Aurelius Augustinus - Auszüge aus „Der Gottesstaat“
Elftes Buch
Ursprung der beiden Staaten in der Engelwelt - Einleitung zum zweiten Teil des Werkes
Wir sprechen vom Gottesstaat. Ihn bezeugt die Heilige Schrift, die hoch über dem ganzen Schrifttum aller Völker stehend, nicht etwa infolge zufälliger Regungen in menschlichen Gemütern, sondern kraft Anordnung der höchsten Vorsehung die Menschengeister ausnahmslos durch ihr göttliches Ansehen sich unterworfen hat. Denn in ihr lesen wir: „Herrliche Dinge werden in dir gepredigt, du Stadt Gottes“, und in einem anderen Psalm: „Groß ist der Herr und hochberühmt in der Stadt unsers Gottes, auf seinem heiligen Berge. Frohlocken verbreitet er auf der ganzen Erde“, und ein wenig später in demselben Psalm: „Wie wir gehört haben, so sehen wir's auch an der Stadt des Herrn der Heerscharen, der Stadt unsers Gottes. Gott erhält sie ewiglich“, ferner in noch einem andern: „Des Flusses Brausen erfreut die Gottesstadt; der Höchste hat sein Zelt geheiligt; Gott ist in ihrer Mitte, sie wird nicht wanken.“ Aus diesen und ähnlichen Zeugnissen, die sämtlich aufzuzählen zu umständlich wäre, ersehen wir: Es gibt solch einen Gottesstaat, dessen Bürger zu sein wir in jener Liebe begehren, die uns sein Begründer eingeflößt hat. Diesem Begründer des heiligen Staates ziehen die Bürger des irdischen Staates ihre Götter vor. Denn sie wissen nicht, daß er der Gott der Götter ist, nicht der falschen, nämlich der bösen und übermütigen Götter, die, seines unwandelbaren, allen gemeinsamen Lichtes beraubt und darum auf ihre eigene armselige Macht beschränkt, eine Art Privatherrschaft aufzurichten trachten und von ihren betrogenen Untertanen göttliche Ehren heischen, sondern der Gott frommer und heiliger Götter, die lieber sich selbst dem einen unterwerfen, als daß sie viele sich untertänig machen möchten, lieber Gott verehren, als an seiner Statt verehrt zu werden wünschen. Doch den Feinden dieses heiligen Staates haben wir in den zehn vorausgehenden Büchern bereits mit Hilfe des Herrn, unsers Königs, nach bestem Vermögen Antwort gegeben. Nun aber will ich, dessen bewußt, was man von mir erwartet, und eingedenk meiner Verpflichtung, stets vertrauend auf den Beistand unsers Herrn und Königs, die Erörterung über beide Staaten, den irdischen und himmlischen, die in diesem Weltlauf, wie gesagt, einstweilen gewissermaßen ineinander verwirrt und vermengt sind, über ihre Entstehung, ihren Fortgang und ihr verdientes Ende, soweit meine Kraft reicht, in Angriff nehmen und zunächst ausführen, wie der Ursprung der beiden Staaten schon in der voraufgehenden Verschiedenheit der Engel zutage tritt.
Von der Einfachheit des dreieinigen göttlichen Wesens
Es gibt also ein Gut, das allein einfach und darum auch allein unwandelbar ist, und das ist Gott. Von diesem Gute ist alles geschaffen, was gut, aber nicht einfach und darum auch wandelbar ist. Geschaffen ist es, sage ich, das heißt gemacht, nicht erzeugt. Denn was von dem einfachen Gute erzeugt ist, ist gleichfalls einfach und ist dasselbe wie das, von welchem es erzeugt ist. Wir nennen diese zwei Vater und Sohn, und beide sind mit ihrem Geiste der eine Gott. Dieser Geist des Vaters und des Sohnes wird in der Heiligen Schrift in besonderem, ausschließlichem Sinne der Heilige Geist genannt. Er ist aber ein anderer als Vater und Sohn, da er weder der Vater ist noch der Sohn, aber man muß sagen: „ein anderer“, nicht „ein anderes“, denn auch er ist ein in gleicher Weise einfaches und in gleicher Weise unwandelbares Gut, dazu gleich ewig. Und diese Dreiheit ist der eine Gott und darum nicht weniger einfach, weil er eine Dreiheit ist. Denn nicht deswegen nennen wir dies wesenhafte Gut einfach, weil es etwa nur Vater ist oder nur Sohn oder nur Heiliger Geist, auch nicht deswegen, weil es etwa nur dem Namen nach und ohne personhaften Wesensunterschied eine Dreiheit ist, wie die ketzerischen Sabellianer meinten. Sondern darum heißt es einfach, weil es ist, was es hat, abgesehen von der Beziehung einer jeden Person auf die anderen. Denn gewiß hat der Vater den Sohn, aber er ist nicht selbst der Sohn, und der Sohn hat den Vater, aber ist nicht selbst der Vater. Spricht man also vom Vater, wie er an sich ist, und nicht in seinem Verhältnis zu einem der anderen, ist er das, was er hat. So nennt man ihn ja auch an sich lebendig, weil er das Leben hat und selbst dies Leben ist.
