Krummacher, Gottfried Daniel - Die Sonne der Gerechtigkeit - 2. Predigt über Maleachi Kap. 4, V. 2.
Eine der erhabensten und wunderbarsten - aber wie man auch wohl hinzusetzen möchte - unglaublichsten Geschichten der Heiligen Schrift, ist diejenige, welche uns im Buch Josua Kap. 10, 12 - soll ich sagen von Josua, von Gott, oder von der Sonne? gemeldet wird. Es heißt aber daselbst also: da redete Josua des Tages mit dem Herrn, und sprach vor gegenwärtigem Israel: Sonne, stehe still zu Gibeon, und Mond im Tal Ajalon! Also stand die Sonne mitten am Himmel, und verzog unterzugehen beinahe einen ganzen Tag. Und war kein Tag diesem gleich, da der Herr der Stimme eines Mannes gehorchte. Ist's aber weniger oder mehr merkwürdig, dass die Sonne auch einst - ihr wisst, bei welcher Gelegenheit - um Mittag ihren Schein verlor, und vor 3 Uhr nicht wiederbekam? Diese große Geschichte ist an sich und ohne weitere Anmerkung erbaulich genug, und ragt gleichsam über alle hoch hervor. Wir wollen nur eine daran reihen, und das ist diese: wie wünschenswert ist eine Sonne, die uns so lange scheint, bis wir alle unsere Feinde besiegt haben. Und eine solche Sonne gibt es. Sie ist die Rechte, und es ist unser Vorsatz, von derselben zu reden.
Text: Mal. 4, 2.
Haben wir neulich die Personen charakterisiert, welche in unserm Text gemeint sind, so lasst uns jetzt die ihnen verliehene Verheißung erwägen: Euch soll aufgehen die Sonne der Gerechtigkeit, und Heil unter desselbigen Flügeln. Wir betrachten
I. das Aufgehen der Sonne der Gerechtigkeit,
II. die Art und Weise desselben: mit Heil oder Genesung unter ihren Flügeln.
I.
Heute bleiben wir stehen bei dem Ausdruck: Sonne der Gerechtigkeit.
Die Sonne der Gerechtigkeit soll euch aufgehen. Dies ist eine liebliche Art zu reden. Es ist hier noch von einer andern Sonne die Rede, als dem majestätischen Gestirn, das wir an unserm natürlichen Horizont erblicken. Von einer Sonne der Gerechtigkeit ist die Rede, und was kann dieser Ausdruck anders bezeichnen, als eine gerecht machende Sonne, die ebenso lauter Gerechtigkeit von sich scheint, wie die natürliche Sonne lauter Licht.
Die Sonne ist das vortrefflichste aller sichtbaren Geschöpfe, und selbst Schöpferin des Lichts. Der oder dasjenige, was nicht so sehr mit derselben verglichen, als vielmehr ihr an die Seite gesetzt, ja sogar über sie erhöht, nicht so sehr eine sondern die Sonne der Gerechtigkeit genannt, und zwar von einem Propheten im Namen des Herrn so genannt wird, muss etwas sehr Großes sein. Lasst uns das ein wenig entwickeln.
Der erste Begriff, den diese Vorstellung in uns sehr natürlich zu erwecken im Stande ist, ist der Begriff der höchsten Vortrefflichkeit, Majestät und Herrlichkeit, der nichts beikommt. Wenn etwas, so predigt uns die Sonne die Herrlichkeit Gottes, und sie selbst ist so herrlich, dass unsere Augen viel zu schwach sind, sie nur anzuschauen, oder auch nur ihr Bild zu erleiden, was sie etwa in einem Wasser malt, daran knüpft sich die Vorstellung der Größe. Überlassen wir ihre Bestimmung in unermesslichen Zahlen den kühnen Berechnungen der Sternkundigen, deren Richtigkeit und Zuverlässigkeit wir ihnen überlassen, ohne sie zu glauben oder zu verwerfen, so wissen wir doch, dass die Schrift sie selbst ein großes Licht nennt, und erfahren es auch also, wissen, dass sie gerade so groß ist, als ihr Schöpfer es haben wollte, ohne einzuräumen, dass sie so groß, oder gar noch unendlich vielmal größer sei, als unsere Erde, und sind darin gern unwissend. Sie ist aber sehr groß. Sie ist dabei voll Kraft. Die finsterste Nacht muss ihrer stillen Gewalt weichen, und der strengste Winter sich zurückziehen. Welche Wunder bringt sie, oft in wenig Tagen, in der Natur hervor. Tot und verödet findet sie bei ihrer Rückkehr die Fluren. Wie erstorben stehen die Bäume da, als hätten sie nie kein Leben gehabt, und als würden sie's nie bekommen. Das Wasser hat seine Flüssigkeit verloren, und sogar fest wie Stein, alle Brücken unnötig gemacht. Der Regen hat sich in Wolle umgewandelt, und lastet schwer auf der Erde, und setzt ein neues Stockwerk auf die Berge. Aber sie erscheint, und mit ihr wird alles anders. Welche Pracht, welches Leben! Wer kennt die Bäume, wer kennt die Äcker und Wiesen noch! Und wer ist die Urheberin aller dieser Wunder, die uns nur deswegen weniger als Wunder erscheinen, weil sie jährlich wiederkehren? Ist's nicht die Sonne? Ist sie es nicht, die den Wein kocht, und Ähren und Früchte reift? Ist sie nicht die Schöpferin aller Farben? Kann ohne sie wohl etwas gedeihen, und verliert sich nicht bei ihrem Rückzuge alle Pracht und Schönheit?
