Beste, Wilhelm - Wegweiser zum inneren Frieden - 45. Nehmen.
„Gib mir zu trinken!“ spricht Christus zur Samariterin1). Hierin offenbart sich große Güte. Der Jude hasste den Samariter und zeigte Dies nicht bloß dadurch, dass er ihm Nichts geben mochte, sondern vor Allem auch dadurch, dass er von ihm Nichts nahm. Auch wir verlegen oft unsere Mitmenschen dadurch, dass wir von ihnen Nichts nehmen mögen. Wahrlich, wir haben nicht bloß die Pflicht zu geben, sondern auch die zu nehmen. Indem wir nicht nehmen wollen, erscheinen wir uns vielleicht uneigennützig; aber im Grunde betrachtet ist unsere Weigerung nur eine feine Art der Selbstsucht. Wohl steht geschrieben: „Geben ist seliger denn Nehmen.2)“ Aber begründet denn dieses Wort allein das Geben? Sollen wir denn allein selig sein wollen? Sollen wir denn nicht die Seligkeit auch Anderen gönnen?
O, ich will gern nehmen, aus Liebe nehmen; ich will das göttliche Gefühl des Gebens meinen Brüdern nicht verkümmern. Ich will ihnen den Segen nicht entziehen, der aus dem Geben in ihre Seele zurückfließt. Denn im Geben wird die Liebe stärker und die Kraft. Und auch ich will mich nicht um die Freude betrügen, durch Empfang ihrer Gabe stärker von ihnen geliebt zu werden. Weiß ich doch dass die Liebe zu Dem wächst, den man beschenkt. Drum will ich in dem Geschenk den Vorläufer und Propheten ihrer wachsenden Zuneigung begrüßen. Kurz, ich habe mir vorgesetzt, keine Gabe wieder zurückzuweisen, die aus gütigem Herzen kommt und demnach das gütige gütiger macht. Dein Bild, o Heiland, hat diesen Vorsatz in mir erweckt; hilf mir nun auch durch Deine Kraft zum rechten Vollbringen!