24. Aus dem Tagebuche einer jungen Frau.

Ein schöner, heller Tag liegt hinter uns. Wir waren Morgens dem gewöhnlichen Alltagstreiben entronnen und waren fröhlich hinaus gedampft in die weite, grüne, wasserdurchflossene Ebene. Wie erfrischend war doch der blick auf die sonnigen Auen mit ihren weidenden Rindern, wie anziehend die klappernden Mühlen allüberall; mit wie gerührtem Dank grüßten wir im Vorbeifliegen auch dich, du trautes Landhaus, das fromme Freundschaft uns für fünf unvergeßliche Sommerwochen zur Herberge geliehen! In der großen, häuser- und schiffreichen Stadt, in welcher wir abstiegen, gab es viel Interessantes und Sehenswerthes; aber wir eilten rasch hindurch zum Dampfschiff. Und ach, wie war sie so prächtig, die Dampfschifffahrt auf dem großen, weiten Gewässer, das Jahrhunderte hindurch Wohlstand und Reichthum für Stadt und Land vermittelte. Der Octobersonnenschein glitzerte auf den Wogen und auf den in immer weitere Ferne rückenden Thürmen und Thoren, Schiffen und Häusern der alterthümlichen Handelsstadt. Ein Kranz von Dörfern an der andern Seite und sonst weiter nichts als Sonnenschein, helle Luft und das ebenmäßige Stoßen der Dampfmaschine. Bald hatten wir unser Zeil erreicht, das kleine Fleckchen Erde, auf dem ein Großer dieser Welt einmal seine Größe abstreifte und Handarbeit that im Schweiße seines Angesichts. Aber wir hatten seine Hütte schon früher gesehn, diesmal blieben wir in einem Gasthaus am Landungsplatz, nahmen ein einfaches Mahl ein, wanderten ein wenig durch das Städtlein und genossen den Sonnenuntergang. Bald saßen wir, zur Rückkehr gerüstet, auf dem Verdeck des Dampfers. Um uns das Getreibe von Gehenden und Kommenden, daneben das Hereinbrechen der Dunkelheit, in welche die kleinen, schmucken Häuschen und die vielen Mühlen eins um’s andere versanken. Wie freundlich hast Du uns heute geleitet, Herr, mein Gott, mein lieber Gott! so klang es durch meine Seele; wie erquickend war dieser Tag der Ausspannung und der Einnahme so vieler neuer Eindrücke! Wie viel Liebes und Leides bescheerst Du doch Deinen Kindern; ach daß ich Dir mehr danken möchte, immer danken, auch in der Last des Lebens, auch ind er Noth des Sterbens danken möchte! In diese Klänge, die tief innen meine Seele durchzogen, ertönte die Glocke hinein, die das Zeichen zur Abfahrt gab. – Da treten noch einige Männer auf’s Schiff, die eine große, bedeckte Kiste tragen, still, fast feierlich. Sie setzen die Kiste ganz in meiner Nähe nieder. Mit einem Gefühl banger Ahnung hafteten meine Augen auf der Kiste, und die Ahnung trog mich nicht: die Kiste umschloß eine Leiche. Wohl war es nur ein armer Arbeiter, den man da hineingelegt hatte, nachdem man ihn aus dem Wasser gezogen, in dem man ihn schon lange gesucht hatte; doch er hatte daheim Weib und Kind, die ihm anhingen in zärtlicher Liebe, ihm, ihrem Ernährer, Versorger und Beschützer. Gesund und frisch mit der Hoffnung auf guten Erwerb war er ausgezogen, die Kinder schliefen noch fest in ihrem Bettchen, das fleißige Weib war aber schon wacker an der Hausarbeit, und keines von ihnen meinte, daß der Gatte, der Vater den allerletzten Abschied nehme. Der Abschied kam, aber umsonst wartete die kleine Familie auf die Heimkehr des Hauptes, bange Sorgentage folgten, endlich kommt die Nachricht von dem herrenlos gefundenen Boote. Welcher Jammer und doch, - immer noch hat das arme Weib die Hoffnung nicht aufgegeben. Nun aber dieses Schiff, auf dem ich fahre, ich eine glückliche Gattin und Mutter, bringt ihr die Leiche! Welch‘ ein Wiedersehn muß das sein! Ob die Arme wohl den Compaß hat, der hindurchführt durch all‘ das Wirrsal des bittern Schmerzes? – Die Nacht war hereingebrochen, kühl und immer kühler zog der Wind über das Schiff, die dunkle Fluth rauschte melancholisch, ringsum blinkten die Lichter und Lichtlein der Dörfer und der Stadt; aus der Kajüte drang freundlicher Lampenschein und fröhliches Geplauder der Lebendigen. Ueber mir glänzten im klaren Lichte die Sterne meines Gottes – und so fuhr ich dahin neben einem Sarge. Wie liegt doch Freud‘ und Leid so dicht neben einander auf dieser wunderbaren Welt und wie regiert der große Gott so verschieden die Geschicke seiner Kinder! In seiner Hand liegt Alles, Licht, Leben, Liebe, Last, Leid und Tod – ich nehm‘ es, wie Er’s giebet; was Ihm von mir beliebet, dasselbe hab‘ ich auch erkiest! – Da ertönt die Glocke, wir landen, suchen Mäntel und Tücher, und am Arme meines Gatten eile ich der Eisenbahn zu, die uns wieder nach Hause fuhr in’s arbeitsvolle Leben. Dank Dir, lieber Vater im Himmel, für den schönen, hellen Tag mit seiner ernsten Abendstunde. Bleibe Du bei mir, mein Gott und Heiland, bis in die Neige meiner Tage, bis es Abend wird und Du mich ganz nach Hause führst in das ewige Leben der seligen Ruh.

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