Schlatter, Adolf - Einleitung in die Bibel - Die Thessalonicherbriefe.

Schlatter, Adolf - Einleitung in die Bibel - Die Thessalonicherbriefe.

Der 1. Thessalonicherbrief.

Als Paulus auf seiner zweiten Missionsreise Macedonien durchwanderte, kam er von Philippi nach Thessalonich, dem heutigen Saloniki, der volkreichsten Stadt des Landes, die einen lebhaften Handel und darum auch eine größere jüdische Gemeinde besaß. Dort sammelte er aus einigen Juden, manchen Proselyten und einer Schar Griechen eine Gemeinde, die er nach wenigen Wochen verlassen mußte, weil ihn die Judenschaft heftig verfolgte. Die Lage derselben blieb auch nach seiner Vertreibung bedrückt, darum war der Blick des Apostels mit großer Teilnahme auf sie gerichtet, und als er in Athen mit seinen Begleitern Silas und Timotheus, die er noch in Macedonien zurückgelassen hatte, wieder vereinigt war und von ihnen Bericht über die dortigen Ereignisse empfangen hatte, sandte er sofort Timotheus zur Stärkung der angefochtenen jungen Gemeinde nach Thessalonich zurück, vgl. 1 Thess. 3,1-5. Ap. 17,14-16. Dieser brachte ihm freudigen Bericht nach Korinth, Ap. 18,5, und die dankbare, herzliche Antwort auf diese gute Botschaft ist der erste der beiden Briefe, den Paulus vermutlich den macedonischen Brüdern, die Timotheus nach Korinth geleiteten, bei ihrer Heimreise mitgegeben hat.

Paulus erneuert zuerst

sein persönliches Band mit der Gemeinde. 1,2-3,13.

Was Gott der Gemeinde gegeben hat, das treibt ihn zu innigem Dank für die Kraft, mit der er selbst bei ihnen das Evangelium verkündigen konnte, und für die Freudigkeit, mit der die Gemeinde auf seinem Wege wandelt, so daß sie bereits als helles Licht überallhin scheint. 1,2-10.

Zum Dank tritt der Blick auf die Nachstellungen, welchen sie ausgesetzt sind. Man hat ihn, als er bei ihnen war, gescholten und gelästert; man wird es auch jetzt thun. Darum erinnert er sie an die Lauterkeit und Reinheit seines Wandels unter ihnen, welche ihnen die Gewähr gibt, daß er ihnen als Christi Bote Gottes Wort verkündigt hat. Der Haß der Juden kann ihnen nicht befremdlich sein; er entspricht dem ganzen Abfall und Widerstreben Israels gegen Gott. 2,1-16.

Er hat gerade wegen ihres harten Standes ein lebendiges Verlangen nach einem neuen Besuche bei ihnen, und die Gemeinde soll wissen, daß es beständig seine Bitte bleibt, daß er sie wiedersehen möge. 2,17-3,13.

Nun folgen noch einige Weisungen, die der Gemeinde gerade jetzt besonders nötig sind.

Die Überwindung der heidnischen Sünden und die Ruhe der Hoffnung im Blick auf den Tod. 4 u. 5.

Vor allem ist nötig, daß sie sich von den heidnischen Grundlastern frei halten, von der Unzucht außer und in der Ehe und von der Betrügerei in Handel und Verkehr, 4,1-8, sodann daß sie die brüderliche Liebe pflegen in stiller Arbeitsamkeit ohne überspannte geistliche Aufregung. 4,9-12.

Ferner hat die Gemeinde bereits einige ihrer Glieder durch den Tod verloren. Paulus hat sie zwar von Anfang an zu lebendiger Hoffnung aufgerichtet und sie auf den Anbruch des göttlichen Reiches mit der Erscheinung Jesu warten gelehrt, vgl. 1,10. Eben deshalb erschien es ihnen aber wie ein Verlust, sterben zu müssen, ehe Jesus kam, wie eine Verkürzung ihres Anteils am Reich, wenn sie ihn nicht mehr lebend sehen. Aber die erste That Christi, wenn er in Herrlichkeit wiederkehrt, wird sein, daß er die in ihm Entschlafenen aus dem Tode auferweckt. Dabei ist jedoch bei der Ungewißheit des Tages Christi beständige Wachsamkeit und Nüchternheit erforderlich. 4,13-5,11.

Darauf gibt ihnen Paulus noch in kurzen Mahnungen einen Umriß des christlichen Gemeindelebens. Er mahnt zur Wertschätzung der Vorsteher, zur Zucht und Güte gegen alle, zur steten Freude und zum ständigen Gebet, zum rechten Gebrauch der Prophetie. Das Schlußwort fordert, daß sein Brief allen vorgelesen werde. 5,12-24.

Der 2. Thessalonicherbrief.

Auch der zweite Brief wird noch von Korinth aus an die Gemeinde gerichtet sein, einige Monate später. Darum ist ihre Lage innerlich und äußerlich noch dieselbe wie zur Zeit des ersten Briefes. Immer noch steht die Gemeinde in hartem Kampf mit ihren Widersachern und trägt ihn mit ungebrochenem Glaubensmut. Sie hat aber auch die Aufregung, auf die der erste Brief hindeutet, noch nicht überwunden. Man redete sich in stürmischer Ungeduld ein, der Tag Jesu stehe unmittelbar bevor. Prophetische Stimmen dieser Art ließen sich hören, 2,2, ohne daß die Gemeinde die Mahnung des früheren Briefes genügend beachtete, daß sie die Weissagung nicht verachten, wohl aber alles prüfen und das Gute behalten solle. Man berief sich dabei auf Paulus selbst; er selber sollte gesagt und sogar geschrieben haben, die Stunde sei nun da! Um so weniger fanden sich einzelne Gemeindeglieder noch in ihren natürlichen Pflichten und Aufgaben zurecht. Wozu sollten sie noch arbeiten! Der irdische Beruf mit seiner täglichen Arbeit erschien gering und nichtig im Blick auf die sofort anbrechende Herrlichkeit des göttlichen Reiches. Paulus stellt in seinem neuen Briefe wieder

den Dank und Trost für die Leidenden, 1,3-12,

voran. Er dankt für ihre Standhaftigkeit und tröstet sie mit dem Gericht Christi, daß ihnen Hilfe und Befreiung bringt. Er will ihren Blick von der Zukunft nicht abziehen; von dorther strömt ihnen vielmehr Mut und Freudigkeit zu jedem Opfer zu. Aber sie stellen sich die Vollendung des göttlichen Reiches viel zu leicht vor. Darum folgt ein Wort über das,

was der Offenbarung Christi vorangeht. 2,1-3,5.

Auch die Auflehnung gegen Gott und der Satan haben ihre Stunde und Macht, und diese geht dem Herrlichkeitsreiche Christi voran. Vorerst haben sie den Sieg des Antichrists zu erwarten, der auch sein Reich aufrichten und als Sieger über die Welt dastehen wird, aber nicht wie Jesus im Gehorsam unter Gott, sondern im Aufruhr gegen ihn, in Selbstvergötterung. Dieser Triumph der Lüge über die Menschen ist Gottes gerechtes Gericht über die, welche der in Christo erschienenen Wahrheit ihren Glauben verweigerten. 2,1-11.

Nur um so inniger und dringlicher wird im Blick auf diese Macht und Gefahr der Finsternis der Dank des Apostels für die Berufung der Gemeinde, seine Mahnung, festzuhalten, was sie von ihm empfangen haben, und seine bittende Zuversicht zu Gottes Treue, die sie erhalten wird. 2,13-3,5. Er wiederholt ihnen

Die Mahnung zur Arbeit, 3,6-15.

Keiner darf sich derselben entschlagen. Die Gemeinde meide und strafe jeden, der die natürlichen Ordnungen des Lebens verachtet und hinter sich wirft.

Dem segnenden Schlußwort fügt Paulus seine Unterschrift bei, damit die Gemeinde sicher erkennen könne, was wirklich von seiner Hand ausgeht. 3,16-18.

Wenn auch die Thessalonicherbriefe nicht jenen Reichtum an Lehre enthalten, wie ihn die späteren Briefe geben, so haben sie doch darin einen ganz besonderen Wert, daß sie uns lebendig vor Augen stellen, wie Paulus mit einer jungen, eben erst aus den Heiden gesammelten Gemeinde verkehrt hat, welche Fülle herzlicher Liebe er ihr entgegenbrachte und wie er ihre ersten Schritte auf dem Wege christlichen Leidens, christlicher Heiligung und christlicher Hoffnung leitete und unterstützte. Daß wir in diesen Briefen keine Warnung vor dem Gesetzesdienst finden, macht sie nicht zweifelhaft. Paulus hat dann gegen die Aufrichtung des Gesetzes gesprochen, wenn mit demselben der Glaube an Jesus verhindert oder geknickt wurde. Sonst aber hob er die Gemeinden einfach und freudig ohne Streit und Zank zum Glauben und Hoffen in Christo empor.

Die beiden Briefe enthalten im Blick auf die Zukunft Christi eine verschiedene Mahnung. Der erste Brief betont, daß der Herr komme wie ein Dieb in der Nacht, ohne daß jemand Zeit und Stunde weiß, 1 Thess. 5, 2. 3. Der zweite stellt seinem Kommen eine Zeit der Satansherrschaft und des Antichristentums voran, die zugleich als Vorzeichen das Kommen Christi anzeigen, 2 Thess. 2,1-4. Beide Gedanken finden sich überall in der ganzen neutestamentlichen Weissagung neben einander. Gerade unsere Briefe zeigen, wie wenig Paulus darauf ausging, der Gemeinde ein vollständiges prophetisches Bild über die Zukunft mitzuteilen. Er gab ihr zuerst den Stern der Hoffnung: „Jesus kommt in Herrlichkeit! Wartet auf ihn!“ ohne daß er bei seinem Besuch in Thessalonich die Auferstehung der Toten mit der Erscheinung Christi in Verbindung setzte. Erst als sie überrascht und niedergeschlagen vor den Gräbern ihrer Toten standen, rief er ihnen zu: Christus weckt die Toten auf! Ebenso hat er erst dann, als die Gemeinde ungeduldig meinte, sie stehe schon am Ziel, und die Bedingungen und Vorbereitungen der Offenbarung Christi übersah, darauf hingewiesen, was diesem Ziele noch entgegensteht. Das sind nicht Widersprüche und Wandlungen in der Lehre, sondern das ist die Bescheidenheit der Hoffnung, die zwar den Stern der Verheißung mit aller Kraft erfaßt, aber nicht meint, es müsse schon jede Frage beantwortet sein. Die Lehrweisheit des Apostels sprach nicht eitel und eilig über alles, sondern ging den Bedürfnissen der Gemeinde sorgsam und geduldig zur Seite.

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