Krummacher, Gottfried Daniel - Petri Fall und Buße.

Krummacher, Gottfried Daniel - Petri Fall und Buße.

(Passionspredigt)

Als Israel im Begriff war, das ihm verheißene Land einzunehmen, kam der Herr ihrer Furchtsamkeit wegen der Überlegenheit der Völker, mit denen sie es nun zu thun kriegten, auf mannigfache Weise tröstend entgegen, wie wir namentlich 5 Mose 7 lesen. Gott versichert sie seiner Liebe; er erinnert sie selbst an den Eid, wodurch er sich ihnen gleichsam verbindlich gemacht, indem er denselben schon ihren Vätern geschworen habe; er erinnert sie daran, daß er, ihr Gott, ein treuer Gott Amen sei, der Bund und Barmherzigkeit halte denen, die ihn lieben und seine Gebote halten, bis ins tausendste Glied. Er nennt sie ein heilig Volk dem Herrn, das er sich zum Eigentum erwählt hat aus den Völkern, die auf Erden sind, und spricht sodann: „Fürchtet euch nicht.“ Merkwürdig ist es hiebei, daß der Herr im 20. Verse verspricht, er wolle Hornisse unter ihre Feinde schicken, daß umgebracht werde, was sich heimlich verbirget vor dir; so wie der 22. Vers sagt: „Der Herr wird deine Feinde vor deinem Angesicht einzeln, nach einander ausrotten; denn du kannst sie nicht eilend vertilgen, auf daß sich nicht mehren die wilden Tiere wider dich“.

Ich gebe gern eurer geistlichen Deutung dieser Worte Raum und mache selbst folgende Bemerkungen: Es mag noch viel Böses bei uns auf dem Boden unsers Herzens liegen, was sich vor uns verbirgt. Bei aller deiner vermeintlichen Sünde und Sünden-Erkenntniß magst du noch wohl nicht das Haupt-Übel, das in dir steckt, verstanden haben, und worüber du dich vielleicht nicht wenig verwundern, oder gar entsetzen würdest, wenn es dir unter die Augen träte. Dies muß es aber; denn Gott will sie vor deinen Augen ausrotten; du mußt die Feinde also vorher kennen lernen; und diese sich versteckenden Feinde sind die allergefährlichsten. Gott führt sie derhalben vor dich. Weigere dich deß nicht, und bemühe dich nie, das zuzudecken oder zu bemänteln, was der Herr aufdecken will! Heißt es sogar: „Du bist ein Heuchler,“ so sage ja und nicht nein und fliehe desto mehr zu dem, der allein wahrhaftig ist, und alle Menschen sind Lügner!

Gott rottet die Feinde nicht auf einmal, sondern einzeln aus und oft den einen durch den andern. Du meinst vielleicht, dies müßte zuerst dran; und es ist doch was anderes; nicht die Hand, sondern das Auge. Du kannst sie nicht eilend vertilgen. Habe nur Geduld, auch mit dir selber; die wilden Tiere der Selbstgerechtigkeit möchten dir sonst viel Schaden thun, wenn's so schnell gelänge, wie du es aus Eigenliebe wünschest.

Aber die Hornissen sind schmerzhaft stechende Insekten.

Den Assaph stach es in die Nieren. Der Herr kann dir auch irgend eine Hornisse zusenden oder hat es schon gethan, die dich schmerzhaft genug sticht, und dies um so empfindlicher, jemehr du dich wehrst. Zu den Verständigen rede ich: Urteilt ihr! Wohl dir Israel, du Volk des Eigentums, dem sogar Hornissen dienen müssen! Wohl dir, daß du einem Herrn angehörst, vor dem niemand unschuldig ist, der aber die Sünde vergiebt, alle Gebrechen heilt und das Leben vom Verderben erlöset!

Marci 14,72

Und der Hahn krähete zum andernmal. Da gedachte Petrus an das Wort, das Jesus zu ihm sagte: Ehe der Hahn zweimal krähet, wirst du mich dreimal verläugnen. Und er hub an zu weinen.

Petri Buße oder Zurechtbringung ist der Gegenstand unserer diesmaligen Betrachtung.

