Moody, Dwight Lyman - Wer ist mein Nächster?

Moody, Dwight Lyman - Wer ist mein Nächster?

Einige Abschnitte dieses Kapitals verdanken ihre Entstehung der Anregung, die der Verfasser durch die sehr bedeutende Rede des verstorbenen Elihu Burritt, des „gelehrten Schmiedes,“ über den „barmherzigen Samariter“ empfing.

Unser heutiges Thema ist der barmherzige Samariter.

Christus stellt uns in diesem Gleichnis vier Männer vor Augen. Er zeichnet das Bild so lebenswahr, dass die Welt es gewiss nie vergessen wird. Sonst kommt es ja nur allzu oft vor, dass wenn wir die Erzählungen der Schrift lesen, sie uns nicht zu Herzen gehen, und es dauert dann nicht lange, dann vergessen wir, was der HErr uns damit lehren wollte, und was wir eigentlich nie vergessen sollten.

Als Christus auf Erden wandelte, gab es eine ganze Menge von Leuten, die sich um Ihn versammelten, nur um sich fortwährend an Allem, was Er tat und sagte, zu ärgern. Wir lesen, dass in diesem Fall ein Schriftgelehrter zu Ihm kam, um Ihn zu fragen, was er tun müsse, um das ewige Leben zu ererben. Unser HErr sagte ihm, er solle die Gebote halten, Gott den HErrn von ganzem Herzen lieben und seinen Nächsten als sich selbst. Der Schriftgelehrte wollte dann wissen, wer denn sein Nächster sei. In dieser Erzählung sagte ihm Christus nun, wer sein Nächster wäre, und was es hieße, ihn zu lieben wie sich selbst.

Es scheint mir, als hätten wir schon ziemlich lange Zeit darauf verwandt, ausfindig zu machen, wer unser Nächster ist. Ich glaube aber, dass Christus uns in diesem Gleichnis vom barmherzigen Samariter ziemlich klar und deutlich gelehrt hat, dass jeder Mensch, Mann, Weib oder Kind, der unserer Liebe und unserer Hilfe bedürftig ist sei es äußerlich oder innerLich unser Nächster ist. Wenn wir ihnen irgendeinen Dienst leisten können, sollen wir es nur stets im Namen unseres Meisters tun.

Hier haben wir nun zwei Männer, von denen jeder an einem vorüberging, der in großer Not war - an einem, der unter die Mörder gefallen war, der beraubt und verwundet war, und den man nun seinem Schicksal dem zu sterben überlassen hatte. Der Erste, der den Weg von Jerusalem nach Jericho herabkam, war ein Priester. Als er auf der Landstraße dahinzog, hörte er einen Hilferuf, und er sah sich um, wer wohl der unglückliche Mann wäre. Er konnte erkennen, dass der arme Leidende ein Jude war, vielleicht hatte er ihn am letzten Sabbat im Tempel gesehen. Aber er gehörte nicht zu seiner eigenen Gemeinde, auch war ja seine Aufgabe der Tempeldienst, und der war gerade jetzt vorüber. Er war ein pflichttreuer Mann, was seinen Beruf betraf, und er hatte Alles getan, was von ihm gefordert werden konnte.

Er hatte große Eile, nach Jericho zu kommen, vielleicht waren sie im Begriff, dort eine neue Synagoge zu eröffnen, und er sollte sie einweihen. Das war ein sehr wichtiges Geschäft, und natürlich konnte er sich nicht damit aufhalten, diesem armen verwundeten, geschlagenen Mann zu helfen. So ging er vorüber. Möglicherweise überlegte er sich, während er so weiter ging: „Ich möchte doch wohl wissen, warum Gott es zugelassen hat, dass die Sünde in die Welt kam. Es ist doch recht merkwürdig, dass der Mann nun so in diesem jämmerlichen Zustand daliegt.“ Oder vielleicht haben seine Gedanken eine andre Richtung genommen, und er hat sich vorgenommen, sobald er nach Jericho käme, ein Komitee zu bilden, damit doch für diese unglücklichen Brüder gesorgt werden könne. Er würde dann ein Goldstück für den Zweck stiften. Oder er würde versuchen, einen Sicherheitsbeamten dazu zu bewegen, die Mörder zu verfolgen, die jenen niedergeschlagen hatten.

Dass aber unterdes der arme verwundete Mann sterben könne, daran dachte er nicht im entferntesten. Sehr wahrscheinlicher Weise schmachtete er jetzt nach Wasser und wenige Ruten weit entfernt von der Stelle, wo er lag, floss vielleicht ein Bach vorbei. Und doch hielt sich dieser Priester nicht einen Augenblick damit auf, ihm zu trinken zu geben. Seine ganze Religion hatte er im Kopf, aber bis ans Herz reichte sie nicht. Der eine Gedanke, den er im Sinn hatte, war Pflicht, Pflicht. Und wenn er getan hatte, was er für seine Pflicht hielt, dann, meinte er, sei sein Werk getan. Gott will, dass wir Ihm mit dem Herzen dienen; wenn wir Ihm unser Herz nicht geben, können wir Ihm überhaupt nicht dienen.

Wir lesen, dass zunächst ein Levit des Weges kam, an dem dieser verwundete Mann in seiner Hilflosigkeit lag. Als er vorbeikam, hörte auch er den Hilferuf des Mannes. Er drehte sich einen Augenblick um, nach dem „armen Kerl“ zu sehen, und er konnte erkennen, dass es ein Sohn Abrahams war - einer seiner Judenbrüder. Aber auch er hatte Eile, nach Jericho zu kommen. Vielleicht hatte auch er bei der feierlichen Eröffnung der Synagoge ein Amt zu versehen. Vielleicht sollte da unten in Jericho eine Versammlung sein, in der man beraten wollte, wie die Volksmassen zu gewinnen seien, und auch er wollte über diesen Punkt seine Ansicht aussprechen. Ich habe die Bemerkung gemacht, dass viele Leute heutzutage zu solcher Beratung gehen und Stunden lang über dieses Thema reden können, aber sie selbst weder Hand noch Fuß rühren, die Volksmassen wirklich zu gewinnen.

Die Gedanken des Leviten nahmen aber wahrscheinlich eine andere Richtung, und er sagte sich: „Ich will doch sehen, ob man nicht ein Gesetz durchbringen könnte, durch das diese Straßenräuber verhindert werden, die Leute zu berauben und halb totzuschlagen.“ Es gibt auch heute Menschen, die da meinen, man könnte die Leute durch die Gesetze zu Gott zurückbringen, - dass man die Sünde durch das Gesetz aus der Welt schaffen könne. Gleich dem Priester hielt sich auch dieser Levit nicht damit auf, dem armen Manne einen Tropfen Wasser zu reichen, um seinen Durst zu stillen. Er dachte auch gar nicht daran, ihm seine Wunden zu verbinden oder ihm auf irgendeine Weise zu helfen. Er ging auf der Landstraße vorüber und dachte ohne Zweifel: „Mir tut der arme Mensch leid!“ Solches Mitleid findet man oft heutzutage, aber es kommt nur von den Lippen und nicht aus dem Herzen.

Der Nächste, der des Weges. kam, war ein Samariter. Nun war es in jenen Tagen allbekannt, dass kein Jude mit einem Samariter gesprochen haben würde, ja die bloße Gegenwart des Letzteren war für einen rechtgläubigen Juden eine Verunreinigung. Kein Jude betrat die Wohnung eines dieser gehassten Samariter; er würde nicht an seinem Tisch gegessen oder aus seinem Brunnen getrunken haben. Ebenso wenig würde er einen Samariter unter seinem Dach geduldet haben. Ein frommer Jude würde von einem Samariter sogar nichts gekauft oder ihm etwas verkauft haben.

Aber nicht nur dies war wirklich der Fall, sondern die Juden glaubten auch, die Samariter hätten keine Seele, so dass, wenn sie stürben, sie vollkommen vernichtet würden. Ihre Gräber würden so tief sein, dass nicht einmal am Auferstehungsmorgen der Laut von Gabriels Posaune bis zu ihnen hinabdringen würde. Der Samariter gehörte dem einzigen Volksstamm auf Erden an, von dem Niemand zum jüdischen Glauben bekehrt werden und ein Glied einer jüdischen Familie werden konnte. Ihm wurde in diesem und dem zukünftigen Leben die Möglichkeit der Buße abgesprochen. Mochte er sich auch zur jüdischen Religion bekennen, sie wollten nichts mit ihm zu tun haben. In dieser Weise sahen sie auf diese Menschen herab; und doch wählte Christus den verachteten Samariter, um diesen unbarmherzigen Juden den Unterricht von der Liebe zu ihrem Nächsten zu erteilen.

Der Samariter kam des Weges. Es wird uns in der Erzählung berichtet, dass der Priester „von ungefähr“ des Weges herabkam, aber es wird uns nicht gesagt, dass der Samariter auch von ungefähr gekommen wäre. Er vertritt hier unsern HErrn und Meister. Es wird uns gesagt, dass er dahin kam, wo der arme, verwundete Mann lag. Er stieg von seinem Tier, auf dem er geritten hatte, und beugte sich sofort hinab zu dem kranken Manne. Er sah ihn an und sah, dass er ein Jude war. Wäre er den Juden gleich gewesen, so würde er wahrscheinlich gesagt haben: „Das ist ihm recht, ich wollte nur, die Räuber hätten ihn ganz erschlagen. Ich möchte nicht einen Finger rühren, um dir zu helfen, du armer, elender Samariter. du!“ Aber nein! von seinen Lippen kam kein Wort der Anklage oder des Tadels.

Lasst uns daraus etwas lernen! Glaubt ihr, dass diese Trunkenbolde verurteilt werden müssen? In der weiten Welt kann Niemand sie so hart verdammen, als sie sich selbst anklagen. Was sie brauchen, ist Teilnahme, Sorgfalt, Freundlichkeit, Gütigkeit. Dieser Samariter zog kein Schriftstück aus seiner Tasche und fing nicht damit an, dem verwundeten Mann eine lange Predigt vorzulesen. Manche Leute meinen, die Welt brauchte weiter nichts als einen großen Haufen Predigten. In England sind die Leute schon fast zu Tode gepredigt worden. Wir müssten mehr mit unsern Händen und Füßen predigen, den Leuten das Evangelium mit Taten der Liebe bringen.

Auch hielt er dem armen Juden keine lange Vorlesung darüber, dass Wissenschaft wichtiger wäre als Religion. Er redete auch nicht mit ihm über ihre beiderseitige Abstammung; was konnte ihm das helfen? Was der arme Mann brauchte, war Teilnahme und Hilfe. Das Erste, was also der barmherzige Samariter tat, war, Öl in seine Wunden zu gießen. Wie viel verwundete Männer gibt es hier in unserer Mitte, die das Öl des Erbarmens und des Mitleids nötig haben! Eine ganze Menge von Christen scheinen aber immer eine Flasche Essig mit sich herumzutragen, die sie bei allen Gelegenheiten herausziehen.

Der Samariter hätte zu dem Manne sagen können: „Warum bist du auch nicht in Jerusalem geblieben? Was hattest du denn auf diesem einsamen Wege zu tun? Das Einzige, was man nun davon hat, ist Mühe und Sorge!“ So sagen z. B. die Leute manchmal zu einem jungen Mann, wenn er nach der Hauptstadt gekommen und dort ins Elend geraten ist: „Warum hast du auch deine Heimat verlassen und bist in diese verderbte Stadt gekommen?“ Sie fangen damit an, dass sie schelten und tadeln. In dieser Weise aber, oder wenn ihr euch ihnen gegenüber auf das hohe Pferd setzen wollt, werdet ihr die Leute niemals gewinnen oder ihnen irgendetwas Gutes tun können. Zu ihnen herunter müsst ihr kommen und euch mit ihren Sorgen und ihren Leiden. bekannt machen. Seht, wie der Samariter „dahin kam“, wo der arme Mann lag, und anstatt ihm Vorwürfe zu machen, ihm das heilende Öl in seine Wunden goss.

Ich bitte zu beachten, dass in dieser Erzählung zwölferlei angeführt wird, was der Samariter tat, während wir das, was der Priester und der Levit taten, mit einem Wort abmachen können - sie taten nichts!

1. Der Samariter aber „kam dahin“, wo er lag.
2. „Sah er ihn,“ er ging nicht vorüber wie der Priester und der Levit.
3. „Jammerte ihn sein.“ Wenn es uns gelingen soll, Seelen zu gewinnen, müssen wir voller Erbarmen für die Untergehenden und die Verlorenen sein. Wir müssen teilnehmen an den Leiden und Sorgen der Menschen, wenn wir hoffen möchten, ihre Liebe zu gewinnen, um ihnen Gutes zu erweisen.
4. „Ging er zu ihm.“ Von dem Leviten hören wir, dass er der Stätte nahe kam, aber doch „ging er vorüber“ wie der Priester.
5. „Verband er ihm seine Wunden,“ vielleicht musste er seine eigenen Kleider zerreißen, um sie verbinden zu können.
6. „Goss er ihm Öl hinein“ und gab dem halb ohnmächtigen Mann „„etwas Wein“.
7. „Er hob ihn auf sein Tier.“ Meint ihr nicht, dass der arme Jude den Samariter dankbar und liebevoll angesehen haben mag, als er ihn auf sein Tier hob, während sein Helfer selbst zu Fuß daneben ging? Alles Vorurteil, was er im Herzen gegen die Samariter gehabt hat, muss wohl geschwunden sein, lange ehe sie ihre Reise vollendet hatten.
8. „Er führte ihn in die Herberge“.
9. Er „pflegte sein“. Es hat mich tief gerührt, von einem christlichen Arbeiter in einem Stadtteil Londons zu hören, in dem wir kürzlich waren. Er traf einen Trunkenbold in einer der Versammlungen. Als er sah, dass der Mann betrunken war, nahm er ihn mit zu sich nach Hause und blieb die ganze Nacht bei ihm. Als er am nächsten Morgen nüchtern wurde, sprach er mit ihm. Es gibt ja nun wohl Viele, die gern mit Trunkenbolden reden wollen, wenn sie gerade nüchtern sind, aber wie Wenige mag es geben, die hingehen möchten, um sie in ihrem gefallenen Zustande aufzusuchen und mit ihnen zusammen zu bleiben, bis man vernünftig mit ihnen über ihre Rettung reden kann.
10. Als er des andern Tages reiste, bat der barmherzige Samariter den Wirt „,sein zu pflegen“.
11. Gab er ihm etwas Geld, um die Rechnung zu bezahlen; und
12. sagte er: „Und so du was mehr wirst dartun, will ich dir's bezahlen, wenn ich wiederkomme“.

