14. Das letzte Bibelbuch.
Die Offenbarung Johannis ist das letzte buch in der Bibel, darum soll man es auch zuletzt lesen. Denn es ist geheimnißvoll, und wer nicht zuvor den Sinn der vorigen heiligen Schriften in etwa erfaßt hat, der hat den Schlüssel nicht, der die heilige Kammer der Offenbarung aufschließt.
Dürfen Kinder die Offenbarung Johannis lesen? Vielleicht noch eher, als die Alten. Denn einmal ist keine Regel ohne Ausnahme, und sodann hat gerade in Beziehung auf die heiligen Schriften der Dichterspruch seine tiefe Wahrheit: Was nicht der Verstand des Verständigen sieht, das merket in Einfalt ein kindlich Gemüth.
Dennoch möchte es selten sein, daß ein Kind besondere Vorliege zur Offenbarung Johannis zeigt. Die Kinder pflegen am meisten das erste Buch Mose und die Evangelien zu lieben, das sind die Bücher vom Paradiese, vom verlornen und wieder eröffneten, und dem Paradiese stehn die Kinder am nächsten.
Aber wenn nun fromme Kinder dicht vor dem Eingange in’s himmlische Paradies stehn, dann mag es wohl vorkommen, daß das letzte Bibelbuch, welches dieses himmlische Paradies ausmalt, eine große magnetische Anziehungskraft für sie hat. Bei dem zehnjährigen Töchterlein wenigstens, das schon sieben Monate lang vom Herbst an todeskrank darniederlag, verhielt es sich also.
In den letzten Wochen seiner Krankheit war es gar fröhlich. „Lieben Eltern“, rief es, „ich danke dem Herrn inbrünstig für mein Leiden; denn ich glaube, ohne diese Krankheit wäre ich ein böses Kind geworden!“ Und zu dieser Zeit war es denn auch, daß es wieder und immer wieder bat: „Leset mir aus der Offenbarung vor, aus der köstlichen Offenbarung!“ Man hat dem sterbenden Kinde dann auch seine Bitte erfüllt, und o wie lag es so still und selig-lauschend auf seinem Siechbette und sog die heiligen Worte in sich, wie eine Blume die Sonnenstrahlen.
„Aber verstehst du denn auch, liebes Kind, was wir dir aus der Offenbarung Johannis vorlesen?“ fragte sei einmal ein theilnehmender Freund des Hauses, der oft an ihrem Bette saß. „Nein“, antwortete das Kind, „ich verstehe es nicht; aber ich höre es darum so gern, weil es mir jedesmal ist, als hörte ich eine himmlische Musik!“ Dann nach einer Pause setzte es wie schalkhaft hinzu: „Mein Vater hört auch gern Musik und versteht doch die Noten nicht!“ –
Auch unverstandene Stellen der Schrift können doch für ein frommes, dem Ewigen zugewandtes Menschenherz von großem Segen sein. Man hört in ihnen die Glocken der Ewigkeit läuten, und ist dieses Glockenlied denn auch ein Lied ohne Worte, so heimelt es doch die Seele an, weil es aus der Heimath stammt und zur Heimath ruft.