Melanchthon, Philipp - Anmerkungen zum Brief an die Römer - Das andere Kapitel

Melanchthon, Philipp - Anmerkungen zum Brief an die Römer - Das andere Kapitel

Vers 1.

Darum, o Mensch, kannst du dich nicht entschuldigen, wer du bist.

Im Anfange des andern Capitels macht Paulus einige Ausschweifung, in welcher er eigentlich die Gleißner angreift, und die im Schein fromm sind, worauf er bei der Gelegenheit verfallen ist. da er saget, daß die, so das Gesetz wüßten, nicht allein sündigten, sondern auch eine Freude daran hätten, so die Andern sündigten. Darum sagt er auch bald hernach: Obschon etliche sind, die im Schein die Werke des Gesetzes vollbringen, und im Schein diejenigen verdammen, so öffentlichen Lastern unterworfen sind, fröhnen sie doch auch etlichen Lastern, von denen sie den Schein haben wollen, als tadelten sie dieselben, als wollte er sagen: Es sind Etliche, die sich selbst für gerecht achten, und der Anderen Laster verdammen, denen sage ich, daß sie eben so sündigen, wie diejenigen, welche sie verdammen. Darum sollst du hie fleißig merken, daß Paulus die ganze Gerechtigkeit der Menschen verwirft; denn obschon der Mensch dem äußerlichen Scheine nach das Rechte thut, so thut er es doch mit widerstrebendem Gemüthe, als spräche er (Paulus): Ob du schon nicht öffentlich Hurerey treibst, deinem Bruder nicht öffentlich Gewalt anlegst, so bist du doch so in deinem Gemüth beschaffen und ergriffen, daß die Wollust oder die Rache dir Vergnügen machte, also, daß du, wenn es dir erlaubt wäre, lieber wolltest deine Begierden erfüllen, als dich enthalten. Hier siehst du nun, was menschliche Gerechtigkeit sey, nehmlich ein falsch Werk, mit widerstrebendem Gemüthe gethan. Also nennet auch Christus, Matth. 23,27. die Pharisäer, übertünchte Gräber; denn gleichwie dieselben den Menschen von Außen her schön zu seyn scheinen und doch inwendig voller Todtengebeine sind, so zeigen sich auch die Pharisäer dem äußerlichen Schein nach gerecht, inwendig aber sind sie voll Gleißnerey und Arglist. Also saget auch Paulus zu den Galatern, Cap. 3, 10.: daß unter dem Fluche seyen alle, die mit den Werken des Gesetzes umgehen, das ist: Es seyen vermaledeyet alle, welche die Werke des Gesetzes vollbringen ohne den Geist; denn das Gesetz wird nimmer von Herzen gehalten ohne Gnade, sondern wird allein auswendig im Schein, das Werk sey, welches es möge, vorgegeben. Eben so auch hier, wenn er sagt: „Du thust eben dasselbe, worüber du richtest,“ gleich als spräche er: Du bist nicht anders beschaffen in deinem Gemüth, denn Jener, der öffentlich sündiget; wie Jenem sündigen eine Freude ist, also auch dir; warum verdammst du nun, dieweil du eben desselben Lasters schuldig bist?

Weiter, daß er die Sache klärer an den Tag bringe: Wohlan, obschon menschliche Augen deine Gleißnerey nicht ersehen, siehet sie doch Gott, der die Herzen erforschet, der nach der Wahrheit urtheilet, d. i., der die inwendigsten Neigungen des Gemüths durchsiehet und urtheilet. Darum sollst du merken, daß menschliche, oder bürgerliche, oder pharisäische Gerechtigkeit ganz miteinander Sünde und Gleißnerey ist. Er gibt aber dieser pharisäischen Gerechtigkeit zwey Eigenschaften, die Hoffart, und die Verstossung. Die pharisäische Hoffart ist, darin die Pharisäer sich selbst wegen ihrer Gerechtigkeit wohlgefallen, und vertrauen, und die wird hin und wieder von den Propheten verflucht: Jerem. 13,9.: „Ich will faulend machen die Hoffart Juda und Jerusalem;“ auch im 48. Cap. V. 29: „Wir haben gehört die Hoffart Moab“, und in demselben Cap. im 26. und 27. Vers: „Er wird zerknirschen die Hand Moab in seinem Speyen, und wird auch zu einem Gespött werden1); denn Israel ist von dir verspottet worden, gleich als hättest du es unter den Dieben gefunden.