Vierzehntes Buch
Eine weitere Folge des Abfalls: der Aufruhr des Fleisches Die Entstehung der beiden Staaten
Wie schon in den vorhergehenden Büchern gesagt, wollte Gott alle Menschen aus einem einzigen hervorgehen lassen, um so das Menschengeschlecht nicht nur durch Gleichheit der Natur gesellig zusammenzuschließen, sondern auch durch verwandtschaftliche Beziehungen mit dem Band des Friedens in Einheit und Eintracht zu verknüpfen. Auch davon war die Rede, daß dies Geschlecht in seinen einzelnen Gliedern nicht hätte sterben müssen, wenn nicht die beiden ersten, von denen der eine aus keinem, die andere aus jenem einen erschaffen ward, es sich durch ihren Ungehorsam als Strafe zugezogen hätten. Sie begingen eine so schwere Sünde, daß dadurch die menschliche Natur zum Schlechteren verkehrt ward, da Verstrickung in Sünde und Todeszwang auch auf die Nachkommenschaft überging. Die Herrschaft des Todes aber hat die Menschen derartig geknechtet, daß die verdiente Strafe alle auch in den zweiten Tod, der kein Ende hat, hineinreißen würde, wenn nicht Gottes unverdiente Gnade einige davor rettete. Obwohl darum auf dem Erdkreis so viele und große Völker mit mannigfachen Sitten und Bräuchen leben und sich durch eine Vielfalt von Sprachen, Waffen und Kleidern unterscheiden, gibt es doch nicht mehr als nur zwei Arten menschlicher Gemeinschaft, die wir mit unserer Heiligen Schrift sehr wohl zwei Staaten nennen können. Der eine besteht aus den Menschen, die nach dem Fleisch, der andere aus denen, die nach dem Geist leben wollen, jeder in dem seiner Art entsprechenden Frieden, und wenn sie erreichen, was sie anstreben, leben sie tatsächlich in diesem ihrer Art entsprechenden Frieden.
Der Fall der Engel und Menschen - in Gottes Weltplan eingeordnet
Demnach können die Sünder, sei's Engel oder Menschen, nichts tun, was Gottes große Werke, ausgewählt nach seinem Belieben, zu hindern imstande wäre. Denn er, der vorsorglich und allmächtig jedem das Seine zuteilt, weiß nicht nur die Guten, sondern auch die Bösen gut zu gebrauchen. Warum also sollte Gott sich nicht des bösen Engels, der wegen seines ersten bösen Wollens dermaßen verdammt und verstockt war, daß sich überhaupt kein guter Wille mehr in ihm regte, zum Guten bedienen, warum nicht zulassen, daß der erste recht, das heißt, guten Willens geschaffene Mensch von ihm versucht wurde? Denn der war so geartet, daß er, wenn er als guter Mensch auf Gottes Beistand vertraut hätte, den bösen Engel besiegt haben würde, dagegen überwunden werden mußte, wenn er Gott, seinen Schöpfer und Helfer, in hochmütiger Selbstgefälligkeit verließ. Sein Verdienst sollte in rechtem, von Gott unterstütztem Willen bestehen, seine Schuld in verkehrtem, von Gott sich abwendendem Willen. Zwar hätte er ohne Gottes Hilfe nicht auf Gottes Hilfe vertrauen können, hatte es aber deshalb doch in seiner Gewalt, durch Gefallen an sich selbst die Wohltaten der göttlichen Gnade preiszugeben. Denn wie man ohne Hilfe von Nahrungsmitteln sein leibliches Leben nicht fristen, wohl aber auf dies Leben verzichten kann, wie es die Selbstmörder tun, so war es auch im Paradiese dem Menschen unmöglich, ohne Gottes Beistand gut zu leben, wohl aber war es ihm möglich, böse zu leben, um dann freilich die Glückseligkeit zu verlieren und gerechter Strafe zu verfallen. Gewiß war Gott der bevorstehende Sündenfall des Menschen nicht unbekannt, doch warum sollte er ihn deswegen nicht durch die Bosheit des mißgünstigen Engels versuchen lassen? Wohl stand ihm des Menschen Niederlage klar vor Augen, aber er sah nicht minder voraus, daß sein Same unter dem Beistand der Gnade zu um so größerem Ruhm der Heiligen denselben Teufel überwinden würde. So geschah es, daß Gott wohl alles Künftige voraussah, aber doch durch sein Vorherwissen niemanden zum Sündigen zwang und alle vernunftbegabte Kreatur, Engel und Menschen, durch nachfolgende Erfahrung darüber belehrte, was für ein Unterschied ist zwischen eigener Selbstüberhebung und göttlichem Schutz. Wer möchte es wagen, zu glauben oder zu behaupten, Gott habe nicht die Macht gehabt zu bewirken, daß weder Engel noch Mensch fielen? Aber er wollte dies ihrer Macht nicht entziehen und so offenbaren, wie viel Unheil ihr Hochmut anzurichten und welches Heil seine Gnade zu spenden vermag.
Die beiden Staaten
Demnach wurden die zwei Staaten durch zweierlei Liebe begründet, der irdische durch Selbstliebe, die sich bis zur Gottesverachtung steigert, der himmlische durch Gottesliebe, die sich bis zur Selbstverachtung erhebt. Jener rühmt sich seiner selbst, dieser „rühmt sich des Herrn“. Denn jener sucht Ruhm von Menschen, dieser findet seinen höchsten Ruhm in Gott, dem Zeugen des Gewissens. Jener erhebt in Selbstruhm sein Haupt, dieser spricht zu seinem Gott: „Du bist mein Ruhm und hebst mein Haupt empor.“ In jenem werden Fürsten und unterworfene Völker durch Herrschsucht beherrscht, in diesem leisten Vorgesetzte und Untergebene einander in Fürsorge und Gehorsam liebevollen Dienst. Jener liebt in seinen Machthabern die eigene Stärke, dieser spricht zu seinem Gott: „Ich will dich lieben, Herr, meine Stärke.“ Daher haben in jenem die Weisen dieser Welt sich entweder die Güter ihres Leibes oder ihrer Seele oder beider Güter zum Ziel gesetzt; oder, welche Gott erkennen konnten, „haben ihn doch nicht als Gott gepriesen noch ihm gedankt, sondern sind in ihrem Dichten eitel geworden, und ihr unverständiges Herz ist verfinstert. Da sie sich für weise hielten“ - das heißt, von Stolz beherrscht sich ihrer eigenen Weisheit überhoben -, „sind sie zu Narren geworden und haben verwandelt die Herrlichkeit des unvergänglichen Gottes in ein Bild, gleich dem vergänglichen Menschen und der Vögel und der vierfüßigen und kriechenden Tiere“ - in Anbetung solcher Götzenbilder gingen sie bald der Menge vorauf, bald folgten sie ihr nach - „und haben geehrt und gedient dem Geschöpfe mehr als dem Schöpfer, der da gelobt ist in Ewigkeit“. In diesem Staate aber gibt es nur eine Weisheit des Menschen, die Frömmigkeit, die den wahren Gott recht verehrt und in der Gemeinschaft der Heiligen, nicht nur der Menschen, sondern auch der Engel, als Lohn erwartet, „daß Gott sei alles in allen“.
Fünfzehntes Buch
Der Werdegang der beiden Staaten bis zur Sündflut - Der Anfang der beiden Staaten - Kain und Abel
Über das Glück im Paradiese oder das Paradies selbst und das Leben der ersten Menschen darin sowie über ihre Sünde und Strafe haben viele vielfach nachgedacht, viel gesagt und viel geschrieben. Auch wir haben hierüber in den voraufgehenden Büchern auf Grund der Heiligen Schrift manches vorgebracht, was wir in ihr gelesen oder was wir im Einklang mit ihr aus ihr erschließen konnten. Sucht man aber noch genauere Auskunft, erheben sich zahlreiche, verschiedenartige Streitfragen, deren Behandlung mehr Bände und mehr Zeit erfordern würde, als sie für dies Werk vorgesehen sind. So viel Zeit haben wir ja nicht, daß wir bei allem verweilen könnten, was müßige und spitzfindige Leute, deren Neugier größer ist als ihr Verständnis, vielleicht wissen möchten. Doch meine ich bereits große und schwierige Fragen wie die nach dem Anfang der Welt, der Seele und des Menschengeschlechts hinreichend geklärt zu haben. Was letzteres anlangt, unterschieden wir zwei Arten, nämlich derer, die nach dem Menschen, und derer, die nach Gott leben. In Gleichnisrede sprechen wir hier von zwei Staaten, das ist zwei menschlichen Genossenschaften, deren eine vorherbestimmt ist, ewig mit Gott zu herrschen, die andere, mit dem Teufel ein ewiges Strafgericht zu erleiden. Doch von diesem Ausgang wird später zu reden sein. Ihren Anfang nahmen sie teils mit den Engeln, deren Zahl uns unbekannt ist, teils mit den beiden ersten Menschen, und davon war bereits die Rede. So müssen wir nunmehr ihre Entfaltung beschreiben, von dem Zeitpunkt an, wo jene beiden Nachkommen zu erzeugen anfingen, bis dahin; wo keiner mehr Nachkommen erzeugt. Denn den Inhalt dieser ganzen Zeit oder Weltperiode, in der die Kette von Sterben und Geborenwerden nicht abreißt, bildet die Entfaltung dieser beiden Staaten, denen unsere Betrachtung gilt.
Von den beiden Eltern des Menschengeschlechts ward also zuerst Kain geboren, der dem Menschenstaate angehört, darauf Abel, der Angehörige des Staates Gottes. Denn wie beim einzelnen Menschen die Erfahrung das Apostelwort bestätigt, daß nicht das Geistliche das erste ist, sondern das Seelische und danach das Geistliche - denn da jeder aus verdammtem Geschlecht abstammt, muß er als Adams Nachfahr unausweichlich zunächst böse und fleischlich sein, aber durch Wiedergeburt und Wachstum in Christus wird er später gut und geistlich -, so verhält es sich auch mit der Menschheit als ganzer. Als jene beiden Staaten mit ihrer Aufeinanderfolge von Geburt und Tod anfingen sich zu entfalten, da ward zuerst der Bürger dieser Erdenwelt geboren, nach ihm aber, der ein Fremdling auf Erden und Glied des Gottesstaates war, aus Gnaden vorherbestimmt, aus Gnaden auserkoren, aus Gnaden ein Fremdling hier unten, aus Gnaden ein Bürger droben. Denn was ihn selbst anlangt, so stammt er aus jener Masse, die ganz und gar in ihrem Ursprung verdammt ist, doch hat Gott wie ein Töpfer - nicht unbedacht, sondern wohlüberlegt führt der Apostel dies Gleichnis an - aus derselben Masse das eine Gefäß zur Ehre, das andere zur Schmach zubereitet. Zuerst aber ward das Gefäß zur Schmach zubereitet, danach das andere zur Ehre, da ja auch, wie gesagt, beim Einzelmenschen das Böse, mit dem wir notwendig anfangen, aber in dem wir nicht notwendig verharren, vorangeht und das Gute nachfolgt, zu dem wir fortschreitend gelangen und bei dem wir dann verharren sollen. Indes wird nicht jeder böse Mensch gut, niemand jedoch wird gut, der nicht zuvor böse war. Aber je schneller sich jemand zum Besseren wandelt, um so eher wird er nach dem genannt, was er ergriffen hat, und überdeckt dann mit dem späteren Namen den früheren. Von Kain nun steht geschrieben, daß er einen Staat gründete, Abel aber als Fremdling tat dies nicht. Denn droben ist der Staat der Heiligen, wenn er auch hienieden Bürger erzeugt, in denen er dahin pilgert, bis die Zeit seines Reiches herbeikommt. Dann sammelt er alle leiblich Auferstandenen, und das verheißene Reich wird ihnen gegeben, wo sie mit ihrem Fürsten, dem Könige der Welten, ohne zeitliches Ende herrschen werden.
Kain und Abel, Romulus und Remus
Der erste Gründer des irdischen Staates also war ein Brudermörder, denn er tötete, von Neid übermannt, seinen Bruder, der als Bürger des ewigen Staates auf dieser Erde ein Fremdling war. So ist es kein Wunder, daß lange hernach bei Gründung der Stadt, die das Haupt des irdischen Staates, von dem wir reden, werden und über so viele Völker herrschen sollte, diesem ersten Vorbild und Archetyp, wie die Griechen es nennen, das Abbild in seiner Art entsprach. Denn auch hier ereignete sich dieselbe Schandtat, wie sie einer ihrer Dichter gekennzeichnet hat: „Kaum errichtet, troffen die Mauern vom Blute des Bruders.“ Denn Rom ward begründet, als nach dem Zeugnis der römischen Geschichte Remus von seinem Bruder Romulus umgebracht wurde, nur daß in diesem Falle beide Bürger des irdischen Staates waren. Beide waren nach dem Ruhm der römischen Staatsgründung begierig, beide nach solchem Ruhme, wie ihn doch nur einer gewinnen konnte. Denn wer darauf aus war, sich als Herrscher zu rühmen, dessen Herrschaft wäre Abbruch geschehen, wenn seine Macht durch einen lebenden Teilhaber vermindert worden wäre. So wurde, damit einer allein Herr sei, der Genosse aus dem Wege geräumt, und Freveltat vergrößerte und verschlechterte, was in Unschuld geringer aber besser gewesen wäre. Doch die beiden Brüder Kain und Abel hegten nicht das gleiche Begehren nach irdischen Dingen, und nicht deshalb beneidete der eine, der den Mord beging, den anderen, weil seine Herrschaft eingeschränkt worden wäre, wenn beide herrschten - denn Abel trachtete nicht nach Herrschaft in dem Staate, den sein Bruder gründete -, sondern es war jener teuflische Neid, den die Bösen wider die Guten hegen, aus keinem anderen Grunde, als weil diese gut sind und sie selber böse. Denn keineswegs wird der Besitz an Gutheit dadurch verringert, daß ein Genosse hinzutritt oder dabei bleibt, vielmehr ist Gutheit ein Besitz, von dem gilt: je größer die Teilnehmerzahl, um so einträchtiger die unteilbare Liebe der Genossen. ja, diesen Besitz kann niemand haben, der ihn nicht mit anderen teilen will, und um so reichlicher wird man seiner teilhaftig, je reicher die Liebe ist, die man dem Genossen zuwendet. jener Streit also, der zwischen Remus und Romulus ausbrach, macht kund, wie der irdische Staat in sich selbst zwiespältig ist, während der Streit zwischen Kain und Abel die Feindschaft zwischen den beiden Staaten, dem Staate Gottes und dem der Menschen, aufdeckt. Es kämpfen demnach gegeneinander Böse und Böse, und ebenso kämpfen gegeneinander Böse und Gute. Gute und Gute jedoch können, wenn sie vollkommen sind, nicht miteinander kämpfen. Die Fortschreitenden aber und noch nicht Vollkommenen können es insofern, als jeder Gute mit dem Teil seines Wesens gegen den andern kämpft, mit dem er auch sich selbst bekämpft. Begehrt doch auch in einem und demselben Menschen das Fleisch wider den Geist und den Geist wider das Fleisch. Geistliches Begehren des einen kann also gegen fleischliches des anderen streiten oder das fleischliche Begehren des einen gegen das geistliche des anderen, so wie Gute und Böse miteinander streiten; oder aber die fleischlichen Begehrungen zweier Guter, aber noch nicht Vollkommener bekämpfen einander wie Böse und Böse, bis endlich die Gesundung der Genesenden den letzten Sieg herbeiführt.
Neunzehntes Buch
Vom Endziel, dem höchsten Gut und wahren Frieden - Die Friedensordnung und das letzte Ziel
Aller Gebrauch zeitlicher Dinge zielt also im irdischen Staate auf den Genuß irdischen Friedens ab, im himmlischen Staate aber auf den Genuß des ewigen Friedens. Wären wir demnach vernunftlose Lebewesen, würden wir nichts begehren als das geordnete Verhältnis der Körperteile und die Ruhelage der Triebe, also nichts als Ruhe des Fleisches und Fülle von Genüssen, damit leiblicher Friede dem Frieden der Seele förderlich sei. Denn fehlt der leibliche Friede, wird auch der Friede im vernunftlosen Seelenleben behindert, weil die Ruhelage der Triebe nicht erreicht werden kann. Beides zusammen aber fördert den Frieden zwischen Seele und Leib, nämlich den Frieden des geordneten Lebens und Wohlbefindens. Denn wie die Lebewesen zu erkennen geben, daß sie den Frieden des Leibes lieben, da sie den Schmerz fliehen, sowie den Frieden der Seele, da sie zur Befriedigung der Bedürfnisse ihrer Triebe der Lust nachgehen, so zeigen sie durch ihre Flucht vor dem Tode deutlich an, wie sehr sie auch den Frieden lieben, der Seele und Leib in Freundschaft verbindet. Doch weil der Mensch eine vernünftige Seele besitzt, ordnet er all das, was er mit den Tieren gemeinsam hat, dem Frieden der vernünftigen Seele unter, urteilt demnach mit dem Geiste und handelt dementsprechend so, daß sich eine geordnete Übereinstimmung von Erkennen und Handeln ergibt, die wir den Frieden der vernünftigen Seele nannten. Um seinetwillen muß er wünschen weder von Schmerz belästigt, noch von Verlangen beunruhigt noch vom Tode aufgelöst zu werden. Denn nur dann kann er Nützliches erkennen und sein Leben und Verhalten nach dieser Erkenntnis einrichten. Doch damit er nicht gerade durch sein Erkenntnisstreben infolge der Schwäche des menschlichen Geistes verderblichen Irrtümern verfällt, bedarf er der göttlichen Unterweisung, der er in Sicherheit gehorcht, und der göttlichen Unterstützung, um in Freiheit zu gehorchen. Und da er, solange er in diesem sterblichen Leibe weilt, fern vom Herrn dahinpilgert, wandelt er im Glauben und nicht in Schauen. So muß denn aller Friede, der Friede des Leibes und der Seele sowie der zwischen Leib und Seele, gerichtet sein auf jenen Frieden, der den sterblichen Menschen mit dem unsterblichen Gott verbindet; dann besitzt er den im Glauben geordneten Gehorsam gegen das göttliche Gesetz. Nun lehrt aber der göttliche Meister zwei Hauptgebote, Gottes- und Nächstenliebe, in denen der Mensch drei Gegenstände der Liebe findet nämlich Gott, sich selbst und den Nächsten, und wer Gott liebt, geht auch in der Selbstliebe nicht irre. So ergibt sich die Folgerung, daß er auch dem Nächsten, den er lieben soll wie sich selbst, also Weib, Kindern, Hausgenossen und allen übrigen Menschen, soweit das möglich ist, zur Gottesliebe behilflich sein und die gleiche Hilfe, wenn er ihrer bedarf, sich von Nächsten leisten lassen soll. Dann wird er, soviel an ihm liegt mit allen Menschen Frieden haben, jenen Frieden unter Menschen, der in geordneter Eintracht besteht. Diese Ordnung aber ist, daß er zunächst einmal keinem schade, sodann aber auch nütze, wem er kann. An erster Stelle also obliegt ihm die Sorge für die Seinen, denn ihnen kann er nach Ordnung der Natur und der menschlichen Gesellschaft am bequemsten und leichtesten behilflich sein. Darum sagt der Apostel: „So jemand die Seinen, zumal seine Hausgenossen, nicht versorgt, der hat den Glauben verleugnet und ist ärger als ein Heide.“ Daraus entspringt also auch der häusliche Friede, das ist die geordnete Eintracht der Zusammenwohnenden im Befehlen und Gehorchen. Denn hier befehlen die, die Fürsorge üben, der Mann dem Weibe, die Eltern den Kindern, die Herren den Knechten. Es gehorchen aber die, denen die Fürsorge gilt, die Frauen ihren Ehemännern, die Kinder den Eltern, die Knechte den Herren. Doch im Hause des Gerechten, der aus dem Glauben lebt und noch fern der himmlischen Stadt dahinpilgert, dienen auch die, welche befehlen, denen, welchen sie zu befehlen scheinen. Denn nicht die Lust zu herrschen, sondern die Pflicht zu helfen heißt sie befehlen, nicht ehrgeiziger Hochmut, sondern fürsorgliches Erbarmen.
Der irdische und himmlische Staat und ihre Beziehung zum irdischen Frieden
Jedoch eine menschliche Hausgemeinschaft, die nicht aus dem Glauben lebt, trachtet nur danach, im Genuß der Gaben und Güter des zeitlichen Lebens irdischen Frieden zu gewinnen. Eine Hausgemeinschaft aber von solchen, die aus dem Glauben leben, erwartet die ewigen Güter, die für die Zukunft verheißen sind, und gebraucht die irdischen und zeitlichen Dinge nur wie ein Gast, läßt sich von ihnen nicht fangen und vom Wege zu Gott abbringen, sondern stärkt sich durch sie, die Last des vergänglichen Leibes, der die Seele beschwert, leichter zu ertragen und so wenig wie möglich zu vermehren. So ist zwar der Gebrauch der für unser sterbliches Leben notwendigen Dinge beiderlei Menschen und Häusern gemeinsam. Aber der Endzweck, zu dem man sie gebraucht, ist bei beiden anders und grundverschieden. Demnach strebt auch der irdische Staat, der nicht im Glauben lebt, nach irdischem Frieden und versteht die Eintracht der Bürger im Befehlen und Gehorchen als gleichmäßige Ausrichtung des menschlichen Wollens auf die zum sterblichen Leben gehörenden Güter. Der himmlische Staat dagegen oder vielmehr der Teil desselben, der noch in dieser vergänglichen Welt auf der Pilgerfahrt sich befindet und im Glauben lebt, bedient sich notwendig auch dieses Friedens, bis das vergängliche Leben selbst, dem solcher Friede not tut, vergeht. Solange er darum im irdischen Staate gleichsam in Gefangenschaft sein Pilgerleben führt, trägt er, bereits getröstet durch die Verheißung der Erlösung und den Empfang des Unterpfandes der Geistesgabe, kein Bedenken, den Gesetzen des irdischen Staates, die all das regeln, was der Erhaltung des sterblichen Lebens dient, zu gehorchen. Da ja das sterbliche Leben beiden Staaten gemeinsam ist, kann zwischen ihnen in allen darauf bezüglichen Angelegenheiten Eintracht bestehen. Nun hatte aber auch der irdische Staat seine Weisen, die je doch von der göttlichen Lehre verworfen werden. Sie mutmaßten oder glaubten, von Dämonen betrogen, wirklich, man bedürfe für die menschlichen Angelegenheiten des Beistandes vieler Götter, die sich auf verschiedene Weise betätigen und je nachdem die verschiedenen Dinge überwachen sollten. Der eine, hieß es, habe auf den Leib achtzugeben, der andere auf die Seele, und wenn auf den Leib, dann der eine auf den Kopf, der andere auf den Nacken und so fort, jeder auf seinen Teil, wenn aber auf die Seele, dann der eine auf den Verstand, der andere auf das Lernen, der andere auf den Zorn, der andere auf die Begierde. Was ferner die Dinge des täglichen Lebens betrifft, so sei dem einen das Vieh anvertraut, dem andern das Korn, dem andern der Wein, dem andern das Öl, dem andern die Wälder. dem andern das Geld, dem andern die Schiffahrt, dem andern die Kriege und Siege, dem andern die Ehen, dem andern Geburt und Fruchtbarkeit und so immerfort, jedem etwas anderes Der himmlische Staat dagegen weiß nur von der Verehrung eines einzigen Gottes und ist in frommem Glauben überzeugt daß man nur ihm jenen Dienst weihen soll, der auf griechisch „Latreia“ heißt und allein Gott gebührt. So konnte er unmöglich die Religionsgesetze mit dem irdischen Staate teilen, sondern mußte darin von ihm abweichen und somit den Anders denkenden lästig fallen und ihre Zornes- und Haßausbrüche und Verfolgungen ertragen, falls nicht gelegentlich die Wut der Gegner durch die Angst vor der großen Zahl der Gläubigen und die ihnen stets gewährte göttliche Hilfe in Schranken gehalten wurde. Während also dieser himmlische Staat auf Erde pilgert, beruft er aus allen Völkern seine Bürger und sammelt aus allen Zungen seine Pilgergemeinde. Er fragt nichts nach Unterschieden in Sitten, Gesetzen und Einrichtungen, wodurch der irdische Friede begründet oder aufrechterhalte wird, lehnt oder schafft nichts davon ab, bewahrt und befolg es vielmehr, mag es auch in den verschiedenen Völkern verschieden sein, da alles ein und demselben Ziele irdischen Friedens dient. Nur darf es die Religion, die den einen höchsten u wahren Gott zu verehren lehrt, nicht hindern. So benutzt auch der himmlische Staat während seiner Erdenpilgerschaft den irdischen Frieden, sichert und befördert in allen Angelegenheiten, die die sterbliche Natur der Menschen betreffen die menschliche Willensübereinstimmung, soweit es unbeschadet der Frömmigkeit und Religion möglich ist, und stellt diesen irdischen Frieden in den Dienst des himmlischen Friedens. Denn der allein ist in Wahrheit Friede, und wenigstens für ein vernunftbegabtes Geschöpf gibt es im Grunde nur ihn, und nur ihn darf man so nennen, nämlich die bestgeordnete, einträchtigste Gemeinschaft des Gottesgenusses und wechselseitigen Genusses in Gott. Ist man aber erst dahin gelangt, gibt es kein sterbliches Leben mehr, sondern nur das ganz und gar und immerdar lebendige, und keinen seelischen Leib mehr, der in seiner Gebrechlichkeit die Seele beschwert, sondern nur einen geistlichen, der keine Bedürfnisse kennt und vollständig dem Willen unterworfen ist. Diesen Frieden besitzt der Gottesstaat, solang er hier pilgert, im Glauben, führt in der Kraft dieses Glaubens ein gerechtes Leben und zielt mit allem, was er Gutes tut für Gott und den Nächsten - denn das Leben des Gottesstaates ist ein Leben in Gemeinschaft - auf die Erlangung jenes Friedens hin.