1. Sehen wir auf den Zusammenhang, angedeutet durch das Wörtlein „und“

2. Auf das Mittel: Der Hahn krähte zum andern mal.

3. Auf den Erfolg: Da gedachte - und hub an zu weinen.

I.

Unser Text-Vers fängt mit dem Wörtlein „und“ an, welches uns auf den Zusammenhang hinweist, worin er mit dem Vorigen steht. Wir wollen die Geschichte des schweren Sündenfalls Petri nicht wiederholen, aber doch Einiges über ihn bemerken.

Petrus war wahrlich bekehrt und wiedergeboren. Das nächste Mittel dazu war, nebst der Predigt Johannis des Täufers, sein Bruder Andreas, der sich nebst dem Apostel Johannes nur einen Tag früher zu Jesu begeben hatte. Dies waren nun ungefähr drei Jahre. Er war also noch ein junger Christ. Diese drei Jahre hindurch war es ihm wie den andern Jüngern in dem beständigen Umgange mit dem Herrn Jesu ungemein lieblich und fröhlich gegangen, so daß Jesus sie den Brautleuten vergleicht, die unmöglich traurig sein können, weil der Bräutigam bei ihnen ist. Er war voll Lebendigkeit, aber auch voll guter Meinung von sich selbst, voll guter Vorsätze, die sich aber auf seine eigene Kraft gründeten, und eine noch sehr unreife Frucht. Es mangelte ihm noch sehr an Selbsterkenntnis und also auch an Demut; und obgleich er einmal ein sehr durchdringendes Gefühl seiner Sündhaftigkeit gehabt hatte, so war dies bald vorübergehend, und er geneigt, sich für besser zu halten wie andere, und zu glauben, er sei nicht in Gefahr, die Fehler zu begehen, denen andere unterlagen. Er hatte noch wenig Erkenntnis Christi, wenig Glauben, und viel Eigenwillen und eigne Kraft. Er gürtete noch sich selbst, und ging wohin er wollte; später aber gürtete ihn ein anderer.

Dieser Petrus war tief gefallen, jedoch ohne bösen Vorsatz. Er hatte innerhalb einer Stunde Christum dreimal abgeläugnet und hatte dies das drittemal sogar mit Fluch und Schwur gethan. Man sollte aber doch sagen, wie es möglich sei, daß ein wahrer Gläubiger, wie doch Petrus einer war, also tief fallen könne. Was nun die Möglichkeit betrifft, so gilt die von allen, so wie es von allen gilt, daß sie es nicht wollen, sondern mit ernstlichem Vorsatz nicht allein nach etlichen, sondern nach allen Geboten anfangen zu leben; und ist allein der Treue des Hirten zu danken, daß die Möglichkeit nicht häufiger zur Wirklichkeit reift. Kommt's aber zu einem wirklichen schweren Fall, so setzt dies mancherlei vorhergegangene Unarten und Fehler voraus, wie das bei Petrus auch der Fall war. Manchen kann man's im Voraus weissagen, daß ihrer noch empfindliche Demütigungen und Züchtigungen warten, daß sie, wofern sie sich nicht bekehren und werden wie die Kinder, nicht ins Himmelreich kommen werden.

Die Überflieger, welche weit über alles hinweg und die Ersten zu sein glauben; die Weisen, die es meistens besser zu wissen meinen; die unberufenen und strengen Richter; die Starken, die alles können; diejenigen, welche von sich selbst halten und alle Einsicht schon zu besitzen, alle Erfahrungen und alle Wege durchgemacht zu haben glauben, diejenigen, welche von keiner Gefahr und Versuchung mehr wissen wollen, sondern in sich selbst sicher, die da etwas sind; die befinden sich eben in der größten Gefahr. Hat der Herr sie lieb, so wird er sie strafen und züchtigen, so wie der Satan solcher begehrt, um sie zu sichten.