Vers 5.

Du aber nach deinem verstockten und unbußfertigen Herzen rc.

Die Strafe der Gottlosigkeit ist Blindheit, die Frucht der Blindheit ist Verstockung und Sicherheit, welche der Prophet Jesaias meisterlich beschreibt im 28. Cap. V. 15.; „Wir haben einen Bund gemacht mit dem Tode, und mit der Hölle sind wir übereingekommen,“ und im 30. Cap. V. 11.: Es weiche von unserem Angesicht der Heilige in Israel.“

Vers 6.

Welcher geben wird einem Jeglichen nach seinen Werken.

Es ist eine gemeine Weise zu reden in der Schrift, der Lohn werde um die Werke gegeben, wie auch der Herr im Ev. Matth. im 25. Cap. die Werke anführt und beurtheilt, und welche man als so verstehen muß: Zum Ersten, daß man allein durch den Glauben seelig werde; Johanni Cap. 3,14 und 15.: „Es muß des Menschen Sohn erhöhet werden, auf daß alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben,“ und ebendaselbst im 18. Vers: „Wer da glaubet an ihn, der wird nicht gerichtet.“ Röm. im 4. Cap. V. 5.: „Dem aber, der nicht mit Werken umgehet, glaubet aber an den, der die Gottlosen rechtfertiget, dem wird sein Glaube gerechnet zur Gerechtigkeit nach dem Vorsatz der Gnade Gottes.“ Zum Andern auch, daß man allein durch den Unglauben verdammet werde. Johanni im 3. Cap. V. 18.: „Wer nicht glaubet, der ist schon gerichtet;“ und also wird zuvor geurtheilet der Glaube oder der Unglaube; die Werke aber werden geurtheilet als des Glaubens oder Unglaubens Anzeigung oder Zeugniß, darum, weil es unmöglich ist, daß der Glaube ohne Früchte bleibe, oder der Unglaube ohne böse Frucht sey, wie auch der Herr im Evangelium sagt: „Aus ihren Früchten werdet ihr sie erkennen.“ Die guten Werke selbst sind nicht die Gerechtigkeit, sondern sie zeigen an die Gerechtigkeit; die bösen Werke selbst sind nicht die Ungerechtigkeit, sondern sie zeigen an die Ungerechtigkeit.

Vers 14.

Denn so die Heiden, die das Gesetz nicht haben, und doch von Natur thun des Gesetzes Inhalt rc.

Dieser Satz hat den Augustinus2) wunderlich und mannigfaltig bekümmert, weil Paulus gesprochen hat, es haben die Heiden aus natürlichen Kräften und ohne den Geist der Gnaden das Gesetz gehalten, da er sagt: sie haben von Natur des Gesetzes Inhalt gethan. Aber es ist offenbar genug, daß man aus Paulus Worten nicht entnehmen mag, daß die Heiden ohne den Geist dem Gesetz genug gethan haben, da Paulus eben das überall vornimmt und lehrt, es möge das Gesetz aus unseren Kräften nicht gehalten werden, sonst wäre Christus ums sonst gestorben. Darum, weil die Meinung der Schriftsteller billig aus dem ganzen Vortrag, denn aus einem einigen Spruch genommen werden soll, mißbrauchen die Paulus Worte, so diesen einigen Vers immer anführen, um die Gerechtigkeit menschlicher Kräfte zu beweisen. Ja, man soll auch hie die Ordnung und Art der Rede ansehen, daraus man leicht hernehmen mag, daß Paulus Meinung nicht sey, die Heiden hätten ohne den Geist der Gnaden Gutes gethan; denn Paulus redet dem Wörtlein von Natur,„ entgegen das geschriebene Gesetz;“ also, daß von Natur, so viel sey, als: „nicht aus geschriebenem Gesetz.“ Darum ist die Meinung: die Heiden haben nicht aus geschriebenen Gesetz, sondern: von Natur, d. i., aus Anzeigen des natürlichen Gesetzes, des Gesetzes Inhalt gethan, und es wird auch nicht ausgeschlossen der Geist der Gnaden, sondern die Gesetze werden gegen einander gehalten, als spräche er: Die Werke der Juden werden aus dem geschriebenen Gesetz, der Heiden Werke aus dem natürlichen Gesetz, d. i., aus ihrem eigenen Gewissen geurtheilet. Denn es sind auch unter den Heiden viele gewesen, als: Hiob, Naeman der Syrer, u. d. gl. durch den Geist Gottes gerechtfertiget, deren Werke ihr eigen Gewissen, ja das Gesetz der Natur urtheilet; und daß Paulus von den Gerechtfertigten rede, zeigen auch die nachfolgenden Worte an, V. 26., „So nun die Vorhaut das Gesetz recht hält, meinest du nicht, daß seine Vorhaut werde für eine Beschneidung gerechnet werden“3)?

