Ahlfeld, Johann Friedrich - Geh mit uns nicht ins Gericht.

Ahlfeld, Johann Friedrich - Geh mit uns nicht ins Gericht.

(Bußtag 1848.)

Die Gnade unseres Herrn und Heilandes Jesu Christi, die Liebe Gottes des Vaters, und die Gemeinschaft des heiligen Geistes sei mit euch Allen. Amen.

Text: Jonas 3.
Und es geschah das Wort des Herrn zum anderen Mal zu Jona und sprach: Mache dich auf, gebe in die große Stadt Ninive und predige ihr die Predigt, die ich dir sage. Da machte sich Jona auf und ging hin gen Ninive, wie der Herr gesagt hatte. Ninive aber war eine große Stadt Gottes, drei Tagereisen groß. Und da Jona anfing hinein zu gehen eine Tagereise in die Stadt, predigte er und sprach: Es sind noch vierzig Tage, so wird Ninive untergehen. Da glaubten die Leute zu Ninive an Gott und ließen predigen, man sollte fasten, und zogen Säcke an beide groß und klein. Und da das vor den König zu Ninive kam, stand er auf von seinem Thron und legte seinen Purpur ab und hüllte einen Sack um sich und setzte sich in die Asche; und ließ ausschreien und sagen zu Ninive, auf Befehl des Königs und seiner Gewaltigen, also: Es soll weder Mensch noch Tier, weder Ochsen noch Schafe etwas kosten, und man soll sie nicht weiden, noch Wasser trinken lassen; und sollen Säcke um sich hüllen beide Menschen und Tier, und zu Gott rufen heftig., und ein Jeglicher bekehre sich von seinem bösen Weg und von dem Frevel seiner Hände. Wer weiß, Gott möchte sich kehren und ihn reuen und sich wenden von seinem grimmigen Zorn, dass wir nicht verderben. Da aber Gott sah ihre Werke, dass sie sich bekehrten von ihrem bösen Weg, reute ihn des Übels, das er geredet hatte ihnen zu tun, und tat's nicht.

In Christo Jesu geliebte Gemeinde. Die Schiffer auf dem Meer erzählen uns, dass zu Zeiten die Schiffsglocken von selbst zu läuten anfangen, ohne dass ein Glöckner den Strang zieht. Ihr könnt euch denken, was das für Zeiten sind. Es sind die, wo der Sturm die Glöcknersdienste versieht, wo er das Schiff hin und herschleudert. Von diesem Läuten, von diesen abgerissenen Tönen sagen die, die sie gehört haben, dass sie zehnmal tiefer in die Seele einschlügen, als wenn Menschenhand den Strang zieht und ein regelmäßiges Geläut angestimmt wird. - Du Menschenkind, in diesem Jahr, in diesem Frühjahr hätte wohl kein Bußtag im Kalender und in der Ordnung des Kirchenjahres zu stehen gebraucht, die Bußglocken hätten ja auch wohl von selbst geläutet, ohne dass sie die Hand des Glöckners, des Dieners am Wort gezogen hätte. Der Sturm, die Heimsuchung, die Gott der Herr über unser Vaterland, über jeden Einzelnen von uns kommen ließ, sollte die Glöcknersdienste an deinem Herzen versehen. - Hat er sie denn schon versehen? Hat es denn in dir schon geläutet und geklungen:

„O Vater der Barmherzigkeit,
Ich falle dir zu Fuße,
Verstoß den nicht, der zu dir schreit.
Und tut noch endlich Buße.
Was ich begangen wider dich.
Verzeih mir alles gnädiglich
Durch deine große Güte.“

