Körber, Emil - Siehe, das ist Gottes Lamm! - Siehe, dein König kommt zu dir!

Körber, Emil - Siehe, das ist Gottes Lamm! - Siehe, dein König kommt zu dir!

(I. Advent 1873.)

Text: Matth. 21, 1-11.

Da sie nun nahe bei Jerusalem kamen gen Betphage an den Ölberg, sandte Jesus seiner Jünger Zwei, und sprach zu ihnen: Geht hin in den Flecken, der vor euch liegt, und bald werdet ihr eine Eselin finden angebunden, und ein Füllen bei ihr; löst sie auf, und führt sie zu mir. Und so euch Jemand etwas wird sagen, so sprecht: Der Herr bedarf ihrer; so bald wird er sie euch lassen. Das geschah aber alles, auf dass erfüllt würde, das gesagt ist durch den Propheten, der da spricht: Sagt der Tochter Zion: Siehe, dein König kommt zu dir sanftmütig, und reitet auf einem Esel, und auf einem Füllen der lastbaren Eselin. Die Jünger gingen hin, und taten, wie ihnen Jesus befohlen hatte; und brachten die Eselin, und das Füllen, und legten ihre Kleider darauf, und setzten ihn darauf. Aber viel Volk breitete die Kleider auf den Weg; die andern hieben Zweige von den Bäumen, und streuten sie auf den Weg. Das Volk aber, das vorging und nachfolgte, schrie und sprach: Hosianna dem Sohne Davids; gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn! Hosianna in der Höhe! Und als er zu Jerusalem einzog, erregte sich die ganze Stadt und sprach: Wer ist der? Das Volk aber sprach: Das ist der Jesus, der Prophet von Nazareth aus Galiläa.

Du Tochter Zion, freue dich sehr, und du Tochter Jerusalem, jauchze; siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer, arm, und reitet auf einem Esel und auf einem jungen Füllen der Eselin! So hat der Seher Sacharja schon fünfhundert Jahre vor Christus frohlockend ausgerufen im Blick auf den Einzug des Heilandes in Jerusalem; und dieser Freudenruf der Weissagung hat in der Geschichte unsers Textes seine selige Erfüllung gefunden. Darum schreibt Matthäus: Das geschah aber Alles, auf dass erfüllt würde, das gesagt ist durch den Propheten, der da spricht: Sagt der Tochter Zion: siehe, dein König kommt zu dir sanftmütig und reitet auf einem Esel und auf einem Füllen der lastbaren Eselin. Ja, meine Lieben, die Weissagung hat sich erfüllt, herrlich erfüllt, buchstäblich und wörtlich erfüllt bis ins Kleine und Einzelne. Aber noch heute erfüllt sich das Wort des Propheten geistlich; noch heute gilt es: Sagt der Tochter Zion: siehe, dein König kommt zu dir! Noch heute hält Jesus Christus Einzug in der Welt, in der Kirche, in den Häusern und Herzen. Er kommt in seinem Geiste, er kommt in seinem Worte, er kommt in den heiligen Sakramenten. Er kommt unsichtbar und unscheinbar, nicht im Sturm, nicht im Feuer, sondern im stillen sanften Säuseln. Aber wo er kommt und Einzug hält, da kommt mit ihm der Himmel, Friede und Freude im heiligen Geist, Leben und volle Genüge; da heißt es noch heute: Du Tochter Zion, freue dich sehr; und du Tochter Jerusalem, jauchze!

O Welt, höre es: dein König kommt zu dir! Ja Jesus Christus ist auch dein König, obwohl du ihm den Rücken kehrst, und in deinem Herzen sprichst: ich will nicht, dass dieser über mich herrsche. Er ist dennoch dein König, dem du Alles zu danken hast, der dir Leben und Odem und Alles gibt. Du aber empörst Dich gegen deinen Herrn und Gott und lebst in offener Rebellion gegen ihn; du trägst die Waffen gegen den Allmächtigen, indem du seine Gaben missbrauchst, sein Wort verachtest, seine Sakramente mit Füßen trittst. O Welt, höre doch einmal die Adventsbotschaft: siehe, dein König kommt zu dir! Nimm diese Kunde recht zu Herzen, tue Buße im Staub und in der Asche, beuge dich unter deinen rechtmäßigen König Jesus Christus, und schüttle die Tyrannen und Fronvögte der Sünde von dir.

Und du, Kirche des Herrn, höre beim Anfang des neuen Kirchenjahres aufs Neue die Freudenkunde, welche schon seit achtzehnhundert Jahren dir verkündigt wird! Lass dein Herz vor Freude beben, singen und springen! Der alte Gott lebt noch; Jesus Christus lebt noch; Er, das unsichtbare Haupt der Kirche, sitzt und thront zur Rechten des Vaters und kommt als dein König zu dir! Die Kirche hat freilich gegenwärtig betrübte und traurige Tage. Der unsinnigste Aberglaube, der einem abgelebten sterbenden Greise göttliche Eigenschaften beilegt, und der frechste Unglaube, der die Majestät Gottes über uns leugnet und den Gott in der Brust, sich selbst, anbetet, erheben stolz ihr Haupt mitten im Schoße der Kirche. Viele Hüter des Heiligtums schlafen und träumen, oder zanken und streiten, drehen und deuten Gottes Wort nach ihrem kleinen Mückenverstande, statt unter Gottes Wort sich zu beugen und die Herde Christi zu weiden, die er mit seinem eigenen Blute erkauft hat. Ganze Massen des Volkes wenden der Kirche den Rücken in Gleichgültigkeit, Verachtung, Hass und Feindschaft. Ach, der Weinberg des Herrn ist verwüstet, die Mauern Jerusalems liegen öde, die Tochter Zion ist wie ein Häuslein im Weinberge, wie eine Nachthütte in den Kürbisgärten, wie eine verheerte Stadt. Aber trotz all dem verzage nicht, o Kirche des Herrn! höre vielmehr die Adventsbotschaft mit gläubigem, bußfertigem Herzen; und dann freue dich sehr und jauchze, denn siehe, dein König kommt zu dir! Der wird alle deine Feinde überwinden und die streitende und leidende Kirche zuletzt zu einer siegenden und triumphierenden Kirche machen. So lasst uns denn heute hören und zu Herzen nehmen

die trostreiche Adventsbotschaft: siehe, dein König kommt zu dir!

I. Sieh, dein König kommt zu dir!
Seele, das sind frohe Worte;

II. Sprich: mein König, komm zu mir!
Sieh, ich öffne dir die Pforte;

III. Zeuch mit deiner Sanftmut ein;
Was du findest, das ist dein.

Ja Herr Jesus, du ewiger König und Hohepriester, komm zu uns! Komm in diese Versammlung; komm zu allen Gliedern dieser Gemeinde, zu den Kranken und Gesunden, zu den Alten und Jungen, zu den Armen und Reichen, zu den Fröhlichen und Betrübten; komm in unsre Herzen und segne uns.

Dein Zion streut dir Palmen
Und grüne Zweige hin,
Und ich will dir in Psalmen
Ermuntern meinen Sinn;
Mein Herze soll dir grünen
In stetem Lob und Preis
Und deinem Namen dienen,
So gut es kann und weiß.

Amen.

I. Sieh, dein König kommt zu dir! Seele, das sind frohe Worte.

Jeus ist ein König. So niedrig und arm er auch hier in Jerusalem einzieht ohne Heeresmacht und Herrscherpracht, so können wir doch in unserm Herzen nicht groß genug von ihm denken. Er ist dem Vater gleich an Wesen, Macht und Herrlichkeit, so dass er sprechen kann: wer mich sieht, der sieht den Vater. Der Himmel ist sein Stuhl und die Erde seiner Füße Schemel. Himmel und Erde sind sein. Alle Gewalt im Himmel und auf Erden ist in seine Hände gelegt. Er hält und führt die Zügel der Weltregierung. Jesus ist ein König, ja der König aller Könige und Herr aller Herren. Seele, das sind frohe Worte. O wie kann ein Christ in diesem Glauben so vergnügt und selig sein! Er darf denken und sprechen:

Ich habe einen König im Himmel, der mich königlich versorgt, königlich beschützt und schirmt, königlich begnadigt. Mein Jesus sitzt zur Rechten des Vaters auf dem Thron der Herrlichkeit. Mein Freund und Heiland hat den Thron der Majestät inne und die Allmacht in seinen Händen. Wie sollte ich nun in den Nöten und Ängsten dieses Lebens sorgen, zagen und verzagen? Fehlt mir etwas, quält mich etwas, so geh ich hin zu meinem Herrn und Gott und König, dem die Schätze des Himmels und der Erde zu Gebote stehen. Er ist reich über alle, die ihn anrufen; er tut über Bitten und Verstehen; er spricht, so geschieht's; er gebeut, so steht's da. Jesus, unser Heiland, ist der König Himmels und der Erde; das ist ein seliger Glaube.

Er ist aber auch der König der Wahrheit. Als Pilatus mit der Frage sich an Jesus wandte: so bist du dennoch ein König? antwortete ihm der Herr: du sagst's, ich bin ein König. Ich bin dazu geboren und in die Welt gekommen, dass ich die Wahrheit zeugen soll. Wer aus der Wahrheit ist, der hört meine Stimme. Jesus, meine Lieben, ist der König der Wahrheit, der auf die sehnsuchtsvolle Frage des Herzens: was ist Wahrheit? die alleingültige, voll und ganz befriedigende Antwort gibt, eine Antwort, die das Denken befriedigt, das Herz befriedigt, das ganze Menschenwesen befriedigt. Ach an wie vielen Herzen nagt in unsren Tagen der Zweifel! der Boden wankt unter ihren Füßen; alle Wahrheiten des Christentums, überhaupt alle höhere Wahrheit, die über die Erdscholle, über Schmecken und Riechen geht, ist ihnen in Frage gestellt. Was ist Wahrheit? fragen die einen sehnsuchtsvoll, und können die Antwort doch nicht recht finden. Was ist Wahrheit? fragen die andern leichtsinnig und spottend; und in ihrer Frage liegt schon die Antwort es gibt keine Wahrheit. Die rechte Antwort gibt unsere Adventsbotschaft: Sieh, dein König kommt zu dir! Jesus ist der König der Wahrheit. Er ist die Wahrheit selbst. Er ist dazu geboren und in die Welt gekommen, dass er die Wahrheit zeugen soll, die reine, unverfälschte, irrtumslose, unfehlbare, vollkommene Wahrheit, die göttliche, himmlische Wahrheit; die Wahrheit, die nicht untergeht, wenn Himmel und Erde untergehen; die Wahrheit, die uns arme, sündige Menschen rettet und selig macht in Zeit und Ewigkeit. O Seelen, diese Wahrheit findet ihr nicht in den Schulen der Philosophen, nicht in den Hörsälen der Wissenschaft, nicht in den Hallen der Dichter, sondern nur bei Jesus, welcher der König der Wahrheit ist. Er, Er allein kann auf die bange, sehnsuchtsvolle Frage: was ist Wahrheit? die ewiggültige, seligmachende Antwort geben. Darum, mein Freund, ist es dir wirklich um Wahrheit zu tun, so gehe hin zu diesem König der Wahrheit und werde sein Untertan; nimm sein Wahrheitszeugnis, wie es in der Heiligen Schrift niedergelegt ist, zur Hand, werde Jesu Schüler und Jünger, lies und forsche in seinem Wort; du wirst sicherlich nicht betrogen werden, du wirst die Wahrheit erkennen und die Wahrheit wird dich frei machen, frei von deinen Zweifeln, frei von deinen Sorgen, frei von deinen Sünden, frei von der Furcht des Todes, frei vom Gericht und der Verdammnis.

Sieh, dein König kommt zu dir! Seele, das sind frohe Worte! Der König des Himmels und der Erde, der König der Wahrheit, der König des Friedens kommt zu dir. Schaut ihn an, wie er in unsrem Texte geschildert ist. Stiller Gottesfriede ruht auf seinem Antlitz. Wir sehen kein Schlachtgetümmel und hören kein Kampfgeschrei, sondern die Menge des Volkes jauchzt ihm fröhlich zu: Hosianna (Hilf Herr) dem Sohne Davids! Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn! Hosianna in der Höhe! Als Friedenskönig reitet der Herr den Ölberg herab und zieht in Jerusalems Mauern ein, um dort zu sterben

und den ewigen Frieden durch das Blut seines Kreuzes für die ganze Welt zu bereiten. O möchte dieser Friedenskönig bei uns Allen einziehen. O Volk und Land, möchtest du einmal diesen Fürsten des Friedens aufnehmen und freudig begrüßen in jedem hohen und niederen Hause, im Palast der Vornehmen und in der Hütte der Armut, bis in deine entlegensten Täler und Berge. Wie würde dein Friede sein wie ein Strom, und deine Gerechtigkeit wie die Wogen des Meeres! Wie würden alle deine Tränen getrocknet und deine Wunden geheilt! Was menschlicher Rat und Erdenverstand nicht vermag, das vermag der Friedenskönig Jesus Christus, wo er Eingang findet. Dann wären wir in der Tat und Wahrheit ein einig Volk von Brüdern, bei denen als oberster Grundsatz gälte: Kindlein, liebt euch unter einander! Israel, du bringst dich in Unglück; denn dein Heil steht allein bei mir. Wo ist dein König hin, der dir helfen möge in allen deinen Städten? so ruft der Prophet im Namen Jehovas. So will auch ich rufen im Namen des Herrn: O Volk, o Land, du bringst dich in Unglück und kommst nicht aus dem Unglück heraus, sondern immer tiefer hinein, wenn du nicht dein Herz, deine Tore, deine Häuser, Städte und Dörfer öffnest dem König Jesus Christus, bei dem allein dein Heil steht. O nimm diesen Friedenskönig auf, huldige ihm, bete ihn an, so ist dir geholfen.