Petrus war nie in größerer Gefahr als zu der Zeit, wo er ganz sicher zu sein meinte; er war nie schwächer, als da er das meiste versprach, und dem Fall da am nächsten, wo er ihn für unmöglich achtete; und stand nie schlimmer, als da er besser wie alle zu stehen meinte; und sein wirklicher Fall war ein natürliches Ergebnis seiner gesamten selbstgerechten Stellung. Im Thal der Demut und der daraus erwachsenden Abhängigkeit vom Herrn fällt man nicht. Wer sich fürchtet und auf die Güte des Herrn hofft, wandelt sicher. Wer in tiefster Armut des Geistes nichts von sich selbst erwartet, als daß er sich ins Unglück bringen werde; wer sich keiner, auch der kleinsten Versuchung nicht für gewachsen hält; wer seine Gefahr für unnennbar groß und unüberwindlich achtet und sich so in völligem Glauben dem treuen, dem allmächtigen Hirten in die Arme werfen und darin beharren kann, der lebt sicher, den wird kein Fall stürzen, wie groß er sei. Du Würmlein Jakob und du armer Haufe Israel, fürchte dich nicht, spricht der Herr, denn ich bin mit dir. Was will uns scheiden von der Liebe Christi? Trübsal oder Angst, oder Verfolgung, oder Hunger, oder Blöße, oder Gefährlichkeit, oder Schwert? In dem allen überwinden wir weit um deswillen, der uns geliebet hat.

„Und“ heißt es nun im Anfang unsers Textes. Petrus aber fing an sich zu verfluchen V. 71. „Und.“ Nun, was folgt denn weiter? Was hätte folgen können, ja nach allem Recht und Billigkeit folgen sollen? Als Adam gefallen war, sagte Gott über ihm: Du bist Erde. Ich kann also aus diesem Klumpen machen was ich will, ein Gefäß des Zornes oder ein Gefäß der Barmherzigkeit. So lag auch der gefallene Petrus da, ohne sich selbst wieder aufrichten zu können. Einziges Glück für Adam, einziges Heil für Petrus: Daß beide nicht unter Werk-, sondern in den Gnadenbund gehörten, dessen Fundament dieses ist: „Ich will gnädig sein ihrer Untugend und ihren Sünden, und ihrer Ungerechtigkeit will ich nicht mehr gedenken. Nach jenem würde es nach der Regel gegangen sein: „Wer mich verläugnet vor den Menschen, den will ich auch verläugnen vor meinem himmlischen Vater; wer sich mein und meiner Worte schämet unter diesem ehebrecherischen und sündlichen Geschlecht, des wird sich auch des Menschen Sohn schämen, wenn er kommen wird in der Herrlichkeit seines Vaters mit den heiligen Engeln. Aus deinen Worten richte ich dich.“ wohlan denn, du kennest mich nicht, das doch das ewige Leben ist; so kenne mich nicht, und die Finsternis des Todes besitze dich fortan! Du scheidest dich von mir. Wohlan, so bleibe von mir geschieden, und aller Weisheit, Gerechtigkeit, Heiligung und Erlösung auf ewig beraubt; denn es ist in keinem andern Heil. Du hast mir aufgesagt, so sind wir geschiedene Leute.

Eine solche Behandlung wäre eine Wirkung der Gerechtigkeit und eine Frucht des Verdienstes Petri gewesen, wo denn der Satan, der auf ihn lauerte, würde zugegriffen haben, um ihn den Weg des Judas zu führen. Dies hätte sich wohl an das „Und“ reihen mögen. Verdienstlos, ja höchst strafbar steht oder vielmehr liegt Petrus da. Er kommt mir als ein weit größerer Sünder vor wie der Schächer. Wo ist nun sein Mut, seine Liebe, worauf er so zu pochen wagte? Aus einem ersten ist er ein letzter geworden; und da er's besser machen wollte wie die andern alle, hat er's von allen am allerschlechtesten gemacht; nichts war ihm übrig geblieben, als sich zu schämen und zu demütigen. So war er aus einem Kameel ein Würmlein worden. So fand sich Josephs Becher in Benjamins Sack und machte ihn selbst und seine Brüder aus ehrlichen Leuten zu Dieben und Buben.

