MacDuff, John - Nach Jesu Sinn - 20ter Tag. Kein Wiederschelten noch Wiedervergelten
Ein Jeglicher sei gesinnt, wie Jesus Christus auch war,
Welcher nicht wiederschalt, da Er gescholten ward. 1 Petr. 2, 23.
Welch einen Hang hat das natürliche Herz zum Nachtragen und zur Wiedervergeltung! Wie widerstrebt es dem natürlichen Gefühle, einschneidenden Schmähungen und unverdientem Unrecht mit dem göttlichen Lehrsatz zu begegnen, Überwinde das Böse mit Gutem! In den letzten Stunden der Erniedrigung, als der Heiland stumm und ohne Widerspruch wie ein Lamm vor seinen Scherern stand, offenbarte dieser Charakterzug sich am wunderbarsten in ihm. Doch auch in den gewöhnlicheren und weniger bedeutenden Ereignissen Seines Lebens tritt derselbe auf das Hellste zu unserer Nachahmung hervor.
Als Er in Galiläa mit Nathanael zusammentraf, fand Er diesen an dem Vorurteil festhaltend, Was kann von Nazareth Gutes kommen? Unbeachtet lässt der Heiland die harte Bemerkung vorübergehen; die ungerechte Voraussetzung übersehend, weist Er vielmehr auf seinen besten Charakterzug hin: Siehe, ein rechter Israeliter, in welchem kein Falsch ist! Er erscheint nach Seiner Auferstehung Seinen Jüngern. Sie waren tief beschämt und mögen wohl bange gewesen sein, dem Blicke beleidigter Güte zu begegnen; Er aber spricht: Friede sei mit euch! Petrus war vor Allen derjenige, welcher die größte Ursache hatte, entfremdete Blicke und scheltende Worte zu befürchten; doch ihm wird eine besondere Botschaft zugesandt, um seine Befürchtungen zu stillen und ihm zu versichern, dass das Herz, welches er so tief verwundet, keine Entfremdung kenne. - Geht hin und sagt es Seinen Jüngern und Petro! Selbst als Judas sich seinem Herrn zuerst als Verräter kundtat, glauben wir, dass Jesus ihn nicht in bitterer Ironie oder als Verweis, sondern in mitleidiger Zärtlichkeit anredete, „Mein Freund, warum bist du gekommen?“
Tränen und Gebete waren Seine einzige Rache über die Stadt und den Schauplatz Seiner Tötung. „Anheben zu Jerusalem,“ das war die letzte Ermahnung eines Geistes, der nicht von dieser Welt war, ein vielbedeutendes Zeugnis, dass das Herz, aus welchem dieses Wort kam, keine Wiedervergeltung kannte.
Mehr denn einer Seiner Jünger scheint diesen Sinn Jesu in sich aufgenommen zu haben. Dem Tode Stephanus, sagt Augustin, verdanken wir den Apostel Paulus; - und steinigten Stephanum - er kniete aber nieder und schrie laut: Herr behalte ihnen diese Sünde nicht! Sehen wir auf ein anderes Beispiel: der große Apostel der Heiden sah sich zu Seinem Schmerze genötigt, Petro vor der ganzen Gemeine einen Verweis zu erteilen und er zeichnet diesen Verweis in einer seiner Episteln auf; wodurch derselbe jedem Zeitalter als ein demütigendes und bleibendes Zeugnis der schwankenden Unbeständigkeit seines Mitarbeiters überliefert werden sollte. Petrus muss ohne Zweifel das Schmerzhafte dieser Strafe tief empfunden haben. Nimmt er es übel auf? Lange nachher zeichnet auch er in einer seiner eigenen Episteln eine Bemerkung über seinen Verweiser auf, doch es ist dieser liebe Bruder Paulus!
Leser! wenn du versucht bist das harte Wort oder die schneidende, übereilte Antwort auszusprechen, so halte dieselbe mit der Frage zurück: Hätte mein Heiland diese Antwort erteilt? Sind deine Mitmenschen unfreundlich, unbedachtsam, undankbar, so befehle die Sache dem Herrn. Sprich nur im Ge bete von den Fehlern Anderer, hege mehr Schmerz um die Sünde der Tadelsüchtigen und Lieblosen als um das dir erwiesene Unrecht! Kein solches Wort sollte sich in der Sprache des Christen befinden! Nachtragen! Wenn ich also gegen meinen Bruder gesinnt wäre, wie könnte ich ihm im Himmel begegnen? Ihr aber habt Christum nicht also gelernt.