Härter, Franz Heinrich - Die göttliche Gnadenordnung in einer Reihe von Betrachtungen - II. Der tote und der lebendige Mensch.

Härter, Franz Heinrich - Die göttliche Gnadenordnung in einer Reihe von Betrachtungen - II. Der tote und der lebendige Mensch.

Gott, der da reich ist von Barmherzigkeit, durch seine große Liebe, damit er uns geliebt hat, da wir tot waren in den Sünden, hat er uns samt Christo lebendig, gemacht, denn aus Gnaden seid ihr selig geworden.
(Ephes. 2,4-5.)

Die göttliche Gnadenordnung zeigt, wie, durch ein Wunder der ewigen Barmherzigkeit, aus einem verlorenen und im Tod gebundenen Sünder, ein lebendiges, seliges Gotteskind werden kann.

Um aber dieses große Erneuerungswerk in seiner ganzen Bedeutung zu verstehen, müssen wir zuerst den Gegensatz gründlich kennen lernen, der zwischen dem Zustand, welchen die Heilige Schrift den Tod nennt, und dem Gnadenstand besteht, in welchem das wahre Leben beginnt, und herangebildet wird durch die Kraft aus der Höhe.

Kein Mensch vermag es zu erdenken, wie uns vom Tod zum Leben geholfen wird; aber es ist uns geoffenbart durch den heiligen Geist, und die es an sich erfahren haben, dürfen sagen: „Gott, der da reich ist von Barmherzigkeit durch seine große Liebe, damit Er uns geliebt hat, da wir tot waren in den Sünden, hat er uns samt Christo lebendig gemacht.“

Da stehen wir mit Staunen vor dem Wunder aller Wunder, das unserem Glauben zum Grunde liegt, nämlich vor der Auferstehung Jesu Christi, der dem Tod die Macht hat genommen und das Leben und ein unvergängliches Wesen an das Licht gebracht durch das Evangelium1). Wir sehen aber auch daraus deutlich ein, warum dem Lügner und Mörder von Anfang so viel daran gelegen ist die Wunder, die in der Heiligen Schrift erzählt sind, dem Menschenherzen zweifelhaft zu machen; es ist eben darauf abgesehen das Hauptwunder uns aus den Augen zu rücken, und durch den Unglauben uns zu bannen, damit das neue Gottesleben, das in Christo, dem Lebensfürsten, offenbar geworden, nicht auf uns wirken könne.

Allein wir lassen uns dadurch nicht irre machen, so wenig die Apostel des Herrn sich irre machen ließen durch die Sadduzäer2), welche es verdross, dass sie an Jesu die Auferstehung von den Toten verkündigten. Frei und fröhlich bekennen wir es mit ihnen vor aller Welt, dass Christus ist auferstanden von den Toten und der Erstling geworden3); Er ist die Auferstehung und das Leben für Alle, die an Ihn glauben4).

Mit einem Herzen, das hoch aufschlägt vor Freude, kann jeder wahre Jünger Jesu sagen: Ja, Christus ist mein Leben, und darum ist Sterben mein Gewinn5). Da weichen die Schrecken des Grabes, und aus des Himmels seligen Höhen senkt sich der Friede Gottes in die begnadigte Seele, welche nun deutlich erkennt:

Wie Christus die Toten zum neuen Leben erweckt.

1. Wer sind die Toten?

Das sind alle Menschen im natürlichen Zustand; das waren auch wir, bevor Christus uns erweckte. Die Menschenseelen sind von Natur in einem gebundenen Zustand, welchen die Heilige Schrift sehr bedeutsam den Tod nennt.

