Quandt, Emil - Die sieben pastoralen Sendschreiben der Offenbarung Johannis - II. Das Sendschreiben an den Engel in Smyrna.

Quandt, Emil - Die sieben pastoralen Sendschreiben der Offenbarung Johannis - II. Das Sendschreiben an den Engel in Smyrna.

Offenb. Joh. 2, 8-11.

Und dem Engel der Gemeine zu Smyrna schreibe: Das sagt der Erste und der Letzte, der tot war und ist lebendig geworden: Ich weiß deine Werke und deine Trübsal und deine Armut (du bist aber reich), und die Lästerung von denen, die da sagen, sie sind Juden, und sind es nicht, sondern sind des Satans Schule. Fürchte dich vor der keinem, das du leiden wirst. Siehe, der Teufel wird etliche von euch ins Gefängnis werfen, auf dass ihr versucht werdet; und werdet Trübsal haben zehn Tage. Sei getreu bis an den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben. Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinen sagt: Wer überwindet, dem soll kein Leid geschehen von dem anderen Tode. Amen.

Smyrna, noch jetzt unter dem Namen Izmir eine wichtige Großstadt der Levante, im Altertum berühmt durch das Homereion, eine großartige Säulenhalle mit der Bildsäule Homers, als dessen Vaterstadt sie den meisten galt, trägt den Namen, wie man sagt, von der Myrrhe, die bei Totenfeiern, aber auch bei Brautfeiern als kostbare Spezerei angewendet wurde. In der apostolischen Zeit war sie eine schöne, volkreiche Handelsstadt mit rauschendem Leben; sie hat später und noch in diesem Jahrhunderte von den heftigsten Erdbeben zu leiden gehabt, ist aber immer wieder aufgebaut und restauriert worden. Wann und wie die Smyrnaer Christengemeinde entstanden ist, entzieht sich unserer Kenntnis; bestanden hat sie, auch nachdem Smyrna im elften Jahrhundert in die Hände der Türken kam, bis auf den heutigen Tag; noch heute wohnen dort Christen in großer Anzahl; und alle christliche Konfessionen, auch die evangelische, feiern in Smyrna ihre Gottesdienste, und auch in unsrer deutschen Muttersprache wird dort reichlich das Evangelium gepredigt. An die christliche Urgemeinde in Smyrna ist außer dem zweiten apokalyptischen Sendschreiben, das unter den sieben Sendschreiben das kleinste ist, bekanntlich auch einer der ignatianischen Briefe gerichtet.

Vers 8. Und dem Engel der Gemeinde zu Smyrna schreibe: Das sagt der Erste und der Letzte, der tot war und ist lebendig geworden.
Als ersten Bischof von Smyrna nennt die Kirchengeschichte den glorreichen Märtyrer Polykarp, den Schüler des Apostels Johannes; das apokalyptische Sendschreiben ist nicht an ihn, der erst um das Jahr 169 starb, sondern an seinen Vorgänger oder Vorvorgänger gerichtet. Demselben gegenüber bezeichnet sich der Herr als den Ersten und den Letzten, also mit jenen majestätischen Namen, den bei Jesaias Jehova führt, da er spricht 44, 6: Ich bin der Erste und der Letzte, und außer mir ist kein Gott. Als Inhaber der ewigen Gottheit, als der mit Gott wesensgleiche begrüßt der Herr den Prediger einer Gemeinde, die unter manchem Drucke lebt und mancher Trübsal entgegengeht, damit Prediger und Gemeinde sich seines allmächtigen Schutzes getrösten mögen. Zugleich grüßt der Herr als der, der tot war und ist lebendig geworden, also als der, der, ob er wohl in göttlicher Gestalt war, doch Mensch geworden und als Mensch gehorsam geworden ist bis zum Tode, aber den Tod überwunden hat durch seine Auferstehung und nun lebt in Ewigkeit; er will auch mit dieser Bezeichnung Trost spenden und Mut machen und die spätere Mahnung begründen: Sei getreu bis in den Tod. Prediger an Gemeinden, die unter dem Kreuz stehen, sollen sich aufrichten an dem Gedanken, dass der Heiland, dem sie dienen, selbst durchs Kreuz zur Krone gegangen ist und jetzt als gekrönter Heiland den Seinen mit allmächtiger Hand hilft, dass auch sie durch das Kreuz zur Krone gelangen.

Vers 9. Ich weiß deine Werke und deine Trübsal und deine Armut (du bist aber reich) und die Lästerung von denen, die da sagen, sie sind Juden und sind's nicht, sondern sind des Satans Schule.
In einigen Handschriften und älteren Bibelausgaben fehlen die Worte „deine Werke und“, so dass der allwissende Erzhirt sofort und unmittelbar auf die Trübsal Rücksicht nimmt, von der der Engel und seine Gemeinde umfangen sind: „ich weiß deine Trübsal.“ Wir haben hier im Zusammenhang einen ähnlichen Gegensatz zu ergänzen, wie er sich im Folgenden ausspricht: Ich weiß deine Armut, du bist aber reich. Der Herr will hier sagen: Ich weiß deine Trübsal, du aber duldest sie! Die Trübsal haben wir uns nach dem Folgenden als Bedrängnis von Feinden des Namens Jesu, namentlich von den ungläubigen, verfolgungssüchtigen Juden zu denken; die Werke, die praktischen Erweisungen des Christentums in Smyrna bestanden also vornehmlich im Leiden, Dulden, Tragen, im Martyrium. Der Pastor war ein Kreuzträger und seine Gemeinde eine Kreuzträgerin. Und ebenso war er ein armer Pastor und seine Gemeinde eine arme Gemeinde. Sie waren arm an äußeren Gütern, arm an Macht, Ehre und Einfluss, vielleicht auch arm an glänzenden Geistesgaben, wie sie an anderen Orten in der Christenheit sich zeigten. Man braucht nicht anzunehmen, dass das Christenhäuflein in Smyrna anfangs zwar in irdischem Sinne begütert gewesen, aber infolge der über sie gekommenen Verfolgungen beraubt und ausgeplündert sei. Es ist viel natürlicher anzunehmen, dass nicht die reichen heidnischen und jüdischen Handelsherren in Smyrna, sondern geringe, verachtete arme Leute niederer Stände sich von dem eitlen Wandel nach väterlicher Weise bekehrt und das trostreiche Evangelium von der Gnade Gottes in Christo angenommen haben. Der Pastor und die Gemeindeglieder waren arme, geringe, in der Welt unbedeutende Leute. Nun, an solchen armen Geistlichen und Christen fehlt es ja auch heutzutage und ganz besonders in der evangelischen Kirche und am besondersten in ihrer Diaspora nicht, sie sind unser aller Teilnahme wert, und aus solcher Teilnahme ist der Gustav Adolfs-Verein entstanden mit der Devise von Galater 6, 10: „Als wir nun Zeit haben, lasst uns Gutes tun an Jedermann, allermeist aber an des Glaubens Genossen“. Was aber für eine arme evangelische Gemeinde und ihren Pfarrer noch tausendmal mehr wert ist, als eine Unterstützung seitens des Gustav Adolfs-Vereins, ist, wenn der Herr zu ihr sagen kann, was er zu dem Engel der Gemeinde von Smyrna sagte: Du bist aber reich. Das arme Smyrna steht reich da vor den Augen des Allwissenden, die schlichten irdischen Gefäße bergen köstliche geistliche Schätze in sich; die äußerlich unansehnliche und dürftige Gemeinde ist gesegnet mit allerlei geistlichem Segen an himmlischen Gütern durch Jesum Christum selber. Das arme Smyrna war reich an Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit, Glaube, Sanftmut, Keuschheit. Und doch blieb die Lästerung, die Blasphemie, die Denunziation bei der städtischen Bevölkerung und bei der Obrigkeit, dass die Christen zweifelhafte, verdächtige, verkommene, staatsgefährliche Menschen seien, nicht aus; sie kam von denen, die da sagen, sie sind Juden und sind es nicht, sondern sind des Satans Schule, eine Synagoge, aber eine Synagoge des Satans. Der letzte Ausdruck verbietet durchaus, an getaufte Juden und judaisierende Irrlehrer innerhalb der Gemeinde zu denken, an falsche Brüder aus den Juden, die in so vielen andern Gemeinden des apostolischen Jahrhunderts Kampf und Streit erregten. Vielmehr ist an ungetaufte, unbekehrte, sich auf ihr Synagogentum, das nichts mit dem Nazarener zu tun haben wollte, versteifende Juden zu denken, denen die Existenz einer Gemeinde des Gekreuzigten in Smyrna, die das wahre Israel Gottes darstellen wollte, ein empfindlicher Stachel im Gewissen und darum ein scharfer Dorn im Auge war: ihren Lästerungen gegenüber bietet der Heiland den Christen in Smyrna den Trost, dass er die Lästerer in ihrer ganzen Haltlosigkeit und Nichtsnutzigkeit kennt; er eröffnet der Gemeinde, dass diese Juden Nichtjuden, nicht echte Kinder Abrahams, des Vaters der Gläubigen seien, sondern Kinder Satans, des Lügners und Mörders von Anfang. Diese Synagoge Satans hat sich noch lange Zeit in Smyrna erhalten und auch ihr bitterer Hass gegen das Christentum; noch in der Christenverfolgung von 167, die die Veranlassung zum Märtyrertode des ehrwürdigen Bischofs Polykarp wurde, trugen die Smyrnaer Juden viel zum Aufruhr gegen die Christen bei. Wie hat der Christ, zumal der christliche Prediger unsrer Tage das Synagogentum unsrer Tage zu beurteilen? Es wäre mehr als verwegen, wenn wir, deren Wissen und Erfahren Stückwerk ist, das scharfe Urteil, das der Allwissende über eine bestimmte, verfolgungssüchtige Synagoge des christlichen Altertums zum Trost einer bedrängten Christengemeinde fällt, unsrerseits und gleichsam in Bausch und Bogen über die modernen Synagogen aussprechen wollten. Aber wenn auch heutzutage diejenigen Juden, die auf ihr Judentum pochen und ihr Herz gegen Christum verschließen, sich das Recht des Bundesvolkes beimessen, so ist das eine Unwahrheit, im besten Falle Selbsttäuschung; das Reich Gottes war bei den Juden in der Zeit des Alten Testamentes; seit der Fülle der Zeit ist es nur bei denjenigen Juden, die zur Gemeinde der Gläubigen an Jesum Christum übergetreten sind.

Vers 10. Fürchte dich vor der keinem, dass du leiden wirst. Siehe, der Teufel wird etliche von euch ins Gefängnis werfen, auf dass ihr versucht werdet, und werdet Trübsal haben zehn Tage; sei getreu bis an den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben.
Es ist das kein geradezu ausgesprochener Tadel, der in der Mahnung liegt: „Fürchte dich nicht“, kein „Ich habe wider dich“, wie es der Engel von Ephesus hören musste. Aber ein leises Aufdecken einer kleinen Schwäche ist es doch, nämlich der Schwäche einer Neigung zur Verzagtheit; die christliche Gemeinde in Smyrna hatte viel gelitten und sie sollte noch mehr leiden; hätte sie den vollen Mut gehabt den Trübsalen gegenüber, so hätte der Herr ihr nicht noch erst mit dem „Fürchte dich nicht“ Mut zu machen nötig gehabt. Doch ist zuzugeben, dass dieser Ausspruch auch ohne alle Beziehung auf das Vorhandensein von Verzagtheit, also rein in tröstlichem Sinne gedeutet werden darf. Der Herr weiß, dass zunächst für die Christen in Smyrna das Kreuz nicht abgenommen, sondern verdoppelt werden wird, wie ja das im Gemeindeleben, im christlichen Einzelleben und nicht zum wenigsten auch im Pastorenleben wer weiß wie oft so geht: Man denkt, schwerer kann es nun nicht mehr kommen, und es kommt doppelt schwer. Darum bemüht sich der Herr schon im Voraus den Mut zu stärken durch den Hinweis, dass Er auch dabei ist, wenn die Trübsal immer heißer wird und dass Er der Trübsal ihre Dauer abmisst und für ihre segensreiche Frucht einsteht. Dass die kommenden Leiden der Smyrnaer Christen mit den wachsenden Lästerungen der Juden in Verbindung stehen, ergibt der Zusammenhang und besonders der Satz: Siehe, der Teufel wird etliche von euch ins Gefängnis werfen; der Teufel, als dessen Synagoge die unisraelitischen Juden eben bezeichnet waren, wird durch diese seine Organe die Christen weiter und empfindlicher quälen. Der Teufel wird etliche ins Gefängnis bringen, um sie vom christlichen Glauben abzubringen; der Herr aber lässt solche Trübsal über die Gläubigen zu, auf dass sie versucht werden, im Glauben versucht und dadurch geläutert und bewährt werden, wie das Gold im Schmelztiegel. Zehn Tage wird die Prüfung dauern. Diejenigen, die in der Gemeinde von Smyrna die altkatholische Märtyrerkirche symbolisiert sehen, denken bei den zehn Tagen an die zehn großen Christenverfolgungen; die andern Ausleger deuten sich die zehn Tage sehr verschieden. Man denkt an zehn einzelne große Leidenstage, die der Gemeinde in Smyrna bevorgestanden hätten. Oder man deutet: Zehn Tage, das ist eine festbestimmte Zeit, darf die Prüfung dauern; der Herr wägt und misst Dauer und Schwere der Prüfung nach der Kraft, die er zuteilt und nach dem Zweck, den er erreichen will. Oder man sagt: Die zehn Tage deuten eine kurze Zeit an; die Christen sollen feststehen und sich nicht beirren lassen; die Zeit der Trübsal wird schnell vorübergehen, und in der Kürze will der Herr kommen; für die letzte Auslegung beruft man sich wohl auf 1. Mose 24, 55 und Daniel 1, 12. 14. 15. Sei getreu bis an den Tod - ruft der Herr dem Engel von Smyrna im Blick auf die Drangsal der zehn Tage zu; eigentlich werde getreu, erringe und erweise die Treue stets als eine neue; bis an den Tod, sowohl bis an des Lebens Ende als auch so, dass du auch für deinen Heiland sterben kannst. Es blickt durch, dass der Gang ins Gefängnis möglicherweise ein Gang in den Märtyrertod ist. Der Engel und seine Gemeinde sollen nicht bloß auf Gefängnisleiden, sondern auch auf Blutzeugnis gefasst sein und den Gang in den ersten Tod nicht scheuen, da ihnen die Erlösung vom zweiten Tode winkt. Der Lohn für die Treue bis an den Tod ist die Krone des Lebens, das ewige Leben als Siegerkranz, ganz ebenso genannt von Jakobus 1, 12; von Petrus 1. Petri 5, 4 die unverwelkliche Krone der Ehren, von Paulus 2. Tim. 4, 8 die Krone der Gerechtigkeit genannt, „deine Krone“ Offb. Joh. 3, 11. Die Mahnung zur Treue im Kreuz mit der Verheißung der Krone ist von unseren geistlichen Dichtern viel besungen, so z. B. von Michael Frank in dem Liede: „Sei Gott getreu, halt' seinen Bund, o Mensch, in deinem Leben“, so besonders schön von Benjamin Schmolk: „Sei getreu bis in den Tod, strebst du nach des Lebens Krone; brich getrost durch alle Not, greif' nach dem verheiß'nen Lohne, der aus Gnaden dir bestimmt, wenn dein Lauf ein Ende nimmt.“

Vers 11. Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt: Wer überwindet, dem soll kein Leid geschehen von dem anderen Tode.
Mit dieser Schlussverheißung wendet sich der Herr, ähnlich wie am Ende des Sendschreibens an Ephesus, an alle Gemeinden. Wer treu gewesen ist bis in den ersten Tod, wird nicht beschädigt werden von dem zweiten Tode, d. i. von dem ewigen Tode, der ewigen Verdammnis. Es hat Einer sehr schön gesagt: „Durch das Tor des ersten Todes an dem des zweiten vorüber zieht der Überwinder ein in die Wohnungen des Lebens, des Lichtes des Friedens.“

Das kleine Sendschreiben zeigt uns, wie ein armer Pastor an einer armen Gemeinde unter gedrückten Verhältnissen doch ein Mann nach Gottes Herzen ist, wenn er sich genügen lässt an den geistlichen Schätzen, die ihm der Herr geschenkt und dieselben in der Gemeinde zu pflegen und zu mehren sich angelegen sein lässt. Ficht ihn Verzagtheit an, wenn die Wolken am Himmel immer schwerer hängen, so stärkt er sich und die Seinigen durch Gottes Wort und ruft ihnen und sich selber zu: Nur treu, und wenn es das Leben kosten sollte, nur treu! So dringt er überwindend durch alle Armut und Trübsal in den Reichtum und die Tröstungen des ewigen Lebens.

Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/q/quandt/sendschreiben/quandt-pastorale_sendschreiben-2._smyrna.txt · Zuletzt geändert: von aj
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain