Quandt, Carl Wilhelm Emil - Prediger Salomo - Einleitung

Quandt, Carl Wilhelm Emil - Prediger Salomo - Einleitung

„Eitelkeit der Eitelkeiten, es ist Alles ganz eitel!“ Das ist der Anfang, das ist der Grundton und Refrain, das ist der Inhalt desjenigen biblischen Buches, das in der deutschen Bibel den Namen „Prediger Salomo“ führt und dem die folgenden Betrachtungen gelten. Es wäre ja dies Buch weder unserer Betrachtung, noch auch eines Ehrenplatzes im biblischen Kanon werth, wenn es nichts weiter als die Eitelkeit der Welt und des Lebens predigte und so nur der Verzweiflung und dem Mißglauben die Wege ebnete. Aber es ist nicht die trostlose Predigt der Eitelkeit, wie sie alter und neuer Unglaube predigt, die wir in der Bibel, die wir in diesem biblischen Buche finden, sondern es ist eine trostvolle und geistvolle Predigt der Eitelkeit, die den Flugsand des irdischen Elends nur darum mit dem zweifelnden Verstande aufwühlt, um im Glauben auf den Felsgrund der ewigen Gotteswahrheit und Gotteswesenhaftigkeit zu führen. Man muß mit den Anfangsversen die Schlußverse zusammenlesen, wenn man von vorn herein eine richtige Würdigung des Buches gewinnen will, und diese Schlußverse lauten: „Lasset uns die Hauptsumme aller Lehre hören: Fürchte Gott und halte seine Gebote; denn das gehöret allen Menschen zu. Denn Gott wird alle Werke vor Gericht bringen, das verborgen ist, es sei gut oder böse.“

Es ist in früheren Zeiten der Prediger Salomo hochgehalten und hochgepriesen worden. Das goldene Büchlein des gottseligen Thomas a Kempis, die Nachfolge Christi - nächst der Bibel das verbreitetste Buch in der Welt, fast 3000 mal gedruckt und fast in alle Sprachen übersetzt - nimmt seinen Ausgangspunkt von dem Grundgedanken des Prediger Salomo, den es zugleich auf's Treffendste auslegt. „Eitelkeit der Eitelkeit, so lesen wir auf dem ersten Blatt der Nachfolge Christi, und Alles Eitelkeit, außer Gott lieben und Ihm allein dienen. Es ist eitel, vergänglichen Reichthum suchen und auf ihn vertrauen. Es ist eitel, sich nach Ehren strecken und sich in die Höhe heben. Es ist eitel, den Begierden des Fleisches folgen und das begehren, um dessentwillen bald schwere Strafe folgt. Es ist eitel, ein langes Leben wünschen und um das gute Leben wenig sorgen. Es ist eitel, allein auf das gegenwärtige Leben schauen und, was zukünftig“ ist, übersehen. Es ist eitel, lieben, was schnell vorübergeht und dorthin nicht eilen, wo ewige Freude bleibt.„ Thomas a Kempis lebte, noch ein halbes Jahrhundert vor der Reformation; aber auch den Glaubensmännern der Reformation war der Prediger Salomo ein gar werthes Buch. Luther selbst, dann Melanchthon, dann der Würtemberger Reformator Brenz verfaßten Auslegungen unseres Buches. Luther sagt von diesem Buche zu seinem Lobe: „Es ist ein Trostbuch, darin gelehret wird wider die Unlust und Anfechtung geduldig und beständig sein im Gehorsam und immerdar des Stündleins mit Frieden und Freuden harren; und was man nicht halten, noch ändern kann, immer fahren lassen, es wird sich wohl finden.“