Vielleicht soll man diese Sache alle so auseinandersetzen: Soferne die Juden aus dem geschriebenen Gesetz vollbringen die Werke des Gesetzes, so ferne thun auch die Heiden aus dem natürlichen Gesetz die Werke des Gesetzes; denn gleichwie die Juden aus dem geschriebenen Gesetz falsche und äußerliche Werke vollbrachten, also thaten auch die Heiden aus dem natürlichen Gesetz falsche und äußerliche Werke;, und so wie die Juden das geschriebene Gesetz richtet, also richtet die Heiden ihr natürlich und eigentlich Gewissen, so daß also die einfältige Meinung ist: Es gibt ein gut Anzeichen, daß auch die Heiden das Gesetz gehabt, weil sie eben die Werke wie auch die Juden, gethan haben, und eben das Urtheil des Gewissens bei den Heiden wie auch bei den Juden gewesen ist.

Vers 17.

Siehe aber zu, du heißest ein Jude rc.

Der andere Theil des vorgelegten Hauptstückes, daß auch die Juden Sünder seyen; und gleichwie er droben in dem Vortrag von den Heiden die offenbaren Laster hat angegriffen, also strafet er auch hie nicht so fast die offenbaren, als die heimlichen Laster, ja eben die Gleißnerey, und wird alle menschliche Gerechtigkeit angeklagt, welche nichts anderes ist, denn Gleißnerey, und ein falsches Vorgeben der Werke, so doch innerhalb das Gemüth gottlos ist, ein Gotteslästerer, ein Todtschläger, und jedem Laster unterworfen. Du sollst auch hier allermeist auf diese zwey Wörtlein acht haben, den Buchstaben, und den Geist; denn der Buchstabe bedeutet nicht den schriftlichen, oder historischen Sinn, wie Origenes meint, sondern alle Werke, und alle Lehre, die nicht lebt in dem Herzen durch den Geist. Das Gesetz ist Buchstabe, das Evangelium ist Buchstabe, die Historie ist Buchstabe, die Allegorie ist Buchstabe, das äußerliche, obschon glänzende Werk ist im Schein Buchstabe; ja, alles, was nicht lebet im Herzen durch den Geist und die Gnade, das ist Buchstabe. Der Geist ist, was durch den Geist der Gnaden im Herzen lebet. Der Geist ist die Liebe Gottes und des Nächsten wahrhaftig und lebend in dem Herzen, welches ist das Gesetz mit dem Finger Gottes geschrieben in die Herzen, und nicht in steinerne Tafeln. Der Geist ist der Glaube, damit man wahrhaftig und von Herzen dem Evangelio glaubet. Also brauchet Paulus diese Worte hie und auch anderswo, da er spricht: Die Beschneidung ist die Beschneidung des Herzens, Die im Geist und nicht im Buchstaben besteht, an welchem Ort er je klar genug die Beschneidung des Herzens, die Begierde, dem Gesetz genug zu thun; den Buchstaben aber das auswendige Werk nennet. Also spricht er auch im 7. Cap. 14. Vers, das Gesetz sey geistlich, welches nicht verstanden werden kann, wie man es gemeiniglich auslegt, das Gesetz habe eine geistliche Bedeutung, weil der Text selbst ein Exempel meldet aus dem sittlichen Gesetz, welches keine geistliche Bedeutung leidet: du sollst nicht begehren! sondern das ist die Meinung, das Gesetz ist geistlich, d.i. das Gesetz fordere des Herzens Begierden, das Gesetz werde nicht vollbracht durch das äußerliche Werk, es geschehe denn von Herzen. Demnach saget auch Christus: „Wer ein Weib ansiehet ihrer zu begehren, der hat schon mit ihr die Ehe gebrochen in seinem Herzen.“ Also auch Paulus 2 Cor. 3,6.: „Der Buchstabe tödtet, der Geist aber machet lebendig,“ d. i.: Der Buchstabe, das Gesetz, geschieht keineswegs recht, und tödtet gänzlich; der Geist reiniget das Herz und verändert es, daraus eine lebendige Begierde entstehet, durch welche dem Gesetz genug geschiehet.

