Spener, Philipp Jakob - Pia desideria - IV.

Endlich sollten wir auch genaue Achtung auf uns geben, wie man bei den Religionsstreitigkeiten und gegen Ungläubige oder Falschgläubige sich zu verhalten habe, daß wir uns nämlich vor allen Dingen befleißigen sollen, uns selbst und die Unsrigen, auch alle übrigen Glaubensbrüder in der erkannten Wahrheit zu bekräftigen, zu stärken, und hingegen vor aller Verführung mit großer Sorgfalt zu verwahren. Nächstdem aber haben wir uns auch unsrer Pflicht gegen die Irrenden zu erinnern.
1. Diesen nun sind wir schuldig eifriges Gebet, daß sie der grundgütige Gott auch mit dem Licht, womit er uns begnadiget, erleuchten, zu der reinen Wahrheit führen, ihnen alle Gelegenheit dazu geben, um ihre Herzen dazu bereiten oder doch mit Abwendung ihrer sonst gefährlichen Irrthümer das Wenige, was sie noch von wahrer Erkenntniß des Heils in Christo übrig haben, also kräftig sein lassen wolle, daß sie noch zuletzt als ein Brand aus dem Feuer errettet werden mögen. Denn dies ist die Kraft der drei ersten Bitten, daß Gott seinen Namen auch an ihnen geheiliget, sein Reich zu ihnen gebracht, und seinen gnädigen Willen an und in ihnen vollbracht werden lassen wolle.
2. Wir haben ihnen mit gutem Exempel vorzugehen, und uns auf’s Eifrigste zu hüten, daß wir ihnen in Nichts Aergerniß geben, denn sonst machen wir ihnen damit falsche und üble Begriffe von unsrer reinen Lehre, und erschweren somit ihre Bekehrung.
3. Hat uns Gott die dazu dienlichen Gaben gegeben, und hoffen wir Gelegenheit gefunden zu haben, sie zu gewinnen, so sollen wir auch gern das Unsrige thun, indem wir ihnen theils mit bescheidener und nachdrücklicher Vorstellung der von uns bekannten Wahrheit zeigen, wie dieselbe durchaus in der Einfalt der Lehre Christi gegründet sei; theils mit eben so kräftiger, als ruhiger Wiederlegung ihrer Irrthümer nachweisen, wie dieselben wider Gottes Wort streiten, und was für Gefahr sie nach sich ziehen. Das Alles aber muß auf solche Art geschehen, daß die Leute, mit denen man handelt, selbst sehen können, daß man Alles aus herzlicher Liebe gegen sie, ohne fleischliche und unziemliche Leidenschaften thue, und wenn man ja in einiger Heftigkeit übernommen würde, daß solches allein aus reinem Eifer für die göttliche Ehre geschehe. Besonders aber hat man sich vor Scheltworten und persönlichen Anzüglichkeiten zu hüten, welche alsbald Alles, was man Gutes zu bauen meint, niederreißen. Sehen wir, daß wir angefangen haben, etwas auszurichten, so haben wir das Angefangene um so fleißiger auch mit Hülfe Anderer fortzusetzen; bemerkt man aber, daß Andere von ihren vorgefaßten Meinungen so eingenommen sind, daß sie diesmal das Vorgehaltene nicht begreifen können, wenn man auch sonst ein Gemüth bei ihnen gewahr wird, das seinem Gott gern dienen wollte, so hat man solche Leute dahin zu vermahnen, daß sie wenigstens die von uns gehörte Wahrheit nicht lästern, noch übel davon reden, derselben in der Furcht des Herrn und mit herzlichem Gebet ferner nachdenken, und indessen ihrem Gott nach denjenigen praktischen Grundsätzen und Lebensregeln, welche die Meisten, die den christlichen Namen tragen, noch unter sich ziemlich allgemein haben, eifrig dienen, und in der Wahrheit zuzunehmen trachten sollen.
4. Dazu, wie überhaupt gegen alle Ungläubige und Irrende, soll kommen die Uebung herzlicher Liebe, daß wir zwar zu der Uebung und Fortpflanzung ihres Un- und Irrglaubens ihnen nicht behülflich sind, vielmehr mit Eifer uns demselben widersetzen, aber in andern Dingen, welche zum menschlichen Leben gehören, zeigen, daß wir sie für unsere Nächsten erkennen, wie der Samariter, Luc. 10, als des Juden Nächster, von Christo vorgestellt wird; ja daß wir sie nach dem Recht der Schöpfung und der gegen Alle sich erstreckenden göttlichen Liebe, obwohl nicht nach der Wiedergeburt, für Brüder halten, und so in unsern Herzen gegen sie gesinnt sein, wie wir den Befehl haben, Alle, wie uns selbst zu lieben. Wenn man also einem Ungläubigen oder Irrenden der Religion wegen Schimpf oder Leid anthut, so ist das nicht nur ein fleischlicher, sondern auch der Bekehrung solcher Leute schädlicher Eifer, indem der rechtmäßige Haß der Religion die der Person schuldige Liebe weder aufheben noch schwächen soll.
Dieses möchte vielleicht der nächste und von Gott gesegnetste Weg sein, wenn wir von der Vereinigung der unter den Christen befindlichen meisten Religionen einige Hoffnung haben sollen, daß wir nicht blos Alles auf’s Disputiren setzen, indem die gegenwärtige Beschaffenheit der mit so viel fleischlichem, als geistlichem Eifer erfülleten Gemüther die Disputationen fruchtlos machet. Es ist zwar wahr, daß die Vertheidigung der reinen Lehre, und also auch das Disputiren, welches ein Theil derselben ist, ebensowohl in der Kirche erhalten werden muß, als andere zur Erbauung verordnete Verrichtungen, wie wir an dem geheiligten Exempel Christi, der Apostel und deren Nachfolger sehen, die auch disputirt, d. i. die entgegenstehenden Irrthümer kräftig widerlegt, und die Wahrheit beschützt haben; vielmehr würde der die christliche Kirche in die größte Gefahr stürzen, welcher diesen nothwendigen Gebrauch des geistlichen Schwerdts, des göttlichen Worts, insofern es gegen die Irrlehren angewendet werden sollte, wegnehmen und verwerfen wollte. Dessen ungeachtet bleibe ich bei dem von unserm seligen Arndt im 39. Kapitel des ersten Buches seines wahren Christenthums trefflich erwiesenem Satz: „Daß die Lauterkeit der Lehre und des göttlichen Worts nicht allein mit Disputiren und vielen Büchern erhalten werde, sondern auch mit wahrer Buße und heiligem Leben.“ Damit gehören zusammen die beiden vorhergehenden Kapitel: „Wer Christo mit Glauben, heiligem Leben und steter Buße nicht folget, der kann von der Blindheit seines Herzens nicht erlöset werden, sondern muß in der ewigen Finsterniß bleiben; kann auch Christum nicht recht erkennen, noch Gemeinschaft und Theil mit ihm haben.“ Und das unchristliche Leben ist eine Ursach falscher, verführerischer Lehren, Verstockung und Verblendung.
1. Ich glaube also, daß nicht alles Disputiren nützlich und gut sei, sondern es gilt von Manchem das Wort unsers seligen Luther: „Nicht durch Lehren, sondern durch Disputiren wird die Wahrheit verloren, denn das ist die üble Folge der Disputationen, daß die Herzen dadurch leicht aus dem Umgang mit Gott kommen, und mit Gezänk beschäftiget das versäumen, was das Wichtigste ist.“ Ach wie oft sind die Disputanten selbst Leute ohne Geist und Glauben, mit fleischlicher Weisheit, wenn sie auch mit der Schrift übereinstimmt, erfüllet, keineswegs aber von Gott gelehrt! Denn alle Wissenschaft, die wir aus eigenen natürlichen Kräften und durch blos menschlichen Fleiß, ohne das Licht des heiligen Geistes, aus der Schrift erlernen, ist eine fleischliche Weisheit; oder wollen wir sagen, daß die Vernunft die göttliche Weisheit erzeuge? Was ist nun von Solchen zu hoffen? Wie oft bringt man fremd Feuer in das Heiligthum des Herrn, d. i. eine fremde Absicht, daß man nicht Gottes, sondern seine eigene Ehre suchet? Solche Opfer aber gefallen Gott nicht, sondern ziehen seinen Fluch herzu, daß also mit solchem Disputiren nichts ausgerichtet wird. Wie oft ist die Behauptung der einmal angenommenen Meinung, der Ruhm eines scharfen Verstandes oder eines scharfsinnigen Kopfes und die Ueberwindung des Gegners, geschehe sie auch, auf welche Weise sie wolle, vielmehr die Regel, nach der man sich richtet, als die Untersuchung und Erhaltung der Wahrheit? Dadurch kann man aber leicht dem Gegner einen solchen Anstoß geben, daß, wenn er auch nicht zu antworten vermag, doch die Art, wie man gegen ihn verfahren, die bemerkten fleischlichen Leidenschaften, die ausgestoßenen Schimpfworte und dergleichen Dinge, die nur nach dem alten Menschen schmecken, seine sonst gehoffte Bekehrung hindern. Sollte man vieles bisheriges Disputiren recht untersuchen, so würde man bald diesen, bald jenen Mangel finden, und man wird nicht mit Unrecht behaupten können, daß dies mit eine Ursache sei, weshalb nicht Alles, was man wünscht, dadurch erreicht, Vielen vielmehr das Disputiren dermaaßen zuwider geworden ist, daß sie einen unziemlichen Haß darauf geworfen, und nur mehr dem Disputiren beimessen wollen, was die Schuld des Mißbrauchs davon ist.