Dies Wort Tod enthüllt uns ein schauerliches Geheimnis, das gesetzmäßig über der Erdenwelt waltet, an Allem nagt, und Alles nach und nach zerstört, was dieser Welt angehört. Zwar gibt es auf Erden gar mannigfaltige Gebilde, die wir mit Staunen betrachten, über welche die Naturwissenschaft systematisch ihre langen Verzeichnisse aufsetzt im Tierreich, Pflanzenreich und Mineralreich; in allen dreien wirken die Naturkräfte und entwickeln zahllose Keime zu zierlichen Gestaltungen der verschiedensten Art. Aber Alles, was die Natur erzeugt hat, löst sich wieder in seine Elemente auf, und im mächtigen Kreislauf versinken die irdischen Dinge, dass, wenn wir danach fragen, wir nur auf Spuren der Zernichtung stoßen und unter der Naturhülle nichts anderes sehen als ein unermessliches Totenfeld der Verwesung. Mit diesem Gefühle hat Salomo, der Alles kannte und besaß, was die Erde Schönstes hervorbringt, in seinen alten Tagen das Buch des Predigers geschrieben, dessen Hauptabsicht ist die Erlösungsbedürftigkeit in den Menschenseelen zu wecken, indem er ihnen zuruft: „Es ist Alles ganz eitel; es ist Alles ganz eitel unter der Sonne6).“

Damit stimmt auch das Neue Testament überein, wenn es uns sagt, dass die Kreatur unterworfen ist der Eitelkeit ohne ihren Willen, sondern um des willen der sie unterworfen hat auf Hoffnung7)“ Die arme Erdenkreatur ist unverschuldeter Weise dem Gesetz der Vergänglichkeit unterworfen, um dem Menschen eine gewaltige Bußpredigt vor die Augen zu stellen, und seinen Sinn auf eine höhere Hoffnung zu lenken, als diese Welt mit allem ihrem Schönen zu geben vermag.

Wir stehen nicht hoffnungslos auf diesem Land der Gräber, sobald wir durch die gewaltige Todespredigt uns belehren lassen. Wahrlich, der allmächtige Schöpfer hat sich nicht geirrt, als er unsre Welt dem Gesetz des Todes unterwarf, sondern er hat uns das Rätselwort des Geheimnisses enthüllt: denn wenn wir fragen: Woher kommt es, dass der Tod solche Gewalt hat auf unserer armen Erde? antwortet uns der Geist Gottes: Der Tod ist der Sünden Sold8), und ist zu allen Menschen durchgedrungen, dieweil sie alle gesündigt haben9). Sünde und Tod stehen in genauem Zusammenhang; der leibliche Tod ist nur eine Nachwirkung des geistlichen Todes; beide sind aber eine Wirkung der Sünde, die uns, kraft des heiligen Gottesgesetzes, vom ewigen Leben scheidet, denn sie scheidet uns von Gott, dem Urquelle des Lebens. Eure Untugenden scheiden euch und euern Gott voneinander; und eure Sünden verbergen das Angesicht von euch, dass ihr nicht gehört werdet10).“

Die menschliche Weisheit, die im Grunde nur irdisch und dämonisch ist11), mag sich dagegen auflehnen, wie sie will; sie bleibt eine Torheit vor Gott12), und hat nichts Besseres an die Stelle der geoffenbarten Lehre der Heiligen Schrift zu setzen, welche dem gefallenen Menschengeschlecht die Hoffnung der Erlösung aus der Macht des Todes verkündigt. Die Todesmacht ist nämlich nicht eine bewusstlose Naturkraft, sondern eine Geistergewalt, die das Menschengeschlecht gefangen hält und die Seelen durch die Sünde, wie durch einen giftigen Stachel, mordet und in das Gebiet des Todes versenkt. Gar einfach heißt es darum: „Der Stachel des Todes ist die Sünde, die Kraft aber der Sünde ist das Gesetz13)“; nämlich das Gottesgesetz, auf welches sich unser Widersacher beruft, indem er uns verführt, um uns dann zu verklagen, uns in der Gemeinschaft seines Verderbens gebunden zu halten, und uns aus dem Gericht des ersten Todes14) in das des andern Todes mit sich hinab zu reißen15).

Das sind nun lauter geoffenbarte Wahrheiten, gegen welche sich die Kinder des Unglaubens voll Zornes gar mächtig erheben16). Wir wollen nicht mit ihnen darüber streiten, sondern in größter Gelassenheit an das uns halten, was uns Gott selber durchs Wort erklärt. Wenn wir tiefer darüber nachsinnen, so finden wir eben, dass zwischen dem leiblichen und dem geistlichen Tod eine merkwürdige Ähnlichkeit ist.

