Langsdorff, Wilhelm von - Warum ist die Tochter meines Volkes nicht geheilt?

Langsdorff, Wilhelm von - Warum ist die Tochter meines Volkes nicht geheilt?

Bußtagspredigt in der Passionszeit über Jer. 8, 21-9, 1

Christe, du Lamm Gottes, der du trägst die Sünde der Welt, erbarme dich unser! Amen.

In Christo Jesu Geliebte! In außergewöhnlich zahlreicher Schar seid ihr mitten in der Woche zum Gotteshause gepilgert, ein Zeichen, dass das, was der heutige Tag mit seinem Ernste von euch fordert, einem innersten Bedürfnis eures Herzens entspricht. Habt ihr's verstanden, was der Glockenton euch sagen wollte, der euch lud zum Hause des gnadenreichen Herrn, lockte an das Herz des barmherzigen Heilands?

Ja, gerade dass seine Gnade euch rief, das verdoppelte nur den Ernst des Tones: Buße! Bußtag! Bußtag in der Passionszeit! Landesbußtag! Jeder Puls der ehernen Zunge sollte Wiederhall finden in dem Pulsschlag eurer Herzen. Buße! Bußtag ist dem Christen jeder Tag, denn jeder Tag ist ihm ein Erweis neuer, ach, so unverdienter Gnade. Herr, ich bin zu gering aller Barmherzigkeit und Treue. Bußtag ist dir, lieber Christ, darum insbesondre jeder Sonntag: weißt du nicht, dass dich Gottes Güte zur Buße leitet? Darum mit dem Kyrie Eleison - mit dem Bußton beginnt jeder Gottesdienst. Und besonders nun diese heilige Zeit der Passion, der Freitag, dieser Tag des Herrn im besonderen Sinne, das Lamm Gottes auf seinem Leidensgang stellen sie wieder uns vor Augen. Mahnen sie uns nicht, diese Zeit, dieser Tag: Ich, o Herr Jesu, habe dies verschuldet, was du erduldet? Ja:

Seele, geh nach Golgatha,
Setz dich unter Jesu Kreuze
Und bedenke, was dich da
Für ein Trieb zur Buße reize!

Und in dieser ernsten Zeit nun Landesbußtag! Die Zeit, die uns so recht vor die Augen führt: Gott will, dass allen Menschen geholfen werde, - sie soll uns auch so recht zeigen, wie der Allgemeinheit der Heilsanerbietung gegenübersteht die Allgemeinheit der Schuld. Und je ernster der Christ, je ähnlicher auch hier seinem Heiland, der die Schuld der ganzen Welt auf seinem schuldlosen Herzen lasten fühlte. Der Christ tut um der allgemeinen Sünde willen Buße, trägt Trauer um sie, wie auch einst der größte Prophet der Bußtrauer, Jeremias. Lasst uns aus dessen Mund vernehmen, wie der Geist Gottes uns die allgemeine Schuld verstehen lehrt, und hören, wie geschrieben steht:

Jer. 8, 21-9, 1.
Mich jammert herzlich, dass mein Volk so verdorben ist; ich gräme mich, und gehabe mich übel. Ist denn keine Salbe in Gilead? Oder ist kein Arzt nicht da? Warum ist denn die Tochter meines Volks nicht geheilt? Ach, dass ich Wasser genug hätte in meinem Haupt, und meine Augen Tränenquellen wären, dass ich Tag und Nacht beweinen möchte die Erschlagenen in meinem Volk!

Schmerzbewegt klingt es aus des Propheten Worten und zittert in unsern Herzen wieder:

Warum ist die Tochter meines Volkes nicht geheilt?

Darin liegt Klage sowohl als Frage und Anklage. Und zwar:

1. die Klage ob der allgemeinen Not;
2. die Frage nach der rechten Hilfe;
2. die Anklage der gemeinsamen Schuld.

Und jedes davon, mein Christ, Klage, Frage und Anklage, sei uns ein Stachel zur Buße!

1.

Habt ihr keinen Blick für die allgemeine Not? Greift's euch nicht ans Herz? Fühlt ihr nicht etwas von dem, was des Propheten Herz bewegt: „Mich jammert herzlich, dass mein Volk so verdorben ist“ „warum ist denn die Tochter meines Volkes nicht geheilt?“ Oder vielmehr, wie das erste ursprünglich lautet: „Ob der Wunde meines Volks bin ich verwundet.“ seht den wahren Volksmann, den echten Patrioten, nicht mit Wortschwall und patriotischem Liedersang und Festen, sondern mit blutendem Herzen zeigt er seinen wahren Patriotismus. Die Wunde seines Volks ist seine Wunde. Und dreimal wiederholt er: mein Volk, Tochter meines Volks, mein Volk! Ach, und bei aller Not, die seinem Volke von seinen Feinden drinnen und draußen droht, ist ihm der größte Schmerz, die brennendste Wunde, dass sein Volk nicht geheilt, dass es so verdorben ist. Bist du ein Christ? Dann musst du auch etwas fühlen von der Not deiner Brüder, von dem Jammer deines Volks, es muss dich brennen, wie eigner Schmerz, dass dein Volk so verdorben ist. Der Christ allein versteht, was wahrer Patriotismus heißt, er allein fühlt seines Volkes Schmerz als eignen.

Er kann nicht teilnahmslos vorübergehen, wie der Priester und der Levit; - sein Heiland ist auch nicht vorübergegangen, er litt unsre Schmerzen.

Unser Bußtag steht unter dem Zeichen des Kreuzes. Wie ein großes Fragezeichen ragt es in dieser heiligen Zeit herein in unsre Feier. O, lieber Heiland, wehe, weh, dass wir dir Schmerzen machen, dich immer wieder kreuzigen durch unsern Abfall. Und nun schau, lieber Christ, wie dein, wie deines Volkes Jammer auf seinem Herzen lastet, - ahnst du die Größe der Verderbtheit, die so und nicht anders gesühnt werden musste? - Gewiss, groß ist auch äußerlich die Not und der Jammer unsers Volkes, ringsum viel des Elends, besonders in den großen Städten. An die Abgründe der Menschheit führt euch die Dienerin der Kirche, die innere Mission, die heute mit der Bitte um ein Scherflein vor euch tritt. Der Uebel größtes aber ist die Schuld. Ja, nicht nur das größte, das alleinige, das Grundübel! Das ist eben der Jammer, dass unser Volk so verdorben ist. Die eigentliche Not ist die Sünde. Die Sünde unsers Volkes ist der Abfall vom Herrn, vom materialistischen Zeitgeist gefördert bis zum grauenvollen Trotzen in der Not.

Am Kreuze scheidet sich die Welt, hier rechts aufwärts, dort links abwärts. Wo es erst abwärts gegangen ist im Abfall von Jesu, da geht's hinab, immer steiler, immer rasender, im wilden Taumel zum Sturz. Wie ein Zaubertrank scheint's in den Adern unsers Volkes zu kreisen, man taumelt dahin wie ein Trunkener, einer ungewissen Zukunft entgegen. Mag's werden, wie's will, wenn ich's nur besser kriege, wenn ich nur meinem Gelüste frönen kann. Weil unser Volk verdorben ist im Abfall vom Herrn, hat man kein Gefühl mehr für die allgemeine Not, man führt wohl das Wort „Brüderlichkeit“ im Munde, aber jeder denkt dabei nicht an den Bruder, sondern nur an sich. In dem immer gehässiger sich gestaltenden Kampf ums Dasein führt die Selbstsucht zum rücksichtslosen Niedertreten: auf der einen Seite trachtet man durch einen Umsturz das Oberste zu unterst zu kehren, um selbst, wie man sich in Verblendung einbildet, obenauf zu kommen, auf der andern Seite ist man nur bestrebt, sich obenauf und den andern unten zu halten, unbekümmert um die allgemeine Not des Leibes und der Seele.

Ja, die arme Seele! Bist du ein Christ, so musst du, schmerzerfüllt wie der Prophet, hören, wie das Blut von Tausenden deiner Brüder, die die allgemeine Verderbtheit gemordet hat oder rücksichtslos dahinsiechen lässt, zum Himmel schreit. Die edle Kunst, die Wissenschaft, kurz, alles selbst, was dem Volk zur köstlichen Förderung dienen könnte, sie helfen selbst dazu, alles in den Kot und die Gesamtheit ins Verderben zu ziehen. Da sie sich für weise hielten, sind sie zu Narren worden, das ist's: Die sogenannte Weisheit macht die Leute zu Narren und zwar zu solchen, von denen es heißt: Du Narr, diese Nacht wird man deine Seele von dir fordern und wes wird sein, das du dir bereitet hast? Bildung, Bildung macht frei! Ja, frei von der Tyrannei der Kirche, der Obrigkeit, von allem Zwang. An einen Gott, eine Vergeltung, ein Gericht glauben? - Oder gar an einen für die Sünde in den Tod gegangenen Heiland glauben? Unsinn, verträgt sich nicht mit der Wissenschaft, ist gegen alle Bildung. So verkündet's der gelehrte Professor auf seinem Weisheitsthrone, und der muss es doch wissen, so tragen es die Tagesblätter in alle Welt hinaus, und wer nicht für ungebildet gelten will, der muss es wohl glauben. Man glaubt es auch leider, man ist ja wie bezaubert von dem Schlangenblick der alten Schlange, die von Anfang an die Menschen durch die Vorspiegelung verführte: Ihr werdet sein wie Gott. Und man wird freier durch die Bildung. Die Verbrechen gegen die Religion sind selbst unter der Jugend um das Doppelte gegen früher gewachsen, man wird frei von jeder Zucht, jeder Sitte - ach, mich jammert herzlich, dass mein Volk so verdorben ist!

Jammert's dich, mein Christ? Nun denn, tue Buße! Not lehrt beten, aus Notbettagen sind die Bußtage geworden, betest du? Betest du ob der Verderbtheit deines Volks? Tust du Buße darum? auch darum, dass es dir doch am echten, unverfälschten Mitgefühl mit der wahren Not deines Volkes so oft fehlt? Des Jeremias gesegnetes Wirken beruhte auf seinen Tränen. Als deine Schuld trage die allgemeine Not. Da wird die Klage zur Frage, zur Frage nach Hilfe, aber auch zur Anklage!

2.

„Ist denn keine Salbe in Gilead? Oder ist kein Arzt nicht da? Ja, „Warum ist denn die Tochter meines Volkes nicht geheilt?“ wuchs nicht auf den Bergen von Gilead im Osten des gelobten Landes das wundersame Balsamharz, dessen Heilkraft für Wunden aller Art weithin berühmt war? Ja so klagt der Prophet bist du es nicht gerade, mein Volk, das die wahre, wundersame Heilsalbe für jedwede Wunde besitzt vor allen Völkern? Du, das Volk Abrahams, dem die Verheißung gegeben, dass in seinem Samen sollen gesegnet werden alle Geschlechter auf Erden! Du, das Volk Mosis, aus Ägyptenland nicht bloß aus dem Hause der Knechtschaft erlöst, sondern begabt mit dem köstlichen Leitstern des Gesetzes, dass das gelobte Land dir ein Land des wahren Friedens und Segens werden sollte! Du, das Volk Davids, des gottgesalbten Königs, mit der Verheißung des Davidssohnes, des königlichen Gottesgesalbten? Du gesegnetes Volk, hast du nicht Salbe genug? Du Volk der Heiligen Schrift, des Priestertums, des Prophetenamts, hast du nicht Ärzte genug? Und doch diese Verderbtheit? O, welch ein Stachel zur Buße liegt in dem Hinweis auf den Reichtum der unendlichen Gnade Gottes, die er diesem Volke erwiesen!

Und du nun, mein Volk, mein Christenvolk! Hast du nicht noch köstlichere Wundsalbe, als die von Gilead, köstlichere Heilmittel noch, als wie sie Gott jenem erwählten Volk in Gnaden geschenkt: die Salbe des Blutes Jesu Christi, von der es gilt: „Durch seine Wunden sind wir geheilt?“ Kennst du nicht noch ganz andre Berge im Osten, als die Berge von Gilead, Berge, von denen die Hilfe kommt? Nur einen nenn' ich: Golgatha! Du Volk des Eigentums, hast du nicht von dort alle köstliche Salbe gesammelt in dem geweihten Gefäß deiner Bibel. Als der geschlagene Vandalenkönig Gelimer den siegreichen Belisar nur noch um drei Dinge bat: um ein Brot, dass er sich noch einmal satt essen könne, um eine Harfe, dass er sich noch einmal im Liede tröste, und um einen Schwamm, dass er seine Träne trockne, schickte ihm der fromme Feldherr eine Bibel mit den Worten: hier hast du alles, Lebensbrot, Harfenklang, wahren Tränentrost. Denkst du daran, lieber Christ, dass du in deiner Bibel Salbe hast für alles Wunde?

Und du, o mein deutsches Volk, von Gott besonders begnadigt durch dein deutsches Gemüt, das dich so empfänglich macht zur herzlichen Aufnahme des Heils, zur innigen Hingabe an Jesum, - begnadigt durch dein deutsches Haus, deine Burg, dein Familienleben, in dessen Schoße alles Gute und Schöne gehegt, gepflegt und gehütet werden kann, gesegnet insbesondre durch das Werk der deutschen Reformation, die dir ganz besonders die Quellen des Glaubenslebens frisch und lebendig erschloss, dir die Salbe aus Gilead in deiner Muttersprache zu eigen machte, ist keine Salbe da? Hast du nicht Gottes Gnade besonders verspürt? Hast du nicht einen ganzen Schatz dieser köstlichen Salbe in deinen deutschen Kirchenliedern, wie sie kein andres Volk hat? Und ist denn kein Arzt nicht da? Hast du nicht das Predigt- und Seelsorgeamt des neuen Bundes, die echte, unverfälschte Darbietung der Sakramente, die reine lautere Lehre des Wortes Gottes, du evangelisches deutsches Volk? Ja, wie dort der Prophet, so möchte man angesichts all der Gnade, die Gott an unser Volk gewendet, in bitterliches Weinen ausbrechen! Gerade die Größe seiner Gnade zeigt uns die ganze Größe unsrer Schuld, gerade die Frage nach der rechten Hilfe wird uns ein Stachel zur Buße, wird uns zur erschütternden Anklage.

3.

„Warum ist denn trotz der Salbe, trotz der Ärzte Tochter meines Volkes nicht geheilt?“ Ist denn, so klagt der Prophet, in Israel, wo man die echte Salbe hat und kennt, wo man auch berufene Ärzte genug hat, niemand da, der das rechte Heilmittel anwendet? Eine gewaltige Anklage ist dieser Notschrei des Propheten wider die in seinem Volk, die entweder gar nicht an Anwendung von Heilmitteln dachten oder ihre Hoffnung auf trügerische Mittel setzten. Freilich, ein rechter Arzt muss schneiden, um zu retten, die heilkräftige Salbe brennt und schmerzt, wenn sie helfen soll. Das Bußetun, es ist nicht leicht, es tut dem hoffärtigen Herzen weh. Und doch kann Buße allein der Anfang der Heilung sein, weil sie die Wunde erkennen lehrt und so zum rechten Heilmittel, zum rechten Arzte treibt. Tut Buße, so ruft darum des Jeremias Predigt, Buße war des Heilands Grundforderung, „Tut Buße“, so begann mit der ersten These Luthers die Reformation. Doch hörten sie es schon zu des Jeremias Zeiten lieber: die Ägypter werden mit ihren Rossen und Reisigen euch erretten! So wollten auch zu des Herrn Zeit sie lieber einen Befreier vom Menschenjoch, so setzt man auch heute so viel Hoffnung auf äußere Mittel. Und das ist die größte Schuld, dass man des wahren Heilmittels, das man doch besitzt, vergisst und mit allerlei Mittelchen und Pflastern den Schaden verdecken will.

Oder will man gar nicht heilen und helfen? Ach, wir finden bereits in weiten Kreisen, bei hoch und niedrig, eine herzlose Verbitterung oder eine verzagte Hoffnungslosigkeit, die da denkt: Immer zu! Mag's gehen wie es will. Man spricht sogar leichtfertig davon, dass einmal eine Revolution kommen müsse. Verstehst du, was das heißt? Weißt du, was für ein Elend der Umsturz aller Ordnung gerade denen bringen muss, die ihn herausbeschwören wollen? Sollst du deine Hoffnung darauf setzen, dass die armen Verführten samt ihren blinden Leitern durch Staatsgewalt niedergetreten werden? Ist das Hoffnung? Ist das christliche Liebe? Nein, wir wollen darauf bedacht sein, hoffen und arbeiten, wie die Tochter unsers Volkes geheilt werde! Aber warum ist sie's nicht? Weil man auch in den Heilmitteln sich vergreift. Die Salbe aus Gilead scheint vergessen, das ist unsers Volkes größte Schuld!

O selige Zeit, o große Zeit, da du, mein deutsches Volk, der Verkündigung des Evangeliums aus dem Munde eines Luther zujauchztest und mit Herzensfreude nach deiner deutschen Bibel griffst. Was ist unserm Volk die Bibel? Wie ist sie ihm fremd geworden und liegt, auch, wo man sie noch hat, verstaubt auf dem Schrank. Was ist uns der köstliche Schatz unsers Gesangbuchs? Wie viele gebrauchen ihn, wenn's hoch kommt, nur da und dort noch im Gotteshause. Der lieblichste Sonnenschein will vom Kreuze aus uns das Leben wärmen, und du willst lieber erstarren im kalten Eis eigner Torheit, - Bildung vielmehr. Ach, ist uns denn das „O Haupt voll Blut und Wunden“ nichts weiter als schöne Poesie eines Vorfahren? Die kräftigen Töne von „Ein feste Burg“ nichts weiter als schöne Musik und Melodie, die das Herz erfreut? Wahrlich, das ist die echte Poesie, die wahre Musik des Lebens, wenn uns Text und Melodie von dem Gekreuzigten, dem Mann, der das Feld behalten wird, in Mark und Blut übergeht, - wenn wir im Leide getrost beten: „Wie wohl ist mir, o Freund der Seelen“ -, wenn wir im Sterben singen: „Wenn ich einmal soll scheiden“. Darmes, törichtes Volk. Wie einst der Apostel den Galatern, so ruft er euch zu: „O, ihr unverständigen Deutschen, wer hat euch bezaubert, dass ihr der Wahrheit nicht gehorcht? „Welchen Christus Jesus vor die Augen gemalt war“ war, ja war - hörst du die Anklage, lieber Christ? Es ist eine traurige Geschichte, kein lustiges Märlein, wenn es hier lautet: Es war einmal! Das Schlimmste aber ist, dass die Ärzte selbst allerlei neue Mittel an Stelle der wahren Heilsalbe setzen. Die Predigt meint es oft besser zu verstehen als Gottes Wort, will modernen Bedürfnissen genügen, erfindet unserm Geschlechte eine neue Medizin, als ob die alte Salbe ihre Heilkraft verloren hätte. Ja, gefälscht selbst wird die Salbe und als Frucht unsrer deutschen Reformation, die ihren Antrieb aus Gemüt und Gewissen empfing, will man nur gelten lassen: Freiheit der Geister. Ja, wahrlich, auf die Frage: warum ist denn die Tochter meines Volks nicht geheilt? ist die schmerzlichste Antwort die, die der Prophet im 10. u. 11. Verse gibt: „und beide, Priester und Propheten, lehren falschen Gottesdienst und trösten mein Volk in ihrem Unglück, dass sie es gering achten sollen und sagen: Friede, Friede! und ist doch kein Friede!“ Wenn so am grünen Holz, was soll am dürren werden? Man braucht Gottes Wort nicht mehr, denn man ist selbst weise, doch lässt man Gottes Wort herablassend noch so viel gelten, als es die eigne Weisheit zulässt. Man braucht keinen Heiland, denn man ist selbst rechtschaffen, darum macht man sich einen Heiland zurecht, wie er der eignen Hoffart nicht weh tut. Wird's nicht besser, so ist alles andre daran schuld, nur nicht das eigne Fehlgreifen in den Mitteln; dann ruft man nach Hilfe, nach Staat und Polizei, Gesetzen und Paragraphen, und mit aller Mühe kuriert man an den Symptomen des Schadens, während das Grundübel, die glaubenslose Weltanschauung bleibt. Ja, der alte Kirchenvater hatte recht, der auch die Tugenden der Heiden für glänzende Laster hielt! Ein Laster, eine unsühnbare Sünde und Schuld sind die Versuche, zu heilen unter Verachtung der einzig wahren Salbe. Sie kalmieren nur das Gewissen ohne zu nützen. Hier liegt die allgemeine Schuld! Die Hilfe ist da, aber um eingebildeter Mittelchen willen verachtet. Was helfen alle eure Bestrebungen und Beratungen und Gesetze, zurück zum Evangelium, hier ist die Salbe aus Gilead! Christenvolk, deutsches Christenvolk, hat der Herr umsonst so viel an dich gewandt? Weinen, weinen möchte man, bittere Tränen, wie Jeremias.

Doch ach, diese Tränen, sie werden zur furchtbarsten Anklage! Hörst du nicht den Gerichtston aus den Worten des Propheten, wenn er mit Tränenströmen klagt um die Erschlagenen seines Volks? Waren nicht die Tränen deines Heilands über die verlorene Stadt, das abtrünnige Volk Vorboten des hereinbrechenden Gerichts? Wer Augen hat zu sehen, der kann in der Geschichte der Völker lesen. Auch aus des Heilands Munde, der die Liebe selber ist, zwingen die widerspenstigen Städte Galiläas, das abspenstige Jerusalem furchtbare Gerichtsworte. Sollte uns nicht der Ausklang unsers Prophetenwortes eine besonders ernste Mahnung sein: Tut Buße? Buße vor allem, weil ihr das rechte Heilmittel verachtet? Wenn ihr euch nicht bessert, werdet ihr auch also umkommen! Dem törichten Knaben gleich, der auf der schneeigen Bahn hinabgleitet, im Übermut jauchzend, nicht bedenkend, dass es auf einen Abgrund zugeht, geht's abwärts, abwärts mit uns, wehe, wenn wir den Abgrund erst sehen, wenn es zu spät ist, und uns nicht mehr halten können in rasendem Hinabschießen. Du, vielgerühmte Bildung, Stolz des Jahrhunderts, du bist schuld daran in deiner Verblendung; du, ja du Gebildeter, du bist, magst du dich auch noch so sehr im Recht glauben, schuld daran, wenn es immer jäher mit unserm Volk hinabgeht in das Verderben. Wir kennen Gottes Völkergerichte, wir wissen aus unzähligen Beispielen, dass die Sünde der Leute Verderben ist. Schon drohen manche Anzeichen des Gerichts, finstere Wetterwolken über den Völkern; ein Gewittersturm naht, der ein furchtbares Gottesgericht werden wird. Wer seine Seele retten will: nieder! Noch gibt es Salbe: Gottes Gnade. Noch gibt es einen Arzt, dem kein andrer gleich, des Hand zu helfen hat kein Ziel, wie groß auch sei der Schade. Er ist allein der gute Hirt, der Israel erlösen wird aus seinen Sünden allen. Schrecklich ist es, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen. Aber so ihr mich von ganzem Herzen suchet, will ich mich von euch finden lassen, spricht der Herr. Bekehre du uns, Herr, so werden wir bekehret, hilf du uns, so ist uns geholfen. Erbarme dich unser und gib uns deinen Frieden. Amen.

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