3. Ei, du frommer und getreuer Knecht.
Er ist jetzt schon im Lande der Todten, die da ewig leben, im schönen Paradies, der theure Missionar, dem Gott das Missionieren verwehrte, damit er in seiner Heimath ihm ein paar Monate hindurch als Matrosen-Prediger diene. Es war seines Herzens glühende Sehnsucht gewesen, den blinden Heiden im fernen Osten die frohe Botschaft von Christo zu verkündigen; aber erst als Mann konnte er in die Heidenwelt hinausziehen, zu der es ihn schon in seinen Jünglingsjahren so mächtig gezogen; und als er nach gefährlicher Seefahrt in Indien angekommen war, ergriff ihn die indische Krankheit, noch ehe er der fremden Sprache mächtig war; die Aerzte schickten ihn nach Europa in’s Vaterland zurück, und hier hat er denn dem Herrn noch ein paar Monate als Evangelist unter den Schiffsleuten gedient, dann ist er in’s ewige Vaterland gegangen.
Er erzählt uns in seinem hinterlassenen Tagebuch, wie er gezittert hat, als er das ihm aufgetragene Amt, unter dem Schiffsvolk der großen Seestadt zu missioniren, antrat. „Ich ging zur Hausthür hinaus, um mein Werk zu beginnen, aber wie sollte ich es angreifen? Ich sollte wohl die Schiffe besuchen, Schiffe lagen ja genug im Hafen? Ja, Schiffe genug, ich sah ihrer viele bei meinem ersten Ausgang, aber ich sah auch auf ihnen allen so viel Bewegung, so viel Geschäftigkeit mit Laden, Löschen und dergl., daß ich zur festen Ueberzeugung kam: hier ist am Tage für mich kein Platz. Ich lief den ganzen Tag umher und lief mich müde, und ich fühlte am Abend nur allzu schmerzlich, daß ich nicht zu viel gesagt hatte, als ich sagte: Ich habe zu diesem Werke nicht den nöthigen Muth.“ Nach Verlauf von zehn Monaten aber konnte er schreiben: „Der Herr hat über Bitten und Verstehn geholfen; was ich seufzend begann, konnte ich mit Freudigkeit fortsetzen.“ 320 Schiffer hatte er besucht, meist in ihren Quartieren in der Stadt, und wie er sie besucht hatte, davon mag die Beschreibung eines seiner Besuche zeugen, die wir mit seinen eignen Worten geben:
Ich klopfe an; man muß auch die Armen ehren und nicht unangemeldet zu ihnen eindringen. Herein! Der Mann ist zu Hause; er ist ein Seemann, er näht gerade einen Segellappen mit einem andern zusammen. „Guten Morgen, mein Freund, wie geht es?“ Der Mann bleibt sitzen und sagt: „Gut, aber was wollen Sie?“ – O ich will nur Gutes, ich bin ein Freund der Seeleute und komme daher auch zu Ihnen, das finden Sie doch gut, nicht wahr? Es kommen ja sonst zu Ihnen wohl nur Leute, die Ihnen für Ihr sauer verdientes Geld allerlei Genüsse anbieten; ich möchte Ihnen und Ihren Kameraden so gerne zu einem Genusse verhelfen, der kein Geld kostet und doch der Ihrer würdigste ist.“ Keine Antwort. „Ich sähe für mein Leben gerne, daß ihr lieben Schiffer Menschen wäret, die für etwas Anderes und Besseres lebten, als für den sündigen Genuß, den man euch anbietet, der euch in Armuth stürzt und euch krank macht nach Leib und Seele, der euch alt werden läßt vor der Zeit, der euch die Ruhe und Freude des Lebens raubt.“ „O Sie sind also einer von den Frommen?“ spricht der Mann und lacht herzlich, aber es ist das weder ein Lachen der Freude, noch des Spottes. „Lassen wir das, mein Freund; sie sind so gut wie ich, ja noch besser als ich überzeugt, daß ich die Wahrheit spreche und daß Sie durch Ihr Lachen sich nur selber zwingen wollen, nicht nach mir zu hören. Aber ich interessire mich für Sie, hören Sie nur auf mich, Sie wissen ja doch, daß Ihr Leben für etwas Anders, für etwas Höheres da ist.“ „Und ich sage Ihnen, daß ich mit Allem, was Sie da reden, nichts zu thun habe.“ „Zu thun haben Sie da doch mit; etwas Anderes ist es, daß Sie damit nichts zu thun haben wollen.“ „Und ich sage Ihnen (hier folgt eine Fluth von Flüchen), daß ich all‘ Ihr Schwatzen nicht nöthig habe, und ich bitte Sie abzugehn, oder ich werde Ihnen den Weg weisen!“ „Das ist nicht nöthig, ich werde gehen, aber wissen Sie auch, warum Sie mich wegschicken?“ „Sicherlich…, weil ich Ihre Dummheiten nicht hören will.“ „Nein, das sagen Sie; aber ich will Ihnen den wahren Grund sagen: „Sie fürchten sich vor mir!“ Da sprang der Mann auf. „Ich Sie fürchten!? Mensch, nehmen Sie sich in Acht, ich zerreibe Sie wie Senf zwischen meinen Fingern“ – dabei stand er mit erhobener Hand da, den Daumen mit den Fingern reibend. „Nun ja, wenn Sie Ihre Hände zu Hülfe rufen, dann werde ich die meinigen zurückziehen, und das war mir auch vorher schon gerathen worden; und doch, lieber Freund, Sie fürchten sich vor mir, und ich will es Ihnen noch ganz kurz erklären. Da in Ihrem Herzen, da schläft in Ihnen Einer; es hat Sie vielleicht viel Mühe gekostet, den Mann da drinnen in Schlaf zu wiegen. So lange er schläft, sind Sie ruhig und thun, was Sie wollen, aber nun komme ich als ein Wecker, der den schlafenden Freund in seiner Ruhe stört, und weil Sie vor seinem Erwachen bange sind, so möchten Sie mich lieber wegschicken oder hinauswerfen, als das zulassen. Das ist die Sache.“ „Und wenn das auch so wäre, so würde ich es Ihnen doch nicht sagen.“ „Das ist auch nicht nöthig; ich sage es Ihnen, damit Sie’s wissen sollen.“ „Nun, mir ist es egal, ob Sie gehen oder bleiben, meinetwegen reden Sie immer weiter, dann werden Sie ja sehn, ob ich mich fürchte.“ „Nein, ich habe jetzt ausgeredet und gehe, Adieu.“ – Nach Verlauf von einigen Tagen besuchte ich diesen Mann zum zweiten Mal. „So“, sagte er bei meinem Eintritt, „sind Sie schon wieder da?“ „Nun freilich, ich habe Ihnen ja gesagt, daß ich ein Freund der Seeleute bin, warum sollte ich denn gerade Ihnen vorbei gehen? Doch sagen Sie einmal, wie lange sind Sie eigentlich schon an Land?“ „So gegen vier Wochen.“ „So, wo war die Reise hingegangen?“ Und nun sprach ich mit ihm über nichts anders, als über die See, über das Schiff, über Indien u.s.w. Ich erzählte ihm von meinen eignen Erlebnissen auf der See, und nach einer halben Stunde wollte ich mich verabschieden, als er mich sehr nüchtern frug: „Haben Sie mir nichts Anderes zu sagen, ich dachte, Sie kämen, um über ganz andere Sachen mit mir zu reden!“ „Ja, wie stehen wir denn beide mit einander? Das vorige Mal habe ich über ganz andere Sachen mit Ihnen geredet und… sie gefielen Ihnen nicht. Jetzt, da ich vorbei komme, denke ich: hier wohnt auch noch ein Freund, aber mit dem muß ich über andre Gegenstände sprechen. Und da ich das nun thue, ist es auch nicht recht. Wenn ich nun wieder vorbei komme, komme ich natürlich noch einmal heran, wir wollen die Freundschaft festhalten, aber dann müssen Sei mir sagen, worüber ich dann reden soll, denn wahrlich, ich weiß es nun nicht mehr.“ „Nun ja, mein werther Herr, ich hab‘ das in der vergangenen Woche wohl gesagt, aber es ist doch wohl gut, wenn der Mensch auch einmalüber andre Dinge nachdenkt!“ „Ei so, nun werden wir beide zurecht kommen, aber jetzt muß ich nun doch gehen. Auf Wiedersehn.“ Nach einigen Tagen besuchte ich ihn noch einmal und wieder einmal, und es wurde noch viel gesprochen und mit Theilnahme angehört. O wenn Viele, die sich mit Betonung Christen nennen, einmal etwas weniger stolz redeten und nicht so leicht sich verletzen ließen und etwas mehr wahrhaftigen, durch die Liebe thätigen Glauben in der Welt bewiesen, wie anders würde unsere Gesellschaft aussehen, wie würden so Manche, die jetzt für unbekehrbar gelten, für das Reich Gottes gewonnen werden. Der Mann, den ich besuchte hatte, war wieder zu Schiff gegangen, ohne daß ich es wußte; unter dem Gedränge der Einschiffung hatte er vergessen, von mir Abschied zu nehmen. Er war schon in einem benachbarten Hafen, als er sich darin erinnert. Er hat keine Ruhe; mit vieler Mühe, erwirkt er sich noch für einen Abend und eine Nacht Urlaub, er kommt zu mir, von Schweiß triefend und fast athemlos. „Mein bester Herr“, sagte er, „ich hatte vergessen, Abschied von Ihnen zu nehmen, nehmen Sie es mir nicht übel, und das durfte doch nicht sein. Darum bin ich noch eben zurückgekehrt.“ „O, aber warum denn, daß hätte ich sicher bald vergeben.“ „Ja, aber das durfte doch nicht sein.“ „Und kommen Sie denn nun auch noch zur rechten Zeit wieder an Bord?“ „O daß ist nichts, ich laufe sogleich wieder los in die Nacht hinein, dann komme ich noch zeitig genug.“ - -
Der Schiffer weilt nun irgendwo auf dem Weltmeer oder in Indien; der, von dem er damals Abschied nahm, weilt nun droben. Aber der Schiffer wandert nun auch den Weg nach oben.