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22. Das letzte Wort des Kindes.

Es giebt nicht nur Herbstesstürme, es giebt in manchen Jahren auch brausende Frühlingsstürme. Da werden viele junge Blüthen entblättert und verweht. Da legt sich auf die Flur mitten im Maienglanze eine Leichendecke von jungen Blumen und Blättern.

Auch durch den Frühling des Menschenlebens braust es oft gewaltig einher. Der Tod mit seinem eisigen Hauche weht die Kinder oft schaarenweise aus dem Leben hinweg. O dies Kindersterben, ist es nicht eines der dunkelsten Räthsel hienieden? Da wird denn immer wieder auf’s Neue erfüllt, was gesagt ist von dem Propheten Jeremias, der da spricht: Auf dem Gebirge hat man ein Geschrei gehört, viel Klagens, Weinens und Heulens; Rahel beweinte ihre Kinder und wollte sich nicht trösten lassen; denn es war aus mit ihnen.

Doch nicht alle Eltern gleichen der Rahel bei gleichem Verlust. Die da glauben an den Sohn Gottes, der Welt Heiland, und Ihm ihre Kinder übergeben haben, sie lassen sich auch trösten, denn sie wissen: Es ist nicht aus mit den Kindern wenn sie sterben als des Herrn Kinder, sondern so flüchtige Erdengäste sie auch waren, so sind sie doch eben aus Gottes Hand in Gottes Hand gekommen.

Und das sterbende Kind, das ich meine, ein lieber vierjähriger Knabe, war des Herrn Kind. Das böse Fieber, das schon manchen seiner zarten Altersgenossen in der Stadt fortgerafft hatte, hatte auch ihn ergriffen; da lag er denn in heißer Gluth auf seinem Bettlein, um welches der Vater und die Mutter knieten; seine Sinne schwanden, und er redete sein letztes Wort. Dieses letzte Wort aber war sein Kindesgebet, das ihm die Mutter früh gelehrt, und das er alle Abend gebetet hatte, der alte Starksche Vers: „Ich lege mich in Jesu Wunden, wenn ich mich leg‘ zu meiner Ruh‘; ich bleib‘ im Schlaf mit ihm verbunden; Er drücket mir die Augen zu - - Weiter betete der Knabe nicht, Gottes Engel ließen’s nicht mehr zu, sondern nahmen seine Seele und trugen sie heim in den schönen himmlischen Garten, wo fromme Kinder als die Erlösten des Herrn sind wie die Träumenden, und ihre Zunge ist voll Rühmens und ihr Mund voll Lachens.

Vater und Mutter aber weinten zwar, als des Kindes Seele heimwärts zog, denn Scheiden thut immer weh. Ja, das Scheiden lieber, frommer Kinder thut weh. Aber sie falteten auch unter Thränen ihre Hände und sprachen: „Wer so stirbt, der stirbt wohl“. Und der Vater behielt und bewegte in seinem Herzen immerfort seines Kindes letztes Wort, das Wort: “Er drücket mir die Augen zu“, und war ihm das Wort wie eine lange, schöne, große Predigt, die da tröstet und mahnt.

Einst nahm er ein Blatt und schrieb im trostvollen Gedächtniß seines heimgegangenen Kindes folgende Zeilen auf dasselbe:

“Er drücket mir die Augen zu“ -
Das letzte Wort, das ich gehört
Von dir, mein Kind, vor deiner Ruh,
Die nun im Himmel dir bescheert.

Ich weiß auch keinen bessern Freund
In Noth und Tod, in Angst und Schmerz
Als den, den du, mein Kind gemeint,
Da Todesnoth dir drang an’s Herz!

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