Brenz, Johannes - Am heiligen Christtage über Galater 4, 4-7.
Wir feiern das Gedächtnis der Geburt unsers lieben Herrn Jesu Christi, unsers einigen Erlösers und Heilandes der ganzen Welt. Wir können darum unserm Herrn und Gott keinen besseren Dienst erzeigen, auch für uns selber nichts Nützlicheres ausrichten, als wenn wir nach dem Nutzen fragen, welcher durch diese Geburt Christi uns zu teil werden soll. Der heilige Apostel Paulus zeigt uns diesen Nutzen treulich an, indem er spricht: „Da die Zeit erfüllt ward, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einem Weibe und unter das Gesetz getan,“ nämlich, dass er wie ein andres Judenkind beschnitten und aller Beschwerde des ganzen Gesetzes Mose untertan gemacht wurde. Und warum das? „Auf dass er die, so unter dem Gesetz waren, erlöste, dass wir die Kindschaft empfingen.“ Hier nennt uns also St. Paulus die beiden vornehmsten Ursachen, um derer willen unser lieber Herr Christus Mensch geworden und in die Welt gekommen ist. Lasst uns diese beiden Ursachen, wie sich Christen ziemt, mit Fleiß bedenken.
Die erste Frucht der Geburt des Herrn Jesu Christi ist also die, dass er die, so unter dem Gesetz waren, vom Gesetz erlöst hat. Wie? Sollte das ein so großer Trost sein? Der Apostel sagt: Christus habe die, so unter dem Gesetz waren, erlöst. Also sind wir, die wir als Heiden nicht unter dem mosaischen Gesetz waren, nicht erlöst? Also nützt uns die Geburt Christi nichts? Das sei ferne! Er hat beide, Juden und Heiden, erlöst und sie zusammen zu Einer Kirche, zu Einer Taufe und Einem Glauben versammelt. Doch damit wir die Sache recht verstehen und gewiss wissen, dass auch wir vom Gesetz erlöst seien, sollen wir lernen, was es heißt, unter dem Gesetze sein. Es heißt nicht allein: sich beschneiden lassen, Kühe und Kälber opfern, sondern: arm und elend, krank und angefochten, ein verfluchter Sünder und verdammter Mensch sein. Wo nun einer, Jude oder Heide, mit solchen Stücken sich beladen findet, der freue sich der Geburt Christi und wisse, dass Christus darum sei geboren, damit er ihn von allem Elend, Jammer, Anfechtung, Sünde, Fluch und ewiger Verdammnis erlöse. O, welcher herrliche Nutzen der Geburt Christi! Wir lesen in den evangelischen Geschichten, wie ein armes, krankes Weib all ihr Hab und Gut auf die Ärzte gewendet, nur damit sie möchte gesund und von ihrer leiblichen Krankheit erlöst werden: wie viel mehr sollte einer alles darangeben, dass er von allem Elend und endlich vom Tod selber erlöst würde! Und wer von Räubern gefangen wird, wie gerne gibt er alle seine Güter hin, um sein Leben zu erretten, wiewohl er über kurz oder lang dennoch sterben und vielleicht ewig verdammt sein muss: was sollte nun einer wohl geben, um so vom Tod errettet zu werden, dass er hinfort nicht sterben, auch nicht verdammt werden müsse? Aber ach, wir können ja nichts von dem Unsern geben, haben auch nichts zu geben, denn es ist alles zuvor schon unsers Herrn und Gottes. Doch Gott fordert auch nichts andres von uns, als dass wir an seinen Sohn Jesum Christum glauben und solcher erzeigten Wohltaten nach seinem heiligen Wort und Willen brauchen sollen. Wenn wir solches tun, werden wir so vom Tod erlöst, dass wir hinfort weder sterben noch verdammt sein werden.
Von der zweiten Frucht der Geburt Christi sagt St. Paulus: Gott habe seinen Sohn in die Welt gesandt, „dass wir die Kindschaft empfingen“. Das heißt: Christus hat uns durch seine Menschwerdung zu Kindern Gottes gemacht. Das ist abermals eine so große Wohltat, dass man sie nimmer genug ausdenken noch ausreden mag. Nimm hiervon ein Exempel. Wenn ein armer Gefangener unversehens aus dem Gefängnis erledigt und von einem reichen Mann an Kindesstatt angenommen würde, oder wenn ein großer Fürst einen verachteten, armen Menschen zu seinem Kind und Erben annähme, würden nicht alle Menschen, die es hören, diese Guttat rühmen? Nun aber ist's unendlich mehr, wenn der arme, verfluchte und verdammte Mensch errettet und von Gott dem Vater um Christi willen zu einem Kind angenommen wird. Oder: wenn einer, wie David, von seiner Herde weggenommen und zu einem König gemacht wird, verwundert sich billig jedermann. Aber wie viel mehr, dass wir aus der höllischen Verdammnis genommen und zu Kindern Gottes, ja zu himmlischen Königen gemacht werden. Ein Kind und Sohn Gottes sein, bringt aber mit sich, dass man auch den heiligen Geist habe, der im Herzen Gott den Herrn als einen geliebten Vater anrufet; ferner, dass der keinen Mangel leidet, der Gott als Vater anruft, denn alles, was er in Christi Namen bitten und begehren wird, das wird er ihm geben; endlich, dass er auch Gottes Erbe und Erbe aller himmlischen Güter werde. Was sind das für Güter? Gerechtigkeit, Leben und ewige Seligkeit. Diese Güter erben wir mit Christo als Kinder Gottes, wie Paulus anderswo spricht: Sind wir denn Kinder, so sind wir auch Erben, nämlich Gottes Erben und Miterben Christi. Weil wir nun durch die Menschwerdung und Geburt unsers Herrn Jesu Christi mit solchen vortrefflichen Guttaten begabt worden sind, so lasst uns hinfort allezeit dankbar sein und gegen Gott uns gehorsam erzeigen, auf dass wir diese Güter in unserm Herrn Jesu Christo behalten und durch ihn zum ewigen Leben erhalten werden mögen. Amen.