Wünsche, Ernst Levin - Die Menschwerdung des Sohnes Gottes - III. Seine Person.
Die Gnade des Herrn Jesu Christi, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des heiligen Geistes sei mit uns Allen. Amen.
Und es wird eine Rute aufgehen von dem Stamm Isai und ein Zweig aus seiner Wurzel Frucht bringen. Auf welchem wird ruhen der Geist des Herrn, der Geist der Weisheit und des Verstandes, der Geist des Rates und der Stärke, der Geist der Erkenntnis und der Furcht des Herrn.
Jes. 11. 1, 2.
Ehre sei Gott in der Höhe! Friede auf Erden! den Menschen ein Wohlgefallen! Darum fürchtet euch nicht, siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk wiederfahren wird, denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus der Herr in der Stadt Davids! So lautet der Weihnachtsgruß der himmlischen Heerscharen und die erlöste Menschenschar antwortet freudig rufend: Willkomm'n Herr Gott vom Himmelreich! Willkomm'n Herr Jesu, Amen! Und wenn dieses Amen in unser Aller Herzen wiedertönt als das Siegel Seiner Aufnahme bei uns, der Vereinigung Gottes mit uns, der Fleischwerdung des Wortes in uns, dann werden, wie Er unseres Fleisches und Blutes teilhaftig wurde, um Sein Leben durch die Dahingabe Seines Fleisches und Blutes zum Opfer und zur Speise zu geben, so auch wir durch Teilhaftwerdung Seines Fleisches und Blutes unser Leben zu einem lebendigen, heiligen und Gott wohlgefälligen Opfer hingeben. An der Krippe zu Bethlehem lernen wir das kündlich große Geheimnis der Gottesoffenbarung im Fleisch verstehen, lernen wir erkennen, in wem Christus geboren wird und eine Gestalt gewinnt und wie sich eine solche Gotteskindschaft kund tut. Unser Text sagt uns das Nähere.
Der Prophet Jesaias schildert im Text-Kapitel das Reich des Messias. Im vorhergehenden Kapitel hat er gezeigt, wie Assur als ein Werkzeug des göttlichen Zornes Verderben drohend naht, aber wegen seines Hochmuts vom Herrn gedemütigt wird, weil die Übriggebliebenen sich zum Herrn kehren. In dieser Niederlage Assurs sieht er die Zerstörung aller Macht, die sich gegen Gott und Seinen Gesalbten erhebt, sieht er ein Unterpfand der Erlösung durch den verheißenen König aus Davids Haus. So traurig und drangsalsvoll die Regierung des Ahas ist, weil derselbe den Assur zu Hilfe gerufen hat, so weise, gerecht, stark, friedlich und glorreich wird die Regierung des Gesalbten sein, unter welcher man nur zu loben und zu rühmen haben wird. Die Person dieses Gesalbten wird in unsern Textesworten beschrieben nach ihrer Abstammung und nach ihren Gaben. Wir lernen daraus, dass Jesus Christus wahrer Mensch und wahrer Gott ist. Gegenstand unserer Betrachtung ist also:
1. Die Menschheit Jesu Christi.
2. Die Gottheit Jesu Christi.
1. Die Menschheit Jesu Christi
Jesaia 11, 1. Und es wird eine Rute aufgehen aus dem Stamm Isai und ein Zweig aus seiner Wurzel Frucht bringen.
Der Prophet hat den Untergang Assurs verglichen mit dem Umhauen eines dicken Waldes voll großer, starker, mächtiger Bäume. In demselben Bilde fortfahrend, vergleicht er nun das Kommen des verheißenen großen Erlösers mit dem Hervorsprossen eines dünnen Zweiges aus dem abgehauenen Stamm eines alten Baumes, welcher Zweig aber dennoch fruchtbar werden wird. Juda soll nicht ganz vertilgt werden, weil aus ihm noch der Messias geboren wird. Der Grund wird angegeben, warum, wenn dem Verderben gesteuert wird, die Gerechtigkeit überschwänglich kommt, warum die Last des Unterdrückers von der Schulter des Volkes Gottes wird weichen müssen und das Foch von seinem Halse. Und es wird: denn es wird nach Zerstörung des assyrischen Reichs, nach der babylonischen Gefangenschaft, nach der Regierung der Makkabäer, zu der von Gott bestimmten Zeit eine Rute: ein Reis, ein Sprösslein aufgehen: entsprossen, hervorwachsen aus dem Stamm Isai: aus dem abgehauenen Stamm, der keine Äste, Zweige und Blätter mehr hat, des Baumes Isai. Isai war ein Sohn Obeds, ein Enkel des Boas, somit ein Nachkomme Judas, zugleich aber auch der Vater Davids und somit des ganzen Davidischen Königshauses. Aus dem Stamm Isai, heißt also aus dem gesunkenen, wieder so gering wie zu Isais Zeit gewordenen Königsgeschlecht. Und ein Zweig aus seiner Wurzel: ein dünnes Zweiglein, Ästlein aus seiner Wurzel Frucht bringen: grünen, zum fruchtbaren Baum werden. Es ist dies eine Wiederholung und Bekräftigung des zuerst gesagten, zugleich mit der Andeutung des allmähligen Wachstums aus einem Sprösslein zu einem mächtigen Baume. Das ist die Menschheit Jesu Christi. Der im Paradies verheißene siegreiche Weibessame wird im Laufe der immer klarer hervortretenden Verheißungen der Abrahamssame, der Held aus Juda, der Davidssohn. Matthäus beweist in seinem Geschlechtsregister, dass Joseph von Salomo abstammt, Jesus also ein Recht auf Davids Thron hat. Lukas beweist in seinem Geschlechtsregister, dass Maria von Nathan abstammt, Jesus also ein Sohn Davids ist. Beide Stammtafeln beweisen die enge Verbindung der Geburt Jesu mit der Geschichte Israels und der Welt, liefern also den geschichtlichen, unumstößlichen Beweis, dass Jesus Christus Menschensohn ist, ein Spross aus Davids Haus, ohne leiblichen Vater, der berechtigte Thronerbe Davids. Nachdem dieser Hauptzweck der Geschlechtsregister erreicht ist, sind sie mit der Zerstörung Jerusalems und des Tempels samt und sonders untergegangen. Unser Text sagt uns nun, dass, wenn Davids Geschlecht wieder so gering wie zu Isais Zeiten sein wird, wenn diese Königsfamilie fast ganz vernichtet sein wird, nur noch aus wenigen armen, geringen Leuten bestehen wird, dann der Messias daraus geboren werden wird. Und so war es auch. Der Zimmermann Joseph und die arme Magd Maria bilden den Rest des Davidischen Königshauses. In einem Stalle zu Bethlehem gebiert Maria ihren Erstgebornen. Eine Krippe ist Sein Bett. Stroh ist Sein Lager. Im verrufenen Nazareth verbringt Er Seine Jugend. Nazarener, armer, geringer, verachteter Mensch, wird Er genannt. Er hat nicht, da er Sein Haupt hinlegen kann. Er wird verlacht, verspottet, verhöhnt, als Aufrührer gefangen genommen, als Gotteslästerer verurteilt Er stirbt den Tod des größten Verbrechers. Fürwahr von der Krippe bis zum Grab unscheinbar, niedrig! Und doch Frucht bringend, aus Seiner Niedrigkeit sich erhebend, durch gewaltige Predigt, durch nie gesehene Taten Volksscharen um sich sammelnd, die Sünde in ihren Folgen aufhebend, sie selbst tilgend durch Leiden, Sterben und Auferstehen und nun große Mengen zur Beute empfangend, denn Ihm werden Kinder geboren wie der Tau aus der Morgenröte, welche Er alle zur Herrlichkeit führt.
2. Die Gottheit Jesu Christi.
Jes. 11, 2. Auf welchem wird ruhen der Geist des Herrn, der Geist der Weisheit und des Verstandes, der Geist des Rats und der Stärke, der Geist der Erkenntnis und der Furcht des Herrn.
Auf welchem: Auf diesem aus dem abgehauenen Stamm Isai hervorwachsenden Zweiglein wird ruhen: Bleibend und ohne Maß verweilen, denselben wird erfüllen der Geist des Herrn: der Heilige Geist, der ohne Sünde ist, der Geist Gottes, der die Tiefen der Gottheit erforschet, der das rechte Wissen, Wollen und Können gibt. Dieser Geist ist der Geist der Weisheit und des Verstandes: der die verborgene Wahrheit, den wirklichen Zusammenhang der Dinge findet, allen trügerischen Schein zunichtemacht, den rechten Tiefsinn und Scharfsinn gibt. Der Geist des Rats und der Stärke: der die zum Ziele führenden Mittel findet, allen Widerstand und alle Hindernisse überwindet. Der Geist der Erkenntnis und der Furcht des Herrn: der da wirkt, dass der Mensch in Gott und Gott im Menschen lebt, dass in solcher Erkenntnis der Mensch sich der Heiligkeit Gottes ganz ergibt. Dieser Geist des Herrn erfüllte die Propheten, aber nur vorübergehend, wohnte in den Aposteln besonders reichlich, aber doch nur nach dem Maße. Ihn haben die Gläubigen, aber auch nur nach dem Maß der Gnade. In dem Erstgebornen der Maria jedoch, in dem Sohne Davids, war Er ohne Maß. Jesus Christus hatte die Fülle des göttlichen Geistes. Und das ist die Gottheit Jesu Christi. Der Heilige Geist kam über die Jungfrau Maria und bewirkte in ihr das Werden des Menschen Jesus, der also vom ersten Anfang an der Heilige, der Sohn Gottes ist. Darum wächst Er wie an Alter, so an Weisheit und Gnade bei Gott und den Menschen. Und bei Seiner Taufe sieht Johannes diesen Geist auf Ihn herabfahren und auf Ihm bleiben, so dass er von Ihm zeugen kann, dass Ihm Gott den Geist ohne Maß, die ganze Fülle des Geistes gegeben hat. In Ihm, an Ihm und durch Ihn offenbart sich dieser Geist als der Geist der Weisheit, denn Er weiß, was Er nach den Willen Gottes zu tun hat, als der Geist des Verstandes, denn Er versteht, das Wissen des göttlichen Willens recht anzuwenden, als der Geist des Rats, denn Er verkündet den Willen Gottes immer zur rechten Zeit und am rechten Ort, als der Geist der Stärke, denn Er tut wirklich den verkündeten Willen Gottes trotz alles Widerstandes, als der Geist der Erkenntnis, denn Er erkennt den Vater, wie Er von Ihm erkannt ist, als der Geist der Furcht des Herrn, denn Er liebt den Vater aufs vollkommenste, es ist Seine Speise, den Willen des Vaters zu tun, in dem zu sein, das des Vaters ist. So handelt, wandelt und wirkt Jesus Christus. In Ihm sind verborgen alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis.
In Ihm wohnt die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig. Er ist die ewige, selbstständige Weisheit, das Wort, das im Anfang war und bei Gott war und Gott war. Er ist der auserwählte Knecht, der weislich tut, der vom Vater das Gebot empfängt, was Er tun und reden soll. Er ist nicht ungehorsam und geht nicht zurück, sondern wird gehorsam bis zum Tode am Kreuz. Sein ist Beides, Rat und Tat, Verstand und Macht. Weil dieser Geist auf Jesum Christum ruhet, weil Er wahrer Gott ist, darum kann Er uns Menschen wirklich erlösen, darum ist Sein Leben ein Gott wohlgefälliges, heiliges Leben, darum kann Satan Ihm nichts anhaben, darum kann Ihn Niemand einer Sünde, eines Betrugs zeihen, darum ist Seine Buße in Gethsemane, Sein Leiden in Jerusalem, Sein Sterben am Kreuz wahrhaft stellvertretend, wahrhaft vollgültig, denn Gott Vater erkennt es an als die Sünde wirklich tilgend, den Tod wirklich überwindend durch Seine Auferweckung aus dem Grabe, darum aber ist nun auch Seine Himmelfahrt und Sein Sitzen zur Rechten Gottes das Siegel der vollbrachten Erlösung, der wirklichen Versöhnung mit Gott, des freien Zutritts zum Gnadenstuhl, der wiederhergestellten Gottesgemeinschaft.
Die Menschheit Jesu Christi ist so gewiss, als Er von dem Samen Davids geboren ist nach dem Fleisch. Die Gottheit Jesu Christi ist so gewiss, als Er kräftiglich erwiesen ist ein Sohn Gottes nach dem Geist. Christus kommt her aus den Vätern nach dem Fleisch, der da ist Gott über Alles, gelobet in Ewigkeit. Das ist die Person des Gesalbten, der die Ehre Gottes wieder herstellt, den Frieden auf die Erde bringt und die Menschen Gott wohlgefällig macht. Hier blicken wir hinein in das kündlich große Geheimnis der Gottesoffenbarung im Fleisch, bei der es nicht menschlich nach Stand und Würden, sondern göttlich nach freier Gnadenwahl hergeht, aller menschlichen Vernunft und Berechnung zuwider. Erst dann wird das Davidische Königsgeschlecht würdig gefunden zur Fleischwerdung des Wortes, als es aller menschlichen Größe und aller irdischen Herrlichkeit beraubt ist, damit sich vor Ihm kein Fleisch rühme. Erst dann kann Christus in uns geboren werden und eine Gestalt gewinnen, wenn wir herunter sind von allen eigenen Höhen, wenn wir fertig sind mit unsrer Weisheit und unserm Verstand, mit unserm Rat und unsrer Stärke, mit unsrer Erkenntnis und Menschenfurcht, wenn wir dastehen wie ein abgehauener Stamm ohne Äste, Zweige und Blätter, wenn wir nicht mehr wissen, wohin wir gehen sollen, als eben zu dem Wunderkind in der Krippe, zu dem Martermann am Kreuz, zu dem Menschensohn zur Rechten des Vaters. Dann fängt das Werk des Heiligen Geistes in uns an, erst klein und unscheinbar, aber halten wir Ihm nur stille, so wächst es empor zu einem Baum, der reich behangen ist mit den Früchten des lebendig machenden Geistes. Dieser Geist gibt uns Weisheit, Rat und Erkenntnis und wirkt in uns Verstand, Stärke und Furcht des Herrn. Das ganze Leben wird ein Christbaum, strahlend im Lichte der Liebe Gottes, geschmückt mit den unvergänglichen Früchten des ewigen Lebens. Die vom Geiste des Herrn erleuchteten Augen unseres Verständnisses erkennen den Vater der Herrlichkeit, den Sohn voll Gnade und Wahrheit, die Hoffnung unsers Berufes und den Reichtum Seines herrlichen Erbes. Dann wandeln wir würdig dem Herrn zu allem Gefallen und sind fruchtbar in allen guten Werken und wachsen in der Erkenntnis Gottes und werden gestärkt mit aller Kraft nach Seiner herrlichen Macht. Wir erfahren, dass Christus uns gemacht ist von Gott zur Weisheit, zur Gerechtigkeit und zur Erlösung. Wir können in Wahrheit einstimmen in den Gesang der Engel: Ehre sei Gott in der Höhe! Friede auf Erden! Den Menschen ein Wohlgefallen! Amen.
Gebet: Du menschgewordener Sohn Gottes! Werde heute in uns geboren und gewinne von heute an immer mehr eine Gestalt in uns. Salbe uns mit Deinem Geiste, dass wir aus Deiner Fülle nehmen Gnade um Gnade. Lass uns erkennen das Geheimnis Deiner Liebe, stark werden am inwendigen Menschen und gib uns zum freudigen Wollen das selige Vollbringen. Amen.