Kirmß, Paul - Predigt am 3. Adventssonntage - Der Zweifel, der sich nach Gewissheit sehnt.
Es ist ein köstlich Ding, dass das Herz fest werde, welches geschieht durch Gnade.
Hebr. 13,9
Evang. Matth. 11. v. 2 bis 10.
Da aber Johannes im Gefängnis die Werke Christi hörte, sandte er seiner Jünger zwei, und ließ ihm sagen: „Bist du, der da kommen soll, oder sollen wir eines anderen warten?“ Jesus antwortete und sprach zu ihnen: „Geht hin und sagt Johannes wieder, was ihr seht und hört; die Blinden sehen, und die Lahmen gehen, die Aussätzigen werden rein, und die Tauben hören, die Toten stehen auf, und den Armen wird das Evangelium gepredigt. Und selig ist, der sich nicht an mir ärgert.“ Da die hingingen, fing Jesus an zu reden zu dem Volke von Johannes: Was seid ihr hinausgegangen in die Wüste zu sehen? wollt ihr ein Rohr sehen, das der Wind hin und her weht? oder was seid ihr hinausgegangen zu sehen? wollt ihr einen Menschen in weichen Kleidern sehen? Siehe, die da weiche Kleider tragen, sind in der Könige Häusern. Oder was seid ihr hinausgegangen zu sehen? wollt ihr einen Propheten sehen? Ja, ich sage euch, der auch mehr ist, denn ein Prophet. Denn dieser ists, von dem geschrieben steht: Siehe, ich sende meinen Engel vor dir her, der deinen Weg vor dir bereiten soll.
Der Zweifel, der sich nach Gewissheit sehnt.
Die Bußpredigt Johannis des Täufers am Jordan hatte eine tiefgehende, alle Volkskreise umfassende Bewegung im israelitischen Volke hervorgerufen. Ein neuer Geist war über Israel ausgegossen; und kein Stand vermochte sich dem Einfluss desselben zu entziehen. Der Landmann verlässt seinen Pflug, der Handwerker seine Werkstätte, der Fischer seine Netz; selbst der Kriegsknecht kommt, und alle fragen, was sie in ihrem Stand und Beruf zu tun haben. Und diese außerordentliche Macht übt ein Mann aus, der sich nicht auf irgend eine staatliche oder kirchliche Autorität stützen kann, sondern allein durch seine gotterfüllte Persönlichkeit wirkt. Er ist eine Macht für sich und durch sich; deshalb braucht er auch auf niemand Rücksicht zu nehmen, weder auf die Großen, noch auf das niedere Volk. Er ist ein rechter Vertreter des israelitischen Prophetentums, welches kühn der Macht der Gewohnheit, dem starken Priestertum entgegentrat; ja, er ist der größte unter allen Propheten Israels.
Er war der Größte in ganz besonderem Sinn. Hatten seine Vorgänger mit scharfem Auge, in glühender Erwartung hinausgespäht in die Zukunft, um den zu sehen, der da kommen sollte, so war es Johannes als dem letzten und größten Propheten beschieden, dem Verheißenen Auge in Auge gegenüber zu stehen. Denn als Jesus in Nazareth gehört hatte von der großen Volksbewegung, die in der Jordanebene rauschte, wie die Wellen des heiligen Stromes, da hat es ihm keine Ruhe gelassen; der Ruf des Täufers ist ihm der Ruf Gottes; er kommt, und mit dem sündigen Volk, das sich weiht für die große Zeit des Messias, steigt er selbst in die Taufe hinab, um die Weihe zu empfangen für sein Amt. Das war der größte Augenblick im Leben des Täufers, als ihn beim Anblick Jesu wie eine Offenbarung Gottes der Gedanke durchzuckte: der ist es, der da kommen soll.
