Harms, Claus - Das Vater Unser in 11 Predigten - Die sechste Predigt
Unser tägliches Brot gib uns heute.
Gesang 700, 1-5. Gott, unser Vater, der du bist.
Machen wir des Gesanges Tür zu, wenden den Schlüssel um, drücken mit der Hand noch einmal an, indem wir die Bibelworte sprechen 1 Tim. 6: Es ist ein großer Gewinn, wer gottselig ist und lässt ihm genügen, denn wir haben nichts in die Welt gebracht, darum offenbar ist, wir werden auch nichts hinausbringen, wenn wir aber Nahrung und Kleider haben, so lasst uns begnügen.
Heute die vierte Bitte denn. Ihr hörtet, meine Lieben, vorigen Sonntag besondere Benennungen der einzelnen Bitten, diese vierte könnten wir wohl die scheidende nennen. Also sie nennen nicht allein deshalb, weil sie in der Mitte steht, drei vor sich und drei nach sich, sondern aus besserem Grunde, aus innerlichem. Es hört mit dieser Bitte eine Reihe auf. Dazu sagten wir neulich: Möchte das Vaterunser doch mit der dritten Bitte geschlossen sein, denn wir können uns doch ja nicht höher hinaufbeten, wir können uns aus ihr nur herniederbeten. Es fängt nun eine neue Reihe an mit der vierten. Bis dahin hieß es: dein, dein, dein; von jetzt heißt es: unser, unsre, uns, uns, und das tägliche Brot, das Menschlichste, Leiblichste eben macht den neuen Anfang. Danach hebt es sich wieder etwas, bleibt jedoch bei uns bis an den Schluss hinan. Das kann doch wohl eine Scheidung heißen. Indes, Freunde, seien wir nicht zu geneigt dazu, zu leicht dabei! Hier gilt das Wort auch: Gott hat's zusammengefügt. Ob Menschen es verstehen, weiß ich nicht, weiß aber, dass Christen es verstehen solche Unterschiede aufzuheben, die sprechen: Was Gottes ist, das ist unser, und was unser ist, das ist Gottes, wir haben Gemeinschaft mit einander und unsere Angelegenheiten sind getrennt gar nicht. Seines Namens Verherrlichung wirft über uns einen Glanz; in seinem Reiche, wenn das kommt, blühen unsre Bäume; sein Wille gibt uns einen Willen, den rüstigen und den ruhigen Willen, den festen Willen und den freien, und fortan, Geben und Vergeben und Führen und endlich ein Erlösen, das ist sein Wille, damit fördert er sein Reich und preist, heiligt er selbst seinen Namen. Christen unterscheiden nicht, denn in jedem Bissen, den sie schmecken, wissen sie Gottes Huld zu entdecken, geben Ales Gott einmal wieder und sprechen dazu: Was durch deine Gabe mein, sei auch durch meine Gabe dein. Wenn Gott das Geistige verleiblicht, so vergeistigen sie das Leibliche, fahren mit allem Irdischen in den Himmel hinauf, von da es kommt. Grund dessen wollen wir die Benennung der vierten Bitte „scheidende“ nicht gelten lassen, nehmen sie wieder zurück. Aus eben dem Grunde lassen wir uns auch nicht weit in die zwei verschiedenen Auslegungen dieser Bitte ein; ihr habt schon in der ersten Vaterunserpredigt davon gehört. Einige sagen, das Brot sei das geistliche, Andre sagen, das leibliche Brot sei gemeint. So in den frühesten Jahrhunderten sagten, so noch in unsern Tagen sagen Gelehrte: Das geistliche Brot, die Speise des inwendigen Menschen, das lebendige und kräftigende Wort Gottes, wo sich's findet, gleichwie sich's im Sakrament des Altars finde, dieses habe Christus gemeint. Das hat mir wenige Wichtigkeit für diejenigen, welche noch gläubig um das leibliche Brot bitten und gottinnig für dasselbe Dank sagen, dieweil diese es ansehen, nehmen, genommen haben als geistliche Gabe zugleich. Wir folgen daher der allgemeinen Auslegung, die auch im Katechismus, gleichwie im Gesangbuche, also kirchlich, aufgenommen ist, der Auslegung, dass zunächst und eigentlich das leibliche Brot verstanden werde, nicht anders als in dem Evangelio dieses Sonntags leibliches Brot es ist, welches der Herr nimmt und darüber betet und dann viertausend Mann damit speiset. Es tritt dies Evangelium so wenig unserm Vorhaben in den Weg, dass wir im Gegenteil eine schöne mitredende Begleitung an demselben haben. Hört es daher verlesen an seiner Stelle.
Marci 8. 1-9.
Dem Text bleibt sein Wunder, sagt ein ungläubiger Spötter alles historischen Textes, den Mehrere hier nach seinem Namen kennen, uns aber bleibt samt dem Wunder der Text auch und soll es bleiben so lang Himmel und Erde, wird es bleiben selbst nach deren einstigen Vergang noch. Das Wie, wie es zugegangen damit, werden wir einst auch wohl noch näher sehen, diejenigen wir, wenn Andre vielleicht nicht, die sich glaubensfest 'an dem ihnen wohlbeglaubigten Was gehalten haben und an dem wundertuenden Sohn Gottes gehalten haben, des Wegs dahin, wo sie seine hier geglaubte Herrlichkeit sehen werden, wie er es ihnen verheißen hat, den ihm vom Vater gegebenen, Joh. 17. Ich nannte das Evangelium eine schöne mitredende Begleitung auf der Bahn unsrer Predigt über die vierte Bitte. So wird sich es zeigen im Fortgang. Und wenn sonst, wenn nach der Regel die Hörenden in das Thema gebracht werden, erschein' es diesmal so, dass das Thema zu den Hörenden gebracht werde. Mit der vierten Bitte:
Unser tägliches Brot gib uns heute,
gehe ich
1) zu denen, die das tägliche Brot haben;
2) zu denen, die es nicht haben;
3) zu denen, die es haben und doch nicht haben;
4) zu denen, die es nicht haben und doch haben.
Ihr heißt eure heutige Zahl groß oder klein, ihr haltet euch nach eurem zeitlichen Vermögen so verschieden wie immer auch, und haltet euch nach eurer Denkart über euer Haben ebenfalls verschieden, so weiß ich doch, wenn gekommen zu denen, die genannt sind, dann bin ich zu Allen gekommen und zu keinem Einzigen hier nicht gekommen.
I.
Zuerst tritt der Prediger über die vierte Bitte mit derselben zu denjenigen hin, die ihr tägliches Brot haben, was die Allermeisten von uns ja haben, ob mehr und minder reichlich auch. Sollen wir aber uns auch noch verständigen darüber, was das tägliche Brot heiße? Es wird nicht nötig sein. Freilich im Katechismus, wer ihn gelernt und nicht wieder vergessen hat, da wird eine Erklärung gegeben in einem Sinn, der allerdings zu viel befasst, wenn wir sagen wollten, die Meisten von uns hätten ihr tägliches Brot. Hört mich des Katechismus Antwort auf die Frage: Was ist denn tägliches Brot? anführen: Alles, was zur Leibes Nahrung und Notdurft gehört als: Essen, Trinken, Kleider, Schuh, Haus, Hof, Acker, Vieh, Geld, Gut, fromm Gemahl, fromme Kinder, fromm Gesinde, fromme und getreue Oberherrn, gut Regiment, gut Wetter, Friede, Gesundheit, Zucht, Ehre, gute Freunde, getreue Nachbarn und desgleichen. Nicht wahr, da fehlt Manchem gar manches Stück davon? Aber Luther gibt eine Erklärung nach dem Wunsch, und was auch unsre Bitte wohl sein darf, wir brauchen aber eine Erklärung nach dem Haben, nach dem Besitz, wie's bei denen steht, die selbst von sich sagen: Das tägliche Brot - haben wir. In diesem Verstande heißt tägliches Brot: Ich habe zu essen, habe mich zu kleiden, habe Wohnung und Erwärmung, habe dies für mich und die Meinigen, und selbst für den kommenden Tag, für die nächste Woche habe ich dieserhalb eben keine Sorge. Das, meine ich, verstehen wir gewöhnlich unter täglich Brot, und in diesem Verstand werden es ja die Meisten haben, die hier sind. Nun, ihr Lieben, so frag' ich euch denn zuerst mit der vierten Bitte, darin es heißt unser tägliches Brot: Ist euer Brot auch euer? Zurückgefragt von euch, wie ich das meine, geb' ich zur Antwort dies: Ich will es nicht gesagt haben von euch, die ihr eben hier seid, allein es kann mit Wahrheit gesagt werden, und der an einer Stätte steht, da ich, soll es sagen zuweilen: Ihr, ihr, ihr esset wahrlich nicht euer Brot sondern - Nun wessen? Das gehört eben zu unsrer Sache nicht, bloß: nicht euer. So tun nicht, ihr Brot essen nicht, die da nehmen, wo sie kriegen und kümmern sich um Rechtmäßigkeit nicht; die was sie haben, das genommen haben, zusammengebracht haben durch List und Überlist, durch Veruntreuung eines Unvertrauten, durch feine oder grobe Antastung mit ihren Händen, was einem andern gehört, Privatmanne oder Kommune, durch Bezahlung für Arbeiten, die nicht getan, für Wege, die nicht gegangen, für Dienste, die nicht geleistet sind. Weiter, sprech' ich, die essen nicht ihr Brot, können daher auch das Vaterunser nicht beten und nicht sprechen unser Brot, die sich lassen nähren und könnten sich selbst ernähren, nehmen von Andern, die ihnen geben, warum diese es denn tun, und drängen Bessere, Würdige weg von des Mildgesinnten Hand, ohn' allen Anschein auch nur eines Rechts, Andre mit anscheinendem Recht, welche letzteren sich finden in Haushaltungen, da beide, Mann und Weib verdienen sollten, und der eine nur ist der Erwerber, der andere aber ist der Verderber, da Kinder, Söhne und Töchter, sich lassen von ihren Eltern nähren, die sich schon selbst sollten in den Stand gesetzt haben, der Eltern Brot nicht mehr sondern selbstverdientes zu essen, da Verwandte sich mit ihrer Notdurft auf ihre begüterten Verwandte werfen, zwingen und zwacken ab und tun, was doch Ihres wäre, nicht, in Trägheit, in Wohlleben, in Fahrlässigkeit. Gleicherweise, die von dem leben, was ihnen zugeflossen ist durch Erbschaft, durch Schenkung, ununtersucht, niemals gefragt, wie entstanden, wie zusammengebracht, ob auch mit fremden Gütern untermenget, davor man in alten Zeiten so scheu war, und zehren davon ohn' irgendwelch eignes Tun und Dazutun und Danebentun, - von allen diesen sage ich, dass sie nicht sein, welche der Apostel haben will, 2 Thess. 3, die ihr eigen Brot essen; von diesen allen sage ich, dass sie, ob ein Vaterunser auch, doch kein Brotunser haben; von diesen allen sage ich, dass in ihrem Munde die vierte Bitte gar übel lautet, wenn sie sprechen: Unser Brot. Die ihr sprecht, alle: Wir haben unser Brot, seht's an, ob es wahrhaft eures auch sei.
Weiter, liebe Zuhörer, nachdem auf solche Weisung, welche die vierte Bitte uns gegeben, unser Gut angesehen, ob es auch von unrechtem Gut rein und unser Brot es sei, das wir essen, o habt Gehör für dieses Wort gehabt! weiter sehn wir und ebenfalls auf die Weisung der vierten Bitte zu, ob unser Brot, das wir haben, auch ein gottgegebenes sei. Es heißt ja: Unser tägliches Brot gib uns heute. Ob es ebenso wohl, wenn freilich auch nicht so wunderbar wie den viertausend im Evangelio, ein von Gott gegebenes sei. Woran erkennen wir das? Es gibt untrügliche Kennzeichen. Eins ist dieses, das untrüglichste. Wenn auf gottgewiesenem Wege, in redlicher gottbefohlener Arbeit darum, Menschen zu Dienst und Nutzen, jemand sich sein Brot erworben und durch gutes Verfahren, durch gutes Haushalten damit, es vermehret hat und, wohl bemerkt! auch zu Gott gebetet hat, dass er ihm gebe, dann sagen wir: Es ist sein Brot. Aber ich bin bald fertig mit Angabe der untrüglichen Kennzeichen, fange an erst und gehe nur bedenklich weiter. Was Jemandem zu Teile wird auf Wegen, die man auch wohl nennt des Glückes, da eben mit seinen Anstrengungen sein Erwerb nicht im Verhältnis steht, als zu groß dafür, oder da ihm durch besondere Freundesgunst oder eingetretene Sterbefälle Güter, die man nennt des Glücks, zugefallen sind, nun auch die noch lassen wir für Gottgegebene gelten. Doch nun bin ich wirklich schon am Ende und weiß kein Kennzeichen mehr. Ausbildung eines besonderen Talents des Körpers oder des Geistes, dessen Leistungen bloß Staunen erregen oder zum Weinen, zum Lachen bewegen, überhaupt nur die äußern Sinne ergötzen und die inneren, in welche die äußern auslaufen, davon aber der edlere Mensch, das Herz nicht Nahrung noch Nutzen hat und der Geist mehr getötet als belebt wird, wenn solch' Geschick dem, der's hat, das Brot ins Haus und Geld in den Kasten schickt, ich bin mehr für das Nein als für das Ja, wenn hier gefragt wird: Ist des Mannes Brot ein gottgegebenes? Vollends wer sich's erspielt, was er hat, durch Lotto, in Karten, mit Würfeln, was hat Gott mit solchem Spiel zu tun?
