerechtigkeit darin suchen, dass er sie schilt und richtet? soll er vergessen, was er selber war und alle, die unter dem Gesetze stehen? Nein, die richtige Folge aus dem Einblick in die Sünde der Heiden kann nur das sein, dass er sich selbst mit ihnen unter das Urteil Gottes beugt und an den glaubt, in welchem Gott der Welt die Gerechtigkeit als seine Gabe geoffenbart hat.

Mit einem mächtigen Schlag hat Paulus den Selbstruhm dessen getroffen, der sich auf das Gesetz und seine eigne Sittlichkeit und Gottesdienstlichkeit verlässt. Nun schneidet er ihm die Ausflüchte, Windungen und Drehungen ab, mit denen er sich fortzuhelfen und seinen Ruhm zu erhalten sucht. Gottes Urteil ist der Wahrheit entsprechend über die, die solches tun, Vers 2. Gott hat keine Günstlinge, denen zu lieb er das Auge schlösse und sein Recht bräche. Weil sein Urteil nur von der Wahrheit bestimmt und erfüllt ist, darum ist es das eine und selbe für alle. Und zwar ergeht es über die, die solches tun. Kein Wissen und kein Reden, kein Selbstlob und kein Richten andrer, nichts, was der Mensch als Schein und Hülle um sich legt, kann sein böses Handeln vor Gottes Urteil schützen und decken. Es gibt nichts, wodurch ich ihm dasselbe angenehm oder auch nur leidlich und erträglich machen könnte. Gottes Gesetz fordert das Werk und sein Urteil trifft die Tat.

Aber wir rechnen darauf: ich werde entrinnen! Vers 3, andere trifft's, mich nicht. Mit diesem Trost beruhigen wir uns, bis wir im Glauben Gott untertan geworden sind: für die andern ist Gottes Recht und Gericht, für mich Gottes Gnade und Gunst, und zwar eine ungerechte Gunst, die „Ansehen der Person“, d. h. Parteilichkeit ist, eine Günstlingswirtschaft, die blind ist gegen meine Bosheit, und mir zu Gunsten die Wahrhaftigkeit und Gerechtigkeit an den Nagel hängt. Das ist der faule Grund, der hinter solchem scheinbaren Eifer für Gottes Gesetz steckt und hinter jedem Versuch, eine eigne Gerechtigkeit aufzurichten, sich findet: wir nähren dabei im stillen die Hoffnung, Gott werde sich ungerecht erfinden Lassen uns zum Vorteil und Gewinn. Damit entehren wir Gott.

Oder wir berufen uns auf den Reichtum seiner Güte, Geduld und Langmut, Vers 4 und 5. Gewiss ist Gott reich an Güte, aber das Ziel und Werk derselben ist, dass sie uns zur Buße leitet. Kein Mensch kann sich im Ernst eine Güte denken, die ihn in der Schlechtigkeit ließe, die nicht darauf hin arbeitete und das erstrebte, ihn gut zu machen. Wenn wir darum bei Gottes Güte die Erlaubnis zur Sünde, die Erhaltung und Beschützung unsrer Bosheit suchen, wandelt sich unser Vertrauen auf die Güte Gottes vielmehr in Verachtung derselben um und aus der verachteten und missbrauchten Güte wird Zorn, ein Schatz des Zorns, den wir angesammelt und angehäuft finden werden, wenn Gott sein gerechtes Gericht enthüllt.