Leider ist diese Hochschätzung des Prediger Salomo sehr bald ins Gegentheil umgeschlagen. Es ist kaum eins der wichtigen Bücher der heiligen Schrift in der evangelischen Kirche bald so schmählich vernachlässigt worden, als dieses. Die Philister schütteten den Brunnen zu, und für viele, viele Christen ist er bis auf diesen Tag noch nicht wieder aufgegraben. Es ist eine seltene Erscheinung, wenn die Andacht der Gläubigen sich einmal dem Prediger Salomo zuwendet. Es sind eine Menge Vorurtheile gegen dies Buch im Umlauf, als ob es mit dem übrigen Inhalt der Bibel nicht in Einklang zu bringen sei, als ob es für das schlichte Laienverständniß unüberwindliche Schwierigkeiten darbiete u. s. w. Allein was der Apostel vom alten Testament im Ganzen sagt: „alle Schrift von Gott eingegeben ist nütze zur Lehre, zur Strafe, zur Besserung, zur Züchtigung in der Gerechtigkeit,“ das gilt auch von jedem einzelnen Theile des alten Testamentes; und es ist daher Pflicht der Gläubigen, die Schätze der Lehre, Strafe, Besserung und Züchtigung auch aus dem Prediger Salomo zu heben. Jedes fromme Sinnen über den Prediger Salomo aber wird und muß unter Gottes Segen lehren, daß viel Speise ist in seinen Furchen.

Das soll und kann ja allerdings nicht geleugnet werden, daß der Prediger Salomo manche Schwierigkeiten für das Verständniß hat. Bei keinem biblischen Buche ist es verkehrter und gefährlicher, ein Wort aus dem Zusammenhang zu reißen und darauf etwas zu bauen, als bei diesem. Denn nicht immer redet der einfältige Glaube, sondern oft kommt auch der zweifelnde Verstand zu Wort, bis der Schluß des Buches den Verstand ganz in den Glauben verschlungen hat. Nicht als ob der Verfasser selbst den Sätzen des Verstandes ein entscheidendes Urtheil in den Dingen der Seelen Seligkeit einräumte, sondern er führt sie nur an entweder als Sätze aus seiner eigenen Anschauung vor seiner Bekehrung oder als Sätze, wie sie in der ungläubigen Menge gang und gäbe waren. Aber eben das erschwert das Verständniß oft. Es gehört die Weisheit der Gottseligkeit dazu, um das Buch salomonischer Weisheit zu seiner Selbst-Erbauung zu lesen und auszulegen; man thut daher wohl, ehe man den Prediger Salomo aufschlägt, die Epistel St. Jacobi aufzuschlagen und sich dort in den Vers 1, 5. zu vertiefen: „So aber Jemand unter euch Weisheit mangelt, der bitte von Gott - so wird sie ihm gegeben werden.“

Der Prediger Salomo gehört, was Kapitelzahl anbetrifft, zu den alttestamentlichen Schriften mittlerer Größe; er hat zwölf Kapitel. Man hat über Ordnung und Plan dieser zwölf Kapitel viel gesonnen und gestritten, und die Ansichten gehn da weit auseinander. So schlimm steht es nun wohl nicht, wie Vater Luther in seiner Weise sagt: „Es ist keine Ordnung gehalten, sondern eins ins andere gemengt.“ Aber Herders Bemerkung dürfte das Richtige treffen, wenn er sagt: „Man hat sich viel über den Plan dieses Buches bekümmert; am besten ist wohl, daß man ihn so frei annehme, als man kann, und dafür das Einzelne nütze.“ Die Erde kann nichts darbieten, was den Menschen wahrhaft vergnügt und befriedigt; der Geist will etwas Ewiges haben, dem Unerschaffenen schlägt das Herz, daher gilt es auf Gott allein zu bauen - der ist der Faden, der sich durch das ganze Buch hindurchzieht und der alle Theile des Buchs miteinander verbindet. Im Ganzen und Großen aber können bei der Ausführung dieses Gedankens zwei Haupttheile unterschieden werden. Kapitel 1, 1-11. steht dem Ganzen als Portal voran: „Das menschliche Leben ist Eitelkeit.“ Der erste Haupttheil umfaßt die sechs ersten Kapitel von 1, 12. an: Der Verfasser schildert seine Erfahrungen von der Eitelkeit des Lebens, einzelne Sinnsprüche und Ermahnungen einwebend. Der zweite Haupttheil reicht von 7, 1. bis 12. Der Verfasser redet von der Eitelkeit des Lebens in Sinnsprüchen, mancherlei Erfahrungen und Ermahnungen einflechtend. Wir schließen uns in unsrer Auslegung einfach der gewöhnlichen Kapiteleintheilung an. Der Herr aber gebe uns erleuchtete Augen des Verständnisses, daß wir sehen die Wunder dieses Buches; er gebe uns offne Herzen, mit rechtem Hunger und Durst die Brosamen einzusammeln, die von dem Tische fallen, den der Herr uns durch den Prediger Salomo gedeckt hat. Amen.

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