Wenn denn in dir die Bußglocken schon so geläutet haben, - und sie müssen so geläutet haben, wenn du nicht tot bist in Trägheit und Sünden, - dann werden sie heute zusammen klingen, dann wird es heute eine gemeinsame Trauerharmonie geben. Und das ist die allerbeste, die es in unsern Tagen geben kann. Es ist Freude bei den Engeln Gottes über einen Sünder, der Buße tut. Wie sollte nicht Freude sein, wenn eine Gemeinde, ein Volk zusammen schreit: „Gnade, Gnade, Gnade, Vater! Gnade um deines lieben Sohnes, Gnade um deiner ewigen Erbarmung willen! Ziehe deine ausgereckte Hand von uns zurück. Straf uns nicht in deinem Zorn, züchtige uns nicht in deinem Grimm. Vater, wir wollen umkehren, wir wollen uns von Herzen zu dir bekehren. Unsere Augen sind uns aufgegangen, es ist uns wie Schuppen herunter gefallen. Wir haben es erkannt, dass wir die Stimme des heiligen Geistes verachtet haben, dass unsere Wege nicht deine Wege waren, dass wir gewandelt sind die Wege unseres Fleisches und unseres verkehrten Herzens. Herr, Herr, wir wollen hören auf deinen Ruf, wir wollen deine Wege gehen. Ziehe deine ausgereckte Hand von uns zurück. Geh mit uns nicht ins Gericht.“ Ja:

Geh mit uns nicht ins Gericht.

  1. Öffn' uns, Herr, den Blick in unsre Sünden,
  2. Lass uns, Herr, die rechte Buße finden,
  3. Lass die Gnadenhoffnung nicht verschwinden. -

Herr mein Gott, wenn ein Regenbogen am Himmel steht, dann haben wir vor uns das düstere Gewölk und die Tropfen, die auf die Erde fallen, aber auch die leuchtenden Sonnenstrahlen, die sich in den Tropfen brechen. So gib uns einen Blick in die Finsternis unsrer Herzen. Lass die Bußtränen fallen aus diesen Wolken; lass aber auch deine Barmherzigkeit in Christo Jesu sich in diesen Tropfen brechen, dass wir der Zuversicht leben: der Herr verstößt doch die nicht, die im Glauben und treuer Buße stehen. Amen.

I. Öffn' uns, Herr, den Blick in unsre Sünden!

Unser Text führt uns in die alte Stadt Ninive an den Ufern des Tigris, in den Sitz der alten assyrischen Könige, in den Sitz vielfacher Sünden und Gräuel. Götzen die Fülle waren da anstatt des einen Gottes. Güter die Fülle waren da anstatt des einigen Gutes. Lüste die Fülle waren da anstatt der einen Lust der gläubigen Herzen. Ihre Bosheit war hinaufgekommen vor Gott. Doch wir haben nicht Zeit, die Sünden dieser alten Stadt zu zergliedern und einzeln durchzugehen. Wir haben an uns genug zu tun, und fremde Sünden sollen uns nicht etwa ein Bollwerk werden, hinter dem wir uns mit den eigenen verstecken. Ja der Text führt uns in die alte Stadt Ninive, aber der Geist des Herrn führt uns von dort in unser Volk und in unser eigenes Herz. Lasst uns in unseres Volkes und in unsre Sünden einen recht klaren Blick werfen, ohne den süßen Schleier der Lüge vorzulegen, womit wir uns selbst betrügen und unsere und der Unsern Sünde beschönigen. Lasst uns recht die Hauptzüge heraufnehmen, die die großen Trübsale über uns gebracht haben und noch größere bringen werden, so wir uns nicht eilends aufmachen und zu unserm Vater gehen. Die erste Klage ist die: Wir sind abgefallen von unserm Gott und Heiland. Wer sind die Wir. Soll dies allein denen gelten, die mit den Toren sprechen in ihrem Herzen: „Es ist kein Gott?“ die da glauben und lehren: Himmel und Erde, und Sonne und Mond und Sterne, und der Raum in dem sie laufen, und die lange Zeit durch die sie laufen, und Menschen, Tiere und Kräuter und Bäume sind in vielen Millionen Jahren so von selbst, so von ungefähr entstanden? Soll dies allein denen gelten, die da meinen, sie brauchen keinen Heiland und Mittler zwischen sich und Gott, denen Christus wie jenem Papst und den Heiden eine Fabel1) geworden ist, die sich von selbst bei Gott zu Gnaden bringen wollen? Nein wir, wir sind abgefallen von Gott. Wie fern haben wir ihn uns gestellt! Der Apostel Paulus schreibt: „Er ist nicht fern von einem jeglichen unter uns, in ihm leben, weben und sind wir.“ Und David im Psalm singt:

„Herr, du erforschst mich und kennst mich. Ich sitze oder stehe auf, so weißt du es. Du verstehst meine Gedanken von ferne. Ich gehe oder liege, so bist du um mich und siehst alle meine Wege. Denn siehe, es ist kein Wort auf meiner Zunge, das du, Herr, nicht alles weißt.“ Diese heilige Gottesnähe ist uns verloren gegangen. Er hat sich nicht von uns entfernt, aber wir haben uns von ihm entfernt. Das Bewusstsein: er ist überall um mich, er sieht und hört alle meine Taten und Worte, er sieht alle Gedanken meines Herzens, meine Missetat stellt er vor sich und meine unbekannte Sünde in das Licht vor sein Angesicht, das ist so fremd, so selten geworden. Im Kopfe ist es noch, im Gedächtnis wohnt es noch, aber aus dem Herzen, aus dem Leben ist es heraus. Wenn es noch drinnen wäre, so müsste das Leben ein anderes sein, ein Leben vor dem Angesicht, ein Leben in der Furcht Gottes. So aber ist Gott uns geworden wie eine leichte Wolke, die hoch am Himmel dahin geht, die nicht blitzen, die nicht donnern und einschlagen, die aber auch nicht regnen kann; an der man sich wohl eine Weile mit den Augen ergötzt, von der man etwa ein schönes Lied singt. Die Furcht Gottes, die der Weisheit Anfang ist, ist ein leerer Klang geworden. Wenn du wahrhaftig glaubtest, dass dein Gott, der Augen hat wie Feuerflammen, der den Sünder nicht ungestraft lassen kann, viel enger mit dir verbunden wäre, als dein Schatten - denn dein Schatten verlässt dich doch in der Nacht - dann müsste es um dein Leben anders stehen. - Die zweite Klage ist: Wir sind um die Erkenntnis und um das Gefühl der Sünde gekommen. Dies hangt aber ganz eng mit dem vorigen zusammen. So wie wir uns dem heiligen Gott entfremden, so wie wir ihn in die Ferne stellen, so verliert auch sein heiliges Gebot den Ernst und das Gewicht, das es auf unsere Herzen üben soll. Wie wenige sind denn, die es so ganz fühlen: die heiligen Gebote sind Gottes Gebote. Er selber, der allmächtige Gott hat sie gestellt, Er selber, der allmächtige Gott hat die Übertretung als Sünde gebrandmarkt. Gegen ihn sündige ich, seine Gebote verspotte ich mit jeglicher Übertretung. Er wird auch Gericht halten über alle Übertreter. - Weil wir Gott so fern gestellt haben, weil wir sein Gebot so leicht nehmen, nehmen wir auch die Sünde so leicht. Lug und Trug, Entheiligung des Sabbattages, Spott und Lästerung, Ungehorsam gegen Eltern und Obrigkeiten, sie alle haben ihre schwarze Farbe verloren, sie alle werden entschuldigt und beschönigt, sie alle haben auch milde Namen bekommen. Die alten Namen sind zu hart und zu grob. Lüge heißt jetzt oft gesellige Unterhaltung; Spott heißt Witz und Freisinnigkeit; Verachtung des göttlichen Worts, Entweihung des göttlichen Tages heißt Aufklärung; Ungehorsam gegen Eltern, Herrschaften und Obrigkeit heißt Freiheit. Aber ein Wolf, wenn man ihm auch ein Schafkleid anzieht, bleibt doch ein Wolf, und ein Dornstock, wenn man ihm auch die Stacheln abschneidet, trägt doch keine Trauben. Auch dem Gewissen möchte man die Zähne ausbrechen, dass es nicht mehr beißen könnte. Freilich sie wachsen immer wieder. - Weil man der Sünde den Stachel genommen hat, ist das Sehnen nach Erlösung und nach dem Erlöser in uns matt geworden. Unser Gefühl der Sünde und unser Sehnen nach dem Erlöser sind zwei Wettergläser neben einander, die im Fallen und Steigen gleichen Schritt hatten. Wer seine Sünde leicht achtet, der achtet seinen Heiland gering; wer sich über seine Sünde ganz wegsetzt, wer sich vorlügt, die Sünde gehöre auch zum menschlichen Leben, wie etwa die Nacht zum Tag, der wirft den Heiland ganz weg; wem seine Sünde schwer auf dem Herzen liegt, der sucht auch einen starken Erlöser, der sie von ihm nehme. Er kann nicht leben ohne das Lamm Gottes, das der Welt Sünde trägt. Kannst du nicht leben ohne dasselbe? O nur zu gut. Wo ist das innige Sehnen nach ihm? Wo sind die Seelen, die da rufen: „Wie ein Hirsch schreit nach frischem Wasser, so dürstet meine Seele nach dir. Und wie ein Tagelöhner sich sehnt nach Schatten, so sehnt sich meine Seele nach deiner Barmherzigkeit?“ Wo sind die Seelen, welche bekennen: „Ich weiß nichts Teureres im Himmel und auf Erden, denn dass ich einen Herrn habe, der Sünde vergibt, der vom Tod errettet, der mich losgekauft hat mit seinem teuren Blut?“ Wir glauben an Jesum Christum, aber der Glaube ist so kalt, wie die Sonne im Winter, wo sie mit ihren langen Strahlen hinläuft über die Schneefelder. Aber sie kann den Schnee nicht schmelzen, sie kann nicht Gras und Kraut, Rosen und Lilien aus der Erde locken. Selten sind die Herzen, die zerschlagen sind in Trauer um ihre Übertretung, selten darum auch die, die da jauchzen und jubeln: „Ich bin fröhlich in meinem Gott, ich freue mich Gottes meines Heilandes. Ich bin so selig, ich bin so fröhlich, der Himmel ist auf die Erde gekommen, der Morgen in die Nacht.“ - Ja das, dass wir uns Gott so fremd gestellt, dass wir seine Gebote so locker und die Sünde so leicht genommen haben, dass das Sehnen nach Versöhnung so lau geworden ist, das ist unser Hauptverderb, das ist der Mittelpunkt der Sünden unserer Zeit.

