Tholuck, August - Was ist des Christen Trost in seinem Leid?
Von einem berühmten Mann ist der Ausspruch getan worden: „Wenn ich auch nicht leben möchte, wie die Christen, so möchte ich doch sterben, wie sie.“ Das Sterbebett gläubiger Christen ist auch eine erhabene Erscheinung, - eine erhabene Erscheinung überhaupt der wahre Christ im Ungewitter des Leidens. Lieblich erscheint der Strahl des christlichen Glaubens, wenn er in den Freudentagen durch die verklärten Züge bricht und dahin deutet, woher alle gute und vollkommene Gabe herabquillt. Himmlisch erscheint der Strahl des christlichen Glaubens, wenn er, aus dem Herzen hervorbrechend, in eine dunkle, kalte Welt Licht und Wärme bringt. Am göttlichsten aber erscheint er, wenn er sich in der Träne des Leidenden bricht, und zum milden Regenbogen wird. Vor euch nun, ihr Jünglinge, die ihr im Frühling des Lebens steht, vor deren Blicken die Zukunft wie eine noch unaufgeschlossene, und doch schon duftende Knospe liegt, möchte es als ein undankbares Geschäft erscheinen, gerade diese Herrlichkeit des Evangeliums zu entfalten. Bei dem Urteil aber, wie viel Leiden und Leidende es in der Welt gibt, irrt sich der Mensch leicht. Sind wir nicht Alle geneigt, wo wir in die Gesellschaft treten, den Sonnenschein der Freude auf dem Antlitz spielen zu lassen, auch dann, wenn dahinter ein Ungewitter liegt? Wie gern belügt der Mensch sich selbst über seine eigenen Schmerzen? Wie viel Seufzer werden erstickt, ehe sie aufquellen können? Wie viel Tränen werden zerdrückt, ehe sie der Wimper entgleiten? Wie der eigensinnige Kranke sich seine Krankheit nicht gesteht, so gesteht sich überhaupt nur ungern der Mensch seine eigenen Schmerzen. Darum kann man darauf rechnen, dass viel mehr Leid es in der Welt gibt, als zu Tage liegt, und dass vielmehr Tränen, anstatt zerdrückt zu werden, fließen würden, wofern man nur eine milde Hand kennte, sie zu trocknen. So darf ich denn voraussetzen, dass auch in dieser Versammlung mehr Leidende sind, als es den Anschein haben möchte. Die Schmerzen, die Krankheit aber zu verschweigen, statt sie zu heilen, die Träne zu zerdrücken, anstatt von milder Hand sie sich trocknen zu lassen, ist ein jämmerlicher Trost - darum auf, christliche Gemeinde! lass uns einen bessern suchen. Wir finden ihn in den Worten des Apostels Römer 8,24-39. „Denn wir sind wohl selig, doch in der Hoffnung. Die Hoffnung aber, die man sieht, ist nicht Hoffnung: denn wie kann man des hoffen, das man sieht? So wir aber des hoffen, das wir nicht sehen, so warten wir sein durch Geduld. Desselbigen gleichen auch der Geist hilft unserer Schwachheit auf. Denn wir bitten nicht, was wir bitten sollen, wie sich's gebührt, sondern der Geist selbst vertritt uns aufs Beste, mit unaussprechlichem Seufzen. Der aber die Herzen erforscht, der weiß, was des Geistes Sinn sei: denn er vertritt die Heiligen, nach dem, das Gott gefällt. Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen, die nach dem Vorsatz berufen sind. Denn welche er zuvor versehen hat, die hat er auch verordnet, dass sie gleich sein sollten dem Ebenbild seines Sohnes, auf dass derselbige der Erstgeborne sei unter vielen Brüdern. Welche er aber verordnet hat, die hat er auch berufen; welche er aber berufen hat, die hat er auch gerecht gemacht; welche er aber hat gerecht gemacht, die hat er auch herrlich gemacht. Was wollen wir denn hierzu sagen? Ist Gott für uns, wer mag wider uns sein? Welcher auch seines eigenen Sohnes nicht hat verschont, sondern hat ihn für uns Alle dahin gegeben, wie sollte er uns mit ihm nicht Alles schenken? Wer will die Auserwählten Gottes beschuldigen? Gott ist hier, der da gerecht macht. Wer will verdammen? Christus ist hier, der gestorben ist, ja vielmehr, der auch auferweckt ist, welcher ist zur Rechten Gottes, und vertritt uns. Wer will uns scheiden von der Liebe Gottes? Trübsal? oder Angst? oder Verfolgung? oder Hunger? oder Blöße? oder Fährlichkeit? oder Schwert? Wie geschrieben steht: Um deinetwillen werden wir getötet den ganzen Tag; wir sind geachtet wie Schlachtschafe. Aber in dem Allen überwinden wir weit um des willen, der uns geliebt hat. Denn ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Fürstentum, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch keine andere Kreatur, mag uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christo Jesu ist, unserem Herrn.“
Was ist des Christen Trost in seinen Leiden? - das ist unsere Frage. Und unser Text beantwortet sie zwiefach:
1) die Vertretung des Heiligen Geistes in uns,
2) die Verordnung des Vaters außer und über uns.