Doch rasch entflieht die große Zeit. Der freie Prophet ist ein gefangener Mann. Denn er hatte auch vor dem Königsthron seine männliche Überzeugung ausgesprochen, wie einst Elia vor Ahab; deshalb hatte ihn Herodes gefangen genommen. Wie still ist es nun dort oben im Gefängnis auf der Bergfeste. Wie sehnt er sich zurück zu dem Volke, das an seinen Lippen hing. Doch sein Trost ist, dass er nun entbehrlich ist; denn der Größere, dem er nicht wert ist, die Schuhriemen zu lösen, ist ja nun da, der Mond kann still erbleichen, wenn die Sonne aufgegangen ist. Von seinen Jüngern lässt er voller Spannung sich berichten über das Auftreten Jesu. Doch befriedigen ihn diese Berichte noch nicht, er hat von Jesus eine große Volksbewegung erwartet; doch sie bleibt aus. Jesus zieht als ein sanftmütiger Lehrer an den Ufern des galiläischen Meeres umher. Johannes möchte so gern an ihn glauben; er sehnt sich deshalb nach einem festen Bekenntnis aus dem Munde Jesu, um seinen Glauben daran aufzurichten. Aus diesem Zweifel, der sich nach Gewissheit, nach dem Glauben sehnt, geht die Frage hervor: Bist du, der da kommen soll, oder sollen wir eines andern warten? Das ist
der Zweifel, der sich nach Gewissheit sehnt.
Lasst uns betrachten
die Frage des Zweifels; die Lösung des Zweifels; die Frucht des Zweifels.
1. Die Frage des Zweifels
Die Frage des Johannes ist eine Frage des Zweifels, der sich nach Gewissheit sehnt. Einige Ausleger sehen in dieser Frage den entstehenden Glauben an Christus, andere den erschütterten Glauben. Jedenfalls spricht sich darin aus der Zweifel, der sich nach Gewissheit sehnt.
Zweifel! Ist uns der Täufer nicht ein abschreckendes Beispiel? Werden die Christen nicht vor dem Zweifel gewarnt? Doch zwischen Zweifel und Zweifel ist ein großer Unterschied. Es gibt einen Zweifel, der den Tod des Glaubens in sich trägt, und einen Zweifel, der den Keim des Glaubens in sich trägt; es gibt einen Zweifel, der die Wahrheit hasst und sie flieht; es gibt aber auch einen Zweifel, der nichts anderes ist als die keimende Liebe zum Glauben. Die Zweifler der ersteren Art sind zur Zeit Jesu die Hohenpriester und Schriftgelehrten, die sich durch ihn nicht wollten stören lassen im Besitz ihrer Gerechtigkeit und überlieferten Frömmigkeit, in der heutigen Zeit die Menschen, welche satt sind entweder an sogenannter Bildung oder an Reichtümern oder an eingebildeter Gerechtigkeit. Die anderen, die edlen Zweifler sind jene Menschen, welche in banger Erwartung, zögernd sich ihm nahen, welche rufen: Ich glaube, Herr, hilf meinem Unglauben! Ja, jene Sünder und Zöllner, die es noch nicht für möglich halten, dass dieser wunderbare Mann sich auch ihrer annimmt, auch den Armen das Evangelium predigt. Unter diesen edlen Zweiflern sehen wir auch Johannes.
Dieser Zweifel, der nach Gewissheit sucht, ist so wenig zu verwerfen, dass wir vielmehr sagen müssen, er ist der Weg, der zum Glauben führt. Denn der Glaube ist ein Gut, das erworben werden muss; dieser Zweifel ist die Tätigkeit, durch die man sich's erwirbt.
