Johannes vom Kreuz - Zweiter Brief.
Nicht vieles Reden, Schreiben und Lesen, sondern Schweigen, Wirken und Leiden fördern den Geist.
Jesus sei in euren Herzen, meine geliebten Töchter in Christo!
Euer Schreiben war mir sehr tröstlich, was euch der Herr vergelten wolle. Bei meinem guten Willen für euer Bestes war es wohl nicht Mangel dieses Willens, dass ich euch seither nicht schrieb, sondern ich meinte nur, und meine es noch, es wäre bis jetzt genug schon gesagt und geschrieben worden über das Eine uns allen so Notwendige, und es käme nun mehr darauf an, danach zu handeln und zu wirken; solltet ihr aber doch wünschen, darüber noch etwas von mir zu hören, so wisst denn: es gilt jetzt Schweigen, und Wirken! denn immer reden und schreiben ist nichts als Zerstreuung, das Schweigen aber sammelt den Geist, und das Wirken kräftigt ihn. Da ihr nun alle das schon wisst, was zu eurem geistlichen Fortkommen vonnöten ist, so ist weiteres Reden darüber, und weiteres Hörenwollen davon wirklich überflüssig, vielmehr begebt euch jetzt in euer Herzens-Kämmerlein, seid still, schweigt, wirkt in Demut, in Liebe und Verachtung eurer selbst. Ehe das, was gelehrt und geschrieben wurde, noch nicht ganz erfüllt, und danach gelebt worden ist, dürfen andere, neuere Dinge nicht aufgesucht, nicht gefordert werden, sonst würden wir ja niemand so recht dienen, als unserem unruhigen Vorwitz, der selten zu befriedigenden Begierlichkeit, und würde da unser Geist nicht schwach, leer und ohne alle Kraft werden, nutzlos alles Gehörte und Gelesene? würde der Geist und das Gemüt nicht dasselbe leiden, was unserem Magen widerfährt bei Überladung desselben mit Speise? frische Speise zu sich nehmen, ehe die kaum genossene verdaut ist, beschwert nicht nur, es schadet auch der Gesundheit, da die natürliche Hitze des Magens sich verteilen muss auf beide, so hat dieser die nötige Kraft nicht, die Speisen aufzulösen zur gesunden Nahrung des Leibes, und nur Krankheiten und Wehetage werden erzeugt.
Deswegen, geliebte Töchter, ist viel daran gelegen, dass wir den Geist den Lüsten des Feindes und der Sinnlichkeit entziehen, sonst werden wir am Ende, aber, leider! zu spät inne werden, dass uns, zwar gegen unser Wissen und Wollen, gar vieles fehle, und wir noch weit von den Tugenden Christi entfernt stehen, wir werden zwar erscheinen vor Ihm mit allerlei Werken, aber, leider! nicht verrichtet auf die gehörige Weise, Lampen tragen in unseren Händen, aber erloschen, da das, was wir zur Anzündung derselben gebrauchten, eher zur Auslöschung, als zur Anfachung und Nahrung der Flamme war. Damit uns nun das nicht widerfahre, und wir den Geist, statt ihn zu lähmen, beleben und kräftigen, weiß ich euch kein besseres Mittel, als: Leiden, Wirken und Schweigen, die Sinne schließen, den Geist üben, die Stille und Einsamkeit lieben, alles vergessen, was außen ist, durch keinen Zufall und durch kein Geschick die Ruhe des Herzens, diese selige Frucht der innigen Liebe, trüben oder sonst stören lassen; denn eben diese feste Ruhe des Gemütes ist die wahre Rüstung gegen alle sich ergebende Leiden und Ereignisse.
Noch einmal, meine Töchter, Wirken und Leiden, und beide einhüllen in tiefes Schweigen ist der Wille Gottes an uns, wie ihn mir der Herr zu verstehen gegeben hat; denn dessen seid alle überzeugt, wer so schnell ist zum Reden, und so bereitet mit den Leuten umzugehen, der denkt wenig an Gott, wo der stete Gedanke auf Gott gerichtet ist, da liebt man sehr das Schweigen, sucht die Stille, die Zurückgezogenheit und flieht den Umgang der Welt. Unsere Seele gehört Gott, und er fordert sie als Sein Eigentum, auch das Herrlichste, Edelste und Nützlichste aller geschaffenen Dinge kann darauf keinen Anspruch machen, und wäre es, wir müssen es zurückweisen.
Ich empfehle mich in euer aller Gebet, und wünsche, dass ihr überzeugt sein mögt von meiner Liebe gegen euch, die mich nicht vergessen lässt die, denen ich im Herrn so sehr verpflichtet bin: Er sei allzeit mit euch! Amen.
Nachschrift: Unsere vornehmste Pflicht in Gegenwart unseres großen Gottes ist: stilleschweigen sowohl der Begierde als der Zunge nach, und obgleich Er die fromme Rede Seiner Kinder gerne hört, so will und liebt er doch mehr die stillschweigende Liebes-Rede.