Keine andere Rede Jesu macht uns, glaube ich, das ganze Evangelium so verständlich, wie dieses Gleichnis. Es ist ein vollendetes Bild von Christus selbst, der gekommen ist in die Welt, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist.

1. Er kam auf diese Welt der Sünde und des Kummers, in der wir leben, legte Seine Herrlichkeit zeitweise nieder, um unsre menschliche Natur anzunehmen, und stellte sich selbst mit denen, die Er zu retten gekommen war, auf eine Stufe.
2. Er hielt sich herunter zu den Armen und Niedrigen, um ihre Verhältnisse kennen zu lernen.
3. „Ihn jammerte des Volks;“ wie oft wird uns das in den Evangelien erzählt! An mehr als an einer Stelle wird uns sogar gesagt, Er habe geweint, wenn Er an all das Weh und an all das Elend dachte, das die Sünde den Menschen gebracht hat.
4. Wo Christus je von einem Leid oder einer Not hörte, dahin ging Er sofort. Kein Hilferuf drang je umsonst an Sein Ohr.
5. Bei einer Gelegenheit las Er aus den Propheten eine Stelle, die sich auf Ihn bezog: „Der Geist des HErrn HErrn ist über Mir, derhalben Er Mich gesandt hat . . . die zerbrochenen Herzen zu verbinden.“ Er selbst ist verwundet worden, damit die Wunden, die uns die Sünde geschlagen hat, verbunden und geheilt werden möchten. (Jes. 61, 1.)
6. Er tröstete die Leidtragenden nicht nur, sondern gab ihnen auch die Verheißung des Heiligen Geistes, der Sein erlöstes Volk trösten und stärken sollte.
7. Wie der barmherzige Samariter den verwundeten Mann auf sein eigenes Tier setzte, so gibt uns der Heiland die unfehlbaren Verheißungen Seines Wortes, auf die wir uns während unserer Pilgerreise fest verlassen können. Er Selbst hat verheißen, auf unserm Wege im Geist bei uns zu sein.
8. Er bringt uns zu der Ruhestätte, der Ruhe in Seiner Liebe, in Seiner Bereitwilligkeit, uns zu helfen, in Seiner Kraft, uns zu halten. Zuletzt wird Er uns in die Heimat der ewigen Ruhe geleiten.
9. Als Er noch auf Erden war, ging Ihm Alles, was Seine Jünger betraf, zu Herzen, und
10. als Er gen Himmel gefahren war und die Jünger allein gelassen hatte, da sandte Er einen anderen Tröster, der der Kirche bis ans Ende beistehen sollte.
11. Er hat der Kirche Alles gegeben, was sie bedarf, um in der Gnade zu beharren und zu wachsen.
12. Er wird wiederkommen, um Seine Diener, die Ihm treulich gedient haben, zu belohnen.

Wollt ihr wissen, wie ihr das Volk gewinnen könnt? Geht in ihre Häuser und zeigt ihnen, dass ihr Teilnahme für sie habt, sagt ihnen, dass ihr gekommen seid, ihnen Gutes zu tun, und lasst sie's sehen, dass ihr ein Herz habt, das für sie fühlt. Wenn sie erst merken, dass ihr sie wirklich lieb habt, dann wird all' das, was sie in ihrem Herzen gegen Gott und das Christentum einzuwenden haben, bald aus dem Wege geräumt sein. Die Atheisten mögen ihnen sagen, dass ihr nur ihr Geld haben wollt, und dass ihr Glück euch im Grunde ganz gleichgültig ist. Wir aber müssen diese Lügen mit unserm Leben widerlegen und sie in den Abgrund zurückweisen, aus dem sie gekommen sind.

Wir werden nichts ausrichten, wenn wir nicht selbst zu ihnen gehen und ihnen zeigen, dass wir sie wirklich lieb haben. Es gibt Hunderte und Tausende von Familien, die leicht gewonnen werden könnten, wenn wir nur 1000 Christen hätten, die sie besuchen und an ihren Sorgen teilnehmen wollten. Das ist es, was sie brauchen. Diese arme Welt verlangt und seufzt nach der Teilnahme der Menschen nach Liebe. Ich glaube gewiss, dass die Liebe Christi, die Er täglich in Seinem Leben bewies, die Herzen des gemeinen Volkes am meisten erwärmte. Er, der reich war, wurde arm um unsertwillen. Wir würden jetzt sagen: Er machte sich mit ihnen gemein. Er wurde in der Krippe geboren, damit Er mit den Niedrigsten der Niedrigen auf gleicher Stufe stünde.

Ich glaube, in dieser Beziehung können all' Seine Jünger noch von Ihm lernen. Er will, dass wir die Welt davon überzeugen sollen, dass Er ihr Freund ist. Sie glauben es nicht. Wenn die Welt erst einmal diesen Gedanken ganz fassen wollte, dass Jesus Christus der Freund der Sünder ist, würden sie sich bald um Ihn scharen. Ich bin gewiss, dass unter hundert von denen, die nicht in Christo sind, neunundneunzig meinen, Gott hasse sie, anstatt sie zu lieben. Wie sollen sie ihren Irrtum einsehen? Sie gehen in keine Kirche oder Kapelle, und wenn sie es täten, es gibt ja leider viele, in denen sie diese Wahrheit nicht hören würden. Glaubt ihr, wenn die armen gefallenen Mädchen, die durch die Straßen eurer Stadt gehen, wirklich glaubten, dass Jesus Christus sie lieb hat und ihr Freund sein möchte, dass Er, wenn Er jetzt persönlich hier wäre, sie nicht verdammen würde, sondern auf ihre Seite treten und versuchen würde, sie aus dem Schmutz ihrer Sünde emporzuheben, dass sie noch in ihrer Sünde beharren würden? Glaubt ihr, dass der arme Trunkenbold, der durch die Straßen taumelt, wirklich glaubt, dass Christus sein Freund ist und ihn lieb hat? Und doch lehrt die Schrift, dass, wenngleich Christus die Sünde hasst, Er doch den Sünder liebt. Diese Erzählung vom barmherzigen Samariter ist uns gegeben, damit wir das lernen sollen. Lasst uns doch die gute Botschaft, dass Christus Jesus die Sünder liebt und gekommen ist in die Welt, sie selig zu machen, allüberall verbreiten!

In einer unsrer amerikanischen Städte lebte ein Mann, der ganz plötzlich starb, und kurze Zeit darauf folgte seine Frau ihm im Tode nach. Sie hinterließen zwei Knaben, und ein reicher Bürger nahm den der Knaben zu sich, aus dem am meisten zu werden versprach, und adoptierte ihn. Der andre Knabe wurde in ein Waisenhaus getan. Er war nie von Vater oder Mutter entfernt gewesen, so lange sie lebten, und war noch nie von seinem Bruder getrennt gewesen. So ging er keinen Abend zu Bett, ohne sich vor Sehnsucht nach seinem Bruder in den Schlaf zu weinen. Eines Abends konnten sie ihn nirgends finden. Den nächsten Morgen fand man ihn auf den Stufen vor dem Hause des reichen Bankiers, der seinen kleinen Bruder adoptiert hatte. Als sie fragten, warum er sein gutes bequemes Bett im Waisenhaus verlassen hatte, um die ganze Nacht da draußen in der Kälte zu sitzen, sagte er, er hätte Charlie gern näher sein wollen. Er wusste, dass, wenn er geklingelt hätte und sie hätten ihn vor der Tür gefunden, sie ihn fortgeschickt haben würden, aber es war doch ein Trost, Charlie so viel näher zu sein, selbst wenn er die Nacht da draußen sitzen musste. Sein junges Herz verzehrte sich vor Sehnsucht nach Liebe, und er wusste, dass Niemand auf der Welt ihn so lieb hatte, wie Charlie. Wenn wir nur all' die armen Verlorenen davon überzeugen könnten, dass es Einen gibt, der sie lieb hat, dann würden ihre Herzen warm werden.

Während unsers letzten Krieges wurde ein kleiner Junge, Frankie Bragg, in eines der Krankenhäuser gebracht. Er sagte, es wäre so schwer, da so weit weg von Allen zu sein, die ihn lieb hätten. Die Pflegerin beugte sich zu ihm und küsste ihn und sagte, sie hätte ihn ja lieb. „Hast du mich lieb?“ sagte er, „gib mir noch einen Kuss, das war gerade so, als ob meine Schwester mich küsste.“ Die Pflegerin küsste ihn noch einmal, da sagte er lächelnd: „Jetzt wird es mir gar nicht schwer zu sterben, weil ich jetzt weiß, dass mich Jemand lieb hat.“ Hätten wir mehr solche Liebe für die Verlorenen und Bekümmerten, dann würde die Welt bald von uns beeinflusst werden.

