Krummacher, Gottfried Daniel - Die Wanderungen Israels durch die Wüste nach Kanaan (Rimon-Parez)
Dreißigste Predigt.
Fünfzehnte Lagerstätte: Rimon-Parez.
4. Buch Mosis 33,19.
Lasst uns auch dieses Jahr in unseren Frühpredigten fortfahren, die Kinder Israel auf ihrem Zuge durch die Wüste nach Kanaan, mit unseren Betrachtungen zu begleiten, und mit ihnen gedenken all des Weges, den der Herr unser Gott sie die 40 Jahre hindurch geführt hat, wie ihnen 5. Buch Mos. 8,2. geboten wird, welches uns an manche Wege erinnert, die auch wir gemacht haben oder noch machen.
Seit zwei Jahren ohngefähr sind sie auf der Reise nach einem Land, das sie in so viel Wochen mit weit weniger Ungemach hätten erreichen können, wäre es ihnen erlaubt gewesen, ihren Weg nach der Vernunft selbst zu wählen und einzuschlagen, nicht aber zu folgen, wohin die Wolkensäule sie führte. Alsdann hätten sie nicht bald Hunger, bald Durst zu leiden nötig gehabt, dann hätte ihnen nicht Brot vom Himmel zu regnen, noch Wasser durch ein fortwährendes Wunder aus einem geschlagenen Felsen gegeben zu werden brauchen. Dann hätten sie nicht nötig gehabt, so abhängig vom Herrn zu leben, und hätten weder Ihn, noch sich selbst so kennen gelernt. Dann wären sie nicht so und dermaßen gepanzerfegt worden, wie es jetzt geschah, dann wären aber auch tausend göttliche Absichten nicht erreicht worden, deren mehrere in dem angeführten Kapitel angegeben werden. Wie seltsam und widersinnig es auch dem Anschein nach ging, so lag doch das zum Grunde, was der größte Prophet des alten Bundes 5. B. Mos. 32. sang: Er führte Israel und behütete ihn, wie seinen Augapfel. Wie ein Adler ausführt seine Jungen und über ihnen schwebt, so der Herr, der seine Fittiche ausbreitete, sie nahm und auf seinen Flügeln trug; denn Jakob war sein Erbe und des Herrn Teil sein Volk. Der Herr allein leitete ihn. –
Ganz nahe sind wir an Kanaans Grenze vorgerückt, und diese 15te Lagerstätte liegt nebst der 16ten mit Ritma, der 14ten Lagerstätte in gleicher Entfernung vom verheißenen Land, wie jede dieser drei Lagerstätten auch gleich weit, d.i. 1 1/2 Meilen von einander entfernt sind. Wollten wir fragen, was das denn groß habe nützen, oder was für irgend bedeutende Zwecke durch eine so geringe Ortsveränderung haben erreicht werden mögen, da doch die kleinste Ortsveränderung mit sehr großen Umständen, wegen Abbrechung und Wiederaufrichtung des Lagers verknüpft war: so müssen wir uns mit der Antwort Elihus begnügen: Er gibt keine Rechenschaft von seinem Tun, und unsere Gelehrsamkeit in dem Bekenntnis unserer Unwissenheit, so wie unsere Frömmigkeit darin setzen, uns Ihm ganz und ohne Widerrede zu übergeben, ohne immer zu fragen, warum und wozu? Lass deinen Augen meine Wege wohlgefallen! Nur Liebe ist’s, die uns regiert, und uns bald so, bald anders führt. Es muss uns sein zum Ziel gesegnet.
Stets Kanaan im Gesicht, dauerte bei ihnen die Hoffnung fort: die Wolkensäule werde sie durch eine kleine Schwenkung rechts, vollends ins himmlische Erbteil führen. Auch der Christen Weg ist manchmal wie an Kanaans Grenzen. Sie genießen unaussprechliche Mitteilungen und Einflüsse des heiligen Geistes. Es strahlt ihnen ein Licht, dass sie mit Jakob sagen können: ich habe den Herrn von Angesicht gesehen, und meine Seele ist genesen. Selbst zu seinen Füßen ist es wie ein schöner Saphir, wie die Gestalt des Himmels, wenn es klar ist. Es durchgeht sie ein Friede Gottes, der wirklich höher ist, als alle Vernunft, und ihr Herz und Sinne bewahrt in Christo Jesu. Sie spüren ein solches Einverständnis, eine solche Übereinstimmung mit Gott, dass ihre ganze Seele zu allem ja sagt, und wie ein unmündiges Kind in seinen Armen, ja, ihm in der Mutter liegt, und sich von ihm heben und tragen lässt. Es ist ein Glaube, ein Vertrauen da durch Christum zu Gott, dass sie mit dem Dichter sagen dürfen:
Die Sonne muss noch eh von Glut und Schein
Beraubet, in des Abgrunds Kluft sich senken,
Ob ich von Jesu werd geschieden sein,
Und eh Er, meiner wird nicht mehr gedenken.
Alle Schatten des Zweifels verkriechen sich vor diesem Licht. Der heilige Sinn macht den Meister in dem inneren Hause, und stößt die Magd aus samt ihrem Sohne. Der alte Mensch muss sich unters Joch schmiegen und bluten unter dem Opfermesser, ja, Josuas Fuß tritt Kanaans Königen so auf den Nacken, dass sie sich kaum noch regen. Die Liebe durchgeht wie ein sänftigendes Öl das ganze Gemüt, und übt ihre sanfte und mächtige Kraft in Abstoßung aller Herbigkeit. Sie verzeiht, sie duldet alles. Ist er im Leiden – das Herz schmiegt sich unter alles mit freundlicher Gelassenheit. Das ganze Joch Jesu wird sanft, seine ganze Last leicht. In seinem ganzen Dienst ist nichts Schweres noch Beschwerliches und so schwört das ganze Herz mit Freuden, dass es die Rechte seiner Gerechtigkeit halten will, und hält sie auch wirklich. Die Welt mit allem, was drinnen ist, wird ganz unbedeutend, groß aber die Sehnsucht, um vollends bei dem Herrn daheim zu sein.
So findet sich’s manchmal bei christlichen Kranken nicht nur, sondern auch bei Gesunden. Jene sehen da wohl mit Sehnsucht ihrer wahrscheinlichen Auflösung entgegen. Sie freuen sich, dass sie nun bald ihren Wanderstab nieder- und die Hülle ablegen können, in welcher sie auf so mannigfache Weise beschwert wurden; dass nun bald der Leib der Sünde aufhört, der sie so oft ausrufen ließ: ach! ich elender Mensch! dass es nun bald wird heißen können: wir sind dem Strick des Voglers entgangen, der Strick ist zerrissen, der Vogel ist frei. Und siehe, es heißt: zurück! Die körperliche Genesung stellt sich ein, und sie müssen wieder zurück in die arme Welt, zurück in den Streit, zurück auf den Kampfplatz. Das dünkt ihnen denn wohl hart, dass sie von dem nahen Kanaan wieder Abschied nehmen sollen und ihr Schiff beim Eingang in den Hafen, wieder in die offenbare See zurückgeschlagen wird. –
Diese reichlich Getrösteten und Beschenkten rechneten auch wohl mit Hiob darauf, von nun an in ihren bequemen Nestchen zu bleiben, was die Schwalbe gefunden. Sie denken nicht anders, als der Stand der Buße sei durchgemacht, und der Friede, den sie jetzt genießen, werde sein, wie ein Wasserstrom, da ihre Gerechtigkeit ist wie des Meeres Wellen. Und siehe! es heißt: zurück! unter das Gesetz, in die Buße, in die Armut, da sie darauf rechneten, es würde stets vorwärts heißen, von Glauben in Glauben, von Kraft zu Kraft. Jedoch gehts auch immer vorwärts. Abnehmen ist auch Wachstum. Indem man schwach wird, kann man an Stärke zunehmen. Übrigens geht’s an einem ganz anderen Ort in Kanaan hinein, als wo mans meinte, und es ereignen sich ganz andere Dinge, als man anfangs vermutete.
Zwei Jahre, wie gesagt, sind die Kinder Israel auf ihrer Wallfahrt. Während dieser Zeit hat sich ungemein viel und höchst merkwürdiges zugetragen, und sie sind bis an die Grenze Kanaans gekommen; jetzt aber entfernen sie sich wieder von demselben, schwenken sich erst rechts hinauf, als sollten sie nun auf der geraden Straße in das verheißene Land einziehen; sodann gehts aber wieder links, als sollte es nach Ägypten gehen. Sie kommen zu Thahat, quer über den Weg, den sie schon einmal gemacht haben, nähern sich jetzt wieder dem verheißenen Lande, entfernen sich dann aber wieder davon, und müssen herunter bis nach Ezeongeber am roten Meer. Von da geht’s wieder ein wenig auf das liebe Land zu, bis gen Hor, wo Aaron stirbt und die Moabiter sie nötigen, wieder umzukehren. Sie ziehen abermals wieder bis nahe ans Meer, und dann geht’s endlich in ziemlich gerader Richtung auf Kanaan los, in welches sie dann, nachdem bis auf Josua und Caleb alle gestorben, die aus Ägypten gezogen waren, durch den Jordan – auf deutsch: Strom des Gerichts – nach einer 40jährigen Wanderung glücklich einzogen. Wunderbare, rätselhafte Führung! Wer kann’s ergründen! Viel zu fragen, wenig zu antworten. Nicht weniger wundersam ist es, dass von nun an 18 Lagerstätten hindurch, bis gen Hor, von den Wanderungen Israels, seinen Begegnissen und seinem Verhalten durchaus nichts gemeldet wird, als die Namen dieser Lagerstätten, obschon darüber ein Zeitraum von wenigstens 35 Jahren hingeht. Es fiel freilich auch wohl nichts merkwürdiges vor. Alles ging so im gewöhnlichen Gleise. Das Volk war durch das letzte erschreckliche Ereignis zu Ritma, da die Erde unter den Füßen der aufrührerischen Rotte riss, für eine lange Zeit eingeschüchtert und gedemütigt. Sonst fiel täglich das nötige Manna vom Himmel, was ihnen etwas ganz gewöhnliches wurde; das Wasser quoll stets aus den Felsen, welcher mitfolgte, welches war Christus, und sie wunderten sich auch darüber nicht mehr, wie denn die göttlichen Wohltaten durch ihren täglichen Genuss wenig oder gar nicht geachtet werden. Ihre Schuhe zerrissen nicht, ihre Kleider veralteten nicht. Es war ein höchst einförmiges Wesen, in welches sie sich schickten, so gut es ging. Besonders Neues fiel nichts vor, als dass sie von Zeit zu Zeit auf den Wink der Wolken- und Feuersäule ihre Hütten abbrechen, ihre Lagerstätte verändern, ihre Hütten wieder aufschlagen mussten, ohne zu wissen warum oder wozu, ohne zu wissen, ob sie sich Kanaan näherten, oder sich davon entfernten. Sie sollten ohne Willen, ohne Wahl, ohne Einsicht sein, sich nirgends festsetzen und auch nirgends forteilen, sondern in gänzlicher Abhängigkeit leben, ruhen, wenn dies, reisen, wenn das des Herrn Wille war, abbrechen, einpacken, forttragen, auspacken und wieder aufrichten, und so dem Herrn nach Seinem und nicht nach ihrem Gutfinden dienen. –
Wir bemerken dabei folgendes:
- die Gläubigen scheinen wohl einmal wie vergessen, teils von anderen Christen, die sie nicht besuchen, sich nicht nach ihnen umsehen, keine Teilnahme, kein Mitleid bezeugen, und dies fällt schmerzhaft; oder sie fühlen sich auch einsam, weil sie keinen finden, gegen welchen sie ganz offen sein könnten. Ich bin wie ein einsamer Vogel auf dem Dache, klagt David Ps. 102., oder gar wie eine Nachteule, worüber sich die anderen Vögel hermachen. Mein ist vergessen, wie eines Toten. Heman klagt: Gott mache, dass seine Freunde, Nächste und Verwandte sich ferne von ihm tun, um seines Elendes willen. So lange er nun noch mit Assaph sagen kann: du bist dennoch meines Herzens Trost – geht’s noch wohl an. Aber wie schmerzhaft ist es, wenn es das Ansehen gewinnt, als habe der Herr die Seele vergessen. So klagt Zion Jes. 49. und David fragt Ps. 13.: wie lange willst du mein so gar vergessen? und Ps. 42., warum hast du mein vergessen, während ich so traurig hingehe und mein Feind mich drängt. Im 44. Psalm pocht er lebhaft bei dem Herrn an, wenn er sagt: wache auf, Herr, warum schläfst du? warum vergisst du unseres Elends und unseres Dranges? denn unsere Seele ist zur Erde niedergebeugt, unser Bauch klebt am Erdboden. Und wenn es 1. B. Mos. 8. heißt: da gedachte Gott an Noah, so lautet das ja gerade, als ob er sein, während er in der Arche war, vergessen gewesen wäre. Da geht denn alles über den Jakob her. Sein Zaum ist zerbrochen, dass alles ihn zerreißt, was vorübergeht, wie Assaph im 80. Ps. sagt, so dass das Herz nicht anders denkt, als dies und jenes würde sich nicht ereignen können und dürfen, wenn der Herr sich nur in etwa um seine Angelegenheiten bekümmere, und sie regiere. Er scheint, wie der angeführte Psalm sagt, gar zu zürnen über dem Gebete seines Volks, und bittere Dinge wider dasselbe zu schreiben, wie Hiob spricht. Der Herr aber spricht: kann auch ein Weib ihres Kindleins vergessen, dass sie sich nicht erbarme über den Sohn ihres Leibes? Und ob sie desselbigen vergäße, so will ich doch dein nicht vergessen. Siehe, in die Hände habe ich dich gezeichnet. Zur rechten Zeit geht es wieder, wie es 5. B. Mos. 2,4. heißt: der Herr hat dein Reisen durch die große Wüste zu Herzen genommen, und ist 40 Jahre bei dir gewesen, dass dir nichts gemangelt hat, auch das Kreuz nicht, desto süßer ist dann sein Andenken.
– Bis zu einer gewissen Zeit können viele begnadigte Seelen alles umständlich erzählen und beschreiben, was in und mit ihnen vorgeht, dass sie mit dem 66. Ps. sagen: kommt her, alle, die ihr Gott fürchtet, hört zu, ich will erzählen, was er an meiner Seele getan hat. Sie wären im Stande und geneigt, ihr Leben und ihre innere Führung von Stufe zu Stufe zu beschreiben, um auch andere dadurch zu belehren und zu erbauen. Sie sind im Stande, ihre Kämpfe, die Art ihres Streitens, ihre Wirksamkeit, ihre Siege, ihre Tröstungen, ihre Missgriffe umständlich darzustellen, wie eins aufs andere folgte. Mehrenteils aber verliert sich diese Fertigkeit in der Folge; das Rimon-Parez stellt sich ein, wo wenig mehr zu sagen vorfällt, und das Mannigfache sich einfacher gestaltet; entweder ragt es nicht mehr so hervor, oder es ist mehr geistig, oder nicht mehr so neu und auffallend. Man fängt auch an, anders zu rechnen und Vieles anders anzusehen, wie früher.
– Mit der Zeit verlieren sich auch wohl gewisse Gaben, die sonst den Christen zierten, z.B. die Gabe des Gedächtnisses und der Mitteilung, wodurch jemand im Stande ist, den Inhalt ganzer Predigten aufzufassen, und auf eine angenehme Weise wieder mitzuteilen, die Gabe der Belebtheit, wo alles eine interessante Lebendigkeit und etwas Ergreifendes hat, sei es in Wehmut oder Freude, wo das Gemüt auf die eine oder andere Weise kräftig aufgerecht wird, so dass entweder das Angesicht von Heiterkeit erglänzt, oder die Liebe zu dem Herrn sich in süßen Tränen Luft macht. Das Lesen, das Hören des göttlichen Wortes, der Genuss des heiligen Abendmahls, die Betrachtung der Leiden Christi, das Gebet kann die Seele in eine Art von Entzückung versetzen, dass sie mit Johannes sagen möchte: ich war im Geist an des Herrn Tag. Aber dies kann sich verlieren, so dass er das nicht mehr kann, oder auch das nicht mehr so genießt, wie früher und auch selbst den Geschmack nicht mehr daran findet, sondern mehr trocken wird. Aber meine Gnade ist dir genug, und meine Kraft ist in den Schwachen mächtig. Jesus wills allein sein. Er entzieht auch nichts, ohne es nachher veredelt wieder zu verleihen. Man gefällt sich auch leicht in den Gaben, und vergisst des Gebers. An deiner Gnad allein ich kleb. Israel zog ohne Brot und Wasser durch die Wüste. Der Herr war ihm statt des allen, und so litte es nie Mangel, oder wenn es je Mangel litt, geschah es nur zu dem Ende, des Herrn Allgenugsamkeit in neuen Beweisen zu sehen. –
Von nun an verlässt uns also die Geschichte von den Reisen Israels. Wir haben nichts davon als Namen, bis wir nach Kades kommen, der 32ten Lagerstätte, dessen ungeachtet kann ich von deren weiteren Bedeutung nicht wohl abstehen, wiewohl ich dieselbe nur an ein einzelnes Wort und dessen Bedeutung anknüpfen muss. Der Herr wolle sich das Gespräch unseres Mundes um Christi willen gefallen lassen und es heiligen, uns freundlich dabei leiten, und es zu unserer Belustigung und Erbauung ferner segnen. Wir haben nun einmal unsere Freude daran, die wir Niemand aufdringen, sie uns doch aber auch nicht verkümmern lassen. –
Diese 15te Lagerstätte, die noch an der Grenze Kanaans liegt, heißt Rimon-Parez, dies Wort heißt: ein aufgeschlitzter Granatapfel. Der Granatapfel ist eine Frucht, die nur in wärmeren Gegenden gedeiht, als unsere nördlichen, und die wir nur aus Abbildungen kennen; die heißen Länder Europas und Asiens bringen sie hervor. Sie ist ein großer Apfel von grün und gelblichter, dicker und harter Schale, angefüllt mit hochroten, saftigen Beerlein, welche herausgedrückt, einen angenehmen, kühlenden, den Durst löschenden, und Kranken, wie Gesunden wohltätigen Genuss gewähren. Ist er reif, so zeigen sich diese rote Beerlein durch einen Ritz, welches sich sehr lieblich ausnimmt. Der Granatapfel ist also etwas Schönes, und ein Bild des Schönen. Am Gewande des Hohenpriesters befanden sich künstliche Granatäpfel, und goldene Schellen zwischen denselben, die bei seinem Gange im Heiligtum tönten, damit des Volkes vor dem Herrn in Gnaden gedacht würde. Sie hingen unten um seinen himmelblauen Mantel und waren aus himmelblauer, purpur- und scharlachroter Wolle verfertigt. Sie bildeten ab die Früchte der Gerechtigkeit des wahren Hohenpriesters Jesu Christi. Wie der Granatapfel in seiner harten, herben, aber wohlriechenden Schale seine liebliche Frucht umschließt, welche reizend aus dem Ritz hervorblickt, so liegt in dem bitteren Leiden Christi ein wohlriechendes Opfer, eine geistliche Speise, wodurch wir gestärkt werden in dem geistlichen Leben, ein erquickender Trank, der das schmachtende Herz mächtig labt. Die Gerechtigkeit Christi, die uns durch die goldenen Glöcklein des Evangelii angepriesen wird, bringt auch in denen, die ihr Getöne vernehmen, Früchte hervor, vom lieblichsten Geruch und Geschmack. Das Himmelblau erinnert, an die himmlische Quelle, der Scharlach an den Ursprung in dem Blut Jesu Christi, der Purpur an seinen hohen Wert und würdigmachende Kraft. –
Granatäpfel sind etwas Schönes und ein Bild des Schönen. Wenn der himmlische Bräutigam die Schönheit seiner Braut und Kirche schildern will, und sie nun erst im Allgemeinen, dann in einzelnen Stücken als schön preist, so sagt er insbesondere von ihren Wangen: sie sind wie ein Ritz am Granatapfel. Auf dem Wege nach Kanaan kommt gewiss viel Schönes vor, mag es den Wandersleuten auch nicht immer so klar vorschweben. Wie viel Schönes liegt sogar schon in ihren Leiden, so dass sie sich auch der Trübsal rühmen, wenigstens, wenn sie vorüber ist, sagen: ich danke dir, dass du zornig gewesen bist und tröstest mich wieder, dass du mich treulich gedemütigt hast. Und dienen sie nicht dazu, eine Ähnlichkeit mit der höchsten Schönheit – mit Jesu Christo hervorzubringen, so dass Paulus die Ähnlichkeit seines Todes und die Gemeinschaft seiner Leiden nicht weniger begehrt, als mit hinanzukommen zur Auferstehung von den Toten, und gewissermaßen prahlt: er habe mehr gelitten, als andere, und trage die Malzeichen Jesu Christi an seinem Leibe. – Wie viel Schönes erblickt man oft an Kindern Gottes:
Du weißt, wie mich’s oft erquicket,
Wenn ich Seelen hab’ erblicket,
Die sich gänzlich weihen Dir.
Ich umfasse all die Deinen,
Die Dich lieben, die Dich meinen,
O! wie köstlich sind sie mir!
Was für geistliche Schönheiten entdeckt die Seele in dem Worte Gottes! Von allen Seiten fühlt sie sich auf die angenehmste Weise angezogen, und findet oft hinter den am wenigstens versprechenden Blättern die köstlichsten Früchte. Was da gesagt wird, ist ihr nicht nur köstlich, sondern auch die Art und Weise, wie es gesagt oder angedeutet, klar gezeigt oder verhüllt wird, bewundernswürdig und entzückend. Kein Wunder, wenn jener Kämmerer auch in seinem Wagen die Schrift las, und was für Schönheiten entdeckte er in dem, ihm früher so dunklen 53. Kapitel Jesaja, als im Philippus den Ritz am Granatapfel sehen ließ. Was für Entzücken oder Schönheiten stellen sich ihm in dem Bundesgott dar: in seiner Liebe, die allen Verstand übersteigt, und die uns nicht in ihrem vollen Glanze ins Gemüt dürfte strahlen, oder der Atem würde uns ausgehen; in seiner Treue, die auch dann fortdauert, wenn wir untreu sind, dass ehe Berge weichen und Hügel hinfallen sollen, ehe seine Gnade von uns weicht und der Bund seines Friedens hinfällt; in seiner Barmherzigkeit und Gnade, die Missetaten, Übertretungen und Sünde vergibt. O! du alte und neue Schönheit! rief Augustinus aus, warum habe ich dich so spät erkannt! – Und was für Schönes enthält sein Gnadenbund, der, wie David 2. Sam. 23. sagt, ewig ist, worin alles wohl geordnet und gehalten wird, wiewohl all mein Heil und Tun ist, dass nichts wächst. Ein Bund, der nichts fordert und alles schenkt, der aus lauter Verheißungen besteht, der nie wieder gebrochen wird! O! öffne mir die Augen! Lass mich deine Herrlichkeit sehen! Geht und beseht euch die Herrlichkeit der Erde, die Pracht der Gebäude, die Wunder der Malerei, ergötzt euch an der Pracht der Farben, an der Schönheit der Gewänder – wenn wir nur Ihn sehen und seinen Bund, so genügt uns ewiglich. –
Und was ist es, den Schönsten unter den Menschenkindern zu sehen! Die Braut im Hohenlied ruft über ihn aus. Alles was an ihm ist, ist höchst begehrenswert. Was lässt sich schöneres sehen, als die schlechte Krippe, und in derselben das höchste Gut, den uns gegebenen Sohn, das uns geborene Kindlein, dessen Herrschaft ist auf seiner Schulter, der da heißt: Wunderbar, Rat, Kraft, Held, Ewig Vater, Friedefürst. Wo ist etwas so Schönes zu sehen, als der Mann der Schmerzen am Kreuz, wo er für uns zum Fluch wird, um uns den Segen zuzuwenden, wo er uns mit Gott versöhnt, wo die Handschrift unserer Sünden aus dem Mittel getan, wo unser alter Mensch gekreuzigt und getötet, wo die ewige Gerechtigkeit angebracht wird. Reiht sich nicht daran die Schönheit seiner Auferstehung und seiner Himmelfahrt, die uns ihn als denjenigen offenbaren, der wirklich alles, und uns in sich selbst vollendet hat? Was kann Schöneres erdacht werden, als dass dieser Eine, unsere Gerechtigkeit, unsere Kraft, unser Alles ist! Wollt ihr was Schönes sehen, so geht heraus und schaut an, ihr Töchter Zions, den König Salomo in seiner Krone Hohel. 3. –
Und wie herrlich ist der wichtige Umstand, dass seine Gemeine, in sich selbst so ungestalt, in ihm so vollkommen, so ohne Flecken, Runzel und Tadel, so heilig und unsträflich, so schön ist, dass Er in dem genannten geheimnisvollen Buch zu ihr sagt: Du bist allerdinge schön und kein Flecken an dir, ja, sie auch selber Mut genug gewinnt, in einem gläubigen Echo zu erwidern: ich bin lieblich. Ach! dergleichen fällt in Rimon-Parez vor, wo der Ritz am hohenpriesterlichen Granatapfel sich zeigt. Wer lagerte da nicht gerne? –
Granatäpfel sind was Köstliches und Vortreffliches, deswegen brachten jene Kundschafter sie auch neben den köstlichsten Weintrauben aus Kanaan, den Kindern Israel als Beweise der Kostbarkeit des Landes entgegen, und deswegen dienten sie auch zur Zierde des hohenpriesterlichen Mantels. Wenn die Braut im Hohenlied ihrem Freunde, den sie ihren Bruder nennt, das allerkostbarste vorsetzen will, so nennt sie Kap. 8,2. den Most ihrer Granatäpfel. Und haben wir nicht so eben die allerkostbarsten Güter genannt? Wie teuer seid ihr erkauft! Für was für einen Preis vom unnennbarsten Wert ist euch Vergebung, Gerechtigkeit, Leben geworden, nämlich durch das Blut Jesu Christi. Wie köstlich dabei ist es, dass der Heilige Geist uns das zueignet, da wir’s sonst nie erlangen würden, dass er uns erst zeigt, wie sehr wir’s bedürfen, dass er uns sodann so begierig darauf macht, dass wir durchaus Teil daran haben müssen und wollen, dass er uns endlich den Glauben schenkt, wodurch wir’s annehmen, und dass er sodann bei uns bleibt ewiglich. Er macht das Heil in Christo Jesu, und die Tüchtigmachung zu dem Erbteil der Heiligem im Licht so kostbar, dass man sich sehr gern selbst verleugnet, sein Kreuz auf sich nimmt und Jesu folgt. –
Sind Granatäpfel kühlend, erquickend, erfrischend für den Körper – ach! welch ein Labsal kann der Heilige Geist der schmachtenden Seele geben, und gibt’s ihnen von Zeit zu Zeit wirklich, dass sie sagen kann: der Durst ist hin, wie bin ich so erquickt! Ja, es sind dieser Granatäpfel noch vorhanden, euch zu laben, ihr bekümmerte Seelen. Müsst ihr euch eine Zeitlang zu Ritma, unter den Wacholdern aufhalten, und wohl lange daselbst verweilen: die Wolkensäule setzt sich doch wieder in Bewegung, euch nach Rimon-Parez zu leiten, wo ihr Most von Granatäpfeln findet. Seid ihr daselbst gelagert, so freut euch, wisst aber, es ist Kanaan noch nicht. Es folgen noch andere Lagerstätten. Ihr müsst ans rote Meer des Blutes Christi, usw. – Granatäpfel sind für jedermann dienlich, und sie mögen in allen Umständen genossen werden. Dies gilt im allerhöchsten Sinne von den hohenpriesterlichen Granatäpfeln des Verdienstes Jesu Christi. Sie sind für euch alle heilsam, ja notwendig und unentbehrlich. Ohne sie kann euch alle Gesundheit, Reichtum und Ehre auf die Dauer nichts nützen, mit ihnen wird euch Alles zum Segen. Sei wer und was du willst, versäume diese kostbare Frucht nicht, was du etwa auch sonst möchtest vernachlässigen wollen oder müssen. Zwar wird dir anfangs die herbe, zusammenziehende, dicke Schale etwas zu schaffen, und vielleicht deine Zähne stumpf machen. Aber scheue das nicht. Was hat man ohne Mühe? Begib dich in die Arbeit der Buße, kämpfe den guten Kampf, ringe mit Gott in ernstlichem Gebet. Lasse ihn nicht, bis er dich segnet. Musst du da, wenn’s sein soll, eine Zeitlang traurig sein, oder gar dich ängsten. Es wird dich nie gereuen, gereuen aber wird es dich, wenn du dich nicht also verhältst. Obschon die Schale bitter schmeckt, der süße Kern inwendig steckt. Hast du genug getrauert, gesucht, angeklopft – so wird sich dir der Ritz am Granatapfel zeigen, ja, dir die erquickende Frucht zu Teil werden, und du so an dir selbst gewahr werden, was das Lager zu Rimon-Parez bedeutet.
Er erquicke mich mit Äpfeln, sagt die Braut im Hohenlied, und sieht mehrmals nach, ob die Granatbäume grünen. Er grüne allen bekümmerten Seelen, und erquicke sie in Durst, Kampf und Hitze. Der Klang der goldenen Schellen des Evangelii verkünde uns den Hohenpriester, dessen Gerechtigkeitsbaum die Granatäpfel trägt, und seine Frucht sei unseren Kehlen süße. Amen.