Gewaltige Männer, ja die größten im Reiche Gottes schließen sich Johannes dem Täufer an. Da sehen wir einen Saulus, welcher Anstoß nimmt an dem gekreuzigten Messias und doch sich mit wunderbarer Gewalt immer wieder zu ihm hingezogen fühlt und nicht von ihm loskommt, bis er überwunden wird. Da sehen wir einen Augustin, der in den Wissenschaften des Heidentums oder in den Geheimnissen religiöser Sitten Frieden sucht für seine Seele; und all' dieses Suchen, das ihn ruhelos umhertrieb in der alten heidnischen Welt, war doch nur ein Suchen nach Gewissheit. Vor allem aber gleicht Johannes dem Täufer ein deutscher Mann. Wie Johannes dort in seinem Kerker auf der Burg Machärus sich abringt mit seinem Zweifel und sich darnach sehnt, dass der Strahl der Gewissheit in seinen Kerker falle, so sehen wir in einer Klosterzelle einen bleichen Mann sich abringen im Zweifel, im Suchen nach der Gewissheit des Seelenheils, einem Suchen, das große innere Schwankungen brachte, aber doch endlich zum Finden wurde. Ja, alle großen Fortschritte an religiöser Erkenntnis in der Christenheit sind aus dieser Art des Zweifels, aus dem Zweifel, der nach Gewissheit sucht, hervorgegangen.
Dieser Zweifel lässt uns sprechen: Wie glücklich sind doch die Menschen, welche einen festen Glauben haben! Wie gern möchte ich glauben! So hilf du, an den ich glauben möchte, meinem Unglauben! Die Menschen sagen, du seiest die göttliche Liebesmacht, die Mensch geworden, und die Deinen auf Erden nennen sich Brüder und Schwestern. Aber wo ist die brüderliche Gemeinschaft, in welcher die Menschen untereinander zusammenhängen wie die Glieder eines Leibes? Die Menschen sagen: du seiest die Wahrheit; aber ich finde in der Lehre, die mir über dein Werk verkündigt wird, so viele Vorstellungen, die allem, was ich sonst aus Gottes Welt vernommen habe, zu widersprechen scheinen. Man sagt, du seiest die Gerechtigkeit; aber ich erlebe es, auch wenn ich mich an dich halten möchte, immer wieder sinke ich zurück!
Jesus sagt: Selig ist, wer sich nicht an mir ärgert. Es gibt ja Menschen, die von solchen Zweifeln verschont bleiben; ruhige, ebenmäßig sich entwickelnde Naturen, welche ganz allmählich, ohne Kampf in die Wahrheit hineinwachsen. Ihr Inneres wird bewahrt vor den Stürmen des Zweifels. Es ist wie ein stiller See, in welchem sich der Himmel widerspiegelt, am Tag in seiner wolkenlosen Herrlichkeit, nachts mit seiner Sternenpracht. Von ihnen sagt Jesus: Selig ist, wer sich nicht an mir ärgert. Doch es gibt andere, die haben es nicht so leicht. Die müssen alles im Leben tief auffassen und mit ihrem Gewissen durcharbeiten; sie können sich nicht dabei beruhigen, den überlieferten Glauben einfach ohne Frage anzunehmen, sondern sie müssen ihm ins Auge sehen und sich fragen: Was ist Wahrheit? Was kannst du glauben mit ganzem Herzen, mit vollem Gewissen? Sie müssen darnach ringen, den Glauben wirklich zu ihrem inneren Eigentum zu machen, und dazu müssen sie fragen, forschen, suchen. Scheltet sie deshalb, was nützt es euch? Gott hat ihnen nun einmal die Unruhe der Wahrheit in die Seele gelegt. Sie möchten nicht nur mit dem Herzen Christen sein und mit dem Verstand Heiden, sondern sie möchten gern mit Herz und Verstand die Wahrheit Christi umfassen. Viele verständige Leute sagen zu ihnen: Wer wird sich über solche Dinge beunruhigen! Ich kümmere mich nicht darum; so bin ich besser dran! Andere sagen: Ich habe eine fertige Glaubenslehre, darüber denke ich nicht nach. Welcher glaubt ihr wohl stehe dem Erlöser näher? Die Letzteren sind unfähig, überhaupt jemals den Glauben in sich zur Lebenskraft zu gestalten; sie sind wie ein Stein, wie ein dürrer Stamm. Jene aber, die in der Liebe zu Christus zweifeln, sie reifen heran, um die Wahrheit nicht bloß zu erkennen und für wahr zu halten, sondern um sich mit der Wahrheit zu durchdringen und dann für sie zu leben und zu sterben. Und deshalb soll die evangelische Kirche, deren unsichtbares Haupt Christus ist, diese Zweifler nicht verstoßen, sondern sich ihrer freuen, wie man sich freut der Saat, die der Ernte entgegenreift. Und wenn unter euch auch solche sind, die innerlich ringen um Gewissheit, und fühlen, dass sie darin noch nicht fertig sind, seid willkommen, suchet weiter und bittet Gott um Erleuchtung und Festigung; dann wird für euch die Stunde kommen, da ihr sprecht: Ja, du bist's, der da kommen soll; wir brauchen keines anderen zu warten.
2. Die Lösung des Zweifels
Wie löst Jesus diesen Zweifel? Er antwortet weder ja noch nein, sondern weist hin auf Tatsachen, die ja noch viel bessere Beweise sind als Worte und Bekenntnisse. Er weist hin auf Blinde, welche sehen, Lahme, welche gehen. Johannes hatte daran Anstoß genommen, dass Jesus immer nur predige; er vermisst die Zeichen“. Da weist Jesus ihn hin auf die Weissagung des Jesaia, dass der Messias die Blinden sehend und die Tauben hörend machen würde. Das geschieht aber jetzt. So sind diese Tatsachen die Beweise dafür, dass er der Verheißene ist.
Durch Jesus geschieht, was geschehen soll; es liegt im Weltplan Gottes, dass die Gebrechen der menschlichen Natur geheilt werden, dass der Mensch nach allem Kampf der Erde zuletzt zum Frieden mit Gott gelange; so muss wohl das Kommen dessen, der diese Gebrechen heilt und diesen Frieden bringt, nach Gottes Weltplan bestimmt sein. Die tiefsten Bedürfnisse der Menschenseele sind Verheißungen, welche Gott in unser inneres Leben geschrieben hat; wer diese Bedürfnisse stillt und diese Gottesverheißungen erfüllt, der ist gewiss der, der da kommen soll. Sonst treffen oft in der Geschichte des religiösen Lebens Angebot und Nachfrage nicht zusammen; hier sind Menschen, die ihr volles Herz an die Menschen geben möchten; aber es sind keine da, die es haben möchten; und dort wieder sind Hungernde und Dürstende nach der ewigen Nahrung des Lebens, aber es ist niemand da, der ihnen diese Nahrung gibt. Hier dagegen traf beides zusammen: hier waren Blinde und Lahme und Taube, und hier war der, der die Blinden sehend und die Lahmen gehend und die Tauben hörend macht. Hier ist die Erfüllung, das ist der Tag, den Gott gemacht.
So weist ihn Jesus hin auf seine Gemeinde, damit sie für ihn zeuge. Dieses Zeugnis gilt auch heute noch. In der christlichen Gemeinde sind Gottes Verheißungen erfüllt, alle Anlagen der Menschen zur Tätigkeit entfaltet, und alle Kräfte da, die Gebrechen der Menschen zu heilen. Hier geschehen die wahren Wundertaten Christi. Der Mensch, der nicht einmal imstande ist, das Wesen und den Zusammenhang dieser Welt zu erkennen, sodass auch der scharfsinnigste Gelehrte nur einen ganz kleinen Gesichtskreis hat, dieser von Natur blinde Mensch hat an der Seite Jesu Christi sehen gelernt und blickt mit wunderbar scharfem Auge durch alle Wolken, durch alle Himmel bis zu dem Gott, der über den Sternen wohnt, und bis hinein in das Herz des unsichtbaren Vaters. Und wie er hinaufschaut, so lernt er rückwärts schauen und umspannt mit seinem Blick die ganze Geschichte der Menschheit mit ihren Höhen und Tiefen als ein Werk, an welchem die Friedensgedanken Gottes arbeiten; und ebenso blickt er vorwärts und sieht die Zukunft als eine aufwärts steigende Entwicklung des Menschengeschlechts an der Hand Jesu Christi, der sie nach oben führt; und er blickt um sich und sieht in allen Menschen auch unter Staub und Schmutz das Ebenbild des Vaters, das herausgearbeitet werden soll, damit es leuchte im Licht des Tages. So beherrscht der Christ durch Christum mit seinem Blick Himmel und Erde, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, die äußere und die innere Welt. Des Menschen Sinn ist sonst verschlossen, taub, dass er kaum die Sprache des andern versteht, die Reichen nicht die Sprache der Armen, die Armen nicht die Sprache der Reichen, die Gebildeten nicht die Sprache der Ungebildeten, und umgekehrt; der Mensch versteht oft nicht die Sprache des eigenen Herzens, das Suchen und Sehnen in der eigenen Brust, nicht die Sprache des Geschickes, des Schmerzes, des Todes. Dieser taube Mensch wird an der Seite Christi hörend, hört Gottes Stimme in Gottes Wort, hört die Stimme der ewigen Liebe Gottes aus jeglichem Geschick, aus der Freude und dem Leide, auch aus dem Tod heraus, hört aus der Sprache seiner leidenden Brüder die Stimme der Sehnsucht nach Friede und Freiheit. Die Tauben hören. Der Mensch ist von Natur gelähmt, gebunden an die Scholle, er arbeitet an seinem Plass und findet zuletzt seine Ruhe in einem kleinen Stücklein Erde. Durch Christus aber wird er gehend, wandelt über Berg und Tal, durch Angst und Not, durch den Tod hindurch bis hinüber in die lichte Ewigkeit. Die Lahmen gehen. Der Mensch ist von Natur voller Krankheit, Sünde, Gebrechen; durch Christus lernt er es, seine Krankheit, seine Schuld los zu werden, und wird geschmückt mit der Gerechtigkeit, die vor Gott gilt. Die Aussätzigen werden rein. Der Mensch ist vom Tode umfangen, sieht überall die Spuren des Todes, die Erde bedeckt von der Beute des Todes. Aber Christus, der Lebendige, zieht ihm voran, und der Mensch pflanzt am Grabe das Siegeszeichen dessen auf, der den Tod überwunden hat. Die Toten stehen auf. Der Mensch ist von Natur arm. Arm tritt er ein in die Welt; arm verlässt er die Welt; und was er inzwischen besitzt, ist nicht sein, gleichviel ob die Menschen ihn zu den Armen oder zu den Reichen rechnen. Aber durch Christum wird der Mensch reich; denn es wird ihm das Evangelium gepredigt, und erfüllt von Gütern, die nicht vergehen, verlässt er diese arme Erde. Den Armen wird das Evangelium gepredigt.
So kommt denn, ihr Zweifler, und seht die Taten Christi in seiner Gemeinde! Würden euch allerhand gelehrte Verstandesbeweise gebracht, ihr würdet sagen: das glaube ich nicht. Hier aber werden euch Tatbeweise gebracht; die Erfahrung wird zum Zeugnis für euch. Die könnt ihr nicht wegleugnen. Hier steht Christus vor euch, umgeben von seinen Jüngern, von den Blinden, welche sehend, von den Lahmen, welche gehend, den Tauben, welche hörend, den Aussätzigen, welche rein, den Armen, welche reich geworden sind. Wollt ihr noch andere Beweise, als diese Wirkungen, welche ausgehen von Christus? Ihr müsst doch den Beweis gelten lassen: wo Sonnenschein ist, da muss die Sonne sein, wo die Erlösung ist, da muss der Erlöser sein. Anstatt euch herumzuschlagen mit den grübelnden Zweifeln, welche gern den Schleier Lüften möchten, mit welchem Gott die übersinnlichen Dinge für uns verhüllt hat, schließt euch durch die Tat an Christus an und versucht es, an euch zu erleben, was jene Erlösten erlebt haben. Tut, was er euch sagt, werdet nicht müde, Gott zu bitten, dass er euch immer inniger mit Christus vereinige, vertrauet ihm immer wieder, dem treuen Menschensohn, der eure Seele liebt, auch wenn sie ihn nicht ganz versteht; liebt die Menschen mit seiner Liebe; geht euren Lebensweg in seiner Nachfolge, dann werdet ihr auch an euch jenen Tatbeweis erleben und ernten
3. Die Früchte des Zweifels
die Früchte eueres Zweifels. Die Frucht des Zweifels ist die Gewissheit: Ich weiß, an wen ich glaube; ich weiß, dass mein Erlöser lebt; ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Fürstentum noch Gewalt, weder Hohes noch Tiefes, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges noch irgend eine Kreatur mag uns scheiden von der Liebe Gottes in Christo Jesu, unserm Herrn.
Diese Gewissheit schafft Menschen, wie Jesus in unserm Evangelium den Johannes schildert. Dort am Jordan, wo Johannes getauft hatte, da rauschte der Wind im flüsternden Rohre, und das Rohr wehte hin und her und hier und da brach eins ab und lag nun verwelkt da.
So sind die Menschen, die keine Gewissheit haben; sie schwanken hin und her; sie unternehmen Anläufe zum Guten und lassen bald wieder ab; sie gehören in der Kirche Gott an und leben in der Welt, als ob es keinen Gott gebe; sie tragen bald ihr Haupt in stolzem Übermut, bald klagen sie in dumpfer Verzagtheit; sie fließen gegen die Menschen bald vor Freundlichkeit über, bald verlegen sie durch unbedachte Worte. Es fehlt die innere Festigkeit, die Gewissheit. Seht diesen Johannes, der auch nicht schwankt, als er vor dem Thron des Königs steht, der auch nicht schwankt, als er ins Gefängnis wandert, als er zuletzt sein Haupt vor dem Henker neigt. So werdet ihr auch sein, wenn ihr euch euern Glauben, euere Überzeugung kämpfend erobert habt, wenn ihr durch Zweifel hindurchgedrungen seid zur Gewissheit. Denn wenn ihr sie euch teuer erkauft habt, so müsst ihr dafür einstehen, ob der Wind von der einen oder der anderen Seite weht, ob die Strömung hierhin oder dorthin geht, ob die Gunst der Menschen sich euch zuwendet oder von euch abwendet. Ihr seid nicht wie das schwankende Rohr, sondern wie der Baum, der, je mehr der Wind ihn schüttelt, sich mit seinen Wurzeln um so fester in die Erde eingräbt das ist der Mensch, der zur Gewissheit gelangt ist.
Johannes trug keine weichen Kleider, sondern ein raues Gewand; er aß kein Brot und trank keinen Wein, sondern nährte sich von der Nahrung der Einöde. Was kümmern den Mann, dessen ganzes Herz und Leben erfüllt war von seiner Aufgabe, die kleinen Bedürfnisse der Gegenwart? Die Menschen, die durch innere Kämpfe sich hindurchgearbeitet haben zu der Gewissheit des Heils, der unauflöslichen Gemeinschaft mit Gott, die reich geworden sind in Gott, brauchen die reichen Kleider der Üppigkeit, des Luxus nicht, und alle die tausend Genüsse und Bequemlichkeiten, von denen andere das Glück ihres Lebens abhängig machen, sind für sie nicht vorhanden. Ihr Leben ist nach außen hin vielleicht sehr ärmlich, aber das ist eben die christliche Einfachheit, die auf dem Reichtum, dem Gesättigtsein des inneren Lebens beruht, die sich genügen lässt, weil sie gottselig ist. Jesus sagt: Die weiche Kleider haben, sind in der Könige Häusern. Doch auch in der Könige Häusern kann es solche Menschen geben, die anspruchslos, weil innerlich fest und reich, sich ganz an die sittlichen Aufgaben ihres Lebens hingeben. Ihr braucht nur an jenen ehrwürdigen Greis zu denken, der noch vor einigen Jahren auf unserem Kaiserthron gesessen hat, auch im Purpurmantel der einfache, anspruchslose Mann, und an seinen großen Feldherrn, der auch von Ruhm und Glanz umgeben doch immer die schlichte Erscheinung blieb, der Mann, der im Felde nicht mehr brauchte als der geringste Soldat.
Oder wolltet ihr, so sagt der Herr, einen Propheten sehen? Längst war der Strom des prophetischen Geistes in Israel versiegt, und die Propheten waren ausgestorben. Aus längst vergangenen Zeiten klang zu Israel die Kunde herüber von jenen wunderbaren Gottesmännern, die ohne Priesterweihe vom Geiste getrieben in dunkler Zeit aufstanden, wie die Sterne aufgehen, wenn es auf Erden dunkel wird, und mit ihrer Begeisterung und Hoffnung das Volk erleuchteten. Dieser prophetische Geist war wieder auferstanden in Johannes, und so kamen sie nun, um ihn anzustaunen als einen alten Propheten, der von den Toten auferstanden sei.
Wer um seinen Glauben innerlich gekämpft und die Angst des Zweifels durchgemacht hat, der hat auch immer etwas an sich von der Natur eines Propheten. Je schwerer ihm der Kampf um die Klarheit und Gewissheit des Glaubens geworden ist, um so teurer ist ihm dieser Glaube, um so entschiedener muss er für ihn eintreten und ihn bekennen. Und wenn er selbst in sich die Gewissheit gefunden hat, dass der Gott, der ihm innerlich offenbar geworden durch Christus, nun in alle Ewigkeit ihn nicht lassen kann, so sieht er, mögen die Zeiten auch noch so trübe sein, hoffnungsfreudig hinaus in die Zukunft seines Volkes. Dann stehen Propheten, Männer, wie wir sie auch in der Geschichte unseres Volkes gesehen haben, Arndt, Fichte, Schleiermacher, Schenkendorf, die, lange Zeit wie einst Johannes Prediger in der Wüste, doch schließlich ihr Werk erfüllt haben mit ihrer Begeisterung und mit ihrer Hoffnung, dass Gott als der gerechte Richter die Gefangenen erlösen werde. Propheten, liebe Freunde, voller Begeisterung und Hoffnung brauchen wir in dieser schwächlichen, hoffnungslosen Zeit. Ihr, die ihr eures Glaubens gewiss seid, sollt solche Propheten sein. Blicken eure Brüder alle nach unten, schämt euch nicht, allein nach oben zu sehen; klagen die kleinmütig-gläubigen: was soll das werden, bekennt überall eure Hoffnung, dass Gott noch niemals von seinem Volk gewichen ist. Wie Elia eifert für Gottes Ehre, wenn das Volk die Götzen anbetet; wie Jesaja weckt die Großen auf; wie Jeremia weint um die Erschlagenen in eurem Volk, um die, welche den Versuchungen der Zeit unterliegen. So werdet ihr auch, wie Jesus von Johannes sagt, die Engel sein, die dem Herrn den Weg bereiten; soweit euer Einfluss reicht, lasst euer Glaubenslicht hineinleuchten in die dunklen Seelen, erwärmt die Herzen durch die Kraft eurer Liebe, dass die Menschen wenigstens eine Ahnung bekommen, wer der Herr ist, der in euch wohnt. Engel Gottes sollt ihr werden, die dem Herrn den Weg bereiten; denn von Menschen, welche gewiss geworden sind in ihrem Glauben, geht, auch wenn sie nicht reden, eine stille Kraft aus, vor welcher die Menschenherzen und die Türen sich auftun für den, der da kommen soll.
Solche Menschen, fest und unbeweglich, schlicht und einfach, voll Begeisterung und Hoffnung wie Johannes will Jesus schaffen. Lasst uns nicht fragen, wie viel oder wie wenig es in der Gemeinde, die sich nach Christus nennt, solcher Menschen gibt. Lasst uns vielmehr solche Menschen werden, Engel Gottes an unsere Brüder, die dem Erlöser den Weg bereiten. Amen.