Ferner: wir können die Sonne nicht betrachten, ohne dass sich uns der Begriff der Wichtigkeit und Notwendigkeit, der Begriff der Unentbehrlichkeit und Unersetzlichkeit aufdringt. Stelle man sich vor, es wäre keine Sonne, oder sie ginge fortan nicht mehr auf, was für Unheil würde daraus entstehen! Zu was für einem gräulichen Kerker würde die Erde werden, und wie lange würde es dauern, so wäre kein lebendiges Wesen mehr auf derselben vorhanden. Womit wollte Menschen-Macht und Klugheit sie ersetzen? Sie vermag es nicht. Gott hat der Sonne die Ausspendung der kost barsten Schätze anvertraut, und sie spendet derselben stündlich mehr, als berechnet werden können. Aber zu allen diesen köstlichen Zwecken reicht sie vollkommen hin, obschon sie nur Eine ist. An dieser einen Sonne haben wir vollkommen genug. Weniger reichte nicht hin, mehr wäre überflüssig, ja schädlich. Und sie selbst ist gerade so, wie es das Beste ist. Entströmte ihr mehr Licht oder Wärme, so wäre es unleidlich, weniger nicht zulänglich, so auch wäre sie uns näher oder ferner. Es ist weislich mit ihr geordnet. Die Sonne ist vollkommen, und bedarf keines Zusatzes. Ihr Licht lässt sich nicht vergrößern, und es wäre vergeblich, wenn wir ihr mit unsern Lampen, Fackeln und Lichtern zu Hilfe kommen wollten. Man würde derselben gar nicht einmal gewahr werden. Sie ist unveränderlich und von Dauer, und ihre Kraft nimmt nicht ab. Seit Jahrtausenden hat sie Licht und Wärme gespendet, und ist doch nicht kraftloser geworden, einem Quell zu vergleichen, der unablässig sprudelt, denn sie ist auch selbstständig. Sie empfängt ihr Licht nicht anderswoher, wie unsere an sich finstere Erde, sondern bringt's aus sich selbst hervor, um es andern Weltkörpern in solchem Maße mitzuteilen, dass sie selbst wie kleine Sonnen zu leuchten beginnen, wie wir mit vielem Vergnügen an dem stillen Gefährten der Nacht erblicken. Endlich ist die Sonne ein unbegreiflicher Körper, und wer könnte sagen, was sie in sich selbst sei, obschon wir sie täglich, wo nicht selbst, doch in ihren Wirkungen sehen? Ist sie ein Lichtmeer, ist sie ein Feuermeer, das, wie Sirach sich ausdrückt, es heißer macht, wie viele Öfen, und bläst eitel Hitze? Wo nimmt sie denn den Stoff her, um sich nicht aufzuzehren? Oder ist sie an sich selbst weder heiß noch leuchtend, sondern finster und kalt, wie einige vermuten, wodurch bewirkt sie denn das Gegenteil von dem, was sie selbst ist? Was ist eigentlich die Wärme? Was ist eigentlich das Licht? Dass das Licht ein für sich bestehender Körper sei, wissen wir nicht nur daraus, dass es sich brechen, teilen sammeln, zerstreuen lässt, sondern vielmehr aus der Schrift, die uns berichtet: es sei drei Tage älter als die Sonne selbst. Ist Licht und Wärme das Nämliche, nur mit dem Unterschiede, dass sich das eine dem Gesicht, das andere dem Gefühle offenbart, oder sind's ihrer Natur nach verschiedene Dinge? Wie wahr sagt der Dichter des 241. Liedes: Ich kann der Sonne Wunder nicht, noch ihren Bau ergründen! Woran hängt sie denn fest. Wie erhaben und wahr sagt Hiob Kap. 26, 7: Er breitet aus die Mitternacht, nirgend an, und hängt die Erde an nichts.
Ihr begreift sehr wohl, dass ich keine naturhistorische Vorlesung über die Sonne halten, sondern uns nur durch diese Andeutungen, welche auf einen andern Zweck gemeint sind, veranlassen will, diese Züge zusammen zu fassen. Seht euch denn um! Auf wen passen sie? Was die Sonne auch für ein herrlicher Körper sein mag, so ist sie doch nur ein Geschöpf. Wir treffen ihr Gegenbild also nicht eigentlich in Gott an. Wer sollte es denn unter den Geschöpfen, unter den vernünftigen Geschöpfen, wohl sein, der durch dieses höchste aller Bilder abgezeichnet würde? Ein Engel etwa? Ein solcher Engel, wie einer Offenb. 18, 1 vorkommt, der eine große Macht hatte, und von dessen Klarheit die Erde erleuchtet ward? Gewiss nicht! Das merkwürdige Bild wird noch durch einen wichtigen Zusatz erhöht und bestimmt, wenn es heißt: die Sonne der Gerechtigkeit. Dieser Zusatz erzeugt wiederum verschiedene Gedanken in uns. Er stellt die Sonne, von welches hier die Rede ist, zuerst als flecken- und tadellos dar. Auch die Sonne hat ihre Flecken, sagt ein altes Sprichwort, das uns wenig Ehre macht. Aber mag es auch wahr sein, so leidet es doch keine Anwendung auf diejenige Sonne, von welcher hier die Rede ist. Sie hat keine Flecken, ja stellt alles, was sie bescheint, ohne Flecken dar. Sie ist genau und scharf in Untersuchung genommen, bis die Schauer so verblendet wurden, dass sie eben ihre eigentliche Herrlichkeit als einen Flecken ansahen, ohne einen Tadel auf sie bringen zu können. Der Ausdruck: Sonne der Gerechtigkeit, bezeichnet zweitens so viel als: die rechte eigentliche Sonne, welche ausschließlich diesen Namen verdient. ereignet sich wohl einmal, jedoch selten, die Naturerscheinung, dass sich in unserem Dunstkreis mehrere Sonnen zeigen. Da würde man sagen: das da ist die rechte Sonne, jene nicht. Aber was sollen wir denken, wenn angesichts der wirklichen Sonne noch von einer rechten Sonne die Rede ist? So nennt sich jemand, den ihr wohl kennt, den rechten Weinstock, die rechte Speise, den rechten Trank, wurde auch einmal gefragt: ob er der rechte sei, oder ob man eines andern warten müsse? Was wollen denn diese auffallenden Ausdrücke sagen? Gibt's denn außer der uns bekannten natürlichen Speise, außer dem natürlichen Trank noch einen andern? einen wirklichen, eigentlichen? Ist das noch die eigentliche Sonne nicht, die wir am Himmel erblicken? Das wäre ja wunderbar! Also kann uns unsere bekannte Speise, und wäre sie noch so auserlesen, im wahren Sinne nicht sättigen? Der Trank, den wir zu uns nehmen, und wäre er noch so köstlich, eigentlich unsern Durst nicht löschen, noch uns gar berauschen? Kann uns die Sonne, die wir über unserem Haupte erblicken, im eigentlichen Sinne nicht leuchten, nicht erwärmen, unsere Leinwand nicht bleichen, oder unsere Gesichter färben? Wie seltsam! Aber es verhält sich wirklich so. Es gibt außer dem Sinnlichen und Sichtbaren noch was Höheres und Eigentlicheres. Habt ihr Gold, ihr könnt es noch echter haben, mag es gerade auch nicht im weltlichen Handel brauchbar sein. Ihr könnt noch weit etwas schmackhafteres genießen, noch eine andere Sonne sehen. Bleibt deswegen bei dem nicht stehen, was euren Sinnen so nahe, aber vergänglich ist, sondern strebt höher hinan; denkt bei allem Schönen, es gibt noch etwas Schöneres, bei allem Herrlichen, es gibt noch etwas Herrlicheres.
Lasst euch mit dem Schlechteren nicht begnügen, sondern sucht das Beste. Der Ausdruck: Sonne der Gerechtigkeit heißt auch so viel als die gerecht-machende Sonne, die lauter Gerechtigkeit scheint, und diejenigen gerecht macht, welche sie bescheint. Was ist das doch für eine wohltätige Wirkung, die diese Sonne auf uns hat! Wie sehr bedürfen wir derselben. Welche verdammende Nacht ohne sie, wie außer ihr so gar kein Gestirn, sie aufzuhellen. Und das Volk, das im Finstern sitzt, sieht ein großes Licht, und über die, so im finsteren Lande wohnen, scheint es hell. Mache dich auf, werde Licht; denn dein Licht kommt, und die Herrlichkeit des Herrn geht auf über dir; und die Heiden werden in deinem Lichte wandeln, und die Könige in dem Glanze, der über dir aufgeht. Die Sonne soll nicht mehr des Tages dir scheinen, und der Glanz des Mondes soll dir nicht leuchten: sondern der Herr wird dein ewiges Licht sein. Dann wird der Mond sich schämen, und die Sonne mit Schande bestehen, wenn der Herr Zebaoth König sein wird in seiner Herrlichkeit. Zu der Zeit wird das zerrissene und geplünderte Volk, das gräulicher ist als irgendeins, Geschenke bringen dem Herrn Zebaoth, denn der Herr ist Sonne und Schild. Euch, die ihr meinen Namen fürchtet, soll aufgehen die Sonne der Gerechtigkeit.
Die Gerechtmachung bezeichnet zweierlei, nämlich entweder ein gerichtliches Verfahren, wodurch die betreffenden Personen im göttlichen Gerichte, nicht von ihren angedichteten und erlogenen, sondern von ihren wirklichen Sünden ganz und gar freigesprochen, und für vollkommen gerecht, unschuldig und unsträflich erklärt, und in alle Rechte der Gerechtigkeit eingesetzt werden, - oder die Gerechtmachung besteht in einem sittlichen Einfluss, wodurch der Sinn des Menschen erneuert und geheiligt wird, oder in beiden Wirkungen zugleich. Sehen wir des Herrn Herrlichkeit, sehen wir die Sonne der Gerechtigkeit, so werden wir verwandelt in dasselbige Bild, von einer Klarheit zu der andern.
Und ich sah ein groß Zeichen im Himmel, ein Weib mit der Sonne bekleidet, den Mond unter ihren Füßen, und auf ihrem Haupte eine Krone von zwölf Sternen.
Alles Gesagte ist offenbar nichts anders, als eine natürliche Herausstellung der in unsern Textesworten: Sonne der Gerechtigkeit, enthaltenen Begriffe, und wir sind weit eher hinter unserem Text zurückgeblieben, als dass wir ihn zu weit ausgedehnt hätten. Wo finden wir denn das Original dieses Gemäldes? Wer ist die Person, die hier in wenigen aber gewaltigen Meisterzügen und Umrissen gezeichnet ist?
Wir haben nicht nötig, hin und her zu raten, sondern wissen, dass hier kein anderer gemeint sei, als Jesus Christus. Diese wahrhaftige Sonne, die 4000 Jahre nach der am vierten Schöpfungstage von der Allmacht Gottes ins Dasein gerufenen natürlichen Sonne, am Kirchenhimmel sichtbar ward, dies Licht der Welt, das jeglichen Menschen erleuchtet in diese Welt kommend. In ihm treffen alle die Eigenschaften zusammen, welche wir vorhin von der Sonne aufgezählt haben, und die eure Andacht ohne Zweifel alsbald auf Christum gedeutet haben wird. Die Betrachtung ist aber gar zu angenehm, dass wir nicht die Anwendung des Gesagten auf Christum nicht noch ausführlicher machen sollten.
Haben wir die natürliche Sonne vortrefflich genannt, wie sollen wir denn Jesum Christum, die Sonne der Gerechtigkeit, nennen? Er heißt der Herr der Herrlichkeit und der Fürst des Lebens und des Friedens, und hat einen Namen, der über alle Namen ist. Euch, die ihr an ihn glaubt, ist er köstlich. Euch, die ihr euch als Sünder fühlt, und erkennt, ist er köstlich, da sein Zweck ist: Sünder selig zu machen. Er ist euch umso köstlicher, je tiefer ihr euer Elend empfindet, und wenn er mit seinen heilbringenden Strahlen über euch aufgeht, wo bleibt dann die Nacht eurer Sünden. Nein, er ist der Erstling und der Anfang der Kreatur Gottes, sein allerherrlichstes Werk. Was wollen wir von seiner Größe sagen? Haben wir von der natürlichen Sonne unsere Unwissenheit bekannt, ob sie größer oder kleiner sei wie die Erde, so sind wir in Absicht dieser Sonne der Gerechtigkeit durchaus nicht zweifelhaft. Jesus Christus ist Millionen Mal größer als unsere Sünde, als unser Verderben, als unsere Schuld, als unsere Strafwürdigkeit, um daraus zu retten; er ist größer als alle unsere geistliche Feinde, die wir durch ihn weit überwinden, größer als der Teufel, über welchen er als der Stärkere kommt, ihn zu binden und zu plündern; größer als das Gesetz, auch ohne dasselbe, gerecht zu machen, als dessen Fluch, und auch trotz demselben zu segnen, als der Tod das Leben zu schenken, als die Hölle, deren Pestilenz er ist, als unser Herz, wenn dasselbe uns verdammen oder verführen will; größer ist er als der göttliche Zorn, den er entwaffnete. Sein Verdienst ist größer als unsere Strafwürdigkeit, seine Kraft größer als unsere Ohnmacht, sein Leben als unser Tod, seine Gnade als unsere Unwürdigkeit. Die Benennung des Großen wird selbst in der Weltgeschichte für das allerhöchste geachtet, und nur sehr wenig Personen beigelegt. Die Schrift nennt niemand außer Gott groß, als Jesum Christum. Er heißt der große Hohepriester, der große Hirte der Schafe und er ist groß, und sein Name ist groß, und kann es mit der Tat beweisen. Was ist seiner Kraft zu vergleichen? Die Schrift beschreibt sie als eine solche, wodurch er sich alle Dinge untertänig machen kann. Wenn Paulus sich im Glauben der Kraft Christi erinnerte, so sprach er: ich bin getrost in Schwachheit, Ängsten, Nöten und Anfechtungen, ja er war kühn genug zu sagen: ich vermag alles durch den, der mich mächtig macht, Christum; und durfte in Absicht der ganzen Gemeine die Sprache führen: in Allem überwinden wir weit um deswillen, der uns geliebt hat. Welch einen Begriff macht uns die Schrift von der Kraft Christi, wenn sie sagt: alle Dinge sind durch ihn gemacht, und ohne ihn ist nichts gemacht, was gemacht ist. Welchen Begriff machte er uns selbst davon, wenn er sagt: alle Dinge seien möglich dem, der da glaubt. Was muss also nicht ihm selbst alles tunlich sein? Welche hohe Vorstellungen will er, dass man sich von seiner Kraft machen solle, wenn er fragt: glaubst du, dass ich dir das tun kann, wenn er zur Martha sagt: wer da lebt, und glaubt an mich, der wird leben, ob er gleich stürbe, glaubst du das? wenn er dem Johannes sagen lässt: die Blinden sehen, die Lahmen gehen, die Aussätzigen werden rein, die Tauben hören, die Toten stehen auf, den Armen wird das Evangelium gepredigt; wenn er die im Sturm zagenden Jünger fragt: warum seid ihr so furchtsam? und dem erschrockenen Jairus zuspricht: glaube nur! Ja, er ist die Sonne des Gnadenreichs, und welche Frühlinge vermag er aus den erstorbensten Wintern wieder hervorzulocken!
Lasst uns eine große und feste Meinung von seiner Kraft haben. Sie kann uns aus allem erlösen. Mit derselben gerüstet, sind wir im Stande, Taten zu tun, und der Glaube wird der Sieg sein, der die Welt überwindet. Durch sie wird uns leicht, was uns sonst schwer, tunlich, was uns sonst unmöglich ist. Wo sind unter uns die Blinden - hier können sie sehend werden. Wo sind die Toten? wenn sie in ihren Gräbern die Stimme des Sohnes Gottes hören, so werden sie leben. Wo sind die Schwachen? Lasst sie auf diese Sonne sehen, so werden sie sagen: ich bin stark.
Ja, lasst alle Knie sich beugen, und alle Zungen schwören und sagen: in dem Herrn Herrn habe ich Gerechtigkeit und Stärke.
Kann die natürliche Stärke nicht entbehrt werden, so ist Christus im Geistlichen ebenso, ja für alle Ewigkeit noch weit mehr notwendig, unentbehrlich, unersetzlich. Ist er nicht das Leben? Und das sollten wir entbehren können oder wollen? Ist er nicht das Licht, ist er nicht die Weisheit, die Gerechtigkeit, Heiligung und Erlösung? Mag er freilich denen nicht notwendig erscheinen, die von dem Irrlicht ihrer selbstgefälligen Weisheit verblendet, meinen: der arme Mensch sei sich selbst genug; mag er denen nicht unentbehrlich dünken, die nur Welt und Sinnenlust suchen, und weil sie selbst irdisch sind, in demselben ihr Element finden, so gleichen sie denjenigen, die da glauben: da man Lampen habe, brauche man der Sonne nicht, da sie doch ohne dieselbe kein Öl und nichts hätten. Ist uns etwas notwendig, so ist es Christus, ohne den wir nichts tun können; ist uns etwas unentbehrlich, so ist er's, und wir können ihn durch nichts ersetzen. Ist's uns denn um unser Heil zu tun, was schwärmen wir denn mit unsern Gedanken und Blicken umher, und flattern wie Noahs Taube in die Kreuz und Quere, ohne zu finden, wo unser Fuß ruhe? Der Arche zu! Wir werden doch mit all unserm Rennen und Laufen, mit all unserm Härmen und Mühen weiter nichts ausrichten, als dass wir immer ärmer, ratloser, verzagter und verstrickter werden. Ist denn kein Arzt in Gilead, und ist keine Salbe da, warum wird denn die Tochter meines Volkes nicht geheilt? Lasst uns aufsehen auf Jesum! Her zu mir, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken. Ihr selbst werdet kein Haar schwarz oder weiß machen. Trachtet aber nach dem Reiche Gottes.
So notwendig uns diese Sonne der Gerechtigkeit ist, so hinreichend ist sie auch. Was will ich mehr als diesen Lebensfürsten! Wie die eine Sonne in der Natur ihr genug ist, so diese eine im Himmelreich. Es ist gar nicht nötig, dass diese Erde ein weniger finsterer Körper wäre, um von der Sonne erleuchtet zu werden, und es ist ebenfalls gar nicht nötig, dass wir aus uns selbst etwas Weisheit, oder Kraft, oder Gerechtigkeit mitbrächten. Paulus will sich vielmehr am liebsten seiner Schwachheit rühmen, damit die Kraft Christi in ihm wohne, und diese Kraft ist nicht in denen, die ohnehin schon einige Kraft haben, sondern in den Schwachen mächtig. Johannes will abnehmen, damit Christus wachse. Gott hat das Schwache erwählt, damit er das Starke zunichtemache. So lasst uns denn unsere Armut liebgewinnen, und uns auch unserer Schwachheit rühmen lernen. Denn selig sind die Armen am Geist, das Himmelreich ist ihr. Eins ist not. Eins ist genug.
Wir haben die Vollkommenheit der natürlichen Sonne gerühmt, die sich nicht vergrößern lässt, und ihr seid vollkommen in ihm, also dass ihr keinen Mangel habt an irgendeinem Guten. Jedoch könnte man sagen: Die Sonne im Gnadenreich sei noch nicht vollkommen, sondern bis jetzt nur am Aufgehen, denn der Sonnen Glanz soll noch, wie der Prophet sagt, siebenmal heller sein. Der Leib Christi hat noch alle seine Glieder nicht in der Wirklichkeit, die er aber, nachdem er erhöht ist, alle vor und nach zu sich ziehen wird; so wie wir noch nicht sehen, dass alle Dinge ihm unterworfen, also noch nicht einmal an Christo selbst die ihm gegebene Verheißungen erfüllt worden sind, so ist auch seine Gemeine noch bei weitem nicht in den Vollgenuss der ihr in Christo zuerkannten Güter und Gerechtsame eingesetzt, sondern noch vielen Trübsalen ausgesetzt, und die Erde ist bei weitem noch nicht voll von Erkenntnis des Herrn. Und so können wir in gewissem Betracht sagen: die Gnadensonne sei nicht vollkommen, wie sehr sie's auch in anderem Betracht ist, so dass ihr nichts zugesetzt zu werden braucht, noch zugesetzt werden kann.
Beide Sonnen sind unveränderlich, beständig und unerschöpflich. Christus ist unveränderlich. Menschen können nichts an ihm ändern, so wenig als an der Sonne und ihrem Lauf. Mögen sie gern nur einen Lehrer, Vorbild aus ihm machen wollen, es gelingt ihnen nicht, denn er ist mehr. Mögen sie gern seinem Reich und Wirken Hindernisse in den Weg legen wollen, wenn er wirkt, wer will's abwenden? Und wie manches muss seinen Sieg vermehren, was sich zum Streit rüstete. Es ist und erhält sich, trotz aller Widersacher, ein Häuflein, das Christum für das hält, was er ist. Vor allen Dingen aber ist er selbst unveränderlich in seinen Gesinnungen gegen bußfertige Sünder, und geht noch immer als Hirte der verlorenen Schafe, als sorgsame Hausmutter dem verlorenen Groschen nach, bis er ihn findet. Jesus Christus, gestern und heute, und derselbe auch in Ewigkeit. Seine Gnade ist unerschöpflich. Kommt nur herbei mit leeren Herzen, und schöpfet. Der Ärmste soll das meiste haben. Wer da will, der komme, und nehme des Wassers des Lebens umsonst. Je mehr jemand bedarf, desto mehr soll ihm werden.
Endlich ist auch die Gnadensonne unbegreiflich in so vielem Betracht. Unbegreiflich, unglaublich, möchte man sagen, in seiner Liebe, von welcher der Apostel mit Recht sagt, sie übersteige allen Verstand; unbegreiflich in seiner Person, in welcher sich zwei Naturen vereinigen, in seiner Schwachheit und in seiner Kraft, in seiner Erniedrigung und Herrlichkeit, in seinem seltsamen Regiment, sowohl was das Ganze seiner Kirche, als was die Führungen einzelner Glieder derselben betrifft, denen es nicht selten ganz anders geht, als sie erwarten möchten. Hier liegt ein Hiob auf dem Misthaufen, dort liegt eine Davids-Seele im Staub oder ist wie eine Haut im Rauche, da jammert ein Assaph: seine Plage sei alle Morgen da, und dort ein Hemann: sein Leben sei nahe bei der Hölle; da liegt ein Daniel unter den Löwen, dort muss ein Johannes den Tanz und den Grimm eines Weibes mit seinem ehrwürdigen Haupte bezahlen, hier ein Apostel durchs Schwert sterben, ehe er noch fürs Reich Gottes etwas getan, und dort einer des Satans Faustschläge erleiden; hier ein kananäisches Weib rc. Wie gar unbegreiflich sind seine Gerichte, und wie unerforschlich seine Wege.
Doch ich breche hier ab und schließe. Seht denn da die rechte Sonne Jesus Christus. Habt ihr denn wohl je bedacht, dass er die rechte Sonne sei, eine Sonne, die mit aufgeht in die andere Welt hinüber, durchgeht durch das dunkele Todestal? Hat euch diese rechte Sonne auch wohl so beschienen, dass sie euch schwarz brannte, und euch der Schweiß ausbrach? so beschienen, dass die Nacht aus eurer Seele schwand, und Empfindungen und Gesinnungen in euch aufgingen, Kümmernisse und Freuden, Sorgen und Hoffnungen, Beängstigungen und Ruhen, Zerknirschungen und Heilungen, wie ihr sie früher nicht kanntet? Habt ihr die rechte Sonne wohl je gesehen? Sie ist aufgegangen, und scheint jetzt. O! so gleicht doch den Leuten nicht, die bei verschlossenen Laden schlafen. Stoßt die Laden auf, öffnet die Augen und die Fenster. Wachet auf, die ihr schlafet, und steht auf von den Toten, damit Christus euch erleuchte. Seht zu, dass ihr die Gnade Gottes nicht vergeblich empfangt, denn jetzt ist die angenehme Zeit, jetzt ist der Tag des Heils. Wirkt, dieweil es Tag ist, ehe die Nacht kommt, da niemand mehr wirken kann. Amen.