O wohl dem Land, und wohl der Stadt,
Die diesen König bei sich hat!
Wohl allen Herzen insgemein,
Wo dieser König ziehet ein.
Er ist die rechte Lebenssonn,
Bringt mit sich lauter Fried und Wonn,
Gelobet sei mein Gott,
Voll Rat, voll Tat, voll Gnad.

Ja, sagt der Tochter Zion: siehe, dein König kommt zu dir! Jesus kommt zu uns. Wir dürfen ihn nicht lange suchen, wir müssen nicht erst in die Tiefe hinabfahren und ihn heraufholen, oder in den Himmel hinaufsteigen und ihn herabziehen. Nein, er kommt zu uns; er kommt, er kommt mit Willen, ist voller Lieb und Lust, all Angst und Not zu stillen, die ihm an uns bewusst. Er ist gekommen vor achtzehn hundert Jahren in Menschengestalt; da konnte man seine Worte hören, ihm ins Angesicht schauen und seinen heiligen Leib betasten. So wandelte er auf Erden drei und dreißig Jahre in Niedrigkeit und Armut bis sein heiliger Leib ans Kreuz geschlagen wurde und ins Grab sank. Und nun, nachdem der Herr durch seine Auferstehung und Himmelfahrt sich zurückgezogen hat in die unsichtbare Verborgenheit, kommt er immer noch zu uns in seinem Geist und Wort. Ich will euch nicht Waisen lassen, ich komme zu euch, spricht Jesus. So oft von ihm gepredigt wird, kommt er und bietet sich den Seelen an; und so oft er auch verschlossene Türen findet, wird er doch nicht müde zu kommen und immer wieder zu kommen. O welche Liebe! Sieh, dein König kommt zu dir! Seele, das sind frohe Worte. Darum

II. Sprich: mein König, komm zu mir; sieh, ich öffne dir die Pforte.

Die Wirkung der Adventsbotschaft: sieh, dein König kommt zu dir! soll die sein, dass wir innerlich willig werden, den Friedenskönig Jesus zu empfangen und ihm die Pforte des Herzens zu öffnen. Wenn diese Wirkung bei uns nicht zu Stande kommt, so ist alle Predigt umsonst; ja sie nützt uns nicht nur nichts, sondern sie gereicht uns zum Gericht. Sehen wir in unsren Text hinein, so erblicken wir bei den Jüngern und dem Volk eine überaus große Willigkeit, Jesum als König Israels aufzunehmen und zu ehren. Die Jünger gingen hin und taten, wie ihnen Jesus befohlen hatte; und brachten die Eselin und das Füllen, und legten ihre Kleider darauf und setzten ihn darauf. Und auch bei dem Volke zeigte sich eine große Bewegung des Geistes.

Sie breiteten die Kleider auf den Weg; andere hieben Zweige von den Palmbäumen und streuten sie auf den Weg. Und nicht genug damit. Wes das Herz voll ist, des geht der Mund über. So machten die Leute ihrer Herzensfreude über Jesus Luft, riefen und sprachen: Hosianna, dem Sohne Davids; gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn! Hosianna in der Höhe! Und als so der Herr unter den Lobgesängen und Jubelrufen seines Volkes in Jerusalem einzog, erregte sich die ganze Stadt und sprach: wer ist der?