Glückseligkeit während des Erdenlebens nur in Hoffnung
Da also das höchste Gut des Gottesstaates der ewige und vollkommene Friede ist, kein Friede, wie ihn die Sterblichen zwischen Geburt und Tod durchschreiten, sondern wie ihn die Unsterblichen, befreit von aller Plage, dauernd genießen - wer könnte da leugnen, daß dies Leben das glückseligste ist, wer bestreiten, daß, verglichen mit ihm, das Leben, welches wir hier führen, und wäre es überreich an Gütern der Seele, des Leibes und äußerer Habe, nichts als jämmerliches Elend ist? Doch kann man den, welcher von seinem gegenwärtigen Leben rechten Gebrauch macht und es auf das Ziel jenes Lebens einstellt, das er glühend liebt und in festem Glauben erhofft, auch jetzt schon sinnvoll glückselig nennen, freilich mehr in Hoffnung auf das Jenseits als im Besitz des Diesseits. Diesseitiger Besitz aber ohne Hoffnung auf das Jenseits ist falsches Glück und großes Elend, denn da macht man von den wahren Gütern de Seele keinen Gebrauch. Das aber ist keine wahre Weisheit, die ihr Auge bei dem, was sie klug unterscheidet, tapfer ausführt, maßvoll beschränkt und gerecht verteilt, nicht auf jenes Ziel richtet, wo Gott alles in allem sein wird in unwandelbarer Ewigkeit und vollkommenem Frieden.
Zwanzigstes Buch
Die Weissagung vom Jüngsten Gericht - Bis zum jüngsten Tage bleiben Gottes Gerichte dunkel
Einstweilen aber müssen wir lernen, die Übel mit Gleichmut zu ertragen, die auch die Guten zu erdulden haben, und die Güter nicht hochzuschätzen, die auch die Bösen erlangen, und darum ist auch hier, wo Gottes Gerechtigkeit nicht zutage tritt, göttliche Unterweisung heilsam. Denn wir wissen nicht welches Gottesgericht dem zugrunde liegt, daß hier ein Gute arm, dort ein Böser reich ist; daß hier einer sich freut, der, wie wir meinen, wegen seiner Sittenlosigkeit von Kummer geplagt sein müßte, während dort ein anderer traurig ist, dem sei löbliches Leben nach unserer Überzeugung Freude hätte verschaffen sollen; daß ein Unschuldiger die Gerichtssitzung nicht nur ungerächt, sondern sogar verurteilt verläßt und Opfer eines gottlosen Richters oder lügenhafter Zeugenaussagen wird, während sein verbrecherischer Gegner nicht nur ungestraft bleibt, sondern auch noch Recht bekommt und höhnt; daß ein Bösewicht kerngesund ist, während ein Frommer dahinsiecht; daß junge Männer kraftstrotzend das Räuberhandwerk treiben, während kleine Kinder, die niemanden auch nur mit einem Worte kränken konnten, von mancherlei schrecklichen Krankheiten heimgesucht werden; daß jemand der der Menschheit noch hätte nützen können, durch vorzeitigen Tod hingerafft wird, während ein anderer, der, wie man meinen sollte, gar nicht hätte geboren werden dürfen, obendrein sehr alt wird; daß ein großer Schurke zu hohen Ehren gelangt, während ein untadeliger Mann unbeachtet im Dunkel der Verborgenheit bleibt und dergleichen mehr. Wer könnte das alles aufzählen? Wenn wenigstens noch in diesem scheinbaren Unsinn Methode wäre, so daß in diesem Leben, in dem der Mensch nach den Worten des heiligen Psalms der Nichtigkeit verfallen ist und wie ein Schatten dahinschwindet, nur die Bösen diese vergänglichen irdischen Güter erlangten und nur die Guten solche Übel erduldeten! So könnte man das allenfalls auf Gottes gerechtes und wohl auch gütiges Gericht zurückführen. Dies Gericht würde dann verfügen, daß die nicht zum Genuß der ewigen, beseligenden Güter bestimmten Menschen durch zeitliche Güter entweder wegen ihrer Bosheit getäuscht oder aber dank der Barmherzigkeit Gottes getröstet werden sollen, dagegen die nicht zur ewigen Qual bestimmten Menschen durch zeitliche Übel für ihre doch immer noch vorhandenen, wenn auch geringfügigen Sünden bestraft oder zur Vervollkommnung ihrer Tugenden geübt werden sollen. Nun aber, wo nicht nur Gute im Unglück und Böse im Glück ich befinden, was ungerecht scheint, sondern wo es oft genug auch Bösen böse und Guten gut ergeht, werden die Gottesgerichte noch unbegreiflicher und seine Wege noch unerforschlicher. Wir wissen es also nicht, nach welchem Gericht Gott das tut oder zuläßt, der Gott, der doch höchste Kraft, höchste Weisheit und höchste Gerechtigkeit besitzt, und bei dem sich keinerlei Schwäche, keinerlei Unbedachtsamkeit, keinerlei Ungerechtigkeit findet. Doch schöpfen wir daraus die heilsame Lehre, die Güter oder Übel nicht hochzuschätzen, die, wie wir sehen, Guten und Bösen gemeinsam sind, und nach jenen Gütern zu trachten, die nur den Guten, und vor jenen Übeln ängstlich zu fliehen, die nur den Bösen zuteil werden. Wenn wir aber vor jenes Gottesgericht kommen, dessen Zeit in besonderem Sinne Tag des Gerichts, bisweilen auch Tag des Herrn heißt, werden nicht nur alle Urteile, die dann gefällt werden, sondern auch alle Urteile, die von Anfang an gefällt wurden und bis zu jenem Zeitpunkt noch zu fällen sind, als durchaus gerecht sich offenbaren. Dann wird auch an den Tag kommen, wie gerecht das Gottesgericht ist, welches verfügt, daß jetzt so viele, ja fast alle gerechten Gottesgerichte dem Sinn und Geist der Sterblichen verborgen bleiben, obwohl es doch dem Glaubensauge der Frommen nicht verborgen bleiben kann, daß gerecht ist, was verborgen bleibt.