Das Sterben ist ein Versinken in einen Zustand der Leblosigkeit; es gibt aber zweierlei Leben, das leibliche und das geistliche; so gibt es auch zweierlei Sterben, ein leibliches und ein geistliches; beim leiblichen Sterben wird unser Körper vom Naturleben geschieden; da liegt die Hülle, welche wir trugen, starr und kalt; Sinne und Glieder sind unbrauchbar geworden; unfähig zu leisten was der Erdenberuf mit sich bringt, unfähig zu genießen was ihnen dargeboten wird. Das geistliche Gestorbensein ist dagegen der Zustand einer Seele, die das geistliche Leben verloren hat; alle natürliche Menschen liegen darin ohne es zu wissen; sie sind tot für das Göttliche; starr und kalt bleiben sie, wenn das Wort des Lebens ihnen nahen will; ihre Sinnen und Kräfte sind für das Überirdische unbrauchbar; sie zeigen keine Fähigkeit mehr für ihren Christenberuf; der Gebetsumgang mit dem Herrn ist ihnen lästig und widerwärtig.

Denn der natürliche Mensch vernimmt nichts von dem Geist Gottes; es ist ihm eine Torheit und kann es nicht erkennen17).

Allerdings muss man hier nicht vergessen, dass in der Christenheit manche kindliche Seelen noch Spuren des Lebens aus Gott an sich tragen, die ihnen durch Wort und Sakrament in der Zeit ihrer Taufgnade zu Teil wurden; doch wo diese schwachen Überreste des Glaubenslebens nicht ernährt und erhalten werden, verlieren sie sich immer mehr, und können endlich spurlos verschwinden, wenn der Unglaube überhandnimmt und der Betrug der Sünde den Menschen zur Verstockung gebracht hat18). Die Verstockung ist das völlige Erstorbensein und findet sich in unsern Tagen bei Vielen, die vom Glauben an Jesum Christum ganz abgefallen sind in das Heidentum der Naturvergötterung19).

Nach dem Sterben des Leibes folgt früher oder später dessen Auflösung, wodurch er ein Gegenstand des Entsetzens wird für alle Lebendigen; man flieht seine Nähe, und selbst die besten Freunde ziehen sich trauernd zurück. Dasselbe findet im Geistlichen statt; die sittliche Auflösung ist das Offenbarwerden der Sünde in ihren verwüstenden Wirkungen; wer vermag solches darzustellen, ohne zu erröten über den gefallenen Zustand der Menschheit! Welche Rohheit wird als Folge der Gottlosigkeit offenbar, und wie schauerlich zeigt sichs, wohin es mit den Seelen kommen kann, wenn man in die Familienverhältnisse einblickt, und da im Einzelnen und im Ganzen unter Jungen und Alten, bei männlichen und weiblichen Mitgliedern die moralische Verwesung bemerkt, die Jammer und Elend auf Eltern und Kinder, auf Gatten und Geschwister bringt! Und wenn man nun vollends als Seelsorger, als Arzt, als Richter die Gebrechen der Gesellschaft näher kennen lernt; welch ein betrübendes Bild stellt sich dem Blick dar! Was sieht und hört man in den Gerichtshöfen, den Gefängnissen, den Hospitälern, den Irrenhäusern? Massenhaft erscheint da die Pest der Sünde und lässt den Menschenkenner schließen auf das Verderben, welches im Verborgenen brütet und nicht einmal zu Tage kommt. Wie würden wir erst uns entsetzen, wenn wir mit dem Auge der heiligen Engel durchschauen könnten, was das Scheinwesen unter der gleißenden Außenseite der Üppigkeit und des Anstandes verhüllt! Gewiss, die guten Geister sind an vielen Orten ferne getreten und die bösen Geister herrschen frei in der Finsternis dieser Welt20), und bereiten Tausende für das Grab.