Meine Lieben, ist auch bei uns eine solche Bewegung des Geistes? Stehen dem Herrn unsere Herzen offen, wie ihm die Tore Jerusalems offen standen? Breiten wir vor ihm unsere Kleider aus und streuen ihm auf seinen Weg Palmzweige, singen wir ihm ein Hosianna? Mit einem Worte: sind wir willig, Jesum als König aufzunehmen und zu ehren? Ach wie viele in unsrer Stadt und unserm Volk wollen gar nichts mehr von Jesus; sie sind für ihn gefühllos und empfindungslos, tragen keine Sehnsucht und kein Verlangen mehr nach ihm; Zions König, Jesus Christus unser Herr, kümmert sie nicht im geringsten, er ist ihnen der gleichgiltigste Mann von der Welt; sie wandeln dahin versunken in Weltlust und Selbstsucht. Die schöne Adventszeit, Weihnachten und alle die herrlichen Feste und Gottesdienste sind für sie nicht mehr vorhanden. O möchte unter diesen der Kirche Entfremdeten auch einmal eine Bewegung entstehen, dass sie fragten wie die Leute zu Jerusalem: wer ist der? Ich wollte ihnen nicht nur die Antwort geben, wie das Volk sie gab: Das ist Jesus, der Prophet von Nazareth aus Galiläa! sondern: Jesus ist der König Himmels und der Erde, der König der Wahrheit, der König des Friedens, der eingeborne Sohn Gottes, der in des Vaters Schoße ist, der Schönste unter den Menschenkindern, für uns Mensch geworden, gekreuzigt, gestorben und begraben, auferstanden und gen Himmel gefahren; Jesus ist der Herzog unsrer Seligkeit, die Auferstehung und das Leben, das Lamm Gottes, das der Welt Sünde trägt; wer an ihn glaubt, der wird selig werden, wer nicht glaubt, wird verdammt werden; mit ihm haben wir den Himmel, ohne ihn sind wir verloren.

Aber abgesehen von der der Kirche entfremdeten Menge, für welche jeder wahre Christ fleißig zu beten hat; wir, die wir in die Kirche gehen und Gottes Haus fleißig besuchen, sind wir auch willig, von Herzen willig, Jesum aufzunehmen und zu ehren als König? Sprechen wir: Mein König, komm zu mir; sieh, ich öffne dir die Pforte? Tragen wir in uns eine Sehnsucht, ein heißes Verlangen nach dem Herrn? Wollen wir in eine nähere Verbindung und Gemeinschaft mit ihm treten? oder ist unser ganzer Gottesdienst nur Gewohnheitssache, Außerwerk, Lippendienst? Ach ich muss fürchten, dass gar Manche innerlich stehen wie jener Mann, der, wenn er von der Kirche heimkam, zu sagen pflegte: nun habe ich meinen religiösen Tribut bezahlt! und dem gemäß den übrigen Sonntag und die ganze Woche nach seines Herzens Gutdünken lebte. O ihr Christen, die ihr euch mit dem äußeren Kirchgehen begnüget, die ihr noch in der Sünde schlafet und dahin wandelt, in der Gleichgültigkeit und Kälte des Herzens, wachet einmal auf und werdet warm für Christus; singt dem Sohne Davids ein Hosianna um das andere, freut euch sehr und jauchzet, dass euer König kommt, und lernet von Herzensgrund sprechen: Mein König komm zu mir; komm in meine Seele, in mein Herz, in mein Haus; komm mit deiner Wahrheit, komm mit deinem Frieden, komm mit deinem Segen; sieh, ich öffne dir die Pforte. Ich will nicht mehr so spröde gegen dich tun, ich will nicht mehr vergeblich dich anklopfen lassen; nein, ich will meines Herzens Türe weit auftun, dass du König der Ehren einziehen könnest.

Komm, o mein Heiland, Jesus Christ!
Des Herzens Tür dir offen ist;
Ach zieh mit deiner Gnade ein,
In Freundlichkeit auch uns erschein!
Dein heilger Geist uns schirm und leit
Den Weg zur ewgen Seligkeit!
O Heiland, dir, o Herr,
Sei ewig Preis und Ehr!

Aber wir dürfen nicht nur sprechen: Mein König, komm zu mir; sieh, ich öffne dir die Pforte! sondern wir müssen hinzufügen:

III. Zeuch mit deiner Sanftmut ein; was du findest, das ist dein!

Es ist nicht genug erweckt zu werden und die Pforte des Herzens zu öffnen, sondern wir müssen auch den König Jesum Christ einziehen lassen in unsre Seelen, dass er unsres Herzens König wird und darin Wohnung macht. Jerusalem hat seine Tore auch aufgetan und der Herr ist durch die Stadt gezogen unter dem Jauchzen der Menge; aber doch konnte er keine bleibende Stätte dort finden, sondern wurde nach wenigen Tagen hinausgeführt aus der Stadt und trug sein Kreuz zum Hügel Golgatha, wo er sterben musste. Statt des lieblichen Hosianna erscholl das schauerliche: Kreuzige, kreuzige ihn!