1) die Vertretung des Heiligen Geistes in uns,
„Wir sind wohl selig - sagt der Apostel - aber in Hoffnung.“ Ich habe euch manchmal gesagt, dass kein seligerer und innerlich fröhlicherer Mensch sei als der Christ. Dessen ungeachtet ist es wahr, dass der Mensch tiefe und viele Leiden erst erfährt von der Zeit seiner Bekehrung an. Die ihr fröhlich auf des Lebens Wiese hineilt und ruft: Lasst uns des Lebens genießen, dieweil es jung ist! - ihr habt die Leiden der tiefsten Art noch nicht erfahren. Aber auch ihr, die ihr vielleicht an Krankenbetten lange Nächte durchwachtet, oder an der Gruft einem geliebten Leichnam eine Hand voll Sand nachwarft, die ihr Eigentum, Ehre, ja die ihr alle irdische Stützen des Lebens verloren habt - auch ihr kennt, was Leiden sei, noch nicht in seinem tiefsten Grunde. Das lernt man erst erkennen, wenn man mit Jammer inne wird, dass das Gesetz in unseren Gliedern das gute nicht ist, wenn als das größte aller Übel uns erscheint - ein kaltes Herz. Wenn man das gegen Gott und das geistliche Heil der Brüder kalte Herz täglich fühlt, wenn man's um sich her erblickt, und als Folge davon Sünde in tausendfacher Gestalt - da, da erst beginnt das tiefste Leiden im Menschen.
Zählt euch, meine Lieben, einmal Alles auf, was euch drückt, und beantwortet euch einfach und wahr die Frage: Ist die Gleichgültigkeit gegen Gott und den Heiland das größte eurer Leiden? Ihr seht schon in diesem Betracht, dass der Christ mehr Leiden habe als andere Menschen.
Es kommt aber noch ein anderes dazu. Der Heiland spricht: „Der Jünger ist nicht über seinen Meister, noch der Knecht über den Herrn; ihr müsst gehasst werden von Jedermann um meines Namens willen.“ „Alle, die gottselig leben wollen in Christo Jesu - ruft sein Apostel uns zu - müssen Verfolgung leiden.“ „Die Finsternis hasst das Licht, dieweil sie vom Licht gestraft wird.“ Das ist die andere Quelle christlicher Leiden. So ist denn der Christ selig nur in Hoffnung. Durch den Glauben, welcher an dem Unsichtbaren festhält, als sähe er es, blickt christliche Hoffnung auf die Zeit hin, wo die Sünde uns nicht mehr von innen Schmerz machen wird, und Verfolgung nicht mehr von außen. Doch nicht bloß der zukünftigen Herrlichkeit rühmen sich die Christen, sondern - wie Paulus sagt - auch der gegenwärtigen Trübsal. In der Trübsal selbst werden sie getröstet mit mächtigem Trost.
Es tröstet sie die Vertretung des Geistes in uns. Es ist ein rätselhafter Ausdruck, in dem der Apostel hier spricht: „der Gottesgeist vertritt uns in uns selber.“ Mancher unter euch wird verwundert sich fragen: was das doch heißen solle? Lasst mich näher euch hinan führen zum Verständnis des geheimnisvollen Wortes. Christen! es schlummern im Menschen Geheimnisse der Finsternis und Geheimnisse des Lichtes, die nicht eher offenbar werden als in den Leidenstagen. Wie viel Trotz und Eigensinn gegen Gott in einem Menschenherzen liegt, das ist wohl Manchem erst kund geworden in der Leidensschule. Was er rühmte von seiner Liebe zum himmlischen Vater, das war, als die brennende Sonne der Trübsal über ihm aufging, wie des Feldes Blume, die keine Wurzel hat, und verdorrt. Aber auch Geheimnisse des Lichtes werden in der Leidensschule offenbar. Kräftige Gefühle und Gedanken erwachen, von denen man sonst nichts wusste. Sagt doch schon des Dichters Wort:
Wie wenn auf einmal in die Kreise
Der Freude mit Gigantenschritt,
Geheimnisvoll, nach Geisterweise,
Ein ungeheures Schicksal tritt;
Da beugt sich jede Erdengröße
Dem Fremdling aus der andern Welt,
Des Jubels nichtiges Getöse
Verstummt, und jede Larve fällt.
Und vor der Wahrheit mächt'gem Siege
Verschwindet jedes Wort der Lüge.
Ihr werdet haben sagen hören, dass die Not die Mutter aller Künste des irdischen Lebens gewesen. Wenigstens ist sie es gewesen, welche die Kunst des Gebets, wenn nicht erfunden, doch mächtig gefördert hat. Ich sage: nicht erfunden, denn ist's auch eine Erfindung, dass die Brust Odem zieht, wenn ihr eng ist? Ist's eine Erfindung, dass der Pulsschlag schlägt? Das Gebet aber ist der Odemzug und Pulsschlag des Geistes. Wohl aber hat die Not das Gebet gefördert. Denn des Menschen Geist ist ja eine Sonnenblume, welche, verschieden von der natürlichen, sich am liebsten zur Sonne richtet, wenn diese bedeckt ist. Ihr werdet nun zunächst fragen: Redet denn aber hier der Apostel vom Gebet? Ja, meine Lieben, denn er redet von dem, was dann anfängt, wenn das Gebet seine höchste Spitze erreicht hat. Von jenen ernsten Augenblicken des Lebens spricht er, wo die Sonne über dem Haupt des Beters so heiß wird, dass sie das Gebet auf seinen Lippen austrocknet, also dass es sich zurückziehen muss von der Lippe in den tiefsten Seelengrund, und auch da keine Worte mehr findet, bis es ganz sich auflöst in einen einzigen stillen Blick auf den, der des Menschen Anfang und sein Ende ist. Ob wohl über dem Einen und Anderen von euch, lieben Brüder, die Sonne des Lebens schon einmal so sengend heiß gestanden hat, dass das Gebet erstarb auf seiner Lippe? - Es steht auch diese Erfahrung nicht etwa bloß im Christenleben vereinzelt da. Denn, sagt mir, ist es nicht überall so, dass die tiefe Freude und der tiefe Schmerz laut wird, aber die tiefste Freude und der tiefste Schmerz stumm? Er findet kein äußeres Wort mehr, und findet kein inneres Wort mehr, und nichts bleibt ihm übrig, als unaussprechliches Seufzen.
Doch, werdet ihr sagen, von einem Vertretenwerden durch den heiligen Geist spricht ja der Apostel an unserer Stelle. Allerdings, Geliebte, dass in jenen unausgesprochenen Seufzern der heilige Gottesgeist selber für uns betet, das ist es, was der Apostel hier ausspricht. Ihr fragt nun, ist es nicht unser eigener Geist, der da betet? O Heilige und Geliebte Gottes! insofern eben Gottes Heiliger Geist nichts Anderes ist als unser eigener Geist, mag er nichts Göttliches denken und empfinden. Habt ihr niemals das große Wort des Apostels vernommen: „Wer dem Herrn anhangt, der ist Ein Geist mit ihm?“ Habt ihr den Heiland nicht verstanden, wenn er sagt: „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben, ohne mich könnt ihr nichts tun!“ O Geliebte Gottes! es gibt ja eine Vereinigung und Vermählung des göttlichen Geistes durch Christum mit dem menschlichen, durch welche wir eine neue Kreatur werden. Wie Luther sagt: „Gleichwie Wasser vom Feuer durchhitzt nicht mehr eitel Wasser ist.“ Und wollen wir erhörlich beten, so muss ja unser Beten je mehr und mehr ein solches Beten aus dem Gottesgeist und in ihm sein; „denn, sagt der Apostel, der Geist vertritt die Heiligen nach dem, was Gott gefällt.“ Wo das Eigene schweigt, und Gott selber im Menschen zu reden beginnt, nur da wird göttlich gebetet, nach Gottes Willen.
Das ist der Trost, den wir unter den Leiden in uns haben - die Vertretung des Heiligen Geistes.
2) die Verordnung des Vaters außer und über uns.
Aber auch außer und über uns ist uns ein großer Trost gesetzt in der Verordnung des Vaters.
„Alle Dinge, sagt der Apostel, dienen, oder, wie der Grundtext es ausdrückt, wirken zusammen zum Besten derer, die Gott lieben, die nach dem Vorsatz Gottes berufen sind.“ Durch eine zwiefache Benennung bezeichnet der Apostel gerade hier die Jünger des Herrn, er bezeichnet sie als die, welche Gott lieben, und als die, welche nach Gottes Vorsatz berufen sind - und gibt eben damit auch uns an, warum gerade ihnen alle Dinge zum Besten dienen müssen.- „Sie sind nach dem Vorsatz Gottes berufen“: - hoch hinauf schwingt sich in diesen und den folgenden Worten des Apostels Geist. Wird der eurige ihm folgen können? Dorthin richtet euren Blick, über alle Zeiten hinaus, in den Urgrund der Ewigkeit, wo der Weltplan gelegt ward. Vor dem Falle des Menschen und vor seinem Paradies, bevor die Grundfeste der Erde gelegt war, und bevor der Himmel sich erhob zu seiner Höhe, da hat der Vater unsers Herrn Jesu Christi einen Vorsatz gefasst, in Christo herrlich zu machen Alle, die an ihn glauben würden, und Alle, wie unser Text sagt, die er damals zuvor ersehen als solche, die da glauben würden, die hat er auch damals schon zum Ebenbild seines Sohnes geordnet, auch damals schon sie gerecht und herrlich gemacht. Von allen Zufälligkeiten der Zeit, von allem Wellenschlag des Glücks und des Unglücks deutet der erhabene Gottesmann hinweg in die Ewigkeit, und redet die streitende Seele an: Seele, was zagst du? Seele, was bangst du? Bist du einbegriffen in den ewigen Vorsatz derer, die berufen sind, so steht auch dein Heil nicht mehr in deiner eigenen ohnmächtigen Hand, es steht in der Hand des höchsten Helden aus dem Stamme Juda, der gesagt hat: „Meine Schafe wird Niemand aus meiner Hand reißen.“ - O wie es so wohl tut, wenn der Tropfen am Eimer weiß, dass auch er nicht vergessen ist! O wie es so wohl tut, wenn das Stäubchen, das in der Sonne spielt, weiß, dass von dem Auge dessen, der die Sonne geschaffen hat, es auch gekannt wird! O wie der Geist des Christen ausruht in dem Gedanken: es gibt einen Weltenplan, der von Ewigkeit zu Ewigkeit reicht, und in dem bist du nicht vergessen, und damals, als das Siebengestirn geflochten wurde, und dem Sirius sein Stand gegeben, da ist auch dir von der Liebe, die dich in Christo geliebt hat, eine Stelle angewiesen worden in jener Kette, die in die Unermesslichkeit reicht; da hat ein erbarmendes Auge gezählt, wie viel du Tränen weinen solltest, und Erbarmung hat die Waage gehalten, auf der gemessen wurde, wieviel jede deiner Lasten wiegen sollte! Ich sehe den König aller Könige auf seinem Thron, weithin fließt sein samtener Mantel über Welten und über alle Sterne, und ich hülle mich in das äußerste Ende desselben, und bin so geborgen und bin so selig! Noch gehe ich armes Kind durch Kampf und Streit, und bin nur selig in Hoffnung, aber doch ist vor ihm mein Los schon entschieden aufs Lieblichste, und die Spanne der Zeit im Tränental wird von einer seligen Ewigkeit ohne Ende verschlungen. Wohl mag ein Apostel in diesem kühnen Glauben gleichsam die ganze Natur mit allen ihren Schrecknissen zum Wettstreit mit den Kindern Gottes aufrufen, wie wenn er ruft: „Wer will uns scheiden von der Liebe Gottes? Trübsal oder Angst, oder Verfolgung, oder Hunger, oder Blöße, oder Fahrlichkeit, oder Schwert? - In dem Allen überwinden wir weit um deswillen, der uns geliebt hat.“
Nun mein Glaube senket
Hier den Anker ein;
Jesus Christus denket:
Ich soll selig sein!
Und die Heilsgedanken
Sind in starker Hand:
Well' und Wogen wanken,
Christus trägt an's Land.
Das also, Geliebte und Heilige Gottes! ist der Eine Grund, warum alle Dinge den Seinigen zum Besten dienen müssen: dieweil die Verordnung des Vaters auch das Leiden verordnet hat, ein jegliches an seiner Stelle.
Die andere Benennung, welche der Apostel hier den Jüngern des Herrn gibt, lautet: „denen, welche Gott lieben.“ Vielfach habt ihr sprechen hören von der segnenden Frucht der Leiden. Sind sie aber so segnend, warum zieht Ein Gewitter des Himmels nach dem andern über der Menschheit auf und ab, und sie bleibt im Ganzen immer dieselbe? Hilf Himmel, wenn jedwede heiße Leidensstunde auch nur Eine böse Sündenlust aus dem Herzen ausbrennte, wie müsste die Sündenlust in der Menschheit abgenommen haben? Wohl sind Leiden fruchtbare Nilüberschwemmungen, aber Freunde! - nur nicht auf Felsengrund! Wohl ist das Leiden der Sturmwind, unter dessen Wehen der Funke der Gottesliebe zur Flamme geblasen wird, aber Freunde! - der Funke muss da sein, wenn er zur Flamme werden soll! Ein zerreißender Eindruck ist es, wenn man sieht, wie über manche Menschen Trübsal auf Trübsal sich entlädt, und doch sind sie wie die Steine auf der Gasse - sie werden mit Füßen getreten - es regnet - die Sonne scheint wieder - und sie bleiben immer, was sie sind - Steine. Darum ruft Jesaia, der Prophet: „O wehe des sündigen Volks, des Volks von großer Missetat! des boshaftigen Samens, der schändlichen Kinder, die den Herrn verlassen, die den Heiligen in Israel lästern, weichen zurück - was soll man weiter an euch schlagen, so ihr des Abweichens nur desto mehr macht? Das ganze Haupt ist krank, das ganze Herz ist matt.“ Und Jeremia, der Prophet, ruft: „Herr deine Augen sehen nach dem Glauben: du schlägst sie, aber sie fühlen es nicht; du plagst sie, aber sie bessern sich nicht! Sie haben ein härteres Angesicht, denn ein Fels, und wollen sich nicht bekehren.“ Ist, wenn die Leidensstunde kommt, nicht schon etwas von einem heiligen Zug zu Gott hin im Herzen, so erwacht statt der Demut der Trotz, statt des Gebetes quillt Lästerung. „Willst du nicht, wie ich will - ruft der trotzige Wurm - so will ich auch nicht, wie du willst!“ und gibt Gott den Abschied in seiner Seele. Nur wo schon die Liebe Gottes - und wenn auch ohne deutliches Bewusstsein - im Herzen wohnt, kann das Leiden zu Gott ziehen. Habt ihr wohl die Blumen gesehen, die im verschlossenen Kellerraum nach der Seite ihr Haupt hinwenden, wo die Sonne steht? Also des Menschen Herz in der Trübsal Nacht, wenn der Zug zu Gott darin lebt. Durch alle Nacht der Schwermut hindurch sucht es nach der Spalte, durch welche das ewige Licht ins Dunkel fallen kann - und sucht, und trinkt, und wird immer durstiger. Nur in solchen Herzen fängt in der stillen Nacht des Leidens das Gebet an zu tönen; nur in solchen Herzen kommt es zu den Gebeten, welche, wie der Apostel sagt, wieder in leisen Seufzern untergehen. -
O meine Geliebten! prüft euch Alle in schlichter Wahrheit, ob eure Leidenstage euch beten gelehrt haben? Ist das nicht der Fall, so sind sie für euch vergeblich gewesen, und das Leiden hat euch auch nicht zum Besten gedient.
Ihr aber, ihr Heiligen und Auserwählten Gottes! für welche die Schule des Leidens schon längst eine Schule des Gebetes geworden ist, seid fröhlich und getrost!- seid fröhlich und getrost, denn euer Heil steht nicht in eurer eigenen ohnmächtigen Hand. Außer und über euch hat ein Vaterherz Friedensgedanken für euch gefasst, und in diesen Friedensgedanken hat eine weise Allmacht gewogen und gemessen, was euch drücken soll, und hat es euch geordnet zu eurem ewigen Heil. Und in euch werdet ihr in euren einsamsten nächtlichen Stunden nicht einsam bleiben, da wird die Stimme eines göttlichen Vertreters laut werden, und wenn auf eurer betenden Lippe der Ton wird verklungen sein, wird euer Herz fortbeten in unaussprechlichem Seufzen. Und der, welcher die Herzen durchforscht, weiß, was des Geistes Sinn sei, und wird euch aushelfen zu seinem ewigen Reich.