Kapff, Sixtus Carl von - Anweisung zum Beten - II. Warum soll man beten?
Weil es das Wort des HErrn gebietet.
Ps. 50, 15. Rufe mich an in der Not, so will ich dich erretten, so sollst du mich preisen. - 23. Wer Dank opfert, der preist mich, und da ist der Weg, dass ich ihm zeige das Heil GOttes. Ps. 118. Dankt dem HErrn, denn er ist freundlich 20. Jes. 55, 6. Sucht den HErrn, weil er zu finden ist, ruft ihn an, weil er nahe ist. Matth. 7, 7. Bittet, so wird euch gegeben. Joh. 16, 24. Bittet, so werdet ihr nehmen. Matth. 6, 9. Ihr sollt also beten: Unser Vater rc. 26, 41. Wacht und betet. Luk. 18, 1. Er sagte ein Gleichnis davon, dass man allezeit beten und nicht lax werden sollte. 1 Thess. 5, 17. Betet ohne Unterlass. Röm. 12, 12. Haltet an am Gebet. Eph. 6, 18. Betet stets in allem Anliegen mit rc. Kol. 3, 17. 1 Tim. 2, 1. 2. 8. ist Bitte, Gebet, Fürbitte und Danksagung für alle Menschen geboten. Jac. 1, 5. So Jemand Weisheit mangelt, der bitte von GOtt rc. 5, 14. 16. Ist Jemand krank, der rufe zu sich die Ältesten von der Gemeinde und lasse sie über sich beten.
Das sind die Gebote, darinnen der HErr selbst in seinem heiligen Worte uns befiehlt, dass wir allezeit kommen sollen, ihn anzurufen. Das ist die Vollmacht eines gläubigen Christen, ohne die er keinen Mut haben könnte, zu reden mit dem allermächtigsten, allerheiligsten Gott. Solche königliche Vollmacht, Erlaubnis und Gebot halte dem HErrn vor, so oft du zu blöde bist, zu beten. Sprich zu ihm, wie der 27ste Ps. V. 28.: Mein Herz hält dir vor dein Wort: ihr sollt mein Antlitz suchen, darum suche ich auch, HErr, dein Antlitz.
Aber die, so GOttes Wort verachten und leben ohne Gebet, die sollen wissen, dass GOtt seiner nicht spotten lässt, und weil sie ihm die Ehre nicht gegeben haben in dieser Welt, so wird er in seinem furchtbaren Gericht zu ihnen sprechen: ich habe euch noch nie erkannt, weicht von mir, ihr Übeltäter.
Und warum wollt ihr nicht beten? Habt ihr es nicht nötig? Wer hatte es weniger nötig als Jesus, und wer hat mehr gebetet als er? In seinem zwölften Jahr sagt er: Wisst ihr nicht, dass ich sein muss in dem, das meines Vaters ist. Das war er durchs Gebet. Betend hat er ganze Nächte durchwacht in stiller Einsamkeit auf Bergen oder in der Wüste. In Gethsemane hat er gerungen im Gebet, und überhaupt nach Hebr. 5, 7. in den Tagen seines Fleisches Gebet und Flehen mit starkem Geschrei und Tränen geopfert zu seinem himmlischen Vater. Lies nur das 17te Kap. in Joh., da siehst du, wie Jesus gebetet hat. Und so alle Heiligen GOttes seit Anbeginn der Welt bis auf den heutigen Tag haben gelebt, gekämpft und überwunden in der Kraft des Gebetes, und so viel als sie gebetet haben, so viel sind sie geworden und so viel haben sie vermocht. Darum sollen wir beten, denn: Beten ist Leben in GOtt, und nur das ist wahres Leben.
Nichtbeten aber ist so viel als Nichtleben. Ein Mensch, der nicht betet, ist wie ein Baum in dürrem Erdreich, da kein Regen mehr hinfällt, seine Wurzeln vertrocknen, seine Blätter verwelken, er wird dürre und stirbt und ist zu nichts nütze, denn dass er abgehauen und ins Feuer geworfen werde. Dagegen ein Mensch, der betet, d. h. der in einem fortgehenden Gebetsumgang mit seinem HErrn steht, ist wie ein Baum, gepflanzt an den Wasserbächen, der seine Frucht bringt zu seiner Zeit und seine Blätter verwelken nicht, und was er macht, das gerät wohl (Ps. 1.).
GOtt ist unsers Lebens Quelle und Kraft und Ziel. Wer leben will, der muss aus ihm, in ihm und zu ihm leben, das geschieht allein durch Gebet und Gebetsleben.
Unsrer Natur nach sind wir getrennt von GOtt durch unsre Sünde, durch die Ichheit, die in sich, nicht in GOtt leben will. Und diese selbstsüchtige Natur kommt, je älter sie wird, desto weiter von GOtt weg, und ist wie ein. Stein, der desto schwerer fällt, je tiefer er fällt. Die Schwere der Selbstsucht und Ichheit zieht uns in die Tiefe, in den Abgrund. Und da in der Tiefe hausen alle die finstern Geister der Hölle, Augenlust, Fleischeslust und hoffärtiges Leben, der Mammon, die Wollust, die Ehre der Welt, Hass, Zorn, Neid, Feindschaft, Unglaube, Zweifel, Gottesverachtung, Gotteslästerung.
Gegen diese Feinde hat der arme Mensch, der ohne GOtt lebt in der Welt, d. h. der nicht betet, keine Macht. Das Gebet ist der Harnisch GOttes, in dem wir bestehen können gegen alle listigen Anläufe des Teufels. Denn im Gebet lebt der Geist in GOtt und GOttes Geist vereinigt sich mit ihm, und so kommt in den durch Sünde in das Fleisch gebundenen und dem Fleische unterworfenen Geist etwas Göttliches, das ihm seine wahre Natur wieder gibt, dass er wieder Herr wird über das Fleisch.
Wie von Christo eine heilende und neubelebende Kraft ausging auf Alle, die im Glauben sich ihm auftaten, so geht heute noch von ihm auf alle Betenden eine Gotteskraft aus, die neues Leben in ihnen schafft. So schwingt sich der in Fleisch und Blut gehüllte, unter der Last des irdischen Elends seufzende und nach Erlösung vom Leibe dieses Todes sich sehnende Geist, er schwingt sich im Gebet empor über die Natur, über den Leib und die in Selbstsucht von GOtt abgefallene Seele, er geht ein in seinen Ursprung und zieht aus ihm neues Leben. Und dadurch allein ist er Geist und lebt als Geist. Denn das Leben aus GOtt, das der Betende an sich zieht, ist die Lebensluft, ohne die der innere Mensch nicht leben kann. Wie der Leib stirbt, wenn er keine Lust mehr einatmen kann, so wird der Geist tot, der nicht im Gebete täglich die Lebensluft GOttes einatmet.
Beten ist das Atmen des inneren Menschen, er atmet die Luft ein, die beständig herüberweht aus der Heimat des Geistes; denn GOtt ist nicht ferne von einem Jeglichen unter uns, denn in ihm leben, weben und sind wir. Nur die Sünde, nur das Insichleben trennt von ihm. Im Stande der Unschuld ging der Mensch mit GOtt um, redete mit GOtt und GOtt mit ihm. Zu solchem Umgang mit GOtt, zum Leben in GOtt ist der Mensch geschaffen, und nur in solchem Leben ist er Geist, ohne solch göttliches Leben ist er Fleisch. Darum sind Alle, die nicht beten, Fleisch, und alles Fleisch ist wie Gras, und alle Herrlichkeit der Menschen, die nicht im Geiste leben, ist wie des Grases Blume. Das Gras ist verdorrt und die Blume abgefallen. Und das Verdorrte ist zu nichts nütze, denn dass man es verbrenne. Also ist ein Jeglicher, der nicht aus dem Geiste geboren ist und im Geiste lebt und im Geiste anbetet.
O, das Leben ist arm, schrecklich arm, das nicht reich gemacht wird durch GOtt, durch den Umgang mit GOtt im Gebet. Der 39ste Psalm sagt: „Siehe, meine Tage sind einer Hand breit bei dir und mein Leben ist wie nichts vor dir. Wie gar nichts sind alle Menschen, die doch so sicher leben! Sie gehen daher wie ein Schemen (Schattenbild) und machen ihnen viel vergebliche Unruhe, sie sammeln und wissen nicht, wer es kriegen wird. Nun, HErr, wes soll ich mich trösten? Ich hoffe auf dich.“ Da allein ist Trost, aber wer hat diesen Trost, ohne der da betet? Es singt Einer ein Trauerlied:
„Das arme Herz hienieden,
Von manchem Sturm bewegt,
Erlangt den wahren Frieden
Nur, wo es nicht mehr schlägt.“
So seufzt Mancher, der keinen Frieden hat, weil er nicht betet, und weiß nicht, dass der ärgste Unfriede erst dann anhebt, wenn das arme GOtt verlassende und daher von GOtt verlassene Herz nicht mehr schlägt in dieser, aber pocht und bebt in einer andern Welt. Solcher Herzen Leben ist ja selbst ein Grab, alle ihre Ruhe eine Ruhe des Todes, ihre Unruhe dagegen eine Unruhe der Hölle. Und wenn dann noch die Lasten dieser Erde drücken, wenn Krankheit den Körper wie mit schweren Fesseln gefangen hält, wenn Armut täglich wie eine düstere Wolke das bedeutungslose Leben verdunkelt, oder die Hitze der Trübsal seinen verdorrten Boden vollends versengt, wenn tausend schöne Hoffnungen trügerisch verschwunden sind, tausend freundliche oder lustige Lebensbilder sich in schwarze Nachtgestalten verkehrt haben, o! wahrlich, da ist das von schweren Seufzern gepresste Herz zu unglücklich und elend, wenn es nicht beten kann.
Was nicht von GOtt kommt, das kommt auch nicht zu Gott. Im Heiligtum Gottes durfte der Priester das heilige Räuchwerk mit keinem andern Feuer anzünden als mit Kohlen vom Altar des HErrn. Nadab und Abihu nahmen fremdes Feuer, da ging Feuer aus von dem HErrn und verzehrte sie. So kommt von uns nichts ins Heiligtum GOttes, zu GOtt, in GOttes Reich, als was von GOtt geheiligt, durch Gottes Geist gepflanzt ist in uns. Unser eigen Wesen ist etwas Fremdes, Unheiliges, Verwerfliches vor GOtt. Das Fleisch ist kein nütze. Wer auf das Fleisch sät, der wird vom Fleisch das Verderben ernten, denn Fleisch und Blut kann das Reich GOttes nicht ererben. Der Geist allein ist es, der lebendig macht. Nur welche der Geist GOttes treibt, die sind GOttes Kinder. GOttes Geist aber wohnt und wirkt nur in dem Geist, der durchs Gebet ausgeht aus der Welt und eingeht in GOtt. Deswegen ist ohne Gebet kein Leben, keine Gemeinschaft des Heiligen Geistes, keine Liebe des Vaters, keine Gnade unseres HErrn Jesu Christi. Denn nur wer bittet, dem wird gegeben, nur wer sucht, der findet, nur wer anklopft, dem wird aufgetan.
Wenn es so ist - und GOttes Worte werden nicht vergehen, ob auch Himmel und Erde vergehen - wenn es ohne Gebet keine Gnade und kein Leben gibt, warum, o warum beten denn so Viele nicht, nicht recht oder gar nicht?
Wer sich selbst lebt, lebt nicht dem HErrn, wer seinem Ich dient, dient nicht dem HErrn, wer sein Ich und die Welt mit ihren Götzen anbetet, der kann den HErrn nicht anbeten.
Aber ist es euch denn wohl dabei? Ihr lieben Leute, ist's euch wohl ohne Gebet? Woher kommt denn die Unruhe eures Herzens, die euch umtreibt, bis ihr den inneren Lärm durch den äußern des Vergnügens und anderer Zerstreuungen erstickt habt? Woher kommt der Unfriede, in dessen finsterer Macht ihr auch den äußeren Frieden stört und eheliches Glück und bürgerliche Ruhe vernichtet? Woher kommt's, dass ihr von GOtt und Ewigkeit nichts hören wollt, woher, dass ihr euch beredet, der christliche Glaube sei falsch, woher, dass ihr euer Gewissen anlügt, um nur einige Ruhe zu erkaufen? ihr betet nicht mehr, ihr seid von GOtt gewichen, und so ist die Quelle alles Friedens für euch versiegt. Aber brechen denn nicht in stillen Stunden die Wunden eures inneren Menschen auf, ist nicht der Schmerz und die Wehmut, womit die Leerheit des Herzens euch erfüllt, ein lauter Zeuge, und das durchbohrende Gefühl, ein Leben ohne Zweck und ohne Segen dahinzuschleppen, ist es nicht ein Ruf zu GOtt, ja ruft denn nicht der zu Gott geschaffene Geist oft laut in euch um Nahrung? Könnt ihr ihn darben lassen, um die Früchte dieser Welt zu genießen, die nie wahren Frieden, zuletzt aber den Tod bringen! blickt zurück auf eures Lebens heitern Morgen. Wenn ihr erwachtet und der Vater stimmte GOttes Lob an und segnete den Tag; wenn ihr euch zu Bette legtet und die liebe Mutter kam und ließ euch beten zum Heiland, war's euch da nicht wohl, war's dazumal nicht besser als jetzt? Und wenn ihr an der Konfirmation euch dem HErrn weihtet und ihn um Segen anrieft, kam nicht ein himmlischer Friede in euch? Wo ist er hingeschwunden? Die Sünde hat ihn weggenommen, und weil ihr nicht mehr betetet, so konnte der HErr euch nicht mehr segnen. Aber das Verlorene zu suchen, ist JEsus erschienen. Sucht, so werdet ihr finden, bittet, so wird euch gegeben. Aber wie sollen wir suchen, wie sollen wir bitten?