Aber das „Und,“ womit unser Text beginnt, bildet einen merkwürdigen Wendepunkt; einen Wendepunkt der in dem Leben eines jeglichen, sonderlich eines gefallenen Gläubigen vorkommen muß, einen Wendepunkt vom Satan zu Gott, von der Finsternis zum Licht, vom Tode zum Leben, von Belial zu Christo, von der Verdammnis, worauf er bis dahin losging, zur Gerechtigkeit und Seligkeit.

Diesen glückseligen Wendepunkt führt nicht der Mensch selbst herbei, der vielmehr, so lange er sich selbst überlassen bleibt, sich immer weiter davon entfernt. Gott führt ihn in dem Lebenslauf seiner Erkauften herbei, indem er es ist, der das gute Werk anfängt. Nichts aus euch, Gottes Gabe ist es. Nichts ist notwendiger, nichts glückseliger, als das Eintreten dieses Wendepunkts im innern Leben; das einzige von den Dingen, die hier auf Erden geschehen, welches auch im Himmel Freude macht, denn es ist Freude vor den Engeln Gottes über einen Sünder der Buße thut. Diesen Wendepunkt, da die Sonne nun wieder anhub, sich aus ihrer weitesten Ferne wieder dem Winter des Petrus zuzuwenden, um einen herrlichen Frühling in seinem erstorbenen Herzen hervor zu rufen, bezeichnet das Wörtlein „Und.“

II.

Gott, der denselben aus Gnaden um Christi willen durch den heiligen Geist herbei führt, pflegt sich nebst seinem Worte zur Erreichung dieses erwünschten Zwecks mancherlei Mittel zu bedienen, und hier war es ein sehr sonderbares und geringfügiges.

An sich sind die Mittel nichts, kraftlos, unwirksam. Wer sollte nicht denken, das ganze jüdische Volk müßte sich bekehret haben, als Gott mit lauter vernehmlicher Stimme vom Berge Sinai herab unter den majestätischsten Umständen zu ihnen redete, und sie alle Mosen nicht ausgenommen, zitterten und bebten. Man sollte ja meinen, die ganze Welt würde sich bekehren, wenn Gott das noch einmal thun wollte. Aber nein. Innerhalb weniger Tage war aller Eindruck erloschen und vergessen, und sie machten ein goldenes Kalb zu ihrem Gott.

Und an wem erweiset sich die Unzulänglichkeit und Kraftlosigkeit der Mittel als solcher deutlicher, als an Petrus. Alles wird mit großem Aufwand an ihn gewendet und fruchtet gar nichts. Der Sohn Gottes warnt ihn aufs Nachdrücklichste, und er selbst faßt die aufrichtigsten Vorsätze. Er empfängt ein dreifaches Sakrament; erst das Osterlamm, dann das außerordentliche Sakrament des Fußwaschens und endlich das heilige Abendmahl. Er hat der Verklärung Christi auf dem Berge beigewohnt, er hat die merkwürdigen letzten Reden des Herrn mit angehört, er hat das lange majestätische, hohepriesterliche Gebet Christi vernommen; er hat demnächst seine Angst, sein Zittern und Zagen gesehen. Auch hat er das verhängnißvolle erste Krähen des Hahns vernommen, und alles vergeblich. welche eine unglaubliche Herzenshärtigkeit beweiset das! Sind solche Wasser nicht imstande, einen Mohren weiß zu waschen, was soll's dann thun? Was und wer anders, als derjenige, welcher gesagt hat: Ich will rein Wasser über euch sprengen.

Gott bedient sich aber zur Hervorbringung und Förderung seines Gnadenwerks in der Sache der Buße, des Glaubens und der Heiligung zwar hauptsächlich seines Wortes, doch auch sonstiger Mittel. Oft sind sie großartig. Die Erde mußte erbeben, das ganze Gebäude des Kerkers bis in seine Grundfesten bewegt werden, die Thüren alle aufspringen, und die Fesseln der Gefangenen los werden, bloß um den Kerkermeister und seine Familie in dem Augenblick zu bekehren, da er im Begriff war, sein Leben durch ein Verbrechen zu enden. Um aus Saulus einen Paulus zu machen, zerriß der verherrlichte Jesus den Himmel und redete in eigner Person mit ihm. Die Engel und Seligen des Himmels und die Teufel und Verdammten aus der Hölle haben wohl schon zusammen wirken müssen, um eine einzige Seele herum zu holen vom Verderben.

Oft braucht Gott schmerzhafte Mittel. Manasse mußte vom Thron ins Gefängnis, der Schächer ans Kreuz. Die Sunamitin gelangte durch den Tod ihres einzigen Kindes zur Buße, und jener Vater durch das Elend seines Söhnleins zum Glauben.

Zuweilen werden ganz entgegengesetzte Mittel zum großen Segen. Durch Kot machte Jesus jenen Blindgebornen sehend. Petri Fall ist ihm nützlicher als alle seine schönen Bekenntnisse. Der Sohn Gottes ringt mit Jakob und widersteht ihm, um ihn desto vollständiger zu segnen; den Lazarus läßt er sterben, um desto herrlicher zu helfen; den Hiob kehrt er ganz um, ihm das Doppelte zu schenken.

Manchmal wirken die Mittel auf der Stelle. Kaum hat Petrus in Jerusalem ausgepredigt, so stehen dreitausend Gläubige da; und kaum ist das letzte Wort aus Philippi Munde, so fragt der Kämmerer: Was hindert's, daß ich mich taufen lasse. Oft gleicht's denjenigen Sämereien, welche lange unter der Erde liegen, ohne daß sie aufgehen. Der eine Aussätzige wurde augenblicklich rein, jene zehn erst, indem sie hingingen. Manchmal wirken die Mittel leise, wie bei Lydia, die still auf das acht hatte, was von Paulo geredet ward, und am Ende der Predigt zu ihm und seinen Begleitern sagte: „So ihr mich achtet, daß ich gläubig bin an den Herrn, so kommt in mein Haus, und bleibt allda.“ Nikodemus geht von Jesu wieder heim; was er aber für eine Angel geschlungen, offenbart sich in seiner vollen Herrlichkeit bei Jesu Tode.

Besonders bedient sich Gott oft kleiner Mittel zu den größten Zwecken. Die persönliche Predigt des Sohnes Gottes wirkte wenig. Selbst seine Brüder glaubten nicht an ihn; selbst an einem seiner beständigen Begleiter ist alles fruchtlos; er ist und bleibt ein Teufel. Von seinen Aposteln aber sagt er, sie würden größere Thaten thun denn er. Den merkwürdigsten Beweis von der Wirksamkeit kleiner Mittel stellt unsere vorliegende Geschichte auf. Ein Mann, durch welchen der Fürst des Lebens viele Tausende bekehren will, wird nicht durch seine Predigt, sondern durch das Krähen eines Hahns bekehrt; denn sein verstandloses Krähen ist in der Hand des Meisters, des Name „Wunderbar“ ist, das Mittel, wodurch Petrus an das Wort Christi erinnert wird.

Wie wunderbar! Derjenige; durch welchen so viele von der Finsternis zu dem wunderbaren Lichte berufen wurden, ist selbst durch das Krähen eines Hahns bekehrt worden. Des Hahns wird meines Wissens nirgend in der heiligen Schrift gedacht, weil seiner hier in einer so merkwürdigen Beziehung erwähnt werden sollte. Markus thut auch so, als schriebe er alles auf Rechnung dieses Haustiers, da es doch ganz anders wohin gehört, wie seine verständigen Leser wohl wissen und wissen würden, hätte auch Lucas nicht geradezu gesagt: „Und der Herr wandte sich und sahe Petrum an.“ Die Schrift macht's häufig auf eine ähnliche Weise und macht dadurch die Weisheit der Weisen zunichte oder, wie Hiob 12,24 sagt: Wie auf einem Umwege, da kein Weg ist. Jedenfalls verkündigt das Volk des Herrn nur des Herrn Ruhm, mag er die Stimme eines Hahns, des Donners, eines Engels oder eines Apostels brauchen, und giebt ihm die Ehre allein.