Vom Sinn der tausendjährigen Herrschaft der Heiligen mit Christus
Während der tausend Jahre nun, die der Teufel gefesselt herrschen auch die Heiligen mit Christus tausend Jahre lang, und diese Jahre sind ohne Frage in demselben Sinne zu verstehen, beziehen sich also auf diese unsere Zeit seiner ersten Ankunft. Denn wenn seine Heiligen nicht auch abgesehen von jenem Reiche, von welchem er am Ende sagen wird: „Kommt her, ihr Gesegneten meines Vaters, ererbet das Reich, das euch bereitet ist“, auf andere, freilich ganz ungleiche Weise schon jetzt mit ihm herrschten, die Heiligen, zu denen er spricht: „Siehe, ich bin bei euch bis an das Ende der Welt“, könnte nicht schon jetzt die Kirche sein Reich oder das Himmelreich heißen. Das aber ist der Fall. Denn zu eben dieser Zeit wird doch im Reiche Gottes jener Schriftgelehrte unterwiesen, vom dem wir vorhin sprachen, der aus seinem Schatze Neues und Altes hervorholt, und von der Kirche werden jene Schnitter das Unkraut zusammenlesen, das der Herr mit dem Weizen bis zur Ernte wachsen ließ; denn es heißt in seiner Auslegung: „Die Ernte ist das Ende der Welt. Die Schnitter sind die Engel. Gleichwie man nun das Unkraut ausjätet und mit Feuer verbrennt, so wird's auch am Ende der Welt sein: Des Menschen Sohn wird seine Engel senden, und sie werden sammeln aus seinem Reiche alle Ärgernisse.“ Aus welchem Reiche? Etwa aus dem, wo es keine Ärgernisse mehr gibt? Nein, also aus diesem seinem Reiche der gegenwärtigen Kirche werden sie gesammelt. Ferner sagt er: „Wer eins von diesen kleinsten Geboten auflöst und lehrt die Leute also, der wird der Kleinste heißen im Himmelreich; wer es aber tut und lehrt, der wird groß heißen im Himmelreich.“ Beide, so sagt er, sind im Himmelreiche, sowohl wer die Gebote nicht hält, die er doch lehrt - denn das heißt auflösen: nicht halten, nicht tun -, als auch wer sie tut und lehrt, aber der eine als Kleinster, der andere groß und sogleich fügt er hinzu: „Denn ich sage euch: Es sei denn cm Gerechtigkeit besser als die der Schriftgelehrten und Pharisäer,“ also derer, die das, was sie lehren, auflösen - denn von den Schriftgelehrten und Pharisäern sagt er an anderer Stelle, daß sie nicht tun, was sie sagen -, also, wenn eure Gerechtigkeit nicht besser ist als ihre, so daß ihr nicht auflöst, sondern vielmehr tut, was ihr lehrt, „werdet ihr nicht ins Himmelreich eingehen.“ Also ein anderes Himmelreich muß es sein, in welchem sie beide sind, sowohl der, welcher auflöst, was er lehrt, auch wer es tut, nur jener als Kleinster, dieser groß, ein anderes als jenes Himmelreich, in das nur eingeht, wer Täter ist. So da ist, wo sich beide Arten von Menschen befinden, die Kirche wie sie jetzt ist; wo sich aber nur die eine Art befinden wird, die Kirche, wie sie dann sein wird, wenn kein Böser mehr in ihr ist. Also ist auch jetzt die Kirche Reich Christi und Himmelreich. Es herrschen demnach mit ihm auch jetzt schon seine Heiligen, anders freilich, als sie dereinst herrschen werden. Dagegen herrscht nicht mit ihm das Unkraut, obschon es in der Kirche mit dem Weizen wächst. Denn es herrschen mit ihm, die nach dem Wort des Apostels tun: „Seid ihr nun mit Christo auferstanden, so suchet, was droben ist, da Christus ist, sitzend zur Rechten Gottes. Trachtet nach dem, was droben ist, und nicht nach dem, was auf Erden ist.“ Von diesen sagt er auch, ihr Wandel sei im Himmel. Kurz, diejenigen sehen mit ihm, die in der Weise in seinem Reiche sind, daß sie zugleich selbst sein Reich sind. Wie aber könnten die Christi Reich sein, welche, um von anderem zu schweigen, zwar dort sind, bis am Ende der Welt alle Ärgernisse aus seinem Reiche ausgeräumt werden, aber da nur das Ihre suchen und nicht was Jesu Christi ist?
Von diesem auf Kriegsdienst angewiesenen Reiche, in den man noch mit dem Feinde im Kampfe liegt und bald den andringenden Leidenschaften Widerstand leistet, bald den weichenden gebietet, bis man endlich zu jenem Reich ruhevollsten Friedens gelangt, wo man ohne Bedrohung durch Feinde herrscht, von ihm und der ersten jetzt schon stattfindenden Auferstehung spricht der Seher folgendermaßen. Nachdem er nämlich erwähnt, der Teufel werde tausend Jahre gefesselt und dann für kurze Zeit losgelassen werden, spricht er zusammenfassend darüber, was in diesen tausend Jahren die Kirche tun oder was in ihr vorgehen wird, und sagt: „Ich sah Stühle und die darauf saßen, und es wurde ihnen Gericht gegeben.“ Hier darf man nicht an das Letzte Gericht denken, sondern es sind die Stühle der leitenden Männer und die Männer selbst gemeint, von denen die Kirche jetzt verwaltet wird. Daß ihn aber Gericht gegeben ward, versteht man wohl am besten wenn man sich des Wortes erinnert: „Was ihr auf Erden bin werdet, soll auch im Himmel gebunden sein, und was ihr auf Erden lösen werdet, soll auch im Himmel los sein.“ Davon spricht auch der Apostel: „Was gehen mich die draußen an, daß ich sie richten sollte? Richtet ihr nicht, die drinnen sind?“ Weiter heißt es in der Offenbarung: „Und die Seelen derer, die um des Zeugnisses von Jesus willen und um des Wortes Gottes willen getötet sind“ - diese, so ist aus dem Schluß des Satzes zu ergänzen, „herrschten mit Jesus tausend Jahre.“ Gemeint sind die Seelen der Märtyrer, denen ihre Leiber noch nicht zurückgegeben wurden. Denn die Seelen der verstorbenen Frommen sind nicht etwa von der Kirche getrennt, die schon jetzt das Reich Christi bildet. Denn sonst würde ihrer nicht am Altar in der Gemeinschaft des Leibes Christi gedacht werden. Auch wäre es unnütz, sich in Zeiten der Gefahr zu seiner Taufe zu drängen, um nicht ohne sie aus dem Leben zu scheiden, oder zur Wiederversöhnung, falls jemand etwa durch Auferlegung von Buße oder böses Gewissen vom Leibe Christi getrennt ist. Warum sollte man das tun, wenn nicht darum, weil die Gläubigen auch noch nach ihrem Tode seine Glieder sind? Wenn am auch noch nicht mit ihren Leibern vereinigt, so herrschen die Seelen doch schon jetzt mit ihm, während die tausend Jahre ablaufen. Darum lesen wir auch in demselben Buche an anderer Stelle: „Selig sind die Toten, die im Herrn sterben. Von nun an, so spricht der Geist, sollen sie ruhen von ihrer Arbeit, denn ihre Werke folgen ihnen nach.“ Es herrscht also die Kirche mit Christus jetzt zum ersten Mal in Lebenden und Toten. „Denn darum ist“, sagt der Apostel, „Christus gestorben, daß er über Lebende und Tote Herr sei.“ Nur die Seelen der Märtyrer aber erwähnt Johannes hier, weil diese Toten, die bis zum Tode für die Wahrheit stritten, vornehmlich zum Herrschen berufen sind. Doch vom Teil aufs Ganze schließend, müssen wir dies so verstehen, daß auch die übrigen Toten zur Kirche gehören, die das Reich Christi ist.
Zweiundzwanzigstes Buch
Die ewige Seligkeit - Die ewige Seligkeit und Sabbatruhe des Gottesstaates
O wie groß wird sie sein, jene Seligkeit, da es kein Übel mehr gibt, kein Gut sich verbirgt, da man in freier Muße Gott lobt, der alles ist in allen! Denn was man sonst dort tun sollte, wo man weder aus Trägheit feiert, noch aus Not sich plagt, ich weiß es nicht. Auch das heilige Lied weist darauf hin: „Wohl denen, die in deinem Hause wohnen, die loben dich immerdar.“ Alle Glieder und inneren Organe des unvergänglichen Leibes, jetzt aus Notdurft mancherlei Zwecken dienlich, werden dann, da Notdurft abgelöst ist von vollem, gewissem, sicherem und ewigem Glück, dem Preise Gottes dienen. Denn alle jene das Ebenmaß des Leibes begründenden, äußerlich innerlich wirksamen Zahlenverhältnisse, von denen ich schon sprach, werden nicht mehr verborgen sein, sondern nebst all dem anderen Großen und Wunderbaren, was dort den Blicken sich bietet, die vernünftigen Geister voll Entzücken über Vernunftdurchwaltete Schönheit zum Lobe des großen Künstlers entflammen. Wie die verklärten Leiber sich dort regen und bewegen, erkühne ich mich nicht zu beschreiben, kann ich's mir doch nicht vorstellen; sicher aber wird die Bewegung und Haltung wie die Gestalt selbst edel sein, da nichts, was unedel wäre, mehr zu finden sein wird. Wo der Geist nur will, der Leib alsbald dort sein, und der Geist will nichts, was für Geist oder Leib sich nicht schickte. Da wird der wahre Lobpreis erschallen, wo niemand irrig, niemand schmeichlerisch gelobt wird; da die wahre Ehre erwiesen, die keinem Würdigen mangelt, keinen Unwürdigen ziert - denn kein Unwürdiger wird ihr trachten, wo es nur noch Würdige gibt -, da der wahre Friede herrschen, wo niemand mehr, sei es durch andere, sei es durch sich selbst, belästigt wird. Lohn der Tugend aber wird er selber sein, der die Tugend verlieh und sich selbst als besten und höchsten Tugendlohn verheißen hat. Denn was anders will das Prophetenwort: „Ich werde ihr Gott sein, und sie werden mein Volk sein“ uns sagen als dies: Ich werde es sein, der sie sättigt, werde den Menschen alles sein, wonach sie ehrbar sich sehnen, Leben, Gesundheit, Nahrung, Reichtum, Ruhm, Ehre, Friede und alle Güter? Denn das ist der rechte Verstand des Apostelworts: „Auf daß Gott sei alles in allen“, Er selbst wird das Endziel unserer Sehnsucht sein, den wir ohne Ende schauen, ohne Überdruß und Müdigkeit lieben werden und loben. Solche, solcher Sinn und solches Tun wird allen gemeinsam sein, ebenso wie das ewige Leben selbst.