Spener, Philipp Jakob - Pia desideria - V.

In allen diesen Dingen, die der Kirche Besserung betreffen, hängt von dem Predigtamt das Meiste ab, wie daher die Mängel, die sich an Predigern finden, am Meisten schaden, so ist um sovielmehr daran gelegen, daß man solche Leute habe, welche nicht nur zuerst wahre Christen sind, sondern auch sodann göttliche Weisheit haben, auch Andere auf den Weg des Herrn vorsichtig zu führen. Es würde also zu der Besserung der Kirche sehr wichtig, ja durchaus nöthig sein, daß man nur solche Männer zum Predigtamt beriefe, die dazu tüchtig wären; und überhaupt bei dem ganzen Berufungswerke nichts anders als die Ehre Gottes im Auge hätte, mit Hintansetzung aller fleischlichen Absichten und Rücksichtnehmen auf Gunst, Freundschaft, Geschenk und dergleichen unziemliche Dinge, wie denn die hiebei stattfindenden Mißbräuche nicht eine der geringsten Ursachen der Gebrechen unserer Kirche sind, was wir aber diesmal nicht ausführen wollen.
Soll man aber dergleichen tüchtige Personen zu dem Kirchendienst berufen, so muß man auch solche haben, und daher auf den Schulen und Universitäten erziehen. Ach Gott gebe gnädiglich, daß alles hiezu Nothwendige auf Universitäten fleißig von den Professoren der Theologie beobachtet werde, und sie dafür sorgen helfen, wie das nicht nur von dem eifrigen sel. Joh. Matth. Mayffart, sondern auch vor und nach ihm von so vielen andern gottseligen Herzen wehmüthig beklagte und fast bei den Studenten aller Fakultäten übliche, unchristliche akademische Leben mit nachdrücklichen Mitteln abgeschafft und gebessert würde, damit man an dem Leben der Studenten erkennen möchte, daß die Akademieen nicht Wohnstätten des Ehrgeiz-, Sauf-, Balge- und Zank-Teufels wären, sondern wie es billig sein sollte, Pflanzgärten der Kirche in allen Ständen und Werkstätten des heiligen Geistes.
Hier können nun die Herren Professoren mit ihrem eignen Exempel Viel thun, indem ohne dasselbe schwerlich rechte Besserung zu hoffen ist, wenn sie sich nämlich als solche Männer zeigen, die der Welt abgestorben, in nichts ihre eigne Ehre, Vortheil oder Lust, sondern in Allem allein ihres Gottes Ehre und ihrer Zuhörer Heil suchten, wenn sie diese Absicht bei allen ihren Studien, Bücherschreiben, Vorlesungen, Disputationen und andern Verrichtungen vor Augen hätten, und damit den Studenten ein lebendiges Muster gäben, wornach diese ihr Leben zu ordnen hätten; denn wir sind so geartet, daß Exempel bei uns so viel, als die Lehre selbst, zuweilen auch noch mehr, ausrichten. Gregorius von Nazianz sagt von Basilius „seine Rede und Lehre war gleich einem Donner, weil sein Leben wie ein Blitz war.“ Daher sollten die Professoren auch an ihren Tischen gute Zucht halten, und keinem Muthwillen Raum geben; sondern sie sollten vielmehr erbauliche Gespräche führen, unziemliche aber, wobei besonders Gottes Wort, Sprüche, Liederverse und dergleichen im verkehrten Verstande zum Bösen mißbrauchet werden, abwenden, auch wohl mit Ernst bestrafen, nicht aber mit Wohlgefallen anhören, denn es geschiehet dadurch mehr Böses, als man denken möchte, ja es giebt oft gottseligen Gemüthern auf ihr Leben lang einen Anstoß, so oft sie an solche Worte kommen.