Vers 24.

Euerenthalben wird Gottes Namen verlästert unter den Heiden.

Wenn Paulus hier die Gleißnerey strafet, warum spricht er, Gottes Name werde verlästert unter den Heiden, so doch die Gleißnerey dem Scheine nach gerecht ist? Antwort: Gleich wie Christus im Evangelium von den Gleißnern spricht: an ihren Früchten werdet ihr sie erkennen, so doch die Früchte gut und wohlgestaltet erscheinen, also spricht auch hier Paulus, der Name Gottes werde verlästert, wegen der Früchte der Gleißner. Denn es gibt zweyerley Werk der Gleißner: Einige sind Schaafskleider, das sind zum Scheine gottseelige und vortreffliche Werke; einige aber sind wölfische Exempel, als wenn sie beleidiget und gereizet mit Gottlosigkeit, Gotteslästerung, Unglauben, Verzweiflung, Neid und Haß hervorbrechen. Durch dieß alles wird Gottes Name verlästert unter den Heiden.

Vers 25.

Die Beschneidung ist wohl nütze.

Ist denn nun beschnitten werden so viel, als das Gesetz halten? Antwort: Es gibt eine doppelte Beschneidung; eine des Buchstabens, die andere des Geistes. Die Beschneidung des Buchstabens ist eine äußerliche Beschneidung, ein äußerliches Werk, während das Herz unbeschnitten, d. i. unrein, bleibt; dieselbe ist nichts, die Beobachtung, aber der Gebote Gottes ist etwas. Die geistliche Beschneidung ist der allerreinste Wille, der durch den Geist geschieht, und denselben erfordert das Gesetz. Darum ist das Gesetz noch nicht gehalten, ob man schon das äußerliche Werk im Schein vollbringt.

1)
Luther übersetzt den 26. Vers also: „Machet sie trunken, denn sie hat sich wider den Herrn erhoben, daß sie speyen, und die Hände ringen müsse“ rc.
2)
Aurelius Augustinus, einer der thätigsten und berühmtesten unter den lateinischen Kirchenvätern, war zu Tagast, einer kleinen Stadt in Afrika, im J. 354 geboren, wurde in seinem 33. Lebensjahre von dem Bischoff Ambrosius zu Mailand getauft, hierauf zu Hippan, gleichfalls einer Stadt in Afrika, zum Presbyter geweihet, und wurde bald daselbst Mitbischoff, und im Jahre 395 Bischoff. Er stand, seiner Strenge und seines Eifers wegen, in der Kirche in sehr großem Ansehen, und unter seinen vielen Schriften ist besonders merkwürdig, was er gegen den Mönch Pelagius schrieb, mit welchem er in heftige Streitigkeiten über die Lehren vom freien Willen, von der Gnade und der Prädestination (Vorberbestimmung) gerathen war. Luther und Melanchthon studierten seine Schriften eifrig, weshalb sie auch anfänglich seinem allzustrengen Lehrbegriff vom freien Willen und der Prädestination anhingen, von welchem sie jedoch, wie die symbol. Bücher zeigen, (man sehe die oben citirte Stelle vom freien Willen und dann in der Concordienformel die Artikel von der ewigen Vorsehung und Wahl Gottes) in späterer Zeit wieder zurückkamen. Im Jahre 430. starb Augustinus zu Hippan, als gerade die Vandalen diese Stadt belagerten.
3)
Nach dem lat. Urtext heißt es: Wenn die Vorhaut des Gesetzes Gerechte gemacht hat, wird nicht die Vorhaut desselben für die Beschneidung angerechnet werden?
Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/m/melanchthon/melanchthon-anmerkungen_roemerbrief_kapitel_2.txt · Zuletzt geändert: von 127.0.0.1
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain