Girgensohn, Thomas - Zur Erbauung - Freude mit Zittern.
Da das Simon Petrus sah, fiel er Jesu zu den Knien und sprach: Herr, gehe von mir hinaus, ich bin ein sündiger Mensch; denn es war ihn ein Schrecken angekommen. (Luk. 5, 8. 9.)
Wenn der Herr uns seine Segensgaben in überreichlichem Maße oder in unerwarteter Weise in den Schoß schüttet, wie er das bei dem wunderbaren Fischzuge des Petrus getan hatte, sei es, dass der Herr uns in geistlicher Beziehung zu Teil werden lässt Friede, Licht, Kraft, Trost, sei es, dass er für das irdische Leben uns beschert Erfolg bei der Arbeit, Errettung aus Gefahr, Geld und Gut, treue Liebe und freundliche Teilnahme unserer Mitmenschen, dann kommt alles darauf an, sich in rechter Weise dankbar der Gottesgaben zu freuen. Ist man im tiefsten Herzensgrunde ein selbstgerechter Pharisäer, so freut man sich mit einer Freude, die das Herz übermütig, stolz, selbstvertrauend, ja, in geistlichem Hochmut verblendet macht, und wenn man mit Worten auch dankt, so klingt in solchem Dank immer jenes „ich danke dir, Gott, dass ich nicht bin, wie andere Leute“ hindurch. Echte Freude, bleibenden Segen können die Gaben des Herrn nur bringen, wenn sie empfangen werden von einem Herzen, das durch Gottes Wort erkannt hat die eigene Sünde und die unverdiente, unergründliche Barmherzigkeit Gottes. Ein solches zum Empfang der Gottesgaben wohlbereitetes Herz stellt sich uns in den obigen Worten Petri dar; die rechte Freude ist eine Freude mit Zittern, die rechte Dankbarkeit ist eine Dankbarkeit in tiefster Demut; „Herr, gehe hinaus von mir“, das ist der Ausdruck jenes Zitterns: „ich bin ein sündiger Mensch“; das ist das Bekenntnis, welches aus der Demut kommt; und doch liegt in beidem zugleich ein Ausbruch tiefinnigsten Dankes und höchster Freude; wie hätte sonst Petrus alles verlassen und dem Herrn nachfolgen mögen? Aber warum ist solche Freude mit Zittern gerade die echte Freude? Weil diese Freude in der Erkenntnis unserer Sünde uns die Gnade des Herrn in ihrer ganzen Größe und Herrlichkeit schauen lässt, weil diese Freude in dem Bewusstsein des Abstandes zwischen dem heiligen Gott und dem unreinen Sünder keine trügerische Freude, sondern eine Freude in der Wahrheit ist, weil diese Freude in dem Gefühl demütigen Dankes eine fruchtbare Freude ist, die uns treibt, unsere Dankbarkeit in der Nachfolge des Herrn zu beweisen, und endlich weil diese Freude in der Erfahrung des störenden Einflusses, den die Sünde auf sie übt, mit der Furcht vor der Sünde verbunden ist, uns nötigt, gegen die Sünde zu kämpfen und uns dadurch wiederum in der Freude wachsen lässt. Darum ist Freude mit Zittern die echte Freude, weil sie ein Vorbild und eine Weissagung auf die himmlische Freude der sündlosen, vollendeten, in der Wahrheit geheiligten, aus Gnaden erneuerten Menschheit ist und uns dem Ziel entgegenführt, wo unsere Freude vollkommen sein wird. Gott helfe uns Täter des Wortes Psalm 2, 11 zu werden: Dient dem Herrn mit Furcht, freut euch mit Zittern.
R. K. 92. Nr. 28.