Daraus wächst denn alles Andere hervor: Die Häuser sind nicht mehr Tempel und Hütten Gottes. Das Wort Gottes schläft in den meisten. Die Gebete, die sonst unser Früh und Spät, unser Aufstehen und zu Bette Gehen, unser Arbeiten und Essen begleiteten wie Engel Gottes, die schweigen. Die geistlichen und lieblichen Lieder, die sonst aus so vielen Häusern schallten, sind stumm geworden. Wie sollen sie noch schallen? Sie sangen ja das Bekenntnis der Sünde, und mit der Sunde hat es jetzt nicht viel auf sich. Sie sangen den Preis des barmherzigen Gottes. Jetzt meint man: „Was braucht man da noch zu singen, es versteht sich von selbst, dass der barmherzig sein muss.“ Sie sangen die Erlösung. Wenn man keinen Erlöser mehr braucht, braucht man auch nicht von ihm zu singen. Wenn das Wort Gottes aus den Häusern weicht, fliegt die christliche Zucht weg, wie der Vogel wegfliegt, dem man sein Nest weggerissen hat. Und wie in den Häusern, in der kleinen Familie, dieser Verfall zu Tage liegt, so auch in der großen, im Staat, im Volk. Viel haben wir uns gerühmt der deutschen Treue. Viel ist von ihr gesungen. Deutsche Treue und deutsche Eichen stehen in vielen Liedern neben einander. Wie aber im Leben? Die Eichen stehen noch, aber die Treue ist erstorben. Auch in unserem Volk hat die Lüge wie Scheidewasser die heiligsten Verhältnisse zerfressen. Wer es nie erkannte, der muss es in diesen Tagen erkannt haben. Wo ist die alte Treue gegen Könige und Fürsten? Die alten Zeiten unseres Vaterlandes haben Beispiele, wo ein treuer Untertan am Tage der Schlacht vor seinen Fürsten hintrat und bat: „Herr, ich will nicht nach hohen Dingen trachten, aber heute möchte ich euer Kleid tragen, denn auf euch werden viele Pfeile gezielt und viele Schwerter gezückt sein. Wenn ich falle, fällt nur ein schlichter Mann, und deren haben wir mehr, aber Könige haben wir nur einen.“ In den Kreuzzügen war ein Fürst von Sachsen im gelobten Land von den Sarazenen gefangen. Er ward in den Pflug gespannt und musste ackern wie ein Zugtier. Da machte sich einer seiner Diener aus dem Vaterland auf und suchte und fand ihn und spannte sich selber ein für seinen Herrn. Der Herr aber entrann und kam in die Heimat. Könnt euch denken, dass sein erstes Werk in derselben das war, dass er seinen Diener loskaufte. Doch das gehört in alte Zeiten. Kommen wir in neuere. In den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, als Österreich seine schweren Kriege mit Frankreich führte, bat ein schlichter Bauersmann bei dem Kaiser Franz vorgelassen zu werden. Er stellte ihm einen Beutel mit 1000 Gulden auf den Tisch und sagte ihm: die schweren Kriegsläufte kosteten viel Geld, er wolle dem Kaiser auch etwas beisteuern. Der Kaiser fragte nach dem Namen des Gebers: „Den braucht Niemand zu wissen,“ gab der Bauer zur Antwort, und damit ging er zur Tür hinaus. Der Kaiser schickte ihm seine Diener nach, und diese fragten noch einmal nach dem Namen, erhielten aber zur Antwort: „Ich hab es meinem Kaiser nicht gesagt, und solls wohl euch sagen?“ Und somit zog er seine Straße. Vergleichen wir damit unsere Zeiten: „Haben, haben“ ist der stete Klang, der nach den Thronen hinaufschallt. - Genug. Wir können die anderen Verhältnisse nicht weiter durchgehen. Aber die Sünde ist überall. Darum will der Herr Buße predigen lassen in dieser Zeit. Sie muss gepredigt werden. Ehe der barmherzige Samariter Wein und Öl in die Wunden des unter die Räuber Gefallenen goss, hat er diese Wunden ausgesogen. Wenn die Menschen schwiegen, dann würden die Steine schreien. Wie aber der Herr seine Knechte treibt zur Bußpredigt, das siehst du ja auch recht aus unserem Propheten. Jonas wollte nicht nach Ninive gehen und dort predigen, und er musste doch. Aus dem Meer zog ihn Gott heraus, um ihn in die Straßen der Stadt zu stellen. Er musste doch durch die Straßen der Stadt rufen: „Es sind noch vierzig Tage, so wird Ninive untergehen!“ Er musste doch den Niniviten ihre Sünde aufdecken. „Wehe mir, wenn ich es nicht tue,“ spricht ein anderer Prophet. - Was aber fruchtete seine Predigt? Das, was wir in unserer zweiten Bitte ausgesprochen haben:

II. Lass uns Herr die rechte Buße finden.

Da glaubten die Leute von Ninive an Gott und ließen predigen, man sollte fasten, und zogen Säcke an beide groß und klein. Und da das vor den König kam, stand er auf von seinem Thron und legte seinen Purpur ab und hüllte einen Sack um sich und setzte sich in die Asche. Und ließ ausschreien zu Ninive auf Befehl des Königs und seiner Gewaltigen also: Es soll weder Mensch noch Tier, weder Ochsen noch Schafe etwas kosten, und man soll sie nicht weiden, noch Wasser trinken lassen. Und sollen Säcke um sich hüllen beide Menschen und Tier, und zu Gott rufen heftig, und ein Jeglicher bekehre sich von seinem bösen Weg und von dem Frevel seiner Hände. O du Christenmensch, diesen Niniviten war nur das harte Gesetz gepredigt. Es war ihnen als Schwert gezeigt, das über ihrem Haupt hing. - Es hängt auch über unserm Haupt. - Aber nichts von dem lieblichen Evangelio ist ihnen verkündigt. Auf die ausgereckte Hand Gottes ließ sie Jonas sehen, aber in sein Vaterherz ließ er sie nicht schauen. Er hatte wohl selbst noch nicht recht hineingeschaut. Und nun seht, wie die Buße, wie die Trauer über die Sünde in der Stadt um sich griff. Nur erst eine Tagereise war Jonas in die Stadt gegangen, da begann sie. Und wie viele Tagereisen ist unser Gott unter uns umhergangen? So viel Tagereisen, als wir Lebenstage haben. Besonders in diesen Jahren hat er nicht allein gepredigt mit dem Wort, er hat die ausgereckte Hand schon zur lebendigen Predigt hie und da ins Land hereinfallen lassen. Er hat im vorigen Jahr gepredigt mit Hunger. Er hat in diesem Jahre in Schlesien gepredigt mit Krankheit. Er hat in Deutschland und an seinen Grenzen gepredigt mit Blut. Alle diese Predigt lautet: „Tut Buße und bekehrt euch, dass eure Sünden vertilgt werden.“ - In jenem Ninive fand nun Jonas gleich Mitprediger. Die Leute zu Ninive ließen predigen, und der König selbst ward ein Bußprediger. So muss es auch bei uns kommen. Vom Thron muss die Bußpredigt schallen, und Prediger müssen Buße predigen lernen, die Gott nicht auf dem gewöhnlichen Weg berufen hat. Die Obrigkeiten müssen Buße predigen lernen, und die Väter müssen sie predigen in den Häusern, und jeder Stand unter sich. Hier war aber nicht allein die Predigt, sondern auch die Buße allgemein geworden, ja die Buße. Der König ließ ab von seinem gottlosen und üppigen Wesen. Ich weiß nicht, ob seine Hofleute gemurrt haben. Sie mussten wohl oder übel mit ihm fasten. Sie mussten wohl oder übel mit ihm Säcke anlegen. Sie mussten wohl oder übel von ihrem Sündenleben lassen. Des Königs Auge wachte selber über sie. Und so ging es herunter durch alle Stände. Es ging herunter, dass selbst die Tiere in Säcke gehüllt, nicht geweidet und nicht getränkt werden sollten. Es mag Manchen ein Lächeln angehen, dass auch Ochsen und Schafe in Säcke gehüllt werden sollten. Aber wenn du einträtest in eine Stadt, wo alles Volk in Trauerkleidern ginge, und Rosse und andere Tiere wären schwarz behangen, wie vor einem Leichenwagen, und Jeglicher träte so bange und so leise auf, wie wenn das Schwert Gottes jeden Augenblick hereinbrechen könnte: es würde auch über dein Herz ein Trauermantel fallen, und das Lachen würde dir vergehen. Es war eine Buße unter dem Gesetz, das überall das innere Leben sichtlich ausprägt. O Herr und Gott, o liebe Brüder, wenn doch auch über unser Vaterland solche allgemeine Buße käme, solche allgemeine Buße, nicht gemacht, nicht erzwungen von Menschengewalt, sondern geweckt durch den Zug des heiligen Geistes, geweckt durch das eigne Gefühl der Sünde, geweckt durch den Blick auf die reiche göttliche Barmherzigkeit, die von der Welt her an unsern Vätern und an uns getan hat, geweckt durch die Furcht des Gerichtes, das über die sicheren Sünder hereinbrechen muss. Was sind vor Gott Völker, wenn er sie vertilgen will in seinem Zorn? Sie sind ihm nur wie ein Tropfen am Eimer, wie ein Wurm, den ein Wanderer im Gehen zertritt. Seine Fußtapfen gehen schon hin über Hunderte von Völkern, die er auf seinem Gerichtsgang vertilgt hat. Und was sind wir mehr denn andre Völker? Durch das ganze Volk ist die Sünde, der Abfall gegangen, durch das ganze Volk soll die Buße gehen. Und wo sah man die Buße in Ninive? In den Tempeln? Sie werden mit keinem Wort erwähnt. Es mag wohl sein, dass man die Götzenbilder da herausgestoßen und gekniet hat vor dem lebendigen Gott. Aber das Köstlichste an dieser Buße ist, dass sie so recht durch die Häuser, durch die ganze Stadt lief. Teure Brüder und Schwestern, so soll es auch mit unserer Buße sein. Damit ist wenig getan, dass hier das Wort Gottes ein wenig an unsern Herzen rüttle, dass hier ein flüchtiger Schmerz durch das Herz fahre, wie ein flüchtiger Hauch des Abendwindes durch die Bäume. Mit uns muss die Buße gehen. In die Häuser muss sie mitgehen. In den Beruf muss sie mitgehen. In die tägliche Rede muss sie mitgehen. Frei muss unsere Zunge werden, dass wir unter einander reden lernen von Umkehr und Zukehr zu Gott. Mann und Weib müssen einander sagen: „Vater, Mutter, es tut bei uns auch Not, dass wir lassen von unserer Sünde.“ Brüder und Schwestern müssen zu einander reden lernen vom Suchen des Heils. Freunde und Bekannte müssen unter einander zu der Freiheit kommen, dass sie reden von ihrer Sünde, von Buße und Gnade. Aber wo wir jetzt mit einander von Sünde und Buße reden sollen, da ist es, als ob Siegel und Riegel auf Herz und Mund lägen. Denkt an die Leute zu Ninive. Zu den Städten Chorazin und Bethsaida sagt Christus: „Es wird den Niniviten erträglicher ergehen an jenem Tag, denn euch, denn sie haben auf die Predigt des Jonas Buße getan, und siehe, hier ist mehr denn Jonas.“ Dass uns das Wort nicht auch treffe! Hier ist auch mehr denn Jonas. Der Herr ist hier. Wenn wir nicht umkehren, bleibt seine Hand noch immer ausgereckt, wird er sie noch gewaltiger ausrecken, wird er doch mit uns ins Gericht gehen. Nur wo Buße ist, eine Buße, die durchs ganze Leben dringt

III. Wird die Gnadenhoffnung nicht verschwinden.

Wenn die Gewitter vom Abend herkommen, und die gelben Streifen mit dem Gewölk das Herz bange machen, dass es Hagelwetter werde, und es erhebt sich ein Wind aus Morgen, dann atmet man wieder auf. Er kann ja wohl das Wetter zurücktreiben. Das Wetter ist über unser Vaterland, ist aus Abend ausgegangen. Wenn sich nun der Morgenwind dagegen aufmacht, so kann es wohl zurückgetrieben werden. Der Morgenwind ist Glaube und Buße. Er weht kühl und scharf, und viele wollen ihn nicht vertragen. Aber er ist der einzige, der uns Hoffnung gibt. „Wer weiß,“ spricht der König von Ninive, „Gott möchte sich kehren und ihn reuen und sich wenden von seinem grimmigen Zorn, dass wir nicht verderben.“ „Wer weiß,“ spricht er. Er stellt es in die Gnade Gottes. „Wer weiß,“ sagen wir von der einen Seite auch. Es kann sein Rat sein, uns äußerlich zu zerschlagen, uns mit großen Gerichten heimzusuchen. Wer weiß, ob wir diese abwenden können. Verdient haben wir sie mit unsern Sünden genug. Aber auf der anderen Seite sagen wir nicht: „Wer weiß.“ Das wissen wir, dass wir unsere Seelen retten auf diesem Weg. Und wenn wir diese retten, haben wir unsere beste Habe, unsere wahren Kleinodien, gerettet. Alles Andere werden wir verschmerzen. Nur das vergesst nimmer: ein kleiner kurzer Übergang von Buße fruchtet nicht. Er gibt wohl eine Frist, aber er errettet nicht. Jenes Geschlecht von Ninive ist erhalten worden, die Stadt blieb stehen, man konnte Dankfeste in ihr feiern. Aber dasselbe oder das neue Geschlecht ward schon wieder sicher und heimisch in den alten Sünden. Die Stadt ist ein Trümmerhaufe geworden. Kaum weiß man noch, wo sie gestanden hat. Amen.

1)
Papst Leo X. hat den Ausspruch getan: „Die Fabel von Christo hat uns viel Geld eingebracht.“
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