Scriver, Christian - Gottholds zufällige Andachten. - 96. Die unvernünftigen Diebe.

Scriver, Christian - Gottholds zufällige Andachten. - 96. Die unvernünftigen Diebe.

Es ward von den Mäusen erzählt, daß dieselben nicht allein gerne benaschten, was ihnen von Speise werden könnte, sondern daß sie auch silberne Knäufe und Kettlein, kleine Münzen und wol gar goldene Spangen, die man etwa auf dem Tisch liegen gelassen, in ihre Löcher zu schleppen sich erkühnt hätten. Gotthold fiel hiebei ein, daß die Dohlen und Krähen, so zuweilen Lust halber in den Häusern gehalten werden, es nicht anders machen. Es hat einmal eine viele Dinge von Münzsorten, Ringen, Fingerhüten und dergleichen Sachen zusammengetragen und darüber viel Verdacht unter den Hausgenossen erweckt, bis man ihr endlich es abgemerkt und ihren Schatz aufgeräumt, dabei sie gar übel gethan und genugsam zu erkennen gegeben, daß sie solche Sachen, wiewohl sie ihr nichts nütze, ungern verlöre. Er sagte darauf: Nehmet hiebei wahr ein artiges Muster eigennütziger und geiziger Leute, welche mit Recht und Unrecht sammeln, bis sie einen Vorrath zusammenbringen, der ihnen eben so viel nütz ist, als den Mäusen und Dohlen ihr gestohlner Schatz. Und dies wäre noch leidlich, daß sie eine gleiche Thorheit begingen, wenn sie ihnen auch eben so wenig schädlich wäre; allein zeitliche Güter gewinnen und ewige verlieren, Gold sammeln und Gottes vergessen, seinen nachbleibenden Erben ein Lachen und seiner armen Seele ein ewiges Heulen und Zähneklappern machen, das ist zu viel. Was ists Sonderliches, eines Schatzes Hüter zu sein, weil es auch eine Maus, eine Krähe und ein Hund kann? Und was ists für eine viereckige Thorheit, lieber die Seele, als das übel erworbene Gut verlieren wollen? Herr, mein Gott, neige mein Herz zu deinen Zeugnissen und nicht zum Geiz! Ps. 119, 36.

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