Burk, Johann Christian Friedrich - Der wahre evangelische Glaubensweg - 11. Die Ausnahmen.

Burk, Johann Christian Friedrich - Der wahre evangelische Glaubensweg - 11. Die Ausnahmen.

Wie schon jeder weise menschliche Erzieher, zwar im Allgemeinen bei der Bildung seiner Zöglinge dieselbe Methode befolgt, jedoch aber im Einzelnen zuweilen eine Ausnahme zu machen für gut findet, so befolgt auch der HErr, der weiseste aller Erzieher, nicht durchaus bei allen Seelen dieselbe Ordnung, obgleich das Ziel bei allen dasselbe ist, und ebenso auch die Übungsstücke der Hauptsache nach sich nicht verändern.

  1. Bei Einigen ist nicht sowohl eine schmerzliche Erkenntnis ihrer Sünden, als vielmehr ein Eindruck der unbegreiflichen Liebe Christi dasjenige, womit ihre Sinnes-Änderung beginnt; im Drang dieser Liebe möchten sie ihrem Heiland ihr ganzes Leben zum Dienste weihen, und bringen auch manche schöne Früchte her. vor, endlich aber lernen sie, oft erst nach vieler Arbeit, an sich und an dem Reiche Gottes einsehen, dass es zwar etwas Leichtes sei, im ersten Feuer der Liebe die gewissenhafteste Treue zu geloben, aber etwas sehr Schweres, dieses Gelübde in der Folgezeit zu erfüllen; sie lernen erst nach und nach ihr ganzes Verderben einsehen, und kämpfen dann, bis sie die feste Versicherung der Vergebung ihrer Sünden erlangt haben, einen nicht geringeren Kampf, als diejenigen, welche gleich Anfangs zur vollständigeren Erkenntnis ihrer Sünden gekommen waren.
  2. Andere fangen, ohne Christum genauer zu kennen, wenigstens ohne hellere Erkenntnis zu haben von seinem Verdienste um uns durch seinen Tod am Kreuz, die Arbeit der Heiligung an, in der getrosten Überzeugung, dass Gott uns auch die Kräfte zu dem, was Er von uns fordert, müsse gegeben haben; sie glauben auch so lange, dass sie mit ihren Fortschritten zufrieden sein können, bis sie bei redlicher und gewissenhafter Selbstprüfung endlich die verborgene Giftquelle entdecken, die alle ihre besten Werke verdirbt - die Eigenliebe. Diese Entdeckung vernichtet alle ihre bisherige eingebildete Heiligkeit, und bringt sie beim Gefühl der unendlichen Heiligkeit und Gerechtigkeit Gottes entweder zur Verzweiflung, oder zum Gnadenthron Christi, vor dem schon so viele starke Geister gelegen, und als arme Sünder um Gnade und Erbarmung nicht nur gefleht, sondern sie auch gefunden haben.
  3. Es gibt Solche, bei welchen Buße und Rechtfertigung mit den stärksten, erschütterndsten Empfindungen verbunden sind, und wie jene sie auf den dunkelsten Wegen bis an den Rand der Verzweiflung führte, so erfüllt sie diese (die Rechtfertigung) mit einer Wonne und Seligkeit, die über alle Beschreibung erhaben ist, aber eben deswegen auch hienieden nicht lange andauern kann, sondern gewöhnlich bald wieder verschwindet, und eine dürre Zeit folgen lässt, in welcher unter mühsamen Kämpfen das Werk der Heiligung vollbracht wird. Andere, deren Buße nicht minder tief und gründlich war, blieben doch viel ruhiger und stiller dabei, sie bereuten von Herzen ihre Sünden, ohne mit solcher Angst, wie jene, ihre Vergebung zu bezweifeln. Ebenso ruhig blieben sie auch bei ihrer Begnadigung, in kindlicher Einfalt nahmen sie das Evangelium als auch ihnen gehörig an, und nur eine leise Freude verbreitete sich in ihrem Innern, so oft ein neuer Trostspruch der heiligen Schrift von dem Geist des HErrn ihnen enthüllt wurde.
  4. Nicht gering ist auch die Zahl derjenigen, bei welchen sich, ohne dass ein vollkommener Rückfall vorangegangen wäre, die Ordnung des Heiles mehrere Male wiederholt. - Nachdem sie bereits Buße ihr allgemeines Sündenverderben sowohl, als auch über ihre einzelnen Sünden getan, das Verdienst Christi im Glauben sich angeeignet, und mit redlichem Fleiß der Heiligung nachgestrebt hatten, fanden sie auf einmal neue Falten ihres verderbten Herzens, fühlten mit neuer Lebhaftigkeit den Ernst der göttlichen Gerechtigkeit, und flehten aufs Neue ums Kindesrecht, gleich als ob sie es nie erhalten, oder wieder völlig verloren hätten.

Bei allen diesen Verschiedenheiten, welche auf unserm Glaubens-Laufe vorkommen können, ist jedoch nicht zu übersehen, dass in der Hauptsache Immer dieselbige Ordnung gilt: Vollkommene Versicherung der Vergebung seiner Sünden kann nur derjenige erlangen, der zuvor zu einer gründlichen Erkenntnis und Verabscheuung seiner Sünden gekommen war; die Gewissheit unserer Begnadigung gründet, selbst bei denen, welche vor Derselben schon, sei es auch die höchste Stufe der Heiligung erstiegen haben sollten, nicht auf diese, nicht auf ihre Gerechtigkeit, sondern auf die Gerechtigkeit Christi; und das Werk der Heiligung gelingt am allerersten einer solchen Seele, welche von dem Fluche des Gesetzes durch Christum befreit, sich gedrungen fühlt, denjenigen wieder zu lieben, dessen unaussprechliche Liebe sie bei der Vergebung ihrer Sünden erfahren hatte.

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autoren/b/burk/glaubensweg/burk_johann_christian-glaubensweg_-_11.txt · Zuletzt geändert: von aj
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