2. Gleichwie aber nicht alles Disputiren löblich und nützlich ist, so ist auch das rechte Disputiren nicht das einzige Mittel zur Erhaltung der Wahrheit, sondern dazu gehört noch mehr. Der einzige und völlige Zweck des Disputirens an sich selbst ist die Rettung der wahren Lehre von den falschen Meinungen, und der Letztern Widerlegung, daß der menschliche Verstand erkenne, dieser Lehrsatz sei dem Inhalt des Wortes Gottes gemäß, jener zuwider, und wo es am Besten angestellt wird, kann nur dieses erreicht werden. Wenn man es aber dabei allein bleiben lassen will, wie es bei denen der Fall ist, die nur darauf denken, daß sie viel Lutheraner machen möchten, sich aber weiter nicht angelegen sein lassen, wie sie bei solchem Bekenntniß auch wahre Kern-Christen würden, und daher das wahre Bekenntniß gleichsam als eine Parthei, deren Anzahl man vermehren müsse, ansehen, nicht aber als einen Eingang zu dem Wege, worauf man Gott künftig eifrig dienen wolle, so will Gott auch dazu nicht einmal seinen Segen geben, daß der Zweck der Disputationen erreicht werde. Soll Gottes Ehre recht befördert werden, so muß man den Gegner nicht blos suchen zu überzeugen, sondern zu bekehren, und die gerettete Wahrheit zu schuldiger Dankbarkeit und heiligem Gehorsam gegen Gott anwenden. Die Ueberzeugung des Verstandes aber von der Wahrheit ist bei weitem noch nicht der Glaube, sondern dazu gehört mehr; es muß uns also angelegen sein, das Uebrige, was zur Bekehrung des Irrenden nöthig ist, hinzuzuthun, und alle Hindernisse derselben wegzuräumen. Vor Allem aber müssen wir herzlich verlangen, die erkannte Wahrheit in uns und Andern zu weiterer Ehre Gottes anzuwenden, und ihm in solchem Licht auch zu dienen. Dahin gehören die herrlichen Sprüche Christi Joh. 7,17: „So Jemand will deß (nämlich des Vaters, der ihn gesandt hat) Willen thun, der wird inne werden, ob diese Lehre von Gott sei, oder ob ich von mir rede.“ Hier sagt also unser Heiland deutlich, es sei Keiner recht in seiner Seele göttlich versiegelt von der göttlichen Wahrheit seiner Lehre, bei dem nicht auch das Verlangen da ist, den Willen des Vaters zu thun, und es also nicht bloß bei dem Wissen bleiben zu lassen. Wiederum Joh. 8,31.32: „So ihr bleiben werdet an meiner Rede, so seid ihr meine rechten Jünger, und werdet die Wahrheit erkennen und die Wahrheit wird euch freimachen.“ Und Joh. 14,21: „Wer meine Gebote hat, und hält sie, der ist’s, der mich liebet; wer mich aber liebet, der wird von meinem Vater geliebet werden, und ich werde ihn lieben, und mich ihm offenbaren.“
Aus dem Allen erhellet, daß das Disputiren nicht genüge, um sowohl bei uns selbst die Wahrheit zu erhalten, als auch sie den noch Irrenden beizubringen, sondern daß dazu die heilige Liebe Gottes nöthig ist. Ach, daß wir Evangelische uns nur erst auf das Eifrigste angelegen sein ließen, Gott die Früchte seiner Wahrheit in herzlicher Liebe zu bringen, also einen unserm Berufe würdigen Wandel zu führen, und das in sichtbarer ungefärbter Liebe gegen unsern Nächsten, auch gegen Irrgläubige mit Uebung der oben berührten Pflichten zu beweisen; daß dann die noch Irrenden darnach trachteten, wenn sie die von uns bekannte Wahrheit noch nicht begreifen können, daß sie wenigstens anfangen wollten, Gott nach dem Maaß der Erkenntniß, die sie etwa noch aus der christlichen Lehre übrig haben, mit Ernst und Eifer zu dienen in Liebe Gottes und des Nächsten! Es ist keinem Zweifel unterworfen, daß dann Gott sowohl uns in der Wahrheit immer mehr zunehmen lassen, als auch die Freude geben würde, Andere, deren Irrthum wir jetzt beklagen, bald in einem Glauben neben uns zu sehen. Denn sein Wort hat einmal die Kraft, wenn sie nicht entweder von denen, die es führen, oder bei denen man es führt, boshaft gehindert wird, die Herzen zu bekehren. Dazu kommt, daß nach der Erklärung Petri 1 Petr. 3,1.2. auch der heilige Wandel selbst zu der Bekehrung viel beiträgt.

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