Über diesen Lügen und Ausflüchten der Menschen steht Gottes Regel in heiliger Unwandelbarkeit und Festigkeit: Preis allen denen, die das Gute tun! Vers 6-11. Der Apostel hat sie zweimal hingestellt, das erste Mal mit bestimmtem Hinblick auf die, welche sich des Gesetzes rühmen. Sie streben nach den höchsten Gütern Gottes, nach Preis, Ehre und Unvergänglichkeit bei Gott, und fragen mit dem reichen Jüngling: was sollen wir tun, dass wir das ewige Leben ererben? Sie haben recht, so zu fragen; denn das ist ein vernünftiges, weises, rechtmäßiges Streben. Gott hält uns Herrlichkeit und Leben bei ihm vor, dass wir uns danach ausstrecken sollen. Der Weg dazu ist aber Geduld, Beharrung im guten Werk: im Werk, so dass wir nicht nur mit Worten vor Gott prunken, im guten Werk, das wirklich in der Regel Gottes bleibt, nicht in selbsterwähltem Gottesdienst, und Beharrung in demselben, die sich nicht mit einzelnen Anläufen zum guten Werk zufrieden gibt und dazwischen hinein wieder der Sünde dient. Wer so die Herrlichkeit und Ehre vor Gott sucht, der wird sie finden; dem gibt Gott ewiges Leben. So sind aber die nicht, welche sich des Gesetzes rühmen. Sie sind „zänkisch“; das Wort, das der Apostel brauchte, trifft die, welche ehrgeizig und selbstsüchtig nach Gottes Gütern greifen, ihre Person vor ihm groß und wichtig machen, Ansprüche und Anforderungen stellen an ihn und für sich Parteilichkeit begehren von ihm; die, welche der Wahrheit widerstreben mit ihren Lügen, ihren Einbildungen, ihrem Unglauben, dafür aber der Ungerechtigkeit willfährig sind. Wer aber ein verschlossenes Ohr hat für die Wahrheit, wohl aber ein offenes Ohr für jede ungerechte Begier, der findet bei allem Pochen auf das Gesetz und seine Gottesdienstlichkeit nicht Preis und Ehre bei Gott, sondern Ungnade und Zorn. Und nun spricht der Apostel das göttliche Grundgesetz noch einmal in seiner einfachsten Gestalt aus, Vers 9 und 10: ob wir das Böse vollbringen, oder das Gute wirken, darauf kommt es vor Gott an, für alle, für Juden wie Griechen.

Das ist kein Gegensatz und Widerspruch zur Glaubenspredigt; im Gegenteil, das ist die Grundlage, auf die sie Paulus stellt, die Wurzel, aus der allein wahrhaftiger Glaube erwachsen kann. Unter den göttlichen Willen, der uns zum Wirken des Guten aufruft, haben wir uns völlig und aufrichtig zu beugen. Wir müssen anerkennen, dass wir keine Ansprüche und Hoffnungen zu Gott haben, so lange wir das Böse tun, dass es schlechterdings keine Ersatzmittel gibt für das Tun des Guten, und Gottes Gunst uns auf keine Weise und durch kein Mittel erhältlich und erreichbar ist, wenn wir Böses tun. Denken wir: ich mag das Gute nicht, ich will sündigen, so kann nimmermehr Glaube in uns entstehen, und die Zuversicht, die wir uns selbst einbilden mögen, ist nichtig und lügenhaft. Der Glaube entspringt aus dem heißen Verlangen nach dem guten Werk, und aus der Trauer darüber, dass wir es nicht haben. Der Glaube sucht die Kraft zum Wirken des Guten bei Gott. Die Meinung, dass Gott an die Stelle der schweren und vielen Werke nun den Glauben gesetzt habe, als einen leichten Weg zur Rechtfertigung, führt der Verdammnis zu Sie ist aus der Lust an der Sünde geboren und hat mit dem Apostel Paulus nichts gemein. Hier an diesen Worten des Apostels, Vers 6-11, prüfe sich unser Glaube, ob er wahrhaftig ist, ob er uns wirklich zur Gerechtigkeit wurde. Wer innerlich gegen diese Worte des Apostels protestiert, der sehe zu, ob sein Glaube nicht tot ist und Selbstbetrug.

Paulus kehrt den Ernst jener göttlichen Grundregel heraus gegen alle, gegen Juden und Heiden: wer gesündigt hat, wird verloren gehen, Vers 12-16. Die Sünde hat den Tod und das Verderben in sich und endigt in diesem Resultat überall, ob das Gesetz vorhanden sei oder nicht. Weder der Besitz noch der Mangel des Gesetzes machen die Sünde erlaubt und gestattet, so dass sie straflos würde. Die Kenntnis des Gesetzes ermächtigt nicht zu straflosem Sündigen, denn nicht das Hören, sondern das Tun des Gesetzes bringt Rechtfertigung. Und der Mangel des Gesetzes macht die Sünde ebenso wenig straflos. Denn wenn auch der Heide das Gesetz nicht hat, so ist er doch sich selbst Gesetz. Er selbst vermag das Gute zu erkennen, sein Wollen und Handeln zu beurteilen und den Weg Gottes wahrzunehmen. Er hört das Gesetz Gottes zwar nicht aus der Schrift, aber sein Werk ist ihm ins Herz geschrieben. Wie könnte er sonst ein Gewissen haben, das all sein Handeln mit seinem scharfen, unbestechlichen Urteil durchdringt? Und wie könnte er sonst in seinem Verkehr mit den Menschen in seinen Gedanken dieselben beständig beurteilen, sei es, indem er sie verklagt, sei es, indem er sie verteidiget? So führt die Sünde alle zum selben Ziele, nämlich zum Verderben, wie es der Tag, da Gott das Verborgene richten wird, offenbar machen wird, nach meinem Evangelium, Vers 16. Diese Wahrheit gehört mit zum Evangelium; denn es ist die größte Wohltat für den Menschen, dass ihm die bittere Frucht seines Sündigens angesagt und aufgedeckt wird. Und Paulus betont: das gehört auch zu „seinem“ Evangelium. Er verkündigt das Evangelium von der Gerechtigkeit aus Glauben allein, von der freien Gnade; aber dies sein Evangelium verherrlicht und schont die Sünde nicht, sondern sagt jedem Sünder, dass der Sold seiner Sünde für ihn der Tod sein wird.

Nicht das lehrt Paulus an dieser Stelle, dass Gott alle Heiden und das ganze Israel der Verdammnis preisgebe, denn er spricht nur von dem, was der Mensch durch sich selber ist, und nicht vom Werke Christi, und nicht davon, ob und wie weit die Gnade und das Werk Christi sich auch über Heiden und Juden ausdehnt. Was er lehrt, ist dies, dass wir, soweit es auf unser eignes Verhalten und Handeln ankommt, alle verloren sind.

Nun ruft er den Juden herbei, dass er Auskunft gebe über sein Werk, Vers 17-24. Der tritt auf mit seinem hohen Selbstbewusstsein, in seiner Zuversicht zu Gott, die er auf das Gesetz begründet. Was er aber mit dem Gesetze macht, ist doch nur das, dass er aus ihm Wissen und Lehre über das, was der Wille Gottes ist, schöpft. Sein Dienst am Gesetz besteht darin, dass er dasselbe studiert und andern predigt und selber übertritt. Hässlich, zerstörend geht der Selbstwiderspruch durch sein Wesen zwischen dem, was er predigt, und dem was er tut, zwischen dem, was er in seinem Wissen und Bewusstsein hat, und dem, was er nach seinem Sein und Wesen ist, zwischen dem Ideengehalt und dem Tatgehalt seines Lebens. Es ist derselbe innere Zwiespalt, wie beim Heiden, vgl. 1, 32, nur noch greller und schärfer, weil der Jude seine Kenntnis des Gesetzes als seinen Vorzug und Besitz preist, während der Heide das Recht Gottes als schwere Last heimlich in seinem Gewissen trägt. Und das Resultat ist auch hier wie beim Heiden: Entehrung Gottes, Verdunklung seiner Herrlichkeit.

Paulus war früher selbst Pharisäer und was ihm damals von den Worten Jesu über den Gesetzesdienst der Pharisäer zu Ohren gekommen sein mag, wird ihn heftig erbittert haben. Nun aber gibt er Jesu völlig recht: ja es ist wahr, unsere Gerechtigkeit war nur Wort und Schein; wir hielten das Auswendige des Bechers rein, und sein Inwendiges ließen wir unrein; wir seihten die Mücken und verschluckten die Kamele; wir trieben mit Eifer die Kleinigkeiten im Gesetz, das, womit wir prunken und großtun konnten, und das Gewichtige im Gesetz warfen wir weg. Hier spricht ein Pharisäer, der dem Gericht Jesu über seinen Gesetzesdienst völlig zustimmt und sich unter dasselbe beugt, als unter die Wahrheit und Gerechtigkeit.

Wie heilig und erhaben führt Paulus seinen Kampf mit den Juden. Sie riefen in der Synagoge mit brennendem Eifer: Werk, Werk! Paulus stimmt bei und verlacht und schwächt diesen Eifer, der Gott im guten Werke dienen will, nicht. O nein! auch er sagt: Werk und nur Werk ist Erfüllung des Gesetzes; du darfst in nichts anderes deine eigene Gerechtigkeit setzen, als ins Werk allein. All dein Wissen und Reden taugt für sich allein nichts, macht dich nur sündiger, je besser du weißt, was gut ist vor Gott. Aber was er fordert, das ist nun wirklich: Werk, nicht bloß Geschwätz und Gerühme von Werken, die man doch nicht tut. Er fordert Wahrhaftigkeit, die das eigne Wirken ohne Selbstbetrug prüfend ins Auge fasst, ob es dem Gesetz Gottes entspricht. Wenn der Jude nur die Wahrheit, auf die er sich stützt, mit Wahrhaftigkeit gelten lässt, führt sie ihn zum Glauben hin. Der Zwiespalt, in dem er steht, treibt ihn über sich hinaus und lässt ihm keine Ruhe und keinen Stützpunkt in sich selbst. Das Gesetz heißt ihn wirken, aber das Werk mangelt ihm. So muss er sich vom Wirken zurückziehen auf sein Wissen, auf seine Kenntnis des Gebots. Aber dabei kann er sich nicht beruhigen, denn er weiß, dass er das Gebot Gottes nicht bloß wissen, sondern halten soll. Da bleibt ihm nichts übrig, als dass er emporschaue über sich selbst hinauf zu dem Gott, der in seiner eignen Gnade selbst für ihn wirkend mit seiner Vergebung und Begabung ihm entgegenkommt.

Warum ist jener Ruhm und jene Zuversicht zu Gott, die den Juden erfüllt, Vers 17-20, nicht auch schon Glaube? Weil sie ihren Grund im Gesetz hat. Das Gesetz verweist aber den Menschen auf sich selbst, auf sein eigenes Vermögen und seine eigenen Kräfte; so stützt sich jene Zuversicht auf den Menschen, auf das, was der Mensch ist und tut, und auch wenn sie sich Gottes rühmt, so geht der Ruhm darauf, dass der Mensch ihn kenne, der Mensch ihm diene, und Gott dem Menschen verbunden sei, weil der Mensch ihm dient. Darum ist jene Zuversicht, so ähnlich sie äußerlich dem Glauben ist, innerlich dessen gänzliches Gegenteil; denn im Glauben schaut der Mensch von sich weg und gibt sich selber preis, und schaut empor zu Gott, auf Gottes Gabe und Gottes Werk. Spricht jene Zuversicht: ich bin gerecht, so spricht der Glaube: Gott ist gerecht. Deshalb entsteht nur dann Glaube in uns, wenn wir unsre Zuversicht völlig vom Gesetz abziehen, so gewiss der Mensch sein Vertrauen nicht zugleich auf sich selbst und auf Christum stellen kann.

Traten dem Juden seine Sünden vor Augen, so zog er sich auf seine Beschneidung und auf den Bund Gottes mit Israel zurück, wie sie schon dem Täufer antworteten, als er sie zur Buße rief: wir haben Abraham zum Vater. Die Beschneidung hilft allerdings und es ist Anteil am Himmelreich und ewigen Leben ein Jude zu sein, wenn du das Gesetz tust, Vers 25-29. Du darfst die Bundesgnade und ihr Sakrament und die Schrift, die von ihr zeugt, nicht ablösen von ihrem Ziel und Zweck, der darin besteht, dass sie dich zum Tun des göttlichen Willens leiten wollen. Hat der Besitz der Beschneidung und der Schrift nicht diesen Erfolg, so ist er leer und nichtig. Denn die Absicht Gottes geht nicht darauf, dass du dich in einen frommen Schein auswendig einhüllst, jedoch inwendig im verborgenen Grunde deines Wesens verdorben und zerrüttet bleibst. Jenen frommen Schein mit seinem gottesdienstlichen Außenwerk schätzen und loben wohl die Menschen, aber nicht Gott. Nur der wäre vielmehr ein wahrhaftiger Jude, welcher in seinem inwendigen verborgenen Wesen nach Gottes Regel und Gesetz gestaltet wäre, durch eine Beschneidung, die sein Herz abtrennen würde von aller Unreinigkeit und Gottlosigkeit. Da zeigt sich bereits unser innerstes Bedürfnis, die tiefste Stelle, wo uns geholfen werden muss. Kein Sakrament, keine Schrift, kein Gesetz kann uns helfen, sondern Geist allein. Denn Geist ist Licht und Leben zugleich, Erkennen und Kraft in Einigkeit. Er überwindet jenen Zwiespalt, welcher unser Wissen und unser Handeln, unser Bewusstsein und unser Wesen auseinanderreißt; er allein vermag den verdorbenen Grund unsrer Person zu erneuern nach Gottes Bild. Darum ist Jesus unsre Hilfe und Gerechtigkeit, weil wir in ihm Geist finden aus Gott.

Es ist für unser Verständnis des Römerbriefs von großer Bedeutung, dass wir uns dieses Kapitel innerlich aneignen. Sind wir hier mit dem Apostel eins geworden, dann ist unser Glaube vor zwei Gefahren bewahrt, die ihn verderben können:

einmal vor der Trägheit, die sich des Werks entschlagen will. Hier treibt uns Paulus aus allem leeren Wissen und bloßen Reden heraus ins Verlangen nach dem Werk hinein und zeigt uns, dass wir Gottes Gnade und Hilfe darum glaubend suchen und ergreifen müssen, damit wir erlöst werden vom Wirken des Bösen und ausgerüstet zu jedem guten Werk;

ferner davor, dass wir an unsern Glauben glauben, statt an den Herrn. Hier lernen wir, dass, wenn wir bei uns selbst etwas suchen wollen, was des Lobes wert wäre vor Gott, dies nichts anderes sein kann, als das gute Werk. Wir kommen von dieser Stelle niemals mehr zu einem Glauben, der ein Ruhm wäre vor Gott, den wir als eine Art Werk behandeln dürften, welches Gottes Lob uns verdient. Machen wir unsern Glauben zu unsrer Stütze, beugt sich unser Glauben auf sich selbst zurück, so greifen wir in den Wind. Unser Glaube hilft uns nimmermehr, sondern allein der hilft uns, dem wir glauben. Unser Glaube ist für sich allein nichts wert, sondern empfängt seine ganze Kraft und seinen ganzen Wert durch den, der unserm Glauben seine Gnade, Kraft und Gabe schenkt.

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autoren/s/schlatter_a/schlatter-roemerbrief/schlatter_roemerbrief_2.txt · Zuletzt geändert: von aj
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