Walther, Carl Ferdinand Wilhelm - Gesetz und Evangelium - Vorwort.
Vor vier Jahren erschienen in unserm Verlag zehn Abendvorlesungen, welche Dr. Walther im Jahre 1878 vor seinen Studenten gehalten hatte, unter dem Titel: „Gesetz und Evangelium. Von Dr. C. F. W. Walther. Aus seinem schriftlichen Nachlaß gesammelt.“ In dem vorliegenden Bande werden dem geneigten Leser neununddreißig Abendvorlesungen Dr. Walthers über die rechte Unterscheidung von Gesetz und Evangelium an der Hand von fünfundzwanzig Thesen dargeboten. Diese neununddreißig Vorlesungen sind in den Jahren 1884 und 1885 vom sel. Verfasser gehalten worden, und gehören also mit zu den letzten Arbeiten des gottbegnadeten Lehrers. Sie sind eine Erweiterung und Ergänzung der ersten über diesen Gegenstand gehaltenen Serie. Für den Druck sind sie vorbereitet worden durch Herrn Pastor Th. Claus in Elkhart, Ind., nach den von ihm während der Vorträge gemachten stenographischen Aufzeichnungen, und sind dann von Herrn Prof. L. Fürbringer, welcher ebenfalls die meisten Vorträge mit angehört und sich Notizen über dieselben gemacht hatte, durchgesehen worden. Auch lagen einige, wenngleich sehr kurze eigenhändige Aufzeichnungen Walthers vor. Walther ist in diesen Vorlesungen so gegeben, wie er geredet hat. Der Leser mag hierbei bedenken, daß man im Vortrag etwas freier und ungebundener redet, als man schreiben würde, und daß in einer solchen langen Reihe von zu verschiedenen Zeiten gehaltenen Vorträgen Wiederholungen vorkommen. Von seinen Abendvorlesungen pflegte der sel. Verfasser zu sagen, er verfolge damit den Zweck, „seinen Studenten die Lehren der heiligen Schrift ins Herz hinein zu reden“. „Je und je“, sagt er davon in der dreiunddreißigsten dieser Vorlesungen, „habe ich es für meine heilige Pflicht gehalten, nicht nur die reine Lehre vorzutragen, nach der Gnade, die mir gegeben ist, in den Vorlesungen über Dogmatik, sondern ich habe es auch für nöthig gehalten, wenigstens einmal in der Woche die ganze liebe Concordia um mich zu versammeln, um ihr dann die Wichtigkeit jener Lehren, ihre Bedeutung und ihre praktische Anwendung zu zeigen, und dann vor allen Dingen, Ihnen auch ein brünstiges Herz für Ihren schweren Beruf zu machen. Wir nennen diese Freitagsabendstunden, welche gleichsam den Abschluß des wöchentlichen Unterrichts bilden, „Lutherstunden“, vor allen Dingen darum, weil ich in denselben vor allen andern besonders unsern lieben Vater Luther, den von Gott ausersehenen Reformator der Kirche und unsern gemeinsamen Lehrer, reden lasse. Und Gott hat bisher auch die Gnade gegeben, daß meine lieben Studenten gerne diese Abendstunde besucht haben; daß sie, wie mir mancher hoch und theuer versichert hat, darin reich gesegnet worden sind; nicht nur, daß sie klarer geworden sind in der Erkenntnis der christlichen Lehre, sondern daß sie auch fester geworden sind in ihrem Glauben an die Vergebung der Sünden, ihre Kindschaft bei Gott, und ihre Seligkeit.“
Ueberaus viel muß dem sel. Verfasser daran gelegen haben, „noch einmal, und zwar recht ausführlich, über den hochwichtigen Gegenstand von der rechten Unterscheidung von Gesetz und Evangelium vor seinen Studenten zu reden. Er sagt in der sechzehnten Vorlesung: „Bald werde ich vor Gottes Thron stehen und Rechenschaft ablegen müssen für die vielen theuren Seelen, denen einst Tausende anvertraut werden sollen. Gott wird mich dann fragen: Hast du gethan, was deines Amtes war?“ An die treue Ausrichtung dieses seines Amtes hat er die letzte Kraft gewendet, um künftige Pastoren einzuführen in die schwierigste und höchste Christen- und Theologenkunst, die rechte Unterscheidung von Gesetz und Evangelium Darauf hat er bei seiner vielen Arbeit den höchsten Fleiß verwendet, sie, so viel an ihm lag, recht tüchtig zu machen in diesem nicht bloß für die öffentliche Predigt, sondern gerade auch für die rechte Behandlung der einzelnen Seelen so überaus nöthigen Stück, zu rechter gesegneter Führung des Amtes. Das hat er in reichem Maße in den hier gebotenen Vorträgen gethan. Auf der einen Seite tritt in denselben so klar und scharf hervor, wie niemand diese Kunst völlig bemeistern, wie auch ein sehr begabter, treuer und gewissenhafter Pastor gar leicht abirren kann, zum größten Schaden ihm anvertrauter Seelen, und dringen so dazu, mit Furcht und Zittern unter Gebet und Flehen täglich beim Heiligen Geist in die Schule zu gehen und diese Kunst an sich selber zu üben. Auf der andern Seite aber zeigen sie so meisterlich, welch eine herrliche, köstliche, selige Beschäftigung es ist, ein Mitarbeiter Gottes zu sein, einem Sünder zu helfen, daß er sein Heil erkennen lerne und seiner Seligkeit gewiß werde, und erfüllen mit herzinniger Freude darüber, Gottes Werkzeug sein zu dürfen.
Ein jeder Christ kann hier lernen, wie überaus schwer und verantwortungsvoll das Amt eines rechtschaffenen Predigers ist, und wie dankbar diejenigen sein sollten, denen Gott treue Lehrer und Prediger gibt. Wie reich sind doch diese Vorträge überhaupt an Lehre, Mahnung, Warnung, Strafe und köstlich süßem Trost! Wolle der HErr der Kirche zum Lesen und Gebrauch dieses Buches seinen reichen Segen geben, zum Heile vieler, mit Christi Blut theuer erkaufter Seelen!
Im Auftrag des Directoriums des Concordia Publishing House
St. Louis, den 22. Januar 1897.
C. L. Janzow