Nächstdem sollte billig den Studenten fleißig eingeschärft werden, daß nicht weniger an ihrem gottseligen Leben, alls an ihrem Fleiße und Studiren gelegen, ja dieses ohne das erstere nichts werth sei. Des alten Justin bekannte Rede soll uns stets in Gedanken sein. „Unsere Religion bestehet nicht in Worten, sondern in Thaten;“ was er von St. Paulus gelernet 1 Kor 4,20: „Das Reich Gottes besteht nicht in Worten, sondern in der Kraft.“ Es wäre ihnen beständig nachzuweisen, wenn es schon überhaupt im menschlichen Leben heiße: „Wer an Kenntnissen zunimmt, und an guten Sitten abnimmt, der nimmt mehr ab als zu,“ so gelte dies vielmehr in geistlichen Dingen, wo einmal Alles auf die Ausübung des Glaubens und Lebens gerichtet werden muß, weil die Theologie nicht ein todtes Wissen, sondern ein ins Leben eingreifender Zustand ist. Deswegen nennt der christliche und um die Straßburgische Kirche sowohl verdiente selige D. Johann Schmidt, mein in Christo geliebter Vater, dieses „einen großen und schrecklichen Götzen, daß man auf hohen Schulen und Universitäten, wenn man auch gar fleißig sein will, gar sehr neben den rechten Zweck hinschießet, der da sei, daß Gott geehret werde, oder etwas deutlicher, daß die wahre, unverfälschte, christliche Religion, die herzliche Uebung der Gottseligkeit und christliche Tugend desto besser gepfleget, getrieben, und in die Gemüther eingedrückt werde.“ Siehe dessen Scheid- und Absage-Brief des eifrigen gerechten Gottes an alle Unbußfertige und Heuchler aus dem Buche der Richter Kap. 10. Pred. 2. S. 37. wo auch seine übrigen Worte werth sind, gelesen zu werden, da er es zuletzt einen Gräuel der Verwüstung nennt.
Der wegen seiner vornämlich zur Rettung der wahren Lehre herausgegebenen Schriften berühmte Theologe, Herr D. Abraham Calov, mein insonders hochgeehrter Gönner, ziehet die Ursachen kurz zusammen, weshalb ein Student der Theologie sich eines gottseligen Lebens befleißigen müsse, die zu deutsch also lauten mögen:
„1. Weil der Apostel seinen Timotheum also unterrichtet 2 Tim. 2,24, 1 Tim. 1,18.19. Kap. 3,2, Kap. 4,7.12. Tim. 1,17.
2. Der heilige Geist, der wahre und einige Lehrmeister, wohnet nicht in einem Herzen, welches der Sünde unterthan ist. Joh. 16,13. 1 Joh. 2,27. Die Welt kann den Geist der Wahrheit nicht empfangen. Joh. 14,17.
3. Ein Student der Theologie geht um mit der göttlichen Weisheit, die nicht fleischlich, sondern geistlich und heilig ist, Jac. 3,15, deren Anfang ist die Furcht des Herrn. Ps. 111,9, Sprichw. Sal. 1,7.9.10.
4. Die Theologie bestehet nicht in bloßer Wissenschaft, sondern in des Herzens Affekt und in der Uebung. (Wie wir erst aus Justin gehört.)
5. Selig ist (sprachen die Alten) wer die Schrift in Werke kehret. „Wisset ihr dieses, sagt Christus, Joh. 13,17, selig seid Ihr, so ihrs thut.“ Christi Jünger sollten demnach die Schrift also forschen, daß sie sie zur Uebung bringen, und thun, was sie wissen.
6. Hingegen kommt die Weisheit nicht in eine boshafte Seele, und wohnet nicht in einem Leibe der Sünde unterthan. Weish. 1,4. Wer also den Sünden nachhänget, kann keine Wohnung des heiligen Geistes werden. Wie die Leviten, ehe sie in die Hütte des Stifts eingingen, sich vorher waschen mußten 2 Mos. 30,18. 1 König. 7,23. 2 Cor. 4,2; also sollen sich auch diejenigen, die einmal in der Hütte des Herrn aus- und eingehen wollten, der Heiligung und Reinigung des Lebens befleißigen.“
Ach wollte Gott, diese Worte ständen aller Orten vor und in allen Hörsälen und in jegliches Studenten Stübchen ihm stets vor Augen, ja in seinem Herzen, so würden wir bald eine andere Kirche haben.
Ich kann nicht unterlassen, die Worte des lieben und gottseligen Theologen D. Johann Gerhard auch hierher zu setzen, aus seiner Harmonie der Evangelien Kap. 176. S. 1333: „Welche die wahre Liebe Christi nicht haben, und die Uebung der Gottseligkeit unterlassen, erlangen nicht die völligere Erkenntniß Christi und die reichlichere Gabe des heiligen Geistes; um daher eine wahre, lebendige, thätige und heilsame Erkenntniß göttlicher Dinge zu erlangen, genügt es nicht, die Schrift zu lesen und zu forschen, sondern es muß auch die Liebe Christi dazu kommen, d. i. daß man vor Sünden sich hüte wider das Gewissen, mit welchen dem heiligen Geiste ein Riegel vorgeschoben wird, und daß man sich der Gottseligkeit ernstlich befleißige.“
O daß dieser Grund bei den Studenten der Theologie geleget würde; daß sie nur glaubten, sie müßten bereits in den ersten Jahren ihrer Universitätszeit der Welt absterben, und ihr Leben führen, wie es sich für Solche ziemt, welche einmal Fürbilder der Heerde werden sollen, daß man sie überzeugen könnte, es sei ein solches Leben nicht nur eine Zierde, sondern ein durchaus nothwendiges Werk, ohne welches sie zwar Studenten einer Wissenschaft von heiligen Dingen, nicht aber Studenten der Gottesgelehrtheit sein, die allein im Lichte des heiligen Geistes gelernt wird. Wenn dies Alles den Studenten der Theologie gleich beim Anfang ihres akademischen Lebens vorgehalten und eingepräget würde, so dürfte man nicht vergeblich hoffen, daß es ihre ganze Studentenzeit, ja ihr ganzes Leben lang viele Früchte nach sich ziehen würde. Statt dessen leben Viele in dem Gedanken, es sei an einem Studenten der Theologie zwar löblich, wenn er auch ordentlich lebe; indessen sei dies aber nicht so nöthig, wenn er nur fleißig studire und ein gelehrter Mann werde, so habe es nicht viel auf sich, wenn er sich auch dabei vom Weltgeist regieren lasse, und mit Andern alle Welt-Lust mitmache, und es sei noch Zeit genug, das Leben zu ändern, wenn er einmal Prediger werde; gerade als wäre das in unserm Vermögen, da doch vielmehr die fest eingedrückte Weltliebe den Leuten gemeiniglich in ihrem ganzen Leben anhängt, und solche, verkehrte Meinung der Kirche so großen Schaden thut.
Sollte es also in dieser Beziehung besser werden, so wäre nöthig, daß die Herren Professoren sowohl auf das Leben, als auf die Studien der ihnen anvertrauten Studenten Acht gäben, und mit denen, die es bedürfen, oft deshalb sprächen, auch gegen die, welche zwar viel lernen, aber auch fleißig schwärmen, saufen, und auf alle Weise ihren Ehrgeiz und Weltsinn zeigen, sich so betrügen, daß dieselben sehen müßten, sie seien deswegen von ihren Lehrern verachtet, und ihre ausgezeichneten Fähigkeiten und guten Fortschritte helfen ihnen nichts, sondern man sehe sie als Leute an, die einmal so viel schädlicher sein würden, je mehr Gaben sie empfangen. Dagegen sollte man Andern, welche ein wahrhaft gottseliges Leben führen, wenn sie auch in der Wissenschaft schwächer wären, öffentlich und absonderlich seine Liebe zeigen, und sie den Andern weit vorziehen. Ja man sollte Diese stets Jenen in der Beförderung vorziehen, oder vielmehr sie allein befördern, die Andern aber so lange von aller Hoffnung der Beförderung ausschließen, bis sie sich ganz geändert hätten.
So wäre es in der That Recht, denn es ist gewiß, daß ein zwar mit wenig Gaben gezierter Mensch, der aber Gott herzlich liebet, mit seinem geringen Talent und Wissen der Gemeine Gottes mehr nützen wird, als ein eiteler Welt-Narr, wenn er auch ein doppelter Doctor wäre und voller Kunst steckte, aber von Gott nicht gelehrt wäre; denn des Erstern Arbeit ist gesegnet, weil er den heiligen Geist bei sich hat, während der Letztere nur ein in der That fleischliches Wissen hat, womit er sehr leicht mehr schaden als nützen kann. Es würde auch nicht übel sein, wenn alle Studenten von jeder Universität Zeugnisse mitbringen müßten, nicht nur über ihre Geschicklichkeit und ihren Fleiß, sondern auch über ihr gottseliges Leben, es müßten aber freilich dann solche Zeugnisse mit großem Bedacht gegeben, und Keinem ertheilet werden, der nicht mit Wahrheit darauf Anspruch hätte. Diese Mittel möchten wohl zu Wege bringen, daß Studenten der Theologie einsehen, wie nöthig ihnen das sei, woran oft die Wenigsten gedenken. Sodann hätten die Herren Professoren nach ihrer Einsicht und Geschicklichkeit wohl zu beobachten, welche Studien etwa Jedem der Studirenden, nach der Beschaffenheit ihrer Anlagen, ihres Vaterlandes, ihrer zu hoffenden Anstellung u.s.w. nützlich und nöthig sind. Da wird freilich mit Einigen die Polemik mit mehrerem Eifer aus dem Grunde getrieben werden müssen, indem es auch der Kirche nie an Leuten fehlen darf, die den Feinden der Wahrheit entgegen treten, und nicht zulassen, daß jeder Goliath ungescheut dem Zeug Israels Hohn spreche, sondern es ist nöthig, daß man auch einige David habe, die hervortreten und demselben zu begegnen wissen. Sollte sich Gelegenheit finden, daß der von dem vortrefflichen Theologen, dem D. Nikolaus Hunnius in seiner Consultation gethaner Vorschlag vorsichtig ausgeführt würde, so wäre solcher Sache einigermaßen geholfen. Bei Andern braucht nicht grade die Polemik ihr Haupt-Studium zu sein, doch müssen sie sich also rüsten, daß sie bei Gelegenheit den Widersachern das Maul zu stopfen und ihre Gemeinden dermaleinst vor Irrthum zu verwahren vermögen. Dabei wäre besonders wünschenswerth, daß die, in deren Vaterlande etwa Juden wohnen, auch in den Streitpunkten, die wir mit denselben haben, fleißiger geübet würden, um an ihnen ihr Amt zu thun. Ueberhaupt aber wäre es gut, daß nach dem Wunsch einiger ausgezeichneter Theologen auch Disputationen in deutscher Sprache auf Akademien gehalten würden, damit die Studenten die dazu dienlichen Ausdrücke brauchen lernten, indem es ihnen sonst im Amt schwer fällt, wenn sie auf der Kanzel etwas von einer Streitsache erwähnen und der Gemeine deutsch vortragen sollen, worinnen sie sich niemals geübt haben. Neben diesen nun, welche die Polemik fleißiger zu treiben haben, sind wiederum Andere, bei denen es genügt, daß sie die Lehre gründlich verstehen, wenn sie von den Streitpunkten nur so viel wissen, daß sie vor Irrthum gesichert sein, und ihren Zuhörern zeigen können, was wahr oder falsch ist; wo es auf schwerere Dinge kommt, können sie sich ja Anderer Hülfe und Rath bedienen.
Ohne eine treue Anleitung aber verstehet ein angehender Student in allen Dem nicht, was ihm nöthig ist, oder nicht nöthig, und so geschiehet, was der auch den rechten Zweck im Auge habende selige D. Christoph Scheibler in seiner Vorrede des Handbuchs zur praktischen Theologie klaget, „wenn Einige ihre ganze Studienzeit mit Streitsachen zugebracht, so müsse Eins von Beiden folgen, entweder müsse er ein ungeschickter Prediger sein, wie gelehrt er auch in solchen Streitsachen wäre, oder müßte von neuem und auf eine andre Art erst Theologie studiren, und darinnen ein Anfänger werden, wie solches die tägliche Erfahrung bezeuget.“
Ueberhaupt aber wäre sorgfältig darauf Acht zu geben, daß auch in den Streitigkeiten selbst Maaß gehalten, und lieber gezeiget würde, wie die unnöthigen Streitfragen zu vermeiden, als auszudehnen seien, damit die ganze Theologie wieder zu ihrer apostolischen Einfalt gebracht werden möchte. Dazu nun könnten die Professoren viel beitragen, wenn sie theils selbst alle ihre Studien und Schriften darnach einrichteten, theils den Fürwitz derer, die unnütze Streitmaterien auf die Bahn bringen, mit Fleiß hintertreiben und dagegen einen steten Widerwillen an den Tag legen wollten. Es würde auch nützlich sein, wenn solche Bücher, wie die deutsche Theologie, und Taulers Schriften, durch deren Gebrauch nächst der Schrift unser theurer Luther geworden, was er gewesen ist, mehr in die Hände der Studenten gebracht, und deren Gebrauch ihnen empfohlen würde. Das ist Luthers Rath selbst, welcher von dem Mann Gottes Tauler, wie er ihn anderswo nennet, in der 23. Epistel an Spalatin also schreibt: „So Du Lust hast, die alte reine Theologie in deutscher Sprache zu lesen, so kannst Du Dir die Predigten Johann Taulers des Predigermönchs, schaffen; denn ich weder in lateinischer noch deutscher Sprache die Theologie reiner und heilsamer gefunden, die also mit dem Evangelio übereinstimmte.“ Und in der 17. Epistel: „Ich bitte Dich noch einmal, glaube mir doch in dem Fall, und folge mir, und kaufe Dir das Buch Taulers, dazu ich Dich auch zuvor vermahnet habe, wo Du es nur bekommen kannst, wie Du es denn leicht bekommen wirst. Denn das ist ein Buch, darinnen Du finden wirst solche Kunst der reinen heilsamen Lehre, dagegen jetzt alle Kunst eisern und irdisch ist, es sei gleich in griechischer, oder lateinischer, oder hebräischer Sprache.“ Anderswo sagt er: „Ich habe mehr der reinen göttlichen Lehre darinnen gefunden, denn ich in allen Büchern der Lehrer auf allen Universitäten gefunden habe, oder darinnen gefunden werden mag.“ Von der deutschen Theologie, die er auch dem Tauler zuschreibt, die aber jünger ist, und, was ich für eine besondere Ehre unserer Stadt halte, in unserm Frankfurt geschrieben sein soll, giebt er dieses Urtheil: „Ich muß meinen alten Narren rühmen, und sage, daß mir nach der Bibel und St. Augustin nicht ein Buch vorgekommen ist, daraus ich mehr gelernet habe, und erlernet haben will, was Gott, Christus, Mensch und alle Dinge sein, als eben das Büchlein.“ Daher sind auch diese Bücher von unserm lieben Arndt der christlichen Erbauung zum Besten auf’s Neue herausgegeben, und mit einer Vorrede geziert worden. Es ist auch vielmehr zu loben, als zu tadeln, daß der theure Mann in seinem „Wahren Christenthum“ sich oft Taulers Worte bedienet und ihn gerühmt hat. Zu diesen beiden ist noch zu setzen, Thomas von Kempis Nachfolge Christi, welche daher zum gemeinen Nutzen der die thätige Gottseligkeit in seinen Schriften auch löblich treibende D. Johann Olearius, mein insonders hochgeehrter Gönner, noch erst vor einigen Jahren auf’s Neue hat auflegen lassen, und eine Einleitung beigefüget. Dahin möchten wir auch unter den Alten ziehen ein feines, gottseliges Büchlein eines unbekannten Verfassers, welches die Ursachen des Verfalles der christlichen Religion, und die Mittel zu deren Wiederherstellung angiebt, und den kleinern Werken Ephraems des Syrers beigedruckt ist, so wie viel andre dergleichen alte Bücher. Wenn man solchen Büchern das, was ihnen aus der Finsterniß ihrer Zeit noch anklebt, zu Gute hält, wie das ja auch einen verständigen Leser nicht irren wird, so würden sie ohne Zweifel viel mehr Gutes bei den Studenten ausrichten und ihnen einen Geschmack der wahren Gottseligkeit geben, wenn sie ihnen mehr in die Hände gebracht würden, als etwa andre oft mit unnützen Spitzfindigkeiten erfüllte Bücher, die nur dem Ehrgeiz des alten Adams vieles und bequemes Futter geben. Es würde hoffentlich bei Vielen durch solche Mittel erfüllet werden, was der obenerwähnte Chyträus so herzlich verlanget: „Daß wir vielmehr durch gottseligen Glauben, heiliges Leben, und Liebe zu Gott und dem Nächsten darthun, daß wir Christen und Theologen sein, als durch scharfsinnig und spitzfindig Disputiren.“
Da aber eben darum, weil die Theologie ein in das Leben eingreifender Zustand ist, und nicht in bloßer Wissenschaft bestehet, das bloße Studiren und andrerseits bloße Lernen und Lehren nicht genug ist, so wäre darauf zu denken, wie allerhand Uebungen angestellt werden möchten, in denen auch das Gemüth auf die Dinge, die ins Leben eingreifen und zur eignen Erbauung gehören, gerichtet und geübt würde. Ich wünschte daher nicht allein, daß in besondern Vorlesungen solche Materien, vornämlich aus den Lebensregeln, die wir von unserm liebsten Heiland und von seinen Aposteln aufgezeichnet haben, fleißig behandelt und den Studenten eingeschärft, sondern ihnen auch an die Hand gegeben würde, wie sie gottselige Betrachtungen anstellen, wie sie in Prüfung ihrer selbst sich besser erkennen, wie sie den Lüsten des Fleisches widerstreben, wie sie ihre Begierden zähmen und der Welt ganz absterben, wie sie endlich ihren Wachsthum im Guten, oder wo es ihnen noch mangele, erforschen möchten, nach St. Augustinus Regel Kap. 7 von der christlichen Lehre: „So viel sehen die Menschen, als sie dieser Welt absterben; sofern sie aber derselben leben, sehen sie nichts.“ Die Studenten müssen also anfangen, das selbst zu thun, was sie dermaleinst Andern lehren sollen, denn das bloße Studiren kann’s einmal nicht thun. Unser lieber Luther hat also davon gehalten über den 5. Psalm: „Ein rechter Theologe wird nicht durch Verstehen, oder Lehre oder Grübeln, sondern durch Leben, ja durch Sterben und Verdammniß“.
Wie aber solche Uebungen anzustellen wären, stelle ich gottseliger und verständiger Professoren eignem Befinden anheim; sollte ich Erlaubniß haben, einen Vorschlag zu thun, so würde ich Folgendes für dienlich halten: Ein frommer Theologe finge zuerst die Sache mit nicht gar Vielen, aber Solchen unter der Zahl seiner Zuhörer an, bei denen er bereits eine herzliche Begierde, rechtschaffene Christen zu sein, bemerkte, und nähme mit ihnen das Neue Testament zu lesen also vor, daß sie mit Uebergehung dessen, was zur Gelehrsamkeit gehört, allein auf das Acht geben, was zu ihrer Erbauung dienlich; und zwar so, daß Jeder selbst die Erlaubniß habe, jedesmal seine Gedanken bei jedem Verse zu sagen, und wie er denselben zu eigenem und Anderer Gebrauch anzuwenden finde, wobei der Professor, der das Ganze leitet, die richtigen Bemerkungen bekräftiget, wenn er sie aber von dem rechten Zweck abweichen sieht, denselben freundlich und klärlich aus dem Text zeige und nachweise, bei welcher Gelegenheit diese oder jene Regel in Ausübung zu bringen wäre. Dabei könnte dann solche Vertraulichkeit und Freundschaft unter den Gliedern dieses Collegii gestiftet werden, daß sie sich nicht nur einander zu Uebung dessen, was sie hörten, vermahnten, sondern auch bei sich forscheten, wo sie solche Regeln bisher nicht möchten beobachtet haben, und dann um so eher trachteten, dieselben in’s Werk zu setzen; auch sich unter einander verabredeten, auf einander zu sehen, wie der Eine oder der Andere sich dazu schicken würde, mit dazu gehöriger brüderlicher Erinnerung. Wenn sie sich dabei zur Pflicht machten, sich unter einander selbst, und ihrem Professor Rechenschaft zu geben, wie sie bei dieser oder jener Gelegenheit sich den erhaltenen Vorschriften gemäß bezeuget, so würde dann in solcher vertraulicher Conferenz sich bald zeigen, wie weit man fortgeschritten, und wo vornämlich nachzuhelfen sei, indem darin jede Sache, insoweit dieselbe sie angehet, nach Gottes Wort beurtheilt würde (denn von Andern vermessentlich zu urtheilen, oder einen fremden Knecht richten, müßten sie nicht erst anfangen). Es würde aber der Professor keine andere Meisterschaft über das ihm anvertrauende Gewissen begehren, als daß er als ein Geübterer ihnen, aus unsers einigen Meisters Wort, dasjenige zeigte, was er von jeglichem Falle halte, je mehr sie aber selbst Erfahrungen machten, desto mehr würde er mit ihnen gemeinsam alles festsetzen. Wenn dies eine Zeit lang mit herzlicher und eifriger Anrufung Gottes fortgesetzt würde, auch besonders Jeder, vornämlich wenn er sich zum heiligen Abendmahl vorbereiten will, den Zustand seines Gewissens dem gesammten Collegium vorstellte, und allemal dessen Rath folgte, so würden ohne Zweifel in kurzer Zeit herrliche Fortschritte in der Gottseligkeit folgen, auch sodann, wenn es einmal recht angefangen, immer Mehrere mit Nutzen dazu gezogen, und endlich solche Leute aus ihnen werden können, welche rechtschaffene Christen würden, ehe sie in das Amt treten, darinnen sie Andre dazu machen sollen, die sich also eher befleißigen, zu thun, als zu lehren, welches die rechte Art der wahren Lehrer in der Schule unsers Heilandes ist, wie solches mein hochwerther Freund und in dem Herrn geliebter Bruder, welcher den Schaden Josephs sich wohl inniglich zu Herzen nimmt, Herr Gottlieb Spitzel in seiner „Alten Hohen-Schule Jesu Christi“ mit so lieben und würdigen Beispielen vorstellt. Dessen „Fromme Zurückgezogenheit eines Gelehrten, oder Anleitung, von der Eitelkeit der weltlichen Gelehrsamkeit zu aufrichtiger Gottseligkeit zu gelangen,“ auch ein vorzügliches nützliches Werk, kann sehr vielen Vorschub und Licht zu dem Vorhaben, gottselige Theologen zu bilden, geben, und wird deswegen allen Studenten, welche den rechten Zweck im Auge haben, zum Lesen empfohlen. Neben diesen zu ihrem eignen Christenthum dienlichen Uebungen würde es auch wohl nützlich sein, wenn ihnen von ihren Lehrern Gelegenheit gemacht würde zu einigen Vorübungen der Dinge, womit sie dermaleinst in ihrem Amte umzugehen haben werden, zuweilen einige Unwissende zu unterrichten, Kranke zu trösten, und dergleichen, vornämlich sich aber im Predigen also zu üben, daß ihnen bald gezeigt werde, wie sie Alles in solchen Predigten zur Erbauung einzurichten haben.

Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/s/spener/spener-pia_desideria_2/v.txt · Zuletzt geändert: von 127.0.0.1
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain