Lobstein, Friedrich - Das Wirken der Gnade an den Seelen - II. Eine Bekehrung.

Lobstein, Friedrich - Das Wirken der Gnade an den Seelen - II. Eine Bekehrung.

Joh. 4,4-42.

4. Er musste aber durch Samaria reisen.
5. Da kam er in eine Stadt Samariä, die heißt Sichar, nahe bei dem Dörflein, das Jakob seinem Sohn Joseph gab.
6. Es war aber daselbst Jakobs Brunnen. Da nun Jesus müde war von der Reise, setzte er sich also auf den Brunnen; und es war um die sechste Stunde.
7. Da kommt ein Weib von Samaria, Wasser zu schöpfen. Jesus spricht zu ihr: Gib mir zu trinken.
8. Denn seine Jünger waren in die Stadt gegangen, dass sie Speise kauften.
9. Spricht nun das samaritische Weib zu ihm: Wie bittest du von mir zu trinken, so du ein Jude bist und ich ein samaritisches Weib? Denn die Juden haben keine Gemeinschaft mit den Samaritern.
10. Jesus antwortete, und sprach zu ihr: Wenn du erkenntest die Gabe Gottes und wer der ist, der zu dir sagt: Gib mir zu trinken, du bätest ihn, und er gäbe dir lebendiges Wasser.
11. Spricht zu ihm das Weib: Herr, hast du doch nichts, damit du schöpfst; und der Brunnen ist tief; woher hast du denn lebendiges Wasser?
12. Bist du mehr denn unser Vater Jakob, der uns diesen Brunnen gegeben hat; und er hat daraus getrunken und seine Kinder und sein Vieh.
13. Jesus antwortete und sprach zu ihr: Wer dieses Wasser trinkt, den wird wieder dürsten.
14. Wer aber das Wasser trinken wird, das ich ihm gebe, den wird ewiglich nicht dürsten; sondern das Wasser, das ich ihm geben werde, das wird in ihm ein Brunnen des Wassers werden, das in das ewige Leben quillt.
15. Spricht das Weib zu ihm: Gib mir dasselbe Wasser, auf dass mich nicht dürste, dass ich nicht herkommen müsse zu schöpfen.
16. Jesus spricht zu ihr: Gehe hin; rufe deinen Mann, und komm her.
17. Das Weib antwortete und sprach zu ihm: Ich habe keinen Mann. Jesus spricht zu ihr: Du hast recht gesagt, ich habe keinen Mann.
18. Fünf Männer hast du gehabt und den du nun hast, der ist nicht dein Mann. Da hast du recht gesagt.
19. Das Weib spricht zu ihm: Herr, ich sehe, dass du ein Prophet bist.
20. Unsere Väter haben auf diesem Berge angebetet; und ihr sagt, zu Jerusalem sei die Stätte, da man anbeten soll.
21. Jesus spricht zu ihr: Weib, glaub mir, es kommt die Zeit, dass ihr weder auf diesem Berge, noch zu Jerusalem werdet den Vater anbeten.
22. Ihr wisst nicht, was ihr anbetet. Wir wissen aber, was wir anbeten; denn das Heil kommt von den Juden.
23. Aber es kommt die Zeit und ist schon jetzt, dass die wahrhaftigen Anbeter werden den Vater anbeten im Geist und in der Wahrheit; denn der Vater will auch haben die ihn also anbeten.
24. Gott ist ein Geist, und die ihn anbeten, die müssen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten.
25. Spricht das Weib zu ihm: Ich weiß, dass Messias kommt, der da Christus heißt. Wenn derselbe kommen wird, so wird er es uns Alles verkündigen.
26. Jesus spricht zu ihr: Ich bin es, der mit dir redet.
27. Und über dem kamen seine Jünger, und es nahm sie Wunder, dass er mit dem Weib redete, doch sprach niemand: was fragst du? oder: was redest du mit ihr?
28. Da ließ das Weib ihren Krug stehen, und ging hin in die Stadt, und spricht zu den Leuten:
29. Kommt, seht einen Menschen, der mir gesagt hat Alles was ich getan habe, ob er nicht Christus sei?
30. Da gingen sie aus der Stadt, und kamen zu ihm.
31. Indes aber ermahnten ihn die Jünger und sprachen: Rabbi, iss!
32. Er aber sprach zu ihnen: Ich habe eine Speise zu essen, da wisst ihr nicht von.
33. Da sprachen die Jünger untereinander: Hat ihm jemand zu essen gebracht?
34. Jesus spricht zu ihnen: Meine Speise ist die, dass ich tue den Willen Des, der mich gesandt hat, und vollende sein Werk.
35. Sagt ihr nicht selbst: Es sind noch vier Monate, so komm die Ernte? Siehe, ich sage euch: Hebt eure Augen auf, und seht in das Feld, denn es ist schon weiß zur Ernte.
36. Und wer da schneidet, der empfängt Lohn, und sammelt Frucht zum ewigen Leben, auf dass sich miteinander freuen der da sät und der da schneidet.
37. Denn hier ist der Spruch wahr: Dieser sät, der Andere schneidet.
38. Ich habe euch gesandt zu schneiden, das ihr nicht habt gearbeitet; Andere haben gearbeitet, und ihr seid in ihre Arbeit gekommen.
39. Es glaubten aber an ihn viele der Samariter aus derselben Stadt um des Weibes Rede willen, welches da zeugte: Er hat mir gesagt Alles, was ich getan habe.
40. Als nun die Samariter zu ihm kamen, baten sie ihn, dass er bei ihnen bliebe, und er blieb zwei Tage da.
41. Und viel mehrere glaubten um seines Wortes willen.
42. Und sprachen zum Weib: Wir glauben nun fort nicht um deiner Rede willen; wir haben selbst gehört und erkannt, dass dieser ist wahrlich Christus, der Welt Heiland.

Die Geschichte der Samariterin ist die Geschichte einer Bekehrung und zwar einer solchen, welche ohne menschliche Dazwischenkunft, durch den Herrn selbst bewirkt worden. Die Jünger waren in die Stadt gegangen, als Christus mit der Samariterin sprach; so sind oft die Diener Christi ferne, wenn der Herr mit einer Seele spricht; es bedarf der Heiland keiner Hilfe; es ist eine bloße Gnade, wenn er sich unser zu seinen Werkzeugen bedient. In jeder Belehrung aber sind drei Stufen zu unterscheiden. Dieses Werk beginnt mit einer vorbereitenden Gnade; niemand, sagt Christus, kann zu mir kommen, es ziehe ihn denn der Vater, der mich gesandt hat. (Joh. 6.) Diese erste Erfahrung führt zu dem Erwachen des Gewissens; erwache der du schläfst, sagt Paulus, stehe auf von den Toten und Christ wird dich erleuchten. (Eph. 5.) Sind diese zwei Bedingungen erfüllt, so wird sich auch eine Änderung im Leben einstellen; pflanze einen guten Baum und er wird gute Früchte bringen; der Mann mit dem guten Schatze wird Gutes aus diesem erneuten Boden ziehen, denn wes das Herz voll ist, des geht der Mund über. Diese dreifache Wirkung entdecken wir auch in der Bekehrung der Samariterin und ihr wollen wir weiter nachforschen. Es bekehrt Gott nicht Einen wie den Andern; aber es gibt eine enge Pforte für Alle und wenn man nur durch diese Pforte eindringt, so wird man sich nachher auf demselben Wege begegnen. Verfolgen wir die Samariterin auf den Stufen ihrer Entwicklung, und fragen wir uns hierauf, wie weit die Gnade in unser eigen Leben eingedrungen ist.

Wir finden den Heiland vor einer Stadt Samariens, Sichar genannt, neben einem Brunnen, ehemals durch den Patriarchen Jakob gegraben. In der Nähe dieses Brunnens findet die Samariterin den Herrn. Es kam diese Frau täglich zu diesem Brunnen, um Wasser zu holen; aber Jesus versetzt sie in eine Lage, wo sie mehr als gewöhnliches Wasser finden kann, wenn sie die Gabe Gottes begreift. Beim Hinblick auf diesen Brunnen Jakobs, diesen irdischen Brunnen, erkennen wir da nicht ein Bild der eitlen Dinge, aus welchen die Kinder der Welt ihr Glück zu schöpfen meinen? Nimm den gewöhnlichen Menschen; was sucht er? Die Erde ist immer die Erde, er will seinen Durst stillen aus löchrigen Brunnen; die Lebensquelle sieht er nicht. Tausendmal hat ihn die Welt betrogen und doch kann er sich von der Welt nicht los machen; er sagt auch: „Eitelkeit der Eitelkeiten!“ Siehst du ihn aber morgen wieder, so wirst du ihn noch nach Eitelkeit jagen sehen. Oft gibt es Lagen, wo es unmöglich scheint, dass eine Seele nicht den Herrn finde; es gibt im Leben so viele Drangsale, so viele Prüfungen, so viel geheimes Kreuz; oft ist Jesus nur einen Schritt von einer Seele fern; sie aber sieht und will ihn nicht. Sie verlässt ihr Geleise nicht und hört nicht auf die Stimme, die zu ihr spricht: „Siehe, ich stehe an der Tür und klopfe an.“ Würde man uns hinwegschicken wie man den Herrn wegschickt, so würden wir, anstatt seines Reichtums an Güte und Langmut, nur die höchste Entrüstung empfinden.

Es dachte die nur vom irdischen Leben beherrschte Samariterin nicht an den Herrn; er aber, wie er sie kommen sieht, erkennt sogleich in ihr eine jener Seelen, welche der Vater zu dem Sohne zieht, und von welchen Christus gesagt hat: Was der Vater mir gegeben hat, das kommt zu mir und ich werde den nicht von mir weisen, der zu mir kommt. (Joh. 6.) Und indem er seine Augen auf diese Frau richtete, begehrte Jesus zu trinken. So macht Jesus den ersten Schritt in unserer Bekehrung, nicht wir. Nicht ihr, sagt er, habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt, und Er hat uns bei unsern Namen gerufen und uns genannt, da wir ihn noch nicht kannten. (Jes. 45.)

Was geschieht, wenn die Gnade ihr Werk in einem von uns beginnt? Man fühlt sich angezogen und fängt an zu suchen. Der erste Schein der Wahrheit dringt in das Chaos der gefallenen Natur, und es werden Bedürfnisse laut, die bis dahin tot gewesen. Die Samariterin staunt, dass dieser Fremde, der ein Jude ist, mit ihr, der Samariterin, spricht. Ein solches Staunen kommt über die Seele, welche den neuen Ruf vernimmt, den Ruf von oben, den sie aber noch nicht versteht. Die Samariterin errät noch nicht die Gabe Gottes, noch wer der ist, der zu ihr spricht: Gib mir zu trinken. Desungeachtet ist das Werk begonnen und da, wo ein göttlicher Sauerteig ist, da fängt es an zu gären. Aber eine Seele, in welcher die Gnade zu wirken anfängt, glaubt gewöhnlich, sie könne die neuen Bedürfnisse durch natürliche Mittel befriedigen. Christus hatte zur Samariterin von einem lebendigen Wasser gesprochen und es denkt nun das Weib, der Fremde werde ihren Durst auf dem gewöhnlichen Wege löschen. Dies trifft auch im Geistlichen zu. Hat ein Weltkind die ersten erschütternden Erfahrungen gemacht, so hofft es mit einigen guten Bemühungen und einiger Ausdauer werde es sich ändern können. Es weiß noch nicht, dass es nicht liegt an Jemandes Wollen oder Laufen, sondern an Gottes Erbarmen. (Röm. 9.)

Was sagt Jesus zur Samariterin? Wer dieses Wasser trinkt, den wird wieder dürsten. Zuerst jagt man nach den Genüssen und wird getäuscht, hierauf jagt man nach den frommen Übungen und wird abermals getäuscht. Wer dieses Wasser trinkt, den wird wieder dürsten, und so kann eine Seele lange suchen. und sich bemühen und nicht den Frieden finden. Was fehlt dann? Der Samariterin muss noch mehr Licht über sie selbst aufgehen und dieses Licht wird ihr durch das Erwachen ihres Gewissens zu Teil werden. Dahin, zu dieser zweiten Stufe, soll die vorbereitende Gnade führen.

Das Weib hatte soeben ausgerufen: Herr, gib mir dasselbe Wasser, auf dass mich nicht dürste, dass ich nicht herkommen müsse zu schöpfen. So ruft man oft: Herr, öffne mir deinen Himmel und ich werde mich nicht mehr in dieser armseligen Welt abquälen! Man will genießen und sich anschließen, so aber versteht es der Herr nicht. Es gibt eine enge Pforte, und diese enge Pforte ist unbequem. Betrachte dich nur ein wenig genauer, so wirst du in dir tausend Dinge finden, welche gerichtet werden müssen. Es wendet der Herr sich stracks an das Gewissen und immer findet er die tödliche Stelle, von wo aus das ganze Sündenbewusstsein rege wird. Die Samariterin soll ihren Mann rufen; sie will entschlüpfen mit den Worten: Ich habe keinen Mann. Aber Er, dessen Augen sind wie Feuerflammen, dringt durch diese Antwort und legt bloß, was die Samariterin hat verheimlichen wollen. Es findet sich ein ganz verworfenes Leben vor; das Gewissen des Weibes ist getroffen; sie kann nicht mehr entkommen, und ruft aus: „Herr, ich sehe, dass du ein Prophet bist.“

So erweckt Jesus Christus. Durch die äußerliche Hülle dringt er ins Lebensmark. Der Rechtschaffene wie der Schächer, beide haben in ihrem Leben Allerlei, das der Herr rot wie Rosinfarbe machen kann. Eine sogenannte geringe Sünde reicht hin, um uns in Unruhe zu versetzen, wenn Christus mit seinem Schwert sich einfindet. Gewöhnlich greift Christus etwas Einzelnes in uns an, nicht unsere Sünden, aber eine Sünde; nicht mit dem allgemeinen Sünder hat er es zu tun, sondern mit dem besonderen Falle; es geht der Heiland sogleich zur Sache und berührt den wunden Fleck. Die Beule drückt er auf und lässt nicht Ruhe. Suche nicht zu entfliehen, sondern halte aus über dem Messer, das den alten Menschen trifft. So fühlte sich die Samariterin im Innersten betroffen und die volle Erweckung beginnt.

Der Sündenpunkt ist ein furchtbarer Punkt. Man bedeckt, man verbirgt ihn, aber eine unsichtbare Hand schreibt ihn an die Wand, wenn wir dessen am wenigsten gewärtig sind. Und gleichwie ein Blitzstrahl, der die Finsternis erhellt, eine ganze Gegend sichtbar macht, so auch deckt eine einzige Sünde, wenn Jesus sie uns vor die Augen hält, unsere ganze Natur auf. Was wird die Samariterin anfangen? Sie will beten lernen. Soll man zu Jerusalem oder auf diesem Berge anbeten und den Frieden suchen? Jesus macht dem Weib begreiflich, dass Gott ein Geist ist und dass die Hauptsache darin bestehe, dass man im Geist und in der Wahrheit anbete.

Da geht der Samariterin ein neues Licht auf. Mit dem Erwachen des Gewissens stellt sich auch ein neues Leben ein. Ihr wisst nicht, spricht der Herr zum Weib, was ihr anbetet. Der Gott einer unerweckten Seele ist ein unbestimmter Gott. So kann man lange ohne irgend eine Wirkung beten. Es geschehe auf dem Berge oder zu Jerusalem, in dieser oder jener Kirche, überall hin bringt man denselben verkehrten Geist, der von dem wahrhaftigen Gott ferne ist. In der Gemeinschaft mit Jesus Christus aber wird dieser Geist ein anderer. Da tritt ein geistliches Verständnis an die Stelle der fleischlichen Finsternis. Tut sich die Gebetswelt auf, so stellt sich eine göttliche Hilfe um die andere ein; mit einer Gnade verbindet Gott alle Gnaden.

Welch eine Umwälzung aber im Leben, wenn endlich das Gebet Gebet wird! Heute ist es ein unfruchtbares Geschäft, morgen wird es die Hand, welche alle Schätze Gottes ergreift. Aus einer armseligen Gewohnheit wird eine Lebensgemeinschaft mit dem wahrhaftigen Gott. Warum betet man an, ohne zu wissen wen, wenn doch das Heil vorhanden ist für einen Jeden? Die Antwort ist leicht: das Gewissen ist tot, aber zum Leben gehört ein zerschlagener Geist, ein zerbrochenes Herz. Das Gebet ist ein Schrei der Seele, ein inniger Seufzer nach Rettung; so lang aber der Mensch sich wohlgefällt in seinem eitlen Wandel, wie kann er beten? Was vom Fleisch ist, ist Fleisch, aber Gott ist ein Geist und die ihn anbeten, müssen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten. Es antwortet die Samariterin: Ich weiß, dass der Messias kommt, der da Christus heißt. Wenn derselbe kommen wird, so wird er es uns Alles verkündigen. Wunderbar! Ist eine Seele ihrer Sünde überzeugt, fängt sie an zu beten, so steigt in ihr auch eine Erinnerung an Jesum auf. Endlich wird Jesus etwas für sie! Das Licht kann nun in die Finsternis scheinen, die bis dahin es nicht angenommen. Die große Stunde hat geschlagen, da Christus sich endlich kund geben kann und wo das teuerwerte Wort Raum findet, dass Jesus Christus in die Welt gekommen, die Sünder selig zu machen. (1 Tim. 1.)

Ich bin es, der mit dir redet. Ach! dringt diese Überzeugung in eine Seele ein, so ist die Stunde einer neuen Geburt da. Da ist dann nicht mehr weder Verdammnis noch Liebe zur Finsternis; die Schuppen fallen von den Augen und der Morgenstern ist aufgegangen im Herzen. So gibt es denn schon hienieden etwas. anderes als den Brunnen Jakobs; der Mensch lebt nicht vom Brot allein! Neben diesem eitlen Leben, neben diesem tränenvollen Glück gibt es ein lebendiges Gut, ein ewiges Sein und die Wahrheit zeugt von sich selbst: Ich bin es, der ich mit dir rede!

Überdem kamen die Jünger und es nahm sie wunder, dass er mit dem Weibe redete. Die armen Jünger, welche den noch nicht kennen, der da spricht: es werde Licht und es wird Licht! Während sie in die Stadt gehen, um Fische zu kaufen, führt Jesus eine Seele aus dem Tode zum Leben. Teilen wir nicht oft das Staunen der Jünger? Wir finden manchmal nach einer Abwesenheit eine Seele umgewandelt, für welche wir am wenigsten Hoffnung hatten. Wir kommen mit unsern Vorräten hervor, die der Herr entbehren kann; er selbst ist das lebendige Brot, das vom Himmel gekommen. Die Jünger sind zartfühlend genug, um ihn nicht zu fragen: was redest du mit ihr? Zeigen wir ein gleiches Zartgefühl. Man kann eine vom Herrn erfasste Seele einschüchtern, sie zum Gegenstand der Neugierde machen. Freue dich in der Stille, aber frage nicht. Bete dafür, dass das Werk Gottes, das die Verborgenheit liebt, in der Stille heranreife; je langsamer es vorwärts geht, desto tiefer reichen die Wurzeln.

Man kann voraussehen, dass die Samariterin, sobald sie sagen kann: ich weiß, dass mein Erlöser lebt, nicht bleiben wird, was sie war. Denn wo solches reichlich bei euch ist, wird es euch nicht faul noch unfruchtbar sein lassen in der Erkenntnis unseres Herrn Jesu Christi. (2 Petr. 1.) Hierin besteht die dritte Stufe der Belehrung. Nun sehen wir den Beginn des christlichen Lebens.

Es heißt, dass die Samariterin ihren Krug stehen ließ und in die Stadt ging, wo sie ein Werkzeug zum Segen Vieler ward. Sie ließ ihren Krug stehen. Was ihr vormals Gewinn war, ist ihr Schaden geworden um Christi willen. Sie vergisst, was dahinten ist und streckt sich nach dem, das vorne ist. Sie läuft nach dem vorgesteckten Ziele, nach der Berufung Gottes in Jesu Christe. (Phil. 3.)

Von allen Schauspielen ist das schönste eine Seele, die sich erneuert. Du bewunderst einen Schmetterling, der seine Hülle durchbricht; aber welch ein Anblick, wenn eine begnadigte Seele von ihrem eitlen Wandel ablässt; wenn ein neues Leben hervortritt; wenn die alten Gewohnheiten abgelegt werden; wenn die Liebe zur Welt durch das Trachten nach dem, was droben ist, ersetzt wird; wenn aus der Hülle des alten Menschen ein Auserwählter, ein Heiliger, ein Vielgeliebter ersteht!

Welch' ein Augenblick, wenn du Zeuge dieser Veränderung bist! wenn du stillschweigend genießt; wenn sie ohne deine Worte, ohne deine Ermahnungen vor sich geht, wenn Christus allein mit deiner Samariterin spricht, sie ihren Krug um Jesu willen dahinten lässt! Was sind alle Mächte der Erde im Vergleich zu dieser neuen Liebe! Da braucht man nicht zu sagen: Verleugne dich selbst; die Selbstverleugnung kommt von selbst, als die Frucht eines neuen Lebens, nicht als eine Pflicht.

Wie würde man nicht mit Freude abnehmen, auf dass Christus wachse, Er, der die Hoffnung ist der Herrlichkeit! Er hat sich erniedrigt bis zum Tod und man würde die Sünde noch leben lassen, man würde sie nicht in ihren Lüsten und Begierden kreuzigen? Der Meister hatte keinen Ort, wo er sein Haupt hinlegte, und der Knecht begehrte ein sorgenfreies Leben? Christus hat ein so großes Widersprechen der Sünder ertragen, und ich würde nicht dulden, dass man meinen Wünschen zuwider wäre? Er hat eine Dornenkrone getragen, ich aber möchte auf Rosen einhergehen? Anstatt der Freude, die ihm vorgesetzt war, hat er das Kreuz erduldet; und ich wollte mich nicht beugen, ich würde noch für mich selbst leben und nicht alle meine Gedanken in die Gefangenschaft geben, um sie dem Glauben untertan zu machen? Ja, er ist ein König, er ist dazu gekommen, und seitdem er von der Erde erhöht ward, zieht er die Herzen mächtig an sich. Die erneuerte Samariterin ist eine lebendige Predigt; willst du nicht an das Evangelium glauben, so glaube doch an die Werke, die es hervorbringt; du weist es in keinem Wort von dir; wohlan du siehst es hier als eine Macht, selig zu machen Alle, die daran glauben. (Röm. 1.)

Das Weib von Sichar eilt in die Stadt und wird für die ganze Völkerschaft der Anstoß zu einem neuen Leben. Welch eine Macht hat doch eine einzige Seele, welche wahrhaftig Christi ist. Das christliche Leben hat eine Kraft, welche neu schafft; Gott spricht, handelt und siegt in dem Menschen. Das Zeugnis der Samariterin ist sehr einfach: Kommt, seht einen Menschen, der mir gesagt hat Alles, was ich getan habe, ob er nicht Christus sei? Wie er mich erneuert hat, so wird er es an Euch tun; geht zu ihm und ihr werdet es inne werden! Hierin in der Tat liegt Alles; man muss sagen können: Er hat mich erneuert. Die Botschafter Gottes sind neue Geschöpfe. Zeige mir, was du um Jesu willen dahinten gelassen und ich will dir Glauben schenken; nicht früher. Ich muss eine Wirkung im Geist und in der Kraft sehen; die deutlichste aber besteht in der Selbstentäußerung.

Es kommen die Einwohner Sichars zuerst auf das Zeugnis des Weibes hin. Aber ein Glauben auf fremdes Zeugnis hin genügt nicht, es gehört die eigene Erfahrung dazu und Jesus teilt sie einem Jeden mit, der zu ihm kommt. Das ist der Wille Gottes, dass wer den Sohn sieht, und an ihn glaubt, habe das ewige Leben. (Joh. 6.) Und wie Jesus Christus eine Seele zum Leben erwecken kann, so auch eine ganze Völkerschaft. Aus einem Totenfeld kann er einen Gottesgarten machen. Seine Speise ist, den Willen zu tun dessen, der ihn gesandt hat; der Wille Gottes aber ist, dass alle Knie sich beugen und alle Zeugen bekennen, dass nur in Einem Namen Heil ist. Welche Freude für Jesum, diese Menge herbeikommen zu sehen. Da war viel unbewusstes Sehnen, und wie oft wird das Feld weiß zur Ernte, da wo nur eine Seele erweckt wird; bittet um Arbeiter für solche Ernten! Die Einwohner Sichars kommen und sehen; wirf deine Vorurteile von dir und dringe durch und du wirst inne werden, dass Jesus Christus lebendig ist. Als nun die Samariter zu ihm kamen, baten sie ihn, dass er bei ihnen bliebe und er blieb zwei Tage. Zwei Tage bei Jesu! Was würde er uns nicht Alles sagen, wenn wir zwei Tage in seiner Gemeinschaft verblieben! Das Wasser, das er uns geben würde, würde in uns eine lebendige Quelle, die bis ins ewige Leben flösse. Zwei Tage voller innerer Erfahrung können einen Grund für ein ganzes Leben abgeben; bald können die Leute Sichars zu der Frau sagen: Wir glauben nun fort nicht um deiner Rede willen; wir haben selbst gehört und erkannt, dass dieser ist wahrlich Christus, der Welt Heiland! Haben wir dieselbe Erfahrung gemacht? Wie weit ist Jesus Christus in unser Leben bei unserer Belehrung gedrungen? Wollen wir uns müßig zu dieser Erzählung verhalten und mit dem Ausruf, wie schön! uns begnügen? Hat deine eigene Bekehrung begonnen und ist sie wahrhaftig? Erforsche dein vergangenes Leben; gewiss findest du darin das Wirken einer vorbereitenden Gnade. Es gibt so viele Umstände im gewöhnlichen Leben, welche von Gott zu Erweckungsmitteln angeordnet sind. Es gilt dein eigenes Seelenheil; hast du den Ruf Gottes vernommen und bist du unterwegs? Was hat Gott in dir aufgedeckt; welche Verkehrtheit hat er besonders vorgenommen! Hast du dich kennen gelernt, so hast du gewiss auch beten lernen. Selig, die Gott im Geist und in der Wahrheit anbeten. Sie bleiben nicht stehen. Man lässt Vieles hinter sich, sobald man die Lebensquelle aufgefunden; und hierin auch prüfe dich. Hat der Herr dich vorbereitet, dich erweckt und zu dir gesprochen: Ich bin es, der ich mit dir rede; so fragt es sich, wie sich seitdem dein Leben gestaltet hat? ist es bei dir, seit vorigem Jahre an diesem Tag, dasselbe geblieben? Du bist nicht bekehrt, wenn das Alte nicht vergangen, wenn nicht Alles neu geworden ist. (2 Kor. 5.) Belebe die Gabe wieder, die in dir ist und fürchte dich nicht so sehr, den alten Menschen auszuziehen; sage dir, dass er dich durch die Lüste verführt und verdirbt; willst du verdorben werden, da du kannst geheilt werden? verführt, wenn du überaus weiser werden kannst? Wie der Heiland in Sichar, so will das Heil in dein Haus einziehen; es gibt ein göttliches Wirken, das allmächtig ist und das von der Gnade unsers Herrn Jesu Christi ausgeht. Mache dieser Gnade Raum in deinem Herzen und unter deinem Dache, so wird sie dir die Gottseligkeit mitteilen, die zu jeglichem Dinge nütze, und die Verheißungen des gegenwärtigen und zukünftigen Lebens hat. (1 Tim. 4.) Nimm zum Wahlspruch: „Alles für Jesum, nichts für mich.“ Heute wirst du trauern, morgen danksagen; nichts gibt es Unglückseligeres, als eine hinkende Belehrung. Es gibt eine Fülle von Hilfsmitteln, die du alle in Jesu besitzt. Nach allen Predigten, die du gehört, nach allen Büchern, die du gelesen, solltest du dies alles endlich zu Mark und Leben werden lassen; die Bekehrten des Herrn sind die, welche sagen können: Wir glauben nun fort nicht um Eurer Rede willen; wir haben selbst gehört und erkannt, dass dieser ist wahrlich Christus, der Welt Heiland.

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