Ach so geht es leider noch jetzt bei vielen Christen. Sie haben einmal eine Zeit, Tage, Stunden der Weihe, wo das Hosianna lieblich von ihren Lippen klingt; des Herzens Pforte steht weit offen und es heißt: Mein König komm zu mir! Aber kaum macht Jesus Anstalt, in das Herz einzuziehen und Besitz zu ergreifen von seinem Eigentum, das er teuer mit seinem Blut erkauft hat, so wird die Türe des Herzens wieder geschlossen, verriegelt, verrammelt; man könnte ja sonst zu fromm und zu einseitig werden und bei den weltlichen Verwandten und Freunden Anstoß erregen. Die heiligen Eindrücke, die man durch die Predigt des Wortes empfangen hat, werden weggelacht in den Gesellschaften, die nach der Welt Art sind, weggescherzt und weggeschwätzt mit unnützem faulem Geschwätz; oder auch weggearbeitet, indem man sich in die Geschäfte dieser Zeit leidenschaftlich hineinstürzt und so keine stille Stunde der Einkehr und Sammlung für den Herrn mehr hat. Und wenn vielleicht das Herz auch nicht ganz vor Jesus verschlossen wird, so wird es doch auch bei vielen nicht ganz geöffnet, also dass er einziehen und Wohnung machen könnte. Er darf gleichsam nur durch einen Spalt der Türe hineinsehen und einen freundlichen Sonnenstrahl der Liebe hineinfallen lassen; oder er darf nur hie und da als Gast die Seele besuchen; wird aber bald wieder vertrieben durch allerlei Leichtsinn und Sünde, zur bleibenden Einwohnung kommt es nicht.

O meine Lieben, ich bitte euch inständig: öffnet eure Herzen nicht nur in geweihten Stunden der Andacht, im Hause Gottes, bei der Predigt, beim Abendmahl; sondern lasst den Herrn auch einziehen in eure Seelen, indem ihr fleißig betet: Zeuch mit deiner Sanftmut ein; was du findest, das ist dein! Dies ist freilich nicht anders möglich, als wenn ihr mit der Sünde ganz und gar brechet und der leichtsinnigen Welt, die im Argen liegt, den Abschied gebt. Denn wie stimmt Christus mit Belial? Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon. Soll Jesus einziehen und Wohnung machen im Herzen, so muss die Sünde hinaus; der Sünde muss die Herrschaft genommen und Jesus auf den Thron gesetzt werden. Aber glaubt mir: so allein sind wir wahre Christen, und so allein sind wir glückliche Christen. So lange wir dagegen auf beiden Seiten hinken, die Sonne der Gnade hie und da ihre freundlichen Strahlen ins Herz hineinsenden lassen und dann wieder der Sünde Tür und Tor öffnen; so lange wir mit einem Worte uns nicht von ganzer Seele zum Herrn bekehren, dass es heißt: mein Freund ist mein, und ich bin sein; Christus wohnt in meinem Herzen: so lange haben wir ein halbes, verwässertes Christentum, bei dem uns nie so recht wohl und fröhlich zu Mute ist. Ich bin überzeugt, viele Christen machen deshalb ein so saures und trübes Gesicht, dass man davonlaufen möchte, singen deshalb so viel Klagelieder und seufzen mehr Ach und Weh als dass sie Hosianna rufen, deshalb, weil sie ihr Herz nicht fest werden lassen durch die Gnade, weil sie ihr Herz nicht ganz Christo ergeben, weil sie sich vom Geiste Gottes wohl anleuchten, aber nicht erleuchten und durchleuchten lassen, weil sie die Türe ihres Herzens wohl öffnen, aber Jesum nicht einziehen und Wohnung machen lassen.

Doch dazu muss es kommen, Gott gebe es, bei uns allen! So lasst uns denn fleißig beten: Zeuch mit deiner Sanftmut ein, mit deinem sanften, stillen, heiligen Friedensgeist, mit deiner Demut, Geduld und Gelassenheit auch im Leiden und in der Trübsal; mach uns zu Kindern des Friedens, zu Kindern des Lichts! Was du findest, das ist dein: das ganze Herz, das ganze Gemüt, alle Kräfte des Leibes und der Seele, das ganze Leben soll dein sein, dir geweiht sein.

O Himmelskönig Jesus Christus, du König der Wahrheit und des Friedens, komm zu mir! Sieh, ich öffne dir die Pforte; zeuch mit deiner Sanftmut ein; was du findest, das ist dein.

Amen.


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