Jacoby, Carl Johann Hermann - Der erste Brief des Apostels Johannes in Predigten ausgelegt - XX. Der Kampf der fürbittenden Liebe.

Jacoby, Carl Johann Hermann - Der erste Brief des Apostels Johannes in Predigten ausgelegt - XX. Der Kampf der fürbittenden Liebe.

1. Joh. 5,13-16.
Solches habe ich euch geschrieben, die ihr glaubt an den Namen des Sohnes Gottes; auf dass ihr wisst, dass ihr das ewige Leben habt, und dass ihr glaubt an den Namen des Sohnes Gottes. Und das ist die Freudigkeit, die wir haben zu ihm, dass, so wir etwas bitten nach seinem Willen, so hört er uns. Und so wir wissen, dass er uns hört, was wir bitten, so wissen wir, dass wir die Bitte haben, die wir von ihm gebeten haben. So jemand sieht seinen Bruder sündigen, eine Sünde nicht zum Tode, der mag bitten; so wird er geben das Leben denen, die da sündigen nicht zum Tode. Es ist eine Sünde zum Tode; dafür sage ich nicht, dass jemand bitte.

Das menschliche Leben ist ein großer, schwerer, ernster Kampf. Nicht bloß gilt es, die zeitlichen Güter, deren wir bedürfen, zu gewinnen und zu bewahren, unsere Gesundheit gegen mancherlei Gefahren zu schützen, welche sie bedrohen; auch unser inneres Leben ist Versuchungen ausgesetzt, die von allen Seiten an uns herantreten, hier von der Welt ausgehen, hier aus unserem eignen Herzen aufsteigen, und über die wir nur in anhaltender Gegenwehr, mit dem Aufgebot aller Kräfte, den Sieg davontragen können. Ist jener Kampf unerlässlich, weil wir in ihm um unser irdisches Dasein streiten, auf höhere, ja höchste Ziele ist dieser Kampf gerichtet. Gilt es dort, das vergängliche Leben zu bewahren, so gilt es hier, die unsterbliche Seele für die Ewigkeit, für das unvergängliche, himmlische Leben zu retten.

Der Apostel Johannes richtet heute unseren Blick auf den Kampf um das Heil der Seele, aber es ist nur ein Teil des großen Kampfgebietes, den er uns vergegenwärtigt. Er mahnt uns heute nicht, um die Bewahrung der eignen Seele zu streiten, sondern fordert uns auf, für die Rettung der Brüder zu kämpfen. Wir sollen für unsere Brüder kämpfend eintreten. Für unsere Brüder, mit denen wir durch die Bande des Glaubens vereinigt sind. Der Apostel gedenkt jetzt nicht der Welt des Unglaubens, gegen deren finstre Gewalten die Boten des Evangeliums Licht bringend streiten; ihre Glieder sind unsere Nächsten, unsere Brüder nach dem Fleisch, unsere Brüder nach der ewigen Bestimmung Gottes, nach dem göttlichen Ebenbild, das in ihnen lebt, wenn auch verdunkelt und in seiner Entwicklung niedergehalten; aber sie sind nicht unsere Brüder nach der Gemeinschaft des wahren Lebens, des Lebens in Gott.

Nur von der Arbeit für das Heil unserer Nächsten, die in Christo unsere Brüder geworden sind, redet heute Johannes zu uns. Zu ihrem Schutz, zu ihrer Rettung ruft er uns auf. Sie bedürfen unserer Hilfe, denn vielen Versuchungen sind sie ausgesetzt, viele Gefahren bedrohen sie. Und auch hier zeigt uns der Apostel nicht die ganze Waffenrüstung, die wir anlegen, nicht alle Kampfeswege, die wir beschreiten müssen, nur zu einer Kampfestätigkeit werden wir aufgefordert, zum Kampf der fürbittenden Liebe. So sei Der Kampf der fürbittenden Liebe der Gegenstand unserer andächtigen Betrachtung. Wir fragen zuerst nach der Macht, welche der fürbittenden Liebe einwohnt, und dann nach dem Erfolg, der ihr beschieden ist.

1.

Wer in den Kampf zieht, wird nur dann mit Freudigkeit streiten, wenn er weiß, dass ihm eine Macht verliehen ist, auf welche er vertrauen kann, welche ihm Hoffnung auf Sieg verbürgt. So muss auch die fürbittende Liebe von dem Gefühl getragen werden, dass sie eine Macht ist, die große Erfolge erringen kann. So allein gewinnt sie Zuversicht. Aber ist die fürbittende Liebe eine solche Macht? Der Apostel Johannes bezeugt es uns. Sie ist eine Macht, ruft er uns zu, weil sie der Erhörung gewiss ist; sie ist eine Macht, weil die Fragen der fürbittenden Liebe eine Antwort finden, weil sie kein Flehen vor Gottes Thron bringt, das sich an ein verschlossenes Ohr, an ein verschlossenes Herz richtete. Freilich besitzt diese Macht nicht jedes Gebet, nicht jede Fürbitte, sie ist nur dem Gebet im Namen Christi verheißen. Daher schließt der Apostel die Mahnung zur fürbittenden Liebe an die Darstellung der himmlischen Herrlichkeit, mit welcher die Kinder Gottes begnadigt sind. Sie glauben an den Namen des Sohnes Gottes, und dieser Glaube ist nicht ein Fürwahrhalten, nicht eine Gewissheit des Verstandes, sondern Lebensgemeinschaft mit Jesus Christus. Wer an seinen Namen glaubt, lebt in Christus, und der Heiland, der in ihm wohnt, wirkt in ihm und erfüllt ihn mit heiligenden Kräften. Wer den Sohn Gottes hat, steht aber auch in der Gemeinschaft des Lebens und der Liebe mit dem Vater, er hat in Christus Kindesrecht, Kindesliebe, Kindesvertrauen, Kindessprache gewonnen und kann zuversichtlich sprechen: Abba, lieber Vater, Er weiß, dass er uns hört, was wir bitten, dass wir die Bitte haben, die wir von ihm gebeten haben. Aber freilich weiß er auch, dass nur, so wir etwas bitten nach seinem Willen, er uns hört. Darin erkennen aber die Kinder Gottes nicht eine Schranke, welche der fürbittenden Liebe gezogen ist, dadurch erwächst ihnen nicht eine Minderung ihrer Freudigkeit, eine Schwächung ihrer Macht, denn sie wollen ja nicht Gottes Gnade zu den Begierden ihres natürlichen Menschen herabziehen, sie wollen ja nicht Gottes, ihres himmlischen Vaters Willen beugen, dass er auch das törichte Verlangen seiner eigenwilligen Kinder erfülle, sondern sie wollen sich in seinen Dienst stellen, ihren Willen seinem heiligen Willen gleichförmig machen, sie bitten ja immer, dass Gottes Gnade ihr Flehen erhören möge, wenn er in seiner heiligen Weisheit und Liebe ihre Wege auch zu seinen Wegen machen kann. Die Macht der fürbittenden Liebe ist die Macht vertrauender und gehorsamer Gotteskinder.

Mit ihr begleiten wir unsere Lieben auf ihrer Wanderung durch diese Welt mit ihren Gefahren und Versuchungen, wir begleiten sie in ihren Kämpfen, in ihren Siegen, in ihren Niederlagen. Und die fürbittende Liebe verlässt auch die Besiegten nicht, sondern sie, die nimmer aufhört, erhebt hier lauter ihre Stimme, ihr Flehen wird nur inniger und dringender. Mit dem Wort der Mahnung, mit dem Ernst der Bitten, mit dem Trost des Evangeliums für den Verzagten eint sich das Aufschauen zu Gott, dem Erlöser und Retter, eint sich das Seufzen und Flehen des Gebets. Die Kinder der Welt gehen herzlos an den Opfern der Verführung vorüber, lassen den Gefangenen in seinen Ketten, den Gefallenen auf dem Boden liegen, lassen ihn zurück in der Pein der Schuld, in dem Elend der Sünde, sie kennen nur das eine Schriftwort: „Was der Mensch sät, das wird er ernten. Wer auf sein Fleisch sät, der wird von dem Fleisch das Verderben ernten“ (Gal. 6,7.8), der gute Hirte, der das Verlorene sucht, ist ihnen eine fremde Gestalt, aber die rettende Liebe geht dem Verirrten nach, bis sie ihn findet, gleich dem barmherzigen Samariter erbarmt sie sich des unter die Mörder Gefallenen, sie geht zu ihm, verbindet seine Wunden, gießt darein Öl und Wein, führet ihn in die Herberge und pfleget sein (Ev. Luk. 10,30-37). Sie spendet die Hilfe der Tat und des Worts, aber sie erweist auch die Hilfe der Fürbitte. Sie gibt, was menschliche Kraft zu geben vermag, aber sie legt auch den kranken, sündigen Bruder an Gottes Herz und in Gottes Hände. Denn hier fühlen wir beides zugleich, unsere Macht und unsere Ohnmacht. Wir können viel tun zur Rettung des Verlorenen, und doch bleibt das Viele ein Geringes. Das Größte, das Entscheidende ist Gottes Werk, nur seine Gnade gibt dem Sünder das heilige Wollen und das heilige Vollbringen. Darum befehlen wir ihm, der Vater ist über alles, was Kinder heißt im Himmel und auf Erden, den sündigen Bruder, dass er sich seiner erbarme. Ihm vertrauen, auf ihn hoffen wir.

Darum fehlt unserer Fürbitte nicht die Freudigkeit, darum erheben wir fürbittende Hände zu unserem Gott und erflehen von ihm Hilfe und Rettung für unsere verirrten Brüder. Ach, wie viele gedenken fürbittend teurer Seelen! Hier blicken Väter und Mütter mit Sorge und Kummer auf ein geliebtes Kind, das die Freiheit in Zügellosigkeit missbraucht hat, an Stelle des Gesetzes Gottes die Willkür der Begierde zur Losung gewählt und die Schranken niedergerissen, die Gottes heilige Ordnung gezogen, um ohne Gott und wider Gott das eigne Leben zu gestalten. Dort sucht der Freund vergeblich nach dem Gefährten, der so lange an seiner Seite gegangen war, mit ihm gearbeitet, mit ihm des Lebens Lust und Leid geteilt hatte. Er sucht vergeblich, der Freund weilt in der Ferne und Fremde, mag er auch im Raume nahe sein. Er hat den Weg des Heils verlassen, weil er ihm zu schmal, und die Pforte des Reiches Gottes, weil sie ihm zu eng geworden war, und hat den Weg des Verderbens gewählt, der so breit ist, auf dem so viele Erdengenüsse einladen, und die weite Pforte des Reichs der Finsternis, durch die wir ohne Selbstverleugnung eingehen. So sind die Freunde getrennt und gehen geschiedene Straßen. Aber das trauererfüllte Auge der Liebe schaut über die engen Kreise natürlich naher Beziehungen hinaus und erblickt, ach, wie viele gefallene, verirrte Brüder in den christlichen Gemeinden unseres Volks. Wie groß ist ihre Zahl! In kleinen Gemeinden mögen wir sie berechnen, wir kennen die Namen, in großen Gemeinden, in den Mittelpunkten des öffentlichen Lebens, suchen Tausende schweigend und doch mit so lauter und beredter Stimme unsere Hilfe. Die Boten der barmherzigen Liebe steigen in die Tiefen des Elends hinab, um zu retten; aber wie viele Stätten der Sünde müssen unbesucht, wieviel Nacht muss unerhellt bleiben! Wie viele Verirrte vermögen wir nicht zurückzuführen, wie viele Herzen verschließen sich der Bitte und Mahnung, der Warnung und dem Zeugnis, weisen die rettende Tat zurück! Aber eins bleibt uns! Die fürbittende Liebe! Ihr ist keine Schranke gezogen, Berge und Meere setzen ihr keine Grenzen, sie überbrückt die tiefsten Klüfte. Und die fürbittende Liebe ist eine Macht, sie wirkt geheimnisvoll und webt unsichtbare Fäden. Deshalb sind ihr herrliche Siege verheißen.

2.

„So wird er geben das Leben denen, die da sündigen nicht zum Tode“, bezeugt der Apostel. Meine Lieben! Jedes Gebet nach dem Willen Gottes, jedes Gebet der fürbittenden Liebe soll der Erhörung gewiss sein. Auf die Verheißung des Wortes Gottes drückt die Geschichte des Reiches Gottes ihr bestätigendes Siegel.

Sie ist reich an Erfahrungen der Siege, die Gottes Gnade treuer fürbittender Liebe gewährt hat. Für wie viele sündigende Brüder ist sie die rettende Tat gewesen, die sie zu dem Reiche Gottes zurückgerufen hat! So dürfen wir auf die Gnade unsers Gottes und Vaters vertrauen und ihm fürbittend nahen, er erhört unser Gebet. Väter und Mütter, die ihr für verirrte Kinder betet, eure Gebete werden nicht vergeblich sein. Was jener fromme Bischof einst der Monika, der Mutter Augustins, tröstend zurief: „Ein Kind so vieler Tränen kann nicht verloren gehen“, es sei auch für euch ein Wort des Trostes. Euer Gebet dringt zu dem Herzen der ewigen Liebe, welche die verirrten Menschenkinder auch in der Wüste des Weltlebens zu finden weiß, welche die Seele, die himmlisches Gepräge trägt, wie sehr es auch durch die Unreinheit der Sünde verdeckt ist, nicht dem Verderben überlässt, die in ihrem unendlichen Erbarmen sucht, bis sie findet. Freilich ist das Tun und Walten der Liebe Gottes nicht an unsere Fürbitte gebunden, es wartet nicht auf sie. Der sündigende Bruder, für den sich keine fürbittenden Hände erheben, wird doch von der Hirtenliebe und Hirtentreue unsers Gottes gesucht, seine Liebe ist größer als unsere Liebe, der Reichtum seiner Gnade offenbart sich auch da, wo die gefallene Seele einsam bleibt, von der Liebe der Menschen verlassen.

Und dennoch sollen wir Fürbitte tun für unsere verirrten Brüder, nicht, um unseren Gott zu bewegen, dass er seinen Zorn gegen sie in Erbarmen für sie wandle, oder dass er seinen Blick auf sie lenke, nachdem er bis dahin ihrer nicht gedacht. Das sei ferne! Wir treten fürbittend vor sein Angesicht, weil wir wissen, dass unsere Fürbitte ihm wohlgefällig ist, dass in ihr unser Liebeswille seinem unendlichen Liebeswillen begegnet. Wie könnten wir sonst der Erhörung gewiss sein! Wir treten fürbittend vor sein Angesicht, dass wir in dem Werk seiner rettenden Liebe eine Erhörung unserer Gebete erkennen und dankbar unseren himmlischen Vater preisen können. Aber, meine Teuren, unsere Fürbitte für die verirrten Brüder ist auch eine Kraft, die von uns ausgeht und auf sie übergeht. Sie steigt auf zum Vater der Geister und von ihm hernieder zu den Gliedern am Leibe Jesu Christi, deren wir vor ihm gedenken, und wirkt in ihnen und auf sie auf geheimen und verborgenen Wegen. Nicht bloß das Wort, das die Ohren vernehmen, nicht bloß das sichtbare Werk, das die Augen schauen, verknüpfen die Menschen miteinander. Es gibt auch ein unsichtbares Band, das sie vereinigt; es gibt auch unsichtbare Fäden, die sich von Seele zu Seele, von Herz zu Herz, verknüpfend ziehen, von denen unsere Schulweisheit nichts ahnt. Die Stimmungen und Regungen unsers Gemüts, die wechselnd aus den Tiefen unsers Innern unwillkürlich auftauchen, mögen oft nur das Ergebnis des Spiels unserer Vorstellungen sein, die zufällig auf der Bühne unsers Bewusstseins erscheinen, mögen oft nur den Ereignissen des äußeren Lebens folgen, von denen wir ergriffen wurden, aber oft, und wir wissen nicht, wie oft, offenbart sich in ihnen der unerforschliche Zusammenhang der in Gott geeinten, in ihm und durch ihn wirkenden Geisterwelt. So weben auch die Fürbitten des Glaubens und der Liebe ein zartes und doch starkes Band, das, von Kräften des Segens erfüllt, die Brüder vereinigt. Fürbitten sind heilige Mächte, die Sinkende vor dem Fall schützen, Gefallene aufrichten, Verirrte suchen, weckende, mahnende, warnende, tröstende Stimmen aus der unsichtbaren Geisterwelt.

Darum werden wir nicht müde in der fürbittenden Liebe. Gott erhört uns, gibt das Leben denen, die da sündigen nicht zum Tode. Er weiß auch die Seelen zu finden, die sich weit von ihm entfernt haben. Weg hat er allerwegen, an Mitteln fehlt's ihm nicht. Hier führt er raue Wege, durch dunkle Täler hindurch. Der Sünder muss es inne werden, erfahren, was es für Jammer und Herzeleid bringt, den Herrn, unseren Gott, verlassen und ihn nicht fürchten (Jerem. 2,19), muss die bittere Frucht der Sünde kosten, muss erkennen, wie sich Weltlust in Weltleid, Weltherrlichkeit in Weltelend wandelt. Dort zeigt der Herr der nach Frieden hungernden und durstenden Seele, die vergeblich nach Erquickung in den zeitlichen Gütern gesucht hat, wo sie einzig und allein gefunden werden kann, öffnet ihr die Augen für die Herrlichkeit der unsichtbaren, himmlischen Welt und erfüllt das Herz mit sehnsüchtigem Verlangen nach ihr. Auf mancherlei Wegen führt der Herr die verlorenen Kinder in das Vatershaus zurück. Der bangenden, zagenden Liebe wird es schwer, ach, wie schwer, die Gnadenstunde zu erwarten, in welcher der verirrte Bruder den Ruf zur Rückkehr in das Vaterhaus vernimmt und ihm folgt, aber sie soll nicht verzagen und verzweifeln, sondern eifriger im Flehen, Ringen und Kämpfen ihre Fürbitte vor das Angesicht der ewigen Liebe bringen, die den glimmenden Docht nicht auslöscht und das geknickte Rohr nicht zerbricht. Aber die Freudigkeit zur Fürbitte, die der Apostel geweckt hat, will aus unseren Herzen weichen, wenn wir von ihm das furchtbar ernste Wort vernehmen: „Es ist eine Sünde zum Tode; dafür sage ich nicht, dass jemand bitte.“ Die zum Gebet erhobenen Hände wollen niedersinken, die Stimme des Flehens will verstummen. Und doch, meine Lieben, achten wir auf die zarte Zurückhaltung des Apostels! Auch hier, der Sünde zum Tode gegenüber, verbietet er nicht die Fürbitte, er verzichtet nur darauf, zu ihr aufzufordern, sie uns ans Herz zu legen. Denn er weiß, wie schwer, wenn nicht unmöglich es ist, sie zu erkennen. Aber freilich, er zeigt uns hier die Grenze, welche der Macht der Fürbitte gezogen ist. Wie der Heiland von der Sünde wider den heiligen Geist gesprochen hat, die weder in dieser noch in jener Welt vergeben wird (Ev. Matth. 12,31.32), wie der Brief an die Hebräer bezeugt, dass es unmöglich ist, dass die, so einmal erleuchtet sind und geschmeckt haben das gütige Wort Gottes und die Kräfte der zukünftigen Welt, wo sie abfallen und wiederum ihnen selbst den Sohn Gottes kreuzigen und für Spott halten, dass sie sollten wiederum erneuert werden zur Buße (6,4-7), so weist uns auch der Apostel Johannes auf eine Sünde zum Tode hin, über welche die Fürbitte keine Macht hat. Es gibt für sie eine Schranke. Wenn ein Christ die beseligende und heiligende Macht der Gnade Gottes erfahren, wenn der Heilige Geist ihm die Wahrheit des Evangeliums bezeugt hat, und er sich dennoch von ihr lossagt, dann entsteht im Innern der Seele eine Zerrüttung, die das religiöse und sittliche Leben ertötet. Es schwindet die Kraft, das Gute zu wollen und zum heiligen Gott sich in Glaube und Liebe zu erheben. Wo aber die Kraft heiligen Wollens verloren gegangen ist, da ist die Rettung unmöglich geworden, da ist die Sünde zum Tode geschehen. Aber, ob eine Sünde eine Sünde zum Tode ist, bleibt unseren Augen verborgen. Sie ist ein letzter Schritt auf dem Wege zum Verderben, und der letzte Schritt entscheidet. Eine Tod drohende Krankheit kann doch geheilt werden, wenn die Widerstandskraft des Körpers noch nicht gebrochen, wenn das Übel nicht zu weit vorgeschritten ist, aber der Tod tritt ein, wenn die Krankheit, ohne Widerstand zu begegnen, sich unaufhaltsam über alle Teile ausbreitet. So kann auch schwere Sünde überwunden und der Sünder gerettet werden, solange Glaube, Liebe, Gewissen eine Macht in der Seele geblieben sind; aber, wenn die Stimme des Gewissens nicht mehr redet, wenn das Licht des Glaubens und der Liebe erloschen ist, dann ist für die Hoffnung auf Rettung nicht mehr Raum gegeben. Ein Petrus verleugnet den Herrn, und doch retten ihn die Tränen der Reue, er kehrt aus der Nacht zum Licht zurück. Ein Judas verrät den Heiland und gibt sich verzweifelnd selbst den Tod. Vor unseren Augen sinkt er in nächtliches Dunkel. Dort ein erster Schritt auf dem Wege zum Tode, aber Buße führt auf den Weg des Lebens zurück; und hier? War der letzte, entscheidende Schritt getan, alles auf ewig verloren? Wir wissen es nicht.

Die Sünde zum Tode bleibt das Geheimnis unseres Gottes, wir können und sollen den Schleier nicht fortzuziehen versuchen. Wir wollen hoffen und lieben und in hoffender Liebe nicht aufhören, fürbittend für die verirrten Brüder vor das Angesicht der ewigen Liebe zu treten. Und in dem Wort des Apostels wollen wir nicht eine Schranke erkennen, die unsere Fürbitte verengt, sondern eine Hinweisung auf die furchtbare Macht der nicht gehemmten Sünde, die uns zum Eifer in der Fürbitte dringend mahnt.

Gibt es eine Sünde zum Tode, gibt es einen letzten Schritt, der zum ewigen Verderben führt, ach, dann lasst uns alles daran sehen, die verirrten Brüder vor diesem letzten Schritt zu retten. Wenn ein teures Leben durch leibliche Krankheit gefährdet ist, dann sind uns auch die größten Opfer nicht zu groß, um es vor dem Tode zu bewahren, und wir sollten zögern, alles zu tun, was wir tun können, wenn es gilt, eine gefährdete Seele vor dem ewigen Tode zu schützen, für das ewige Leben zu gewinnen! Das sei ferne!

Auf denn zum rettenden Werk, auf zur rettenden Tat und zur rettenden Fürbitte! Arbeit und Gebet seien vereinigt. Arbeit ohne Gebet ist Knechtesdienst, ein Werk ohne Freudigkeit und Hoffnung und ohne anhaltende Kraft; Gebet ohne Arbeit aber ist Trägheit, die sich in den Schein der Frömmigkeit hüllt, Selbsttäuschung, Heuchelei. Der rettenden Liebe, die in selbstverleugnender Hingabe an den Seelen der verirrten Brüder arbeitet, und die in vertrauender Fürbitte sie an das Herz Gottes legt, ist der Sieg beschieden, denn die Augen des Herrn sehen auf die Gerechten und seine Ohren auf ihr Gebet (1. Petri 3, 12). Amen.

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