Diese Herrlichkeit Gottes leuchtet hier desto glänzender hervor, je geringer, ja ungeeigneter das Mittel erscheint, das er nach seinem Gutfinden hier anwenden will. Möchte man nicht ängstlich fragen: Wie soll Petrus, ohne zu ertrinken, aus diesem Strudel, wie, ohne zu ersticken, aus diesem Schlamm herauskommen? Wie wird er aus der tiefen Grube, in welche er sich selbst gestürzt hat, emporklimmen, wie sich aus dem Sieb und Netz des Satans loswickeln, der ihn gepackt hat, weil er sich unbesonnen, obschon gewarnt, auf sein gefährliches Gebiet wagte? Wie soll dies, so entsetzlich verrenkte Glied wieder eingerichtet werden? Alle Mittel sind ja vergeblich bei ihm gewesen. Wird er je wieder zurecht kommen? Oder wieviel Jahre werden darüber hingehen? Siehe, da krähet ein Hahn! Ach, ob der krähet oder läßt es bleiben. Er hat ihn ja schon einmal krähen hören und es darauf noch schlimmer gemacht. Hat er die Stimme des Sohnes überhören können, was läßt sich denn noch von der Stimme eines Engels, will geschweigen eines vernunftlosen Hahns erwarten? Dies ist sehr wahr. Aber um desto mehr offenbart sich darin die Herrlichkeit Gottes. wie sehr wurde der Satan dadurch zu Schanden gemacht! Dieser Löwe setzte sich in Bereitschaft, dies arme, verirrte Schaaf nun vollends zu verschlingen, und siehe, ein krähender Hahn setzt ihn in die Flucht! Will der Sohn Gottes ihn ganz aus der Welt jagen, so braucht er nur Hähne auf seine Weise krähen zu lassen, und er muß fort. Wie herrlich erweist es sich hier, daß da, wo die Sünde mächtig worden ist, die Gnade noch viel mächtiger ist. Satan hatte sich in ärgster Weise über ihn gemacht und ihn umgarnt, wie eine Spinne eine kleine Fliege in ihrem Netze. Ein Hahn kräht, und dieser Löwe fleucht. Die Macht des Sohn Gottes, obschon er gebunden da steht, glänzet hier mächtiglich. Sie versteckt sich hinter einen Hahn und thut Wunder. Ihr muß alles gelingen. Und du, bedrückte Seele, die du schreist: „Reiß mir doch das Netz in Stücken,“ wolltest verzagen, wolltest nicht vielmehr Mut fassen, einen großen Mut, und zwar zu Jesu?

Ach siehe, es braucht ja etwa nur ein Hahn zu krähen, und dir ist durch und durch geholfen! Und das Verlangen der Elenden hört ja der Herr. Sollte er denn nicht auch für dich einen Hahn haben? O er hat weit mehr für dich! Er hat sein Blut, seinen Geist, seine Gerechtigkeit, seine Stärke, und wenn seine Stunde gekommen ist, seine Stunde, der du so sehnsuchtsvoll entgegen schmachtest, wird er auch deine sechs steinernen Krüge mit Wasser in den köstlichsten Wein umwandeln; wird dir befehlen: Schöpfe nun; wird seine Herrlichkeit offenbaren, und du wirst an ihn glauben. Dein Herz sei dennoch wohlgemut, seist du auch voll Gebrechen!

III.

So ging's mit Petrus. Dieser zweite Hahnenschrei war gerade das Mittel, in welches der allmächtige Arzt die ihn heilende Kraft gelegt hatte; der Schlüssel, welcher das Gefäß öffnete und die Bande löste, worin sein neuer Mensch so gefangen und gebunden lag, daß er sich nicht einmal regen, nicht einmal seufzen konnte; denn er ist ja gekommen, zu predigen den Gebundenen eine Öffnung. Über diesem Schrei riß der Strick, und der Vogel ward frei.

Die erste Wirkung bestand darin, daß ihm seine zerstreuten Gedanken, die wie Bienen durch einander summte, auf einen Punkt gesammelt und zusammen gefaßt wurden. Sie richteten sich auf das, was Jesus ihm von dem Hahn und seiner Sünde gesagt hatte.

Jetzt sah er's ein, was er gemacht hatte, sah es ein, daß er Jesum verläugnet, daß er es in einer Stunde dreimal wiederholt hatte. Sehet da, das erste Stück der Buße! Erkenne deine Sünde! Erkenne sie als Sünde, als einen Gräuel, als strafbar, als verdammniswürdig. So lange diese Erkenntnis nicht bei dir ist, bist du beides, blind und tod. Treten dir deine Sünden vor deine Seele, so ist dies der erste Schimmer des über die anbrechenden Tages; wenn er dir nur noch zeigt, wie finster deine bisherige Nacht war, so daß du bisher träumtest: „Sünde hab' ich nicht, wenigstens nicht in dem Maße, daß sie mich verdammen könnte.“ Hat dir dieser Hahn noch nicht gekräht, wehe dir dann, du Finsterling! Dringt dir aber sein pikanter Schrei in Ohr und Herz, so tagt es bei dir.

Petrus dachte an Jesum und an die milde Weise, wie er mit ihm geredet. Wie mußte dem Judas sein, wenn er an das Wort Christi dachte: Es wäre demselben Menschen besser, daß er nie geboren wäre! Wie mußte dem Petrus zu Mute sein, wenn er daran dachte, daß Jesus auch ihm gesagt: Ich habe für dich gebeten, daß dein Glaube nicht aufhöre. Und wenn du dermaleinst dich bekehrest, so stärke deine Brüder! Das war ein Körnlein Manna für seinen niedergedrückten neuen Menschen, welches das glimmende Glaubens-Fünklein belebte. Dann tagt's in der sündvollen Seele, wenn in ihr ein sehnendes Verlangen, ja ein hoffendes Vertrauen zu Jesu und seiner Gnade auftaucht, sie sich an ihn wenden und einiges Vertrauen fassen kann: Er wird auch dich nicht hinausstoßen. O wie erquickt, wie rührt und beugt ein solcher Strahl das zerschlagene Herz! Wird dies zum völligen Vertrauen, so geht ihm die Sonne auf. Es wird Morgen.

Am Morgen pflegt Tau zu fallen, und Petri steinernes Herz war nun so erweicht, daß es ein Quell milder Thränen wurde. Dies waren gemengte Tränen: Zeichen der Demut, die nichts mehr von sich selbst hält; Thränen der Reue, die es auch sich nicht vergeben mag; Thränen der Scham, der Beugung, der Selbst-Verurteilung, die auch sich selbst verabscheut. Aber in diese Thränen war auch einige Süßigkeit gemengt: Die Süßigkeit des zuvorkommenden Gnadenblicks, den Jesus auf ihn gerichtet, die Süßigkeit des in etwa erwachten Vertrauens: Er werde es vergeben; die Süßigkeit der wieder aus der Tiefe empor klimmenden Liebe und das Gefühl einer unaussprechlichen Dankbarkeit.

O, wie ergossen sich da Ströme von bittersüßen Thränen! Kennst du sie auch? Du hast schon manchmal geweint, vielleicht auch seit deinen Kinderjahren. Hast du je in ähnlicher Weise wie Petrus geweint? Ist jemals deine Sünde und des Herrn Jesu Gnade die Veranlassung zu Thränen bei dir gewesen? Glückseliger Mensch, wenn ja; elender, wenn nein! Lerne hier weinen, um getröstet zu werden, damit du nicht dort in Verzweiflung heulen müßtest! Ursache genug zum Weinen hast du. Weine denn vor Kummer über deine Sünden, damit du auch weinen mögest vor Freude über seine reiche Gnade; ja weine so, daß es zu dir heißen könne: Was weinest du, wen suchest du? zu dir heißen könne: Weine nicht, denn siehe, es hat überwunden der Löwe, der da ist vom Geschlecht Juda, die Wurzel Davids! Über das Haus Davids aber und die Bürger zu Jerusalem will ich ausgießen den Geist der Gnade und des Gebets; denn sie werden mich ansehen, welchen jene zerstochen haben, und werden einen freien offenen Born haben wider die Sünde und Unreinigkeit. Denn ich will meine Hand zu den Kleinen kehren.

Amen.

Quelle: Krummacher, G. D. - Gesammelte Ähren

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