Da sage niemand von solchem Brot, dass Gott es gegeben habe! Woher es denn gekommen? Eher als von Gott kommt solches vom Teufel her, als der hiermit Seelen lockt und fängt, wie auch oftmals es mit solchem Gut ein trauriges oder gar schreckliches Ende nimmt. Also, was bleibt denn als untrügliches Kennzeichen feststehen, dabei man ein Vaterunser beten kann? Das Erste: Auf ordentlichem Wege erworben, und dann das Andere: angestorben. Die ihr in solchem Haben des Brotes seid, euch heißt es ein gegebenes.
Ihr braucht auch nicht bei der vierten Bitte im Vaterunser zu stocken, die ihr so ein gottgegebenes Brot esst. Oder doch? Ich nehme ein Wort aus dem Katechismus, da es heißt: „dass Gott es uns erkennen lasse“ - ja, Vater, gib uns allen offene Augen dafür! weiter: „und mit Danksagung empfahen unser tägliches Brot.“ Danken also, Dank sagen, liebe Freunde, das kommt uns zu. Die vierte Bitte, sie heißt Bitte, ist's auch, allein sie ist von Dank so durchdrungen, - Betende, habt ihr im Beten Acht darauf! - oder der Dank tritt dieser Bitte so dicht in die Spur, dass sie beide gezogen scheinen als an Einer Schnur. Ihr Habenden nun, seid gefragt nach eurem Danken. O wenn wir so oft zu jungen Kindern sagen hören: Du musst bitten, und: Sag' Dank! wenn wir selbst bei erfahrenen Aufmerksamkeiten, bei kleinen geleisteten Diensten, Gefälligkeiten immer den Dank im Munde haben, o, meine Lieben, sind wir auch so munddankfertig vor Gott, dem Geber aller Güter, dem Hinleger und Darreicher unsres täglichen Brotes? sind wir das? Sprecht. Das aus dem Gebrauch gekommene Tischgebet ist kein günstiges Zeugnis über unser Geschlecht. Das Vaterunser und Dankt dem Herrn werden vielleicht in einem einzigen Hause mehr gehört als in den mehreren hundert Häusern dieser Stadt zusammen, nämlich hier im Gotteshause.
Die Bitte ist aber doch eigentlich Bitte, ob denn auch, der das tägliche Brot hat, um dasselbige noch bitten soll? Allerdings soll er, teure Zuhörer, der Fromme hat Eigenes gar nicht, Gottes ist ihm Alles, und was er vor sich auf Tisch und Teller hat, achtet er seines nicht, im feineren Verstande, er bittet, dass Gott es ihm geben möge. Ihr kennt's doch, wie in einer betenden Seel' es zugeht überhaupt? dass ihr Beten nicht allein ein Reden vor Gott, sondern auch mit Gott ist, und dass namentlich das Amen des Gebets so recht eigentlich der Gottesteil im Gebet ist? Daher, wenn der Mund oder die Seele spricht: Unser tägliches Brot gib uns heute, so ist's, mit dem Evangelio geredet, unsere Lagerung, dass wir jetzt haben sollen auf des Herrn Geheiß. Anders angesehen. Was wir haben, wie sicher ist unser Haben? Morgen und heute schon kann uns ja Alles genommen sein oder im langsamen Schwinden bald nicht vorhanden mehr und der Tisch leer. Wir stehen in Gottes Hand, aber wir haben die Bitte und die lasst uns brauchen, auf dass unser tägliches Brot uns ein bewahrtes bleibe, so lange wir leben und Nahrung nötig haben. Es komme nicht von unserm Mund die Bitte vor Gott: Unser tägliches Brot gib uns heute.
II.
Ich bin bei mir überzeugt, dass nicht so viele in Mangel der Nahrung hinein geraten wären, wenn sie mit ihrem Vaterunser ihr Brot besser behütet hätten. Die Predigt geht mit der vierten Bitte zu denen jetzt, die das tägliche Brot nicht haben. Ob dies werde der Strafteil der Predigt sein? Wie's fällt; ich bin des Wortes Herr nicht.
Die das tägliche Brot nicht haben, die werden zuvörderst gefragt: Ist's auch wahr, dass ihr es nicht habt? Denn wie viele meinen nicht den Mangel sondern den Überfluss, dass sie den nicht haben, nicht die Notdurft sondern den Reichtum, dass sie den nicht haben, nicht die Bekleidung sondern die feine Kleidung, nicht den Stuhl und Tisch sondern Spiegel und Sofa, nicht das Brot sondern den Wein usw., dass sie den nicht haben. Wo bleiben diese aber mit der vierten Bitte und vor ihr? Die heißt: Unser tägliches Brot gib uns heute. Sollten die sich nicht vorher fragen: Ist's auch unsre eigene Schuld, dass wir es nicht haben? Der eine hat sich nicht geschickt gemacht, sein Brot zu erwerben, ein andrer, der's war, hat sich wieder ungeschickt gemacht, der hat's vertan, verspielt das Wort hat viele Bedeutungen - verfault, vergault, verfahren, auf verbotenen teuren Wegen, verschaut, verbaut, verbändert, so der eine so der andere, und es möchten unter den Dürftigen so gar viele nicht sein, die es wären ohne ihre Schuld. Ob die denn nicht, bei denen es so ist, Alles dahin ist, ihr Vaterunser behalten sollen? Wenn sie es nur behalten, aber gemeiniglich geht mit dem Gut auch Gott dahin, und das Gebet wird verloren gleichfalls. Ergreifen sie das Vaterunser wieder und beten sie zu der vierten Bitte hinan, oder über dieselbe hinweg zu der fünften hin: Vergib uns unsre Schuld, und dann wieder auf die vierte zurück: Mein Gott, mein Vater, vergib mir die Schuld und gib mir das tägliche Brot wieder, siehe, ich will es nehmen als ein Gnadenbrot, ich will auch dafür danken als für ein empfangenes Almosen. Hätte ich solche um mich hier, einen und andern vielleicht, so würde ich sagen: Tut so! betet euch zu der Schuld hinan, dass ihr die Vergebung erlanget, dann wird auch eure Bitte vorher um das Brot gehört werden, Gott wird eine Probe mit euch machen, ob ihr fortan auch besser das Eure tun wollt.
Denn darauf rechnet Gott, dass ein Jeder das Seine tue, beide, die durch eigne Schuld und die durch Gottes Verhängnis über sie des Nötigen Mangel leiden. Freilich, es gibt auch eine Gottgeschickte Armut, und das hieße Manchem zu nah getreten, der dürftig ist, wenn wir sagen wollten, es ist seine Schuld. Aber was soll denn von ihnen getan werden? Die Bitte nennt nichts Anderes als sich selbst, d. h. das Beten, die Bitte. Allein wer darf sie sprechen, der auch gar nichts hätte Gott dargeboten zuvor, dass er dasselbe nehme und lege seinen Segen darauf, mache Brot daraus? Wie im Evangelio. Wohl ist das Brot daselbst eine Gottesgabe, doch fragt Christus: Wieviel habt ihr Brot? So hören wir ihn auch in der vierten Bitte fragen: Wieviel habt ihr? Darauf soll geantwortet werden: Dieses, o Gott, dass ich zu keiner Arbeit träge bin, dass ich keiner ehrlichen Arbeit mich schäme, dass ich auch den kleinsten Verdienst nicht verschmähe, dass ich keinen Weg darum scheue, dass ich Menschen um Arbeit anzusprechen nicht zu stolz bin, dieses biete ich, dass ich mein Nachdenken anspanne, ob es auch zu einem Erwerb führe, und dieses, o Gott, diese willigen aber leeren Hände, die ich, da keine Arbeit in sie gelegt wird, betend zu dir aufhebe mit der Bitte: Gib mir, Vater, das tägliche Brot, gib, der du ja das Vaterunser doch gegeben hast. O ich meine, wer so tut, ob er auch noch so viele Tage harrt, so wird derselbe doch nicht auf seinem Lebenswege verschmachten, sondern es wird geschehen, dem er das bietet, - ich habe eben auch ein Siebenfaches genannt, der, der wird es nehmen und ihn sättigen und mit ihm sättigen die, welche ihr Brot nicht anders als aus seiner Hand erhalten.
Tun so, die nicht haben, und geben sie alsdann dem Gottvertrauen bei sich Raum, Jakobi 1 V. 6: Er bitte im Glauben und zweifle nicht. Nach Verlesung des Evangeliums führte ich Jemandes Wort an: Dem Text bleibt sein Wunder; sagen wir hier dazu: und dem Leben des Frommen bleiben die Wunder auch. Sprecht, es gibt keine Erhörung eines Gebets, alsdann soll man auch Recht haben zu sagen, es geschehen keine Wunder mehr. Denn was ist Gebetserhörung anders als ein Wunder? Wenn Gott mir einen heiligen Gedanken ins Herz gibt, das geht ebenso zu, als wenn er mir Speise in den Mund gibt, und was er Jemandem durch Menschen lässt zubringen, ist manchmal auch nicht anders im Ansehen, als wenn er dem Propheten ließ Speise durch den Engel bringen, welcher sprach, 1 Kön. 19: „Stehe auf und iss! und er sah sich um, und siehe, zu seinen Häupten lag ein geröstet Brot.“ Über Erwarten, manchmal auch was das Maß betrifft. Du flehst um einen Trunk, Gott zeigt dir einen Teich; du bittest ihn um Brot, bekommst ein Königreich, wird irgendwo gelesen. Das sind tausendmal vorgekommene Dinge, und ich möchte annehmen, hier steht jemand, dem das Herz groß wird und hoch steigt und spricht bei sich, möcht's in die Versammlung hineinsprechen: Gerad' so habe ich's erfahren. Nun, Brüder, so wollen wir Alle die vierte Bitte in Ehren halten und sie wohl bewahren. Wer weiß, ob wir sie nicht noch zu beten haben in vorhandener Brotnot.
III.
Wir gehen mit unsrer vierten Bitte zu Anderen, zu denen, die ihr tägliches Brot haben und die es doch nicht haben. Mein Wort an sie wird Allen zeigen, welche ich meine. Ich komme zu euch mit der vierten Bitte und habe drei Vermahnungen samt einer Warnung. Das ist eine Vermahnung für diejenigen, welche ihr tägliches Brot haben und es doch nicht haben: Zähmt eure Begehrlichkeit. Ist's nicht wahr, dass Mancher über dasjenige, was er nicht hat und möchte es haben, durchaus vergisst, was er doch hat? weiß, denkt, fühlt nicht anders, als wenn es ihm gänzlich fehlte? Das tut seine ungezähmte Begehrlichkeit. Wenn er betet, das Vaterunser, die vierte Bitte betet, so ist's das früher von mir aus dem Katechismus hergesagte: Was heißt denn tägliches Brot mit seinen zwei und zwanzig Stücken und einem desgleichen dazu, was sie beten, aber nicht die beschränkte und bescheidene Bitte selber. Unser tägliches Brot gib uns heute, so heißt sie, die ist uns gegeben, die sollten wir sprechen. Was ist's andres, als dass wir mit derselben zugleich unserer Begehrlichkeit widersprechen, sie niedersprechen und aus uns hinaussprechen, von uns wegbeten sollen. Das Nötigste wird genannt, will der Herr mehr geben, so tue er's, doch mit der Bitte um das Nötige allein treten wir mit einiger Berechtigung auf, dass uns es werde gegeben werden, darum weil uns so zu beten geheißen ist; was aber weiter geht, das sprechen wir allenfalls als leisen Wunsch vor ihm aus mit einem Wenn dabei. Seht an, ihr Habenden und zugleich Nichthabenden, euch nicht Freuenden, an dem, was ihr doch habt in der Tat! Ist's mehr oder ist's weniger, als ihr würdig seid? Seht's noch einmal an, was ihr wirklich habt, ist's nicht mehr als hundert Andre haben, von denen ihr aber, wenn Wahrhaftigkeit bei euch ist, sagen müsset, sie hätten's wohl verdient, eben so viel zu werden und zu haben in der Welt, als ihr habt und seid in der Welt? Ja, ihr Habenden und doch nicht Zufriedenen, vergleicht euch mit denen, mit welchen zugleich ihr eintratet in die Lebensbahn, ihr vornehm, sie gering, ihr große Einnahme, sie große Sorgen, was wollt ihr? was begehrt ihr noch? Die vierte Bitte zeigt euch den Normalstand, bis wieweit des Menschen Begehren dürfe gehen. Seht euch auf den zurück! betet sie recht, so zähmt ihr eure Begehrlichkeit, - so unterdrückt ihr euren Neid. Denn dieser ist's, wovor der Mensch nicht hat, was er hat. So vermahn' ich euch. Gibt's doch kein trauriger Leben, als da der Neid im Hause wohnt.
Wahrlich derselbe macht das große Haus klein, das schöne Kleid hässlich, das weiche Bett hart und die vollen Kisten leer, daher, weil bei Andern mehr. Stört solches Werk des Neides in eurem Gemüte und unterdrückt ihn, erdrückt ihn mit der aufgelegten vierten Bitte. Du hast so viel als warum du zu bitten gelehrt bist. Gott hat sein Wort an dir bewährt, was geht's dich an, Scheelseher, wenn er gegen Andre gütig ist! gerecht ist er gegen dich, und gesteh' es nur ein, auch gegen dich gütig.
Die da haben und doch nicht haben. Sehr begreiflich das Haben und Nichthaben zugleich, wenn jemand nämlich nichts Anderes hat, als was die vierte Bitte besagt, ob dieses auch in noch so reichem Maß. Seht, es ist dieselbige Bitte in ihrer Art doch nur Eine, dagegen die andern sechs Bitten, ich spreche sechs, alle auf geistliche Güter gehen, auf Teilnahme daran und auf die Glückseligkeit dabei. Selig, das Wort im Laut der Seele nah, auch vielleicht nah der Wurzel der Seele angehörend, deutet auf ein Seelenleben, auf das innigere, höhere, befriedigtere Leben, wie solches Leben allein in Gott ist und kommt auch von ihm, wer nur mit ihm ist. Siehe, Christ, die vierte Bitte, die deine Seele eigentlich in das leibliche Leben hineinweist, hebt dich auch wieder heraus, indem sie Essen und Trinken sogar zu einer Gottessache macht, in welcher du ihn habest, und durch Gabe den Geber selbst, Gott hast. Diese Bitte hilft dir von dir selbst los und bringt dich, gleichsam durch Abnahme aller irdischen Sorgen, in die Nähe Gottes, führt dich zur Gottseligkeit, zu diesem großen Gewinn, wie der Apostel es nennt. Iss, trink, kleide dich, wärme dich, bette dich, du siehst ja Gott für das Alles sorgen, wohlan, so geh' du anders mit deinen Sorgen und überhebe, entschlage der irdischen dich kraft der vierten Bitte, die dazu im Vaterunser steht, dass sie diesen Dienst den Betenden tun soll.
Brauche sie denn auch so, bete sie so. Du Unglücklicher, der du hast als hättest du nicht, und nimm zu den Vermahnungen noch die Warnung hin: Es möchte Gott dir sonst nehmen, was du hast. Er hat solche Dinge doch ja wert geachtet, selber hauszuhalten mit ihnen auch, und sie auszuteilen und zu verteilen nach Weisheit, Güt' und Gnade. Wenn du denn nicht wolltest sie wert achten anders als in großem Maße und bei dem mäßigen Maße dich gebärden, als hättest du gar nichts bekommen, sei gewarnt, Gott möchte dir abnehmen, unartiges Kind, was du hast, und es geben dem Genügsamen, Zufriedenen, mit Wenigem Vergnügten, dem, der nichts hatte und doch hatte. Alsdann magst du das Vaterunser und die vierte Bitte lange Zeit vergeblich hintennach sprechen.
IV.
Es finden nun noch diejenigen eine Anred' an sich, derer eines eben gedacht wurde, welche das tägliche Brot nicht haben und die es doch haben. Ihre Zahl ist klein, sei denn auch das Wort an sie kurz. Der Nichthabenden sind viele, allein zu diesen bring' ich die die vierte Bitte jetzt nicht, es ist ja geschehen, aber die zugleich haben, derer Zahl ist klein, und ich möchte behaupten, Mancher von euch hat einen solchen nie gesehen, ich, Einige, das sind die in ihrem Mangel Stillbleibenden, ihre Not weder Aufdeckenden noch Verbergenden, Frost und Blöße und Hunger mit Geduld Tragenden, mit Geduld und Ergebung ist zu wenig gesagt, die ein frohes Herz tragen in ihrem Busen und fröhlich vor Gott sind bei alledem, dass es ihnen im Angesichte wie geschrieben steht und strahlt ihnen aus ihren Augen. Das sind, welche in den Mund bekommen, was sie nicht haben auf ihrem Tisch, denen das gegeben wird an Schlaf, was sie nicht haben an Bett, die das haben an Mut, was sie nicht haben an Gut, wahre Pfleglinge der vierten Bitte, denen täglich gegeben wird für den Tag nur, heute für heute. Die haben nicht und haben doch. Wenn mein Wort sie erreicht, sprech' ich zu ihnen: Ihr glücklich zu Preisenden, die ihr seid in der Tat! Ihr wisst's oder wisst's nicht, die zeitlichen Güter sind nur eine Last, sind gefährliche Anreizungen zum Bösen, sind Hemmungen guter Taten, sind Riegel vor der Himmelstür, durch die Mancher nicht kommt, weil er der Dinge mehr hatte, als die vierte Bitte besagt oder weil ihm aus der Katechismus - Erklärung von dem täglichen Brot auch kein Stück oder nur wenig fehlte. Der Gefahr seid ihr enthoben durch euren Zustand, und bei eurer Seelenbeschaffenheit in diesem euren ärmlichen Zustande send ihr glücklich zu preisen deshalb. Aber wollet euch das auch gesagt sein lassen: Versuchet Gott nicht. Seht, die vierte Bitte ist euch gegeben, dass ihr sie beten sollt und nicht denken sollt, es fall' euch immer zu, wie der Regen vom Himmel fällt. Nein, der Vogel muss ausfliegen um seine Kost und der Sperling muss um das Körnlein picken und scharren, so bekommt er sie, so ernährt Gott die Sperlinge, hiermit ist euch gewiesen, dass ihr allerdings auch um euer Brot zu erhalten etwas tun sollt. Und die ihr in eurem Neste habt, ihr sollt auch für die sorgen, wie für seine Jungen der Vogel sorgt, und wenn ihr könnet, sammeln für die auch auf den Fall, dass ihr werdet von ihnen weggenommen, ehe sie flügge sind. Vorstellen kann man sich's, wie Jemand, dem immer, da er's bedarf, das Nötige kommt, wie der hineinkommt zu glauben, es könne auch nie anders werden, und versäumt das Seine zu tun dieserhalb. Hütet euch, dass ihr Gott nicht versuchet.
Und behütet euren Schatz, den ihr habt, dass derselbe euch nicht verloren gehe. Es ist um das Herz und was man darin trägt, eine eigne Sache; es will bewahrt sein. Ihr habt Mut, der kann in Unmut umschlagen; ihr habt Gottvertrauen, statt dessen kann Zweifel und Mistrauen, ja Verzagtheit und Trostlosigkeit wohl eintreten. Ich halte euch die vierte Bitte vor; höret die zu bitten nimmer auf, dann bleibt ihr bei Gott, dann nehmt ihr, ob es auch wenig ist, doch aus Gottes Hand das Wenige, dann dankt ihr, wenn ihr auch nur Einen Tag weiter gekommen seid, Gott dafür. Die so zu ihm sich halten und weichen von ihm nicht, die lässt er auch aus seiner Gunst nicht gleiten, aus seiner Hand nicht fallen, und ihren Schatz, den sie gehoben haben aus der Tiefe seiner Verleihungen, lässt er ihnen nicht wieder entfallen.
Und zuletzt dieses noch zu ihnen gesagt, sie gefragt: Steht's auch alles richtig bei euch? Im Begriff aus dem Hause zu gehen und die Tür der Rede zuzuschließen, frag' ich euch dieses noch: Es steht doch alles richtig? es ist doch ein Seelenzustand und kein Nervenzustand?
Täuschungen, einem Rausch ähnlich, fallen wohl mit vor, entstanden so und so, hervorgebracht so und so, ihr seid doch in keiner Täuschung? Ich möchte euch antworten hören und hör' euch antworten: Nein, nein! wir sind ja nicht erst seit gestern und ehegestern in dieser Gemütsverfassung, wir haben unsre Proben zu bestehen gehabt und kennen unsre Kämpfe, wie andre Menschen sie kämpfen, gar wohl; nein, und kennen auch die Wege wohl, da uns unser Trost, oder wenn ihr ihn mehr als Trost heißet, zugegangen ist, sein Wort hat Gott dermaßen kräftig in uns wirken lassen; nein, wir täuschen uns gewiss nicht, haben auch ja diese Predigt mit angehört, und vor möglichen künftigen Täuschungen soll die uns bewahren. So sage ich euch insonderheit auch nichts mehr, aber die Augen gehen lassend über Alle, die hier sind, sage ich noch das Wort zu Allen, die hier sind: Wollt Alle diese Predigt bewahren! Amen.