Löhe, Wilhelm - Von dem göttlichen Worte, als dem Lichte, welches zum Frieden führt

Woher kommt es doch, dass bei so vielen kräftigen Predigern, welche Gott in den letzten Jahren Seinem Volke geschenkt hat, zwar eine ziemliche Zahl Erweckter, aber so wenige Menschen gefunden werden, welche zum Frieden der Rechtfertigung hindurchdringen? St. Johannes in seinem ersten Briefe 3, 2. spricht mit großer Zuversicht von sich und den Seinigen: „Meine Lieben, wir sind nun Gottes Kinder“ v. 14.: „Wir wissen, dass wir aus dem Tod ins Leben gekommen sind“. und 4, 4. redet er sie an: „Kindlein, ihr seid von Gott!“ Es gibt also eine Gewissheit von der Kindschaft Gottes, und Menschen, die von sich sagen können, sie seien vom Tode zum Leben hindurchgedrungen. Warum gibt es denn aber heut zu Tage so wenig solche Menschen? warum erschrecken die meisten Menschen, wenn ihnen unausweichlich, auf Ja und Nein die Frage vorgelegt wird: „Bist du wiedergeboren? bist du ein Kind Gottes? bist du im Leben, das aus Gott ist?“ Warum kommt so selten auf dergleichen Fragen ein stilles, demütiges, festes: „Ja, du sagst es!“? warum meistens ein errötendes: „Nein!“ ein verlegenes: „Ich weiß nicht!“ ein stürmisches, leidenschaftliches: „Ja!“ dem man es gleich abmerkt, dass es, vom Augenblick geboren, schlechter ist als: „Nein!“ und „Ich weiß nicht!“? Warum wachen in den Predigten evangelischer Lehrer so viele, namentlich junge Herzen auf, hören sehnsuchtsvoll und fleißig, ringen und kämpfen, dass man für und ihre Redlichkeit einstehen zu können glauben sollte; nach wenigen Jahren, bei Veränderung der Verhältnisse, wenn sie sich verehelichen, oder überhaupt ihren eigenen Herd bauen, verschwindet das jugendliche Christentum mit den roten Wangen; und eben jene hoffnungsvollen Erweckten, die Freude und Krone ihrer Lehrer, werden erfunden als des Grases Blume, die, nicht von jenseits, sondern aus der Erde entsprossen, ihre Zeit hatte, wie alles Ding in der Welt? Was ist's, dass mancher reifende Mann, manche nüchtern gewordene Frau auf die Erweckung ihrer Jugend schmerzlich lächelnd sehen, und behaupten, diese Erweckung sei ihre Jugendfreude gewesen, wie denn ein jeder seine Jugendfreude habe, sie sei aber, wie andere Jugendfreuden, obschon allerdings reiner und heiliger, doch nur Schwärmerei gewesen? Woher kommt's, dass so Mancher auf junge, in der ersten Erweckung glühende Seelen mit einer Art von Geringschätzung herab sieht, und spricht: „So bin ich auch einmal gewesen; es war aber nichts!“?

Es können vielleicht von diesen traurigen Erscheinungen unsrer Lage mancherlei Ursachen nachgewiesen werden. Ich möchte insbesondere Folgendes eurem Urteile vorlegen. Bedenkt, Brüder, ob, was ich sage, wahr ist?

Wenn eine Seele erweckt ist, und nun ernstlich fragt: „Was muss ich tun, dass ich selig werde?“ so heißt es ganz richtig: „Suche Jesum und Sein Licht! Alles andre hilft dir nicht!“ Aber wo man Christum suchen solle, der Regel eine schlechte Anweisung gegeben. Meistens weist man den Fragenden an, auf seinen Knieen - davon wird in den Herrn zu suchen, mit Sehnsucht und Verlangen des Geistes nach Ihm zu rufen; so werde Er nicht ermangeln, zu erscheinen Seiner Zeit, zur beschlossenen Stunde. Die armen Seelen versuchen nun alles; sie schreien; sie lassen den Allgegenwärtigen nicht, Er segne sie denn; und der Allgegenwärtige, welcher das Schreien der jungen Raben hört, segnet sie auch mit freudigem Bewusstsein Seiner Nähe. Wonnevoll steht der Erweckte auf von seinen Knieen, und glaubt, glaubt, dass Er seinen Heiland nun gefunden habe; sein zitterndes Herz stürbe, wie Simeon, gern; denn es hat Gottes Heil erfahren. Aber ach, das ist vorübergehend; dem Kinde, dem Jüngling in Christo werden solche Stunden oft gegeben; je älter man im Christentum wird, desto seltener empfängt man solche Freudenregungen; und hat man nach ihnen sein Christentum gemessen, so fällt's dahin: man gerät in ein trübes Sehnen nach dem, was dahinten ist, und wird eine traurige Salzsäule, wie Lots Weib, welche rückwärts sah, und darüber das vor ihr liegende Zoar, den stillen Ort der Rettung, nicht erreichte. Diese Gefahr erkennt auch mancher redliche Diener Gottes; darum sucht er nun allerlei Mittel, ihr auszuweichen: er sucht seine Schafe zusammenzubringen (nach Zinzendorfs oft wiederholtem Rate); er ermahnt sie zu herzlicher Gemeinschaft, bildet Gemeinlein in der Gemeine, heißt seine Kindlein einander lieben, einander warnen und vermahnen, einander reizen, auf dass keines die erste Liebe verliere; er heißt einen Bruder mit dem andern beten; er gibt mancherlei Regeln, macht allerlei Anstalt, müht sich Tag und Nacht ab; und wer wollte ihn tadeln? Es ist wohl gemeint, und wird, wofern in gleichem Maße Gottes Gnadengüter in den Herzen sich mehren, nicht unwillig sein, hat auch Verheißung von dem Herrn. Aber leider kann ein solch innerlich nahes Zusammenleben in die Länge nur da bestehen, wo es, wie bei der Brüdergemeine, zur Gemeinordnung geworden ist, und wo man dafür gesorgt hat, entweder, dass man es überall wieder finde, oder, weil das unmöglich ist, dass die Erweckten nur an solche Orte kommen, wo sie es finden können. Das aber ist selten der Fall, bleibt auch immer nur eine äußere Ordnung, welche nutzlos wird, wenn der Zufluss der Gnade aufhört.

Nach den gewöhnlichen Verhältnissen der streitenden Kirche geht es ganz anders her. Der Herr, welcher andre Wege wählt, als den Menschen wohlgefallen, welcher einst die erste Gemeinde zu Jerusalem zerstreute, da sie am einmütigsten und herzlichsten zusammenhielt, führt den einen hierhin, den andern dahin in die Welt, wo selten sich wahre Seelsorge und brüderliche Zusprache findet, wo selten ein Häuflein solcher ist, die sich einander tragen und trösten, wo ein Christ mit seinem Kreuze in der Einsamkeit alleine steht. Dadurch ist nun das schwache Herz in großer Gefahr; die Nähe der Welt, in welcher Satan wohnt, bringt Anfechtung und Versuchung; das Schifflein kommt in Sturm und Wasserwogen. „Wach und bete!“ ruft der Herr, an Sein Wort erinnernd, in die Seele; aber die Seele, ungewohnt, alleine, ohne der Brüder Gegenwart, zu wachen und im Streit zu stehen, ohne Aaron und Hur zu beten, erfährt, dass der Geist willig, das Fleisch schwach ist, dass ihr Beten und Seufzen zu kurz ist, Gottes Hilfe einzuholen. Indes oft geschiehts, oft wirds einem so gut, dass er ungestört in der Gemeinschaft seiner Brüder bleiben kann; er lebt nicht in der Welt; aber die Welt lebt in ihm. Er muss erfahren, dass auch die Gemeinschaft der Brüder nicht der Himmel auf Erden ist; - er erfährt, dass die Christen auch Launen und Stimmungen zu überwinden haben: heut ist er fröhlich unter seinen Brüdern; morgen, obwohl auch unter ihnen, ist er traurig; heut schwelgt er in der Liebesgemeinschaft treuer Herzen; morgen fühlt er sich in der Mitte ebenderselben, auch wohl bei stärkeren Aufforderungen zu Lieb und Dank, als gestern, dennoch einsam; heut ist er voll Tumult des Gefühls, wenn er Flügel hätte, er flöge zu Jesu Thron; morgen wandert er in der Wüste, und Gottes Manna däucht ihm eine lose Speise; er ist aus der Ruhe in Anfechtung geraten, hat das Gleichgewicht verloren, weiß sich selbst nicht zu beurteilen; sein schwankendes, von den widerstrebendsten Gefühlen zerrissenes Herz tut ihm so weh: er kommt sich vor, wie der verlorene Sohn, wie in weiter Ferne von seinem Vater; sein ganzes Christentum, die Stunden, in welchen er Gott so nahe war, erscheinen ihm, wie Schwärmerei; - er girrt und weint, bis wieder eine Freudenstunde kommt und ihn das Leid vergessen lässt auf eine kleine Weile; dann verliert er die Freude wieder, verliert sie öfter wieder, bis er über dem dauernden Wechsel ernstliche Zweifel bekommt, bis sein Herz, beklommen, schwer angefochten von der Furcht, von Gott verlassen zu sein, sich nicht mehr halten kann und unter heißen Tränen Trost bei Freunden und Nachbarn, bei Lehrern und Seelsorgern sucht. Diese sinnen und sinnen, wie dies Herz zu trösten sei: ihr Schluss ist, dass es am Glauben fehlen müsse; was aber zu ihrem Troste die franke Seele in ihren Anfechtungen zu glauben habe, das wird ihr nicht gesagt, weil es nicht sagen kann, wer es nicht, weiß. Oder es sagt einer, weil er‘s zu wissen glaubt; er spricht: „Glaube, dass dir Gott bei all dem dennoch gnädig sei,“ oder so etwas. Wenn aber die bekümmerte Seele fragt: „Weißt du‘s gewiss, dass Er mir gnädig ist? Wie beweist du mir's? Ich fühle das Gegenteil!“ da kann der Ratgeber in der Eile die Beweise für die Gewissheit, die Bürgschaft für seinen Trost nicht finden (er hat sie nicht vorrätig in seinem Gedächtnis, weil nicht im Herzen da liegt der Fehler!); oder er hat sie gelernt, kann sie aber nicht mit eigner Sicherheit des Glaubens vorbringen (hat die Methode des Glaubens nicht, auf welche viel ankommt, welche keine Form ist, sondern Wesen) und so stirbt das arme Herz in seinem Gram dahin, hat keinen sichern Trost, keinen im Leben, viel weniger im Sterben. Ach! da darf man wahrlich beten:

Heiliger Herre Gott! Heiliger, starker Gott!
Heiliger, barmherziger Heiland,
Du ewiger Gott!
Lass uns nicht entfallen
Von des rechten Glaubens Trost!

Liebe Brüder! Dieser Weg führt nicht zum Frieden, nicht zu der gottergebenen Zuversicht, dass uns von der Liebe Gottes nichts mehr scheiden könne. Dieser Weg ist offenbar nichts anderes als ein Weg des Gefühls und der Werke; man geht ihn auf Krücken, und unversehens ist einem das selige Evangelium des großen Gottes zu einem werkheiligen, eigensinnigen Mystizismus umgeschlagen; und es ist keineswegs ganz ohne, wenn man so manche neuere Prediger und ihre Anhänger mit dem Namen Mystiker bewirft. Wir sind alle aus einer entnervten Zeit, die keine Freude kennt, als die des Gefühls, und keine Größe, als die der Werke: Tugend und Gefühl sind Schlagwörter in der neuern Zeit. Daher hängt es uns auch noch im Christentum, ja im Amte an, dass wir auf Gefühl und Werke (wozu Anstalten, Vereine rc. gewiss auch gehören) so oft, bewusst oder unbewusst, unser Heil bauen, obwohl ein so sentimentaler und römisch-katholischer Weg eben so wenig von den heiligen Aposteln, als von den Reformatoren empfohlen wird. Denn man wird in ihren Briefen und Schriften vergeblich Stellen suchen, in denen sie dem Gefühle oder den Werken (sublim Tugend genannt) solche Macht, wie die Heutigen, einräumen. Was man in den Psalmen der Art findet, ist zum Teil nicht von der Art; zum Teil aber ist es gerade dazu geschrieben, dass wir daran den Ausweg aus so traurigen Labyrinthen unsrer Seele finden lernen. Auch zur Zeit der Reformatoren ging man einen ganz andern Gang in der Seelenführung: man kannte und bekämpfte wohl das unruhige Meer der Gefühle; aber man wusste frei übers Meer zu schiffen, ja zu gehen, statt an der brandenden Küste hinzuschleichen. Man machte nicht einmal jene Einteilung der Fakultäten menschlicher Seele in Denken, Wollen und Empfinden, setzte etwa an die Stelle des Gefühls oder Empfindens das Gedächtnis. Und wollte Gott, wir hätten dem Gedächtnis auch eine größere Wichtigkeit gelassen in Lehr und Leben, so hätten wir vielleicht den einst wohlbekannten Weg des Friedens nicht so gar bald vergessen. Wir verwechseln insgemein den Glauben mit dem Gefühle, während der Glaube, gerade wenn er in der ihm eigenen Größe in uns steht, unserm Gefühle widerspricht, der Gegensatz des Gefühls, und, in Abwesenheit des süßen Gefühls, unter dem schwülen Drucke trauriger Gefühle, unser himmlischer, besserer Ersatz, unser Prophet und Tröster auf den Himmel sein soll. Wenn jemand erweckt ist, sollte es daher mit unser erstes Geschäft sein, ihm zu sagen, dass die Aufregung seines Gemüts und seine etwa vorhandene Freude (denn nicht jede Erweckung geht durch starke sei es süße oder bittere Gefühle) nicht das Bleibende und Große bei der Sache sei; er solle sich freuen, als freue er sich nicht, keinen so großen Wert auf dies Gefühl legen, dass er bei dessen Ermangelung in den Grundsäulen seines Wesens wanken würde und beben; vielmehr solle er und das ist die Hauptsache, welche wir raten - vom Anfang bis ans Ende seines geistlichen Lebens nicht auf das Veränderliche in ihm selber sehen, sondern auf die unveränderlichen Verheißungen des Wortes Gottes, welche, Gott sei Dank! außer uns, von unsern Gefühlen unangetastet stehen, eine göttliche Bürgschaft und Gewissheit und eitel Sicherheits- und Freibriefe erlöster Seelen sind. Ja, wir sollten diese Verheißungen Gottes den neuerweckten Christen noch als größer und wichtiger hinstellen, denn ihren Glauben. Denn der Glaube ist im Werke unserer Erlösung das, was im Menschen und dem Menschen anvertraut ist, aber eben darum auch nicht immer sich selber gleich, bald schwach, bald stark, während Gottes Wort schon Jahrtausende lang ohne Wanken feststeht. So viel höher Gott ist als der Mensch: so viel höher ist Gottes Wort und Verheißung als unser Glaube. So viel mehr bei unserer Seligkeit auf Gott ankommt als auf uns: so viel bedeutender und wichtiger ist es, dass Gottes Wort nicht fehle, als dass unser Glaube nicht fehle. Der Glaube ist klein und groß; Gottes Wort ist einmal, wie das andere Mal. Gottes Wort ist Gottes offenbarte Treue und Barmherzigkeit; Gottes Wort ist Gottes Gnaden oder Zornesgegenwart, je nachdem man es will; wo Gottes Wort und Verheißung, da auch Gottes Gnaden- und Lebenskräfte.

Ist darum eine Seele erweckt, so gebe man ihr allerdings den Rat: „Suche Jesum und Sein Licht! Alles andre hilft dir nicht!“ Aber man weise sie in Gottes Wort und spreche: „Dies ists, was von Ihm zeugt!“ Man heiße nicht erst auf den Knien Offenbarung Gottes erbitten, sondern die vorhandene Offenbarung und Erscheinung Gottes in der Schrift auf den Knieen voll Dankes und Freuden annehmen. Man zeige aus Gottes Wort mit einfachen, kräftigen Sprüchen, wer Jesus, was Sein Amt und Beruf sei, wie groß Seine Treue: dann spreche man mit dem Ansehen und der Zuversicht eines erlösten Gotteskindes und eines Engels: Nun kennst du Ihn; Er ist allgegenwärtig, namentlich wo Sein Wort, Seines Namens Gedächtnis ist; Er liebt, die Ihn nicht suchen: warum nicht, die Ihn suchen? Was darfst du Seinen Verheißungen widersprechen um deines trotzigen und verzagten Herzens willen? Meinst du, Sein Herz sei wie deines? Nein, nein! Sein ist Erbarmung und Treue: du bist unbarmherzig und Ihm untreu. Er weiß es, Er kennt dich. Trau Seinem Worte; werde nur an dem nicht irre; alles andere mag dir untergehen; mit allem gehen, wie es will; Seine Verheißung fehlt dir nicht. In der Welt hast du Angst was ist's? Bei Ihm, in Seinen Verheißungen hast du Frieden! Hat man die Seelen also (Boosens Selbstbiographie enthält gute Beispiele) in die Enge getrieben, dass sie endlich sich ergeben müssen, aufs Wort hin selig zu werden: so vertraue man forthin nicht auf Anstalten, nicht auf unser Beten und Wachen, überhaupt nicht auf unser Rennen und Laufen; sondern dasselbe Mittel, welches die Seelen mit Jesu bekannt gemacht hat, behalte sie auch in Seinem Namen, nämlich unbedingter Glaube an Gottes Wort und Verheißung. Es komme einer in Anfechtungen, in Verwirrungen, in Gefühle, welche es sein mögen: so bleibe man immer bei dem strengen Unterschiede zwischen Gott und Menschen, Gottes Wort und Gefühl, Gottes Treue und Menschenglaube stehen, - und dränge auf diese Weise wieder auf den unbedingten, fühllosen Glauben, der allein am Worte hängt, auf den schmalen Weg Thomä, nicht zu sehen und doch zu glauben, zurück; man lobe und preise den Hüter Israels, der nicht schläft, noch schlummert, der alle bekümmerten Seelen und ihr Wehe kennt, und ihnen darum so herrliche, herzergreifende Worte von Seinem unumstößlichen Friedensbund geoffenbart hat, damit sie, rings umgeben von Hunden und wilden Ungeheuern, über sich unantastbar ihres Fußes Leuchte hätten, Seine Zusagen, die wie Sonnen auf- aber samt dem Heile unter ihren Flügeln nimmermehr untergehen. Auf diese Weise gibt man den Seelen einen Punkt außerhalb der Welt, von wo aus diese aus den Angeln gehoben, und ihr Leid in eitel Gedanken des Friedens verkehrt wird; so macht man stille, feste Herzen, welche geduldig ausharren im Krieg des Lebens! Wer sich in diesem blinden (aber auch wie lichten!) Vertrauen aufs Wort übt, der lernt den Kampf des Glaubens verstehen; er schlägt seine Arme nicht bloß um das Wort, sondern im Worte um den Herrn selber, der ein Fels heißt, und nimmt so nach und nach des Felsens Natur selber an, der keinem Unfall zu Gefallen von seinen Wurzeln und Grundfesten weicht. Man zeige angefochtenen Seelen überall und in allen Fällen, dass aller Mangel verschwinde, alle Sünde vergeben sei, so wie man sich nur wieder mit unbedingtem Vertrauen zum Worte vom Kreuze wende, ja, dass aller ihr Jammer nur daher komme, samt allen Sünden, dass man immer wieder von dem reinen, fühllosen Glauben und Vertrauen auf Gottes Verheißungen weiche. Man suche zu solchem Zweck für die verschiedenen Krankheiten des geistlichen Lebens einige wenige, helle, deutliche Sprüche der Schrift, und wende sie betend zum Trost der geängsteten Seelen an in aller Einfalt. Prächtige Reden menschlicher Weisheit, oder Gottes Wahrheit, in menschliche Gewänder eingehüllt, helfen hie nicht: Gottes Worte zu Gottes Meinung, diese, den Herzen vorgesagt und gelehrt, wie man sie üben solle (denn ohne Übung geht es nicht in rechter Glorie!) tun viel mehr als aller Welt Beweise. Ein angefochtenes Herz hört oft kaum da, und muss durch der Seelsorger Engelansehen aufgerafft werden, das schwache Auge des Glaubens vom Staube weg, Gottes Worte zuzukehren; es versteht kaum Gottes nach der Unmündigen Verständnis abgefasste Rede, geschweige mühsame menschliche Schlüsse und Demonstrationen von der Gewissheit des ewigen Heils. „Ich glaube Alles ganz einfach“ spricht das getröstete Herz eines im Herrn Sterbenden, und stößt mit Recht den Menschentrost von dannen. Man fürchte nicht, dass es unrecht sei, auf wenige, einzelne Sprüche das Heil der Menschen zu setzen: es ist ja doch vergeblich, dass man die Leute heiße allen Gottestrost und alles Gotteswort austrinken; das können Gelehrte eben so wenig, als ungelehrte Laien. Man fürchte auch nicht, dass der Geist der Anfechtung die armen Leute lehre, sich auf andere, gegenteilige Sprüche zu berufen; man teile nur nach des Apostels Gebot Gottes Wort richtig, so muss offenbar werden, dass jeder Spruch ganz wahr und ein Himmel voll Seligkeit ist. Man bleibe getrost bei wenigen Sprüchen, und wiederhole sie; man versichere dabei oft und mit treuem Fleiß, dass diese Sprüche Gottes Worte von ewiger Gewissheit, alle Menschen aber Lügner sind. Man vergebe der Schrift nichts, und gebe neben ihr keinem Menschen Recht, auch wenn er richtig redet, damit das Volk von Menschen absehe, welche unzuverlässig sind und nicht bleiben, und allein an seinen Gott sich zu wenden, aus Seinem Worte allen Trost zu nehmen sich gewöhne. Ist einer von Zweifeln angefochten, so bringe man nicht zur Widerlegung des Zweifels Vernunftbeweise; denn der Angefochtene sieht nicht ein, dass Zweifel nicht aus der Vernunft, sondern aus Unvernunft und Unverstand kommen: er glaubt eben recht vernünftig zu sein, wenn er zweifelt. Man halte dem Zweifler ein Gotteswort vor, und bleibe fest dabei, dass es über alle Zweifel erhaben ist: solche Glaubenszuversicht eines Seelsorgers schlägt den Zweifel nieder, und weckt Vertrauen auf, wo es entschlafen ist; freie, auf Gottes Wort trotzende Verachtung der Vernunft, welche sich wider Gott auflehnt, treibt sie von dem Plan. Ist einer in tiefer Buße, so spreche man die Absolution des Herrn mit göttlicher Gewalt, und predige, dass die Absolution größer und mächtiger sei als alle Sünden der Welt. Wird einem bang im Tode, so stimme man ein Dankgebet zu Dem an, in dessen heiliger Schrift bei jedem dritten Worte vom ewigen Leben geredet wird, und preise dem Sterbenden die große Sicherheit der göttlichen Verheißung, gegen welche auch der Tod mit all seinem Grausen ein schändlicher. Lügner sei. Wird einer von Satans List und Gewalt angefochten: wir wissen, welch ein Schwert wir in seine Hände zu geben haben. Will einer sich selbst reinsprechen und rechtfertigen: man zeige ihm Gottes Urteil über alle Menschen in Seinem Worte, und wie Gottes Urteil aller Menschen Wahn zernichte. Will einer fündigen, man zeige ihm in Gottes Sprüchen Gottes Liebe und Warnung, Zorn und Fluch - was kann man mehr? So bekämpfte Christus Seine Feinde die Schlange und den Schlangensamen, und überwand sie allemal - bis zum: „Es ist vollbracht!“ So erschlug Luther im Namen Gottes des Papstes Herrlichkeit und alle seine Lügen. So kann ein jeder für sich den Sieg erringen. Man bekenne sich in Wort und Leben allezeit, in allen Fällen zu Gottes Wort: das ist der beste, schärfste, ruhigste, gewissenhafteste Protestantismus. Denn ohne die Grundlage des göttlichen Worts schwebt der Glaube in den Lüften und im Nebel, ist Traum und Einbildung.

Dieser Weg schafft Frieden: er scheint leicht; aber es ist nichts schwerer, als ihn gehen und gehen lehren. Man schaue die Predigten der meisten Prediger an, was sind sie? Schöne Worte, wohlgeordnete Sätze, prächtige Tiraden, Aufwand, Qual und Qualm der Worte; aber die Methode des Glaubens, die Seelen auf Gottes Wort zu gründen, verstehen sie nicht. Von unsern Predigern und Seelsorgern sind hundert mystisch und Werkprediger, bis Einer in selbstverleugnender Liebe zu Gottes Wort nichts zu sagen begehrt mit allem, was er sagt, als was Gott sagt, bis Einer sich seine größte Ehre daraus macht, Gottes Worte triumphieren zu lassen über sich und seine Gabe, anstatt mit seiner Gabe über Gottes Wort und Text zu schreiten, und an ihnen zum Ritter werden zu wollen. Hätten mehr Prediger ihren Frieden in Gottes Worten gefunden, so gäbe es weniger gelehrte Schwätzer auf den Kanzeln, unter denselben mehr befriedigte Gemüter, die da wüssten in Gewissheit, an welchen sie glauben, die in Not und Tod ruhig behaupten könnten: „Mein Freund ist mein, und ich bin Sein!“

Überlegt es, liebste Seelen; und ist es falsch, so redet besser; denn es ist der Mühe wert, über den Weg zum Frieden zu reden!

Friede mit euch! Amen.

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autoren/l/loehe/loehe_von_dem_goettlichen_worte.txt · Zuletzt geändert: von aj
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