Die verwesenden Leiber werden in die Gräber gesenkt und dem Anblick der Lebenden dadurch entzogen, in Folge einer festgesetzten Ordnung. - Etwas Ähnliches geschieht nach gesetzlicher Ordnung im natürlichen Gebiet der Menschengeister; die Seelen aller Unerlösten sinken unter die Erde in die Zustände, welche „die Gräber“ genannt werden21). Das ist bestimmte Lehre der Heiligen Schrift; wenn man sie fragt: wohin kommen die Verlorenen? so weist sie abwärts22). Die Erde ist der Todespalast, der in seinem Innern schauerliche Gefängnisse birgt, wo der Kerkermeister die Toten sammelt23); da werden Alle, die im ersten Gericht nach dem Sterben des Leibes nicht bestanden sind, gefangen gehalten bis zum letzten Gericht am Ende unsrer Weltperiode, wo des Menschen Sohn alle Völker vor seinem Richterstuhl versammeln wird zur großen Scheidung und Entscheidung24).

Das ganze Schicksal des Menschengeschlechtes ist nämlich in die Hand des Heilandes gelegt; Er heißt darum: das Lamm Gottes, welches der Welt Sünden trägt25). Er hat das Leben in unsern Tod gebracht, und Alles kommt nur darauf an, dass wir dieses Leben annehmen, wann es uns verkündigt wird26). Jetzt ist unsre Gnadenzeit, jetzt ist für uns der Tag des Heils gekommen27). Verachten wir es, versäumen wir die Zeit da wir heimgesucht sind, so geht uns das Licht des Lebens wieder unter und wir eilen in der Finsternis dem unausbleiblichen Endgericht zu28), im leiblichen und geistlichen Tod, wodurch alle Nichterlösten gebunden bleiben, als Sklaven der Sünde, deren Fesseln nur der Sohn Gottes zu lösen vermag29). So lasst uns denn mit gläubiger Heilsbegierde betrachten und beherzigen:

2. Wie erweckt Christus die Toten zum neuen Leben?

Schon in seinem Erniedrigungsstand hat Jesus Christus bewiesen, dass Er Macht hat über den Tod; als Ihn der Täufer fragen ließ: Bist du, der da kommen soll? wies er die Abgeordneten auf seine Taten hin, und sagte unter Anderm: Die Toten stehen auf30), Das zarte Töchterlein des Jairus lag im Todesschlaf; Jesus aber rief dem trauernden Vater zu: „Fürchte dich nicht, glaube nur!“, und ging mit ihm hinein, da das Kind lag, ergriff es bei der Hand und sprach: Talitha kumi31).

Der einzige Sohn einer Witwe wurde schon in Sarg fortgetragen, hinter welchem die trauernde Mutter einher wankte; Jesus sprach zu ihr: „Weine nicht!“ und zu dem Toten sprach Er: „Jüngling ich sage dir, stehe auf!“, und gab ihn seiner Mutter wieder32).

Lazarus, der Bruder Marthas und Marias, war gestorben, und bereits vier Tage ins Grab gelegt. Jesus ließ das Grab öffnen, hob seine Augen empor, und sprach: Vater, ich danke dir, dass du mich erhört hast; doch ich weiß, dass du mich allezeit hörst; sondern um des Volkes willen, das umher steht, sage ich es, dass sie glauben du habest mich gesandt! Dann rief Er mit lauter Stimme: Lazare, komm heraus! Und zu den Umstehenden sprach Er: Löst ihn auf und lasst ihn gehen33)!

Diese drei Beispiele beweisen, dass Jesus Christus über dem Gesetz des Todes steht, und dass auf seinen Befehl, während Er noch diesseits des Grabes wandelte, die abgeschiedenen Seelen in ihre Leiber wiederkehrten. Obgleich Er sich später selbst freiwillig dem Tode übergab und seinen Leichnam in das Grab legen ließ, so war und blieb Er doch der Lebensfürst34), der den Fürsten dieser Welt, das ist den Tod, überwunden hat35).

Mag nun auch der Weltfürst seine Lügenpropheten in alle Lande senden, und durch ihre Machtsprüche die Menschen zu bereden suchen, es sei Alles nicht wahr, was in der evangelischen Geschichte aufgezeichnet ist; die Pforten der Hölle werden doch die Gemeine Christi nicht überwältigen36); sie ist auf den Fels des Glaubens an den Sohn des lebendigen Gottes gebaut, und bekennt Ihn getrost zum Heil aller Seelen, die nach dem ewigen Leben verlangen. Derer ist und bleibt stets eine nicht unbedeutende Anzahl, die das Zeugnis, das Gott von seinem Sohn gezeugt hat, annehmen und fest halten.

Das ist aber das Zeugnis, dass uns Gott das ewige Leben hat gegeben, und solches Leben ist in seinem Sohn. Wer den Sohn Gottes hat, der hat das Leben; wer den Sohn Gottes nicht hat, der hat das Leben nicht37).

Mitten in der Periode des antichristlichen Abfalls im Schoß der Weltkirche, bekennen wir es, wie dort die Apostel vor dem Hohenpriestergeschlecht, dass Jesus Christus der Stein ist von den Bauleuten verworfen der zum Eckstein geworden, und ist in keinem Andern Heil, ist auch kein anderer Name den Menschen gegeben, darinnen wir sollen selig werden38). Denn wir sind nicht von denen, die da weichen und verdammt werden; sondern von denen die da glauben, und die Seele erretten39).

Der Allmachtsruf des Sohnes Gottes, der einst die Leiblich-toten erweckte, geht in unsern Tagen an viele Geistlich-tote und weckt sie auf zum neuen Leben40).

Mit Freuden sehen wir in den Kinderkreisen manche unverwüstete Seelen, die aus dem Todesschlaf erwachen, wenn sie die Stimme des großen Kinderfreundes hören. Es gibt noch treue Eltern und Lehrer, die sich durch keine falsche Weisheit irren lassen, sondern gehorsam seinen Befehl befolgen: Lasst die Kindlein zu mir kommen, und wehrt ihnen nicht, denn solcher ist das Reich Gottes41). Welch ein liebliches Leben blüht da auf, wo der Frühlingshauch des ewigen Evangeliums die verschlossenen Knospen in den Kinderherzen öffnet. Staunend sieht man, wie das Christentum gerade darin seine göttliche Kraft offenbart, dass die Einfältigen seine tiefen Geheimnisse zu fassen vermögen, an denen der scharfsinnige Denker sich vergebens zerglaubt. Durch den Wunderstrom des neuen Lebens vermag ein Lamm zu waten, während ein Elefant darin schwimmen muss, und keinen Boden findet.

Das hat der Heiland selber angedeutet in jener merkwürdigen Rede42): „Ich preise dich, Vater, und Herr Himmels und der Erde, dass du solches den Weisen und Klugen verborgen hast, und hast es den Unmündigen geoffenbart. Ja, Vater, denn es ist also wohlgefällig gewesen vor Dir!“

Ach, wenn doch viele Seelen die Gnade hätten, die einem Philipp Jakob Spener widerfuhr, frühe schon die Stimme des Lebensfürsten zu hören, und darauf merkend sie zu erwidern durch das Gelübde sich ganz seinem Dienst zu weihen43). Wie gesegnet wäre dann die Hausgemeine und die Kirche des Herrn.

Aber leider, an Speners eigenem Sohn konnte man sehen, welche Macht der Fürst dieser Welt über die Jugend übt, sie in den Tod zurück zu stürzen. Gewiss hatte der redliche Vater in des Jünglings Herzen treulich die gute Saat auszustreuen und zu pflegen gesucht; aber auf der Universität wurde Alles zerstört; drei Paare Totenträger hatten schon den Gestorbenen ergriffen, ihn fortzuschaffen aus der Stadt der Lebendigen, nämlich: Die falsche Lehre verbunden mit dem verneinenden Unglauben; die falsche Freiheit verbunden mit der entnervenden Unzucht; und die falsche Freude verbunden mit der verwüstenden Unmäßigkeit. So wurde er in seines Vaters Haus gebracht als ein Toter.

Doch der Vater hatte den allmächtigen Fürsten des Lebens zum Freund; den rief er mit Tränen um Hilfe an; die Totenträger mussten stille stehen, und der erschütternde Befehl: Stehe auf von den Toten! bebte durch des Jünglings ganzes Wesen; die geistliche Heilung trat ein; er wurde dem Vater als ein Geretteter wiedergeschenkt, nicht für diese Welt, sondern für die selige Ewigkeit; denn in gründlicher Buße und wiederkehrendem Glauben richtete er sich auf vom Fall, und durch ein langes Leidenslager war der für manche seiner Jugendfreunde eine mächtige Weckstimme, ein Prediger der Gerechtigkeit.

Die fortgesetzte leibliche Krankheit des jungen Mannes war für ihn ein Gnadenwerk, eine Bewahrung vor dem Rückfall, eine völlige geistliche Genesung. Der Herr, unser Arzt44), weiß wohl was einem Jeden frommt, und Manchen bereits Gestorbenen hat Er, nach langem Begrabensein, wieder hervorgerufen, und ihn leiblich und geistlich gesund zum Zeugen unter das Volk gestellt, dass wir einen Heiland haben, der die Auferstehung und das Leben ist45). Ein Beispiel davon sehen wir am Sohn der Monika.

Aurelius Augustinus, dessen heidnischer Vater in ihm von Jugend auf den verzehrenden Hochmut genährt hatte, um seine ausgezeichneten Anlagen für die Welt auszubilden, war vom kindlichen Glauben, den seine Mutter in dem Knaben mit betenden Herzen geweckt hatte, so weit abgefallen, dass er in die verderbliche Sekte der Manichäer versank, die mit stolzer Weisheit im eigenen Verdienst die Seelen philosophisch mordete und gebunden hielt. So kam er, als ein längst Begrabener, nach Mailand; Monika folgte ihm auch dahin; der fromme Bischof Ambrosius gab ihr die tröstliche Versicherung: Ein Sohn so vieler Gebete und Tränen kann nicht verloren bleiben! - Siehe, da erscholl in seine Grabesnacht der mächtige Erweckungsruf: „Komm heraus! - Die Stunde ist da aufzustehn vom Schlaf, denn dein Heil ist nahe46)!“ Und die Mutter durfte den Auferstandenen umarmen, und selber freudig zur Ruhe des Volkes Gottes eingehen, denn sie legte ihrem Erlöser ein auserwähltes Rüstzeug zu Füßen, der als ein Stern erster Größe unter den Lehrern der Kirche Christi leuchtet, und von welchem auch unser Martin Luther lernen durfte, was das heißt: „Der Gerechte wird seines Glaubens leben47)!“

An diesen Beispielen wird deutlich offenbar, wie Jesus Christus die Toten zum neuen Leben erweckt; dies ist aber ein Leben, welches Zeit und Ewigkeit umfasst, denn für Alle, die in Christo lebendig geworden sind, gibt es keinen Tod mehr, sondern an ihnen ist die Weissagung erfüllt: „Er wird den Tod verschlingen ewiglich48)!“ und sie rufen mit Paulo: „Ja, der Tod ist verschlungen in den Sieg! Gott aber sei Dank, der uns den Sieg gegeben hat, durch unsern Herrn Jesum Christum49)!“

Solcher aus Gnaden selig gewordenen, das heißt: auf ewig geretteten Seelen sind jedoch nicht bloß einzelne Wenige, sondern eine große Schar, welche Niemand zählen kann, aus allen Heiden und Völkern und Sprachen50). Denn nun ist das Heil, und die Kraft, und das Reich, und die Macht unseres Gottes seines Christus geworden; weil der Verkläger unserer Brüder verworfen ist, der sie verklagte Tag und Nacht vor Gott; und sie haben ihn überwunden durch des Lammes Blut, und durch das Wort ihres Zeugnisses; und haben ihr Leben nicht geliebt bis an den Tod51).

In diesen feierlichen Aussprüchen liegt, neben dein süßesten Trost, auch der tiefste Ernst. Gewiss die Anzahl derer, die der Schmerzenslohn des Gotteslammes geworden sind, und noch werden sollen in der Gnadenzeit, ist nicht gering. Der Vater hat Ihm eine große Menge zur Beute gegeben; und obgleich bei dem schmalen Pfad, der an der engen Pforte beginnt, es ausdrücklich heißt: Wenige sind ihrer, die ihn finden52)! Am Ende wird doch daraus eine mächtige Schar. So vereinigt in den Zeugnissen der Heiligen Schrift, der Gottesgeist, welcher uns in alle Wahrheit leitet, mit der freudigsten Aussicht für die Zukunft, die nachdrücklichste Belehrung für unsre Gnadenzeit auf Erden, von deren treuer Benutzung es abhängt, ob wir einst zu jener verklärten Schar gehören werden, oder ob uns die Gefängnisse des Todes erwarten, wo in äußerster Finsternis manche berufene Kinder des Reichs, die im Unglauben geblieben sind, mit Heulen und Zähneklappen angstvoll das Endgericht erwarten53), weil sie in Sicherheit, als böse und faule Knechte, die Gnade Gottes auf Mutwillen gezogen und unsern Herrn Jesum Christum, den einigen Herrn verleugnet haben54).

Darum ist für uns die Belehrung über die Gnadenordnung Gottes von großer Wichtigkeit. Berufen sind wir Alle, die wir den schönen Christennamen tragen; es kommt nur darauf an, dass wir mit treuem Fleiß unsern Beruf und Erwählung fest machen, damit wir nicht straucheln auf dem Weg, der nach oben führt, und der Eingang zu dem ewigen Reiche unsres Herrn und Heilandes Jesu Christi uns offen bleibe55); bis wir als treu bewährte, im Dienst des Herrn tüchtig geworden sind über Vieles gesetzt zu werden, und einzugehen in seine ewige Freude56).

Herr Jesu Christe, segne an uns die Betrachtungen über deine Gnadenordnung zur Ehre Gottes des Vaters durch die Kraft des Heiligen Geistes, und hilf, dass wir bald Alle sagen können:

Ich war tot in den Sünden; aber Gott, der da reich ist von Barmherzigkeit durch seine große Liebe, damit er auch mich geliebt, hat mich samt Christo lebendig gemacht; denn aus Gnaden bin ich selig geworden! Halleluja; Amen!

1)
1. Tim. 1,10
2)
Apostgsch. 4,1-12
3)
1. Cor. 15,11-23
4)
Joh. 11,25-26
5)
Phil. 1,21
6)
Pred. Sal. 1,2-3
7)
Röm. 8,20
8)
Röm. 6,23
9)
Röm. 5,12
10)
Jesaj. 59,2
11)
Jak. 3,15
12)
1. Cor. 1,19-20
13)
1. Cor. 15,56
14)
Ebr. 9,27
15)
Offenb. 20,13-15
16)
Eph. 2,1-3
17)
1. Cor. 2,14
18)
Ebr. 3,12-15
19)
Siehe die Schilderung: Röm. 1,22-25
20)
Eph. 6,12
21)
Joh. 5,28
22)
Matth. 7,13
23)
1. Petri 3,18-20 u. Cap. 4,6
24)
Matth. 25,31-32
25)
Joh. 1,28; vergl.. Offenb. Cap. 5
26)
1. Joh. 1,2
27)
2. Cor. 6,1-2
28)
Gleich dem bedauernswerten Judenvolk, über welches Jesus weinte. Joh. 12,35-36, Luc. 19,41-44.
29)
Joh. 8,34-36
30)
Matth. 11,2-6
31)
Mark. 5,36-42
32)
Luc. 7,11-16
33)
Joh. 11,17-45
34)
Apostgesch. 3,15
35)
Joh. 14,30
36)
Matth. 16,16-18
37)
1. Joh. 5,10-12
38)
Apostgsch- 4,6-12
39)
Ebr. 10,39
40)
Joh. 5,25
41)
Mark. 10,14. Luc. 18,16
42)
Matth. 11,25-27
43)
Psalm 5,4
44)
2. Mos. 15,26
45)
Joh. 11,25
46)
Röm. 13,11-14
47)
Habak. 2,4. Galat. 3,11
48)
Jesaj. 25,.8
49)
1. Cor. 15,55 u. 57
50)
Offenb. 7,9.
51)
Offenb. 12,10-11
52)
Matth. 7,14
53)
Matth. 8,10-12. Cap. 24,48-51. Cap. 25,26-30
54)
Judä V. 4
55)
2. Petr. 1,10-11
56)
Matth. 24,21
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