Wollen wir nicht heute etwas von dem barmherzigen Samariter lernen? Der Meister sagt: „So gehe hin und tue desgleichen!“ Lasst uns Seine Stimme nicht überhören. Wir Alle können etwas tun. Wenn wir die älteren Leute nicht gewinnen können, dann wollen wir es mit den jungen versuchen. Es ist ein gesegnetes Vorrecht, wenn Gott uns dazu braucht, ein kleines Lamm in das Reich Gottes zu bringen. Wenn wir auch nur das Mittel dazu würden, dass ein Kind gerettet würde, dann würden wir nicht umsonst gelebt haben, und wir würden es hören, des Meisters: „Ei, du frommer und getreuer Knecht!“ Wollt ihr behaupten, eines der Kinder Gottes, die mich heute hören, wäre so schwach oder hätte so wenig Einfluss, dass er oder sie in der nächsten Woche nicht ein kleines Kind für den Heiland gewinnen könnte? Ich glaube nicht, dass unter den Christen, die mich heute hören, auch nur einer ist, der nicht ein Werkzeug in der Hand des Herrn Jesu Christi werden könnte, Ihm noch in dieser Woche irgend eine Seele zu gewinnen. Jedenfalls wäre das das Geringste, was der HErr von uns fordern könnte.

Die Folgen davon aber würden uns jenseits, an den Ufern der Ewigkeit, vielleicht wieder begegnen.

Vor zwei Jahren gründete eine Dame in Edinburgh ein Hospital für verkrüppelte Kinder. Ich fragte sie, ob ihr Werk gesegnet sei. Nie werde ich vergessen, wie da ihr Gesicht aufleuchtete. Sie war in einer unserer letzten Versammlungen in London, und ihr ganzes Gesicht strahlte, als sie uns von einigen interessanten Fällen von Bekehrungen unter den Kindern erzählte. Was ist es für ein köstliches Vorrecht, diese kleinen Jammergestalten in das Reich Gottes zu führen!

Ein kleiner Junge wurde von Fife nach Edinburgh gebracht; da kein Raum mehr im Kinderhospital war, brachten sie ihn ins allgemeine Krankenhaus. Er war erst sechs Jahre alt. Sein Vater war tot, seine Mutter krank, so dass sie ihn nicht pflegen konnte, so musste er nach Edinburgh ins Krankenhaus gebracht werden. Mein Freund, der Rev. (Prediger) George Wilson, ging eines Tages zu ihm und setzte sich an das Bett des kleinen Dulders. Er sagte ihm, dass am Donnerstag der Doktor kommen würde, um ihm sein kleines Bein abzunehmen. Ihr Eltern könnt es euch denken, wie eins unserer Kinder bei diesem Gedanken leiden würde, wenn es, wie dieses, erst sechs Jahre alt, fort von zu Hause im Krankenhaus wäre, und man käme und sagte ihm, an dem und dem Tage würde der Doktor kommen, ihm das Bein abzunehmen. Der kleine Kerl fürchtete sich natürlich auch sehr davor. Der Prediger fragte ihn nach seiner Mutter; er sagte, sie wäre krank und der Vater tot. Der Prediger wollte ihn gern trösten und sagte: „Deine Pflegerin hat dich sehr lieb, sie wird dir gewiss helfen.“ „Ja,“ sagte der kleine Junge, „und vielleicht könnte Jesus mir auch helfen!“ Zweifelt ihr daran? Am nächsten Freitag kam der Diener Gottes wieder in das Krankenhaus, aber er fand das kleine Bett leer. Der arme kleine Junge war heimgegangen, der Heiland war gekommen und hatte ihn an Seine Brust genommen.

Gibt es in dieser großen Stadt nicht Hunderte und Tausende, die der menschlichen Teilnahme bedürfen? Sie würde viel mehr Eindruck auf ihre Herzen machen als die beredtste Predigt. Manch einer wird durch keine noch so talentvolle Predigt an gefasst, aber durch freundlich liebevolle Teilnahme lässt er sich leicht gewinnen.

Der große Dr. Chalmers sagt: „Das Wenige, was ich von der Welt gesehen habe und von der Geschichte der Menschheit weiß, hat mich gelehrt, die Fehler der Menschen voll Mitleid zu betrachten, nicht mit Zorn. Wenn ich mir solch ein armes Herz denke, das gesündigt und gelitten hat, und mir vorstelle, durch wie viel Kämpfe und Versuchungen es hindurch gemusst hat, die kurzen Pulsschläge der Freude und dann die Tränen der Reue, die Schwäche der guten Vorsätze, den Spott der Welt, die kein Erbarmen kennt, die Verzweiflung im innersten Heiligtum der Seele und die drohenden Stimmen im Gewissen; Gesundheit verloren - Glück verloren dann möchte ich gern die irrende Seele meines Mitmenschen in die Hände dessen legen, von dem sie stammt.“

Einige von euch mögen mich vielleicht fragen: Wie soll ich es machen, wahrhafte Teilnahme für die zu empfinden, die da in Not sind? Das ist eine sehr wichtige Frage. Viele Menschen gehen an die Arbeit für den Herrn, aber sie scheinen es in einer gewissen gewerbsmäßigen Weise zu betreiben. Ich will euch sagen, wie man wirkliche Teilnahme bekommt. Mir selbst ist diese Regel immer eine große Hilfe gewesen. Versetzt euch ganz an die Stelle der Bekümmerten und Leidtragenden, für die ihr Teilnahme gewinnen möchtet. Wenn ihr das tut, werdet ihr euch bald ihre Liebe gewinnen, und dann werdet ihr ihnen helfen können.

Vor einigen Jahren hat mich Gott etwas erfahren lassen, das ich nie vergessen werde. Ich war der Vorsteher einer Sonntagsschule mit über 1500 Schülern in Chicago. In den Monaten Juli und August starben sehr viele Kinder, und da die meisten Geistlichen verreist waren, hatte ich sehr vielen Begräbnissen beizuwohnen. Manchmal hatte ich vier bis fünf an einem Tage. Ich war so daran gewöhnt, dass ich es fast ganz mechanisch tat. Ich konnte zusehen, wie die Mutter ihr Kind zum letzten Mal anblickte, und dann der Sargdeckel geschlossen wurde, ohne dass ich auch nur die geringste innere Bewegung empfunden hätte.

Eines Tages, als ich nach Hause kam, sagte mir meine Frau, eines von den Sonntagsschulkindern wäre ertrunken, und die Mutter des Kindes wolle mich sehen. Ich nahm mein kleines Töchterchen mit mir, und wir gingen in das Haus. Den Vater fanden wir betrunken in einer Ecke der Stube. Die. Mutter sagte mir, dass sie außer dem Hause waschen müsse, um für sich und die Kinder das Brot zu verdienen, da der Mann all' seinen Verdienst vertränke. Die kleine Adelheid pflegte ans Wasser zu gehen, um vorbeischwimmendes Holz für das Feuer herauszufischen. Wie alle Tage war sie auch an diesem Tage ans Wasser gegangen; da sah sie ein Stück Holz, das etwas weit ab vom Ufer vorbeischwamm. Als sie sich vorbeugte, um es zu erreichen, glitt sie aus, fiel in das Wasser und ertrank. Die Mutter erzählte mir ihre traurige Geschichte und dass sie gar kein Geld hätte, ein Sterbehemd und einen Sarg zu kaufen, und sie bat mich, ich solle ihr helfen. Ich nahm mein Notizbuch heraus und schrieb mir ihren Namen und ihre Wohnung auf, dann nahm ich Maß zu dem Sarge, um es dem Tischler zu schicken.

Die arme Mutter war sehr bekümmert, aber es schien, als rührte mich das gar nicht. Ich sagte ihr, ich würde bei dem Begräbnis sein, und dann ging ich fort. Mein kleines Töchterchen, die mit mir gewesen war und nun neben mir ging, sagte: „Papa, denk' mal, wenn wir nun sehr arm wären, und Mama müsste unser Brot mit Waschen verdienen und ich müsste nun ans Wasser gehen, um Brennholz für das Feuer zu suchen, und wenn ich dann ins Wasser fiele und ertränke, würde dir das leid tun?“ „Leid tun! Aber, Kind, ich würde nicht wissen, was ich täte. Du bist mein einziges Töchterchen, und wenn du mir genommen würdest, ich glaube, es würde mir das Herz brechen.“ Und ich nahm sie in meine Arme und küsste sie. „Hat dir denn die arme Mutter auch leid getan?“ Wie die Frage mir ins Herz schnitt!

Ich kehrte gleich um, ging wieder zu der Mutter zurück, nahm meine Bibel und las ihr das 14. Kap. des Ev. Johannes. Dann betete ich mit ihr und versuchte sie zu trösten. Als der Begräbnistag kam, ging ich mit hinaus auf den Kirchhof. Ich war jahrelang nicht auf dem Kirchhof gewesen, immer nur am Sarge im Hause der Verstorbenen, ich hatte meine Zeit für zu kostbar gehalten, weil der Kirchhof einige Meilen weit entfernt war. Den Vater fand ich wieder betrunken. In dem Armenviertel war mir ein Grab für die kleine Adelheid angewiesen worden. Als wir den Sarg in das Grab senkten, kam ein anderer Leichenzug, und die Leiche wurde dicht nebenan beigesetzt. Adelheids Mutter sagte als das Grab zugeschüttet wurde: „Herr Moody, es ist sehr schwer, dass sie unter lauter Fremden liegen muss. Ich bin so viel umhergezogen, und wir haben immer unter Fremden gewohnt, und so haben wir uns nie eine eigene Begräbnisstätte anschaffen können. Aber es ist sehr schwer, mein Erstgeborenes so mitten unter lauter Fremden zu begraben.“ Ich sagte mir selbst, dass ich es mir auch recht schwer dächte, mein Kind auf dem Armenkirchhof begraben zu lassen. Jetzt hatte ich volle Teilnahme für die arme Mutter.

Am nächsten Sonntag erzählte ich den Kindern, was geschehen war. Ich schlug vor, wir wollten einen Sonntagsschul-Begräbnisplatz kaufen, und wenn irgendein Kind aus der Sonntagsschule stürbe, brauchte es nicht auf dem Armenkirchhof begraben zu werden, sondern auf unserm eigenen Platze. Noch ehe die Kaufurkunde aufgesetzt werden konnte, kam eine Mutter und bat, ob wir ihr kleines Mädchen, das eben gestorben war, auf unsern Platz begraben wollten. Ich sagte ihr, ich würde die Erlaubnis erwirken. Ich ging zum Begräbnis, und als wir den kleinen Sarg einsenkten, fragte ich nach dem Namen des Kindes. Sie hieß Emma. So hieß nun auch mein eigenes kleines Mädchen, und ich konnte nicht anders, ich musste weinen bei dem Gedanken, es könne meine eigene Emma sein. Meint ihr, ich hätte keine rechte Teilnahme für die Mutter fühlen können? Bald darauf kam eine andere Mutter und wollte ihr verstorbenes Kind bei uns begraben lassen. Sie sagte mir, sein Name wäre Willy gewesen. Nun war das auch der Name meines einzigen Jungen, und ich dachte mir, wie es sein würde, wenn mein Willy gestorben wäre. So hatten die ersten beiden Kinder, die ich dort begrub, die Namen meiner beiden Kinder. Ich versuchte mich an die Stelle der trauernden Mütter zu versehen, und dann wurde es mir leicht, ihre Gefühle mitzuempfinden.

Als ich vor neun Jahren nach Chicago zurückkehrte, war mit das Erste, was ich tat, dass ich hinausfuhr auf unsern Kinderkirchhof. Ich glaubte, er würde viele Jahre vorhalten, aber er war schon fast ganz voll. Viele, viele kleine Kinder liegen dort und warten auf ihre Auferstehung, und ich möchte wohl neben ihnen begraben werden.

Liebe Freunde, wenn ihr recht echte Teilnahme für Andere gewinnen wollt, dann versetzt euch an ihre Stelle. Gott aber wolle unsere Herzen mit dem Geist des barmherzigen Samariters füllen, so dass wir erfüllt sein möchten von Freundlichkeit, Liebe und Mitleid.

Ich möchte euch ein Motto nennen, das mir immer von großem Nutzen gewesen ist. Es ist das Lebensmotto eines Quäkers: „Ich werde nur einmal durch dieses Leben gehen, wenn ich also irgendeinem Mitmenschen irgendeine Freundlichkeit oder etwas Gutes erweisen kann, dann will ich es gleich tun, ich will es weder verschieben noch vernachlässigen, denn ich werde dieses Weges nie wieder kommen.“

Soll ich meinen Bruder lieben,
Soll ich fühlen seinen Schmerz,
Mit ihm weinen, wenn er weinet,
Fröhlich teilen Freud' und Scherz,
Stets als Bruder ihm begegnen
Und ihm öffnen Haus und Herz;

Soll ich willig mit ihm tragen
Seine Last, als wär sie mein,
Und ihm auch im tiefsten Leiden
Trost und feste Stütze sein,
Gern und treu zum Dienst der Brüder
Meinem HErrn mein Leben weihn:

Jesu, lass zu Deinen Füßen,
Diese Kunst erlernen mich,
Denn ich kann nur Liebe lernen,
Wenn ich schaue, HErr, auf Dich,
Der aus Gnade für uns Menschen
Liebend selbst gegeben Sich!

HErr, lass Dir mich ähnlich werden,
So wie ich im Geist Dich seh';
Deinen Geist wollst Du mir geben
Und ein Herz für fremdes Weh,
Dass ich Dir, mein Haupt und Heiland,
Folge, wo ich geh' und steh'!

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autoren/m/moody/moody-wer_ist_mein_naechster.txt · Zuletzt geändert: von aj
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