Kohlbrügge, Hermann Friedrich - Predigt über Ebräer, Cap. 1, Vers 1 und 2.
Gesang vor der Predigt:
Lied 70, Vers 1-3.
Allein zu dir, Herr Jesu Christ! Mein Hoffnung steht auf Erden. Ich weiß daß du mein Heiland bist. Kein Trost mag mir sonst werden. Kein bloßer Mensch war je geborn, Wie auch kein Engel auserkorn, Der mir aus Nöthen helfen kann. Ich ruf dich an. Herr, leite mich aus ebner Bahn.
Mein Sünd sind schwer und übergroß, Und reuen mich von Herzen. Derselben mach mich frei und los Durch deinen Tod und Schmerzen. Und zeig mich deinem Vater an, Daß du hast g'nug für mich gethan; So komm ich ab der Sündenlast, Ich halt mich fast An dem, was du versprochen hast.
Auch stärk durch dein Barmherzigkeit In mir den wahren Glauben. Hilf, daß des Teufels Listigkeit Mir den nicht möge rauben. Daß ich vor All', Herr! liebe dich, Und meinen Nächsten gleich als mich. Dein Hülf mir send am letzten End, Damit behend Des Teufels List sich von mir wend.
Zwischen-Gesang:
Lied 3, Vers 1 u. 2.
Herr Jesu Christ! dich zu uns wend, Den heil'gen Geist du zu uns send; Mit Lieb und Gnad, Herr, uns regier, Und uns den Weg zur Wahrheit führ.
Thu auf den Mund zum Lobe dein; Bereit' das Herz zur Andacht fein; Den Glauben mehr, stärk den Verstand, Daß uns dein Nam werd wohl bekannt.
Predigt
Viele Sprüche sind euch, meine Geliebten! bekannt aus dem Briefe Pauli an die Ebräer und leuchten euch ein, was aber Paulus mit dem ersten Capitel dieses Briefes eigentlich wollte, mag Manchem von euch doch wol nicht deutlich sein; darum will ich, wenn auch in kurzen Bemerkungen, den Zweck, den der Apostel mit diesem ersten Capitel vorhat, angeben, weshalb ich euch zu dieser Stunde den ersten und zweiten Vers desselben auslege.-
Es ist eine höchst wichtige Wahrheit, welche unser Catechismus in der Antwort auf die 30ste Frage mittheilt: „Jesus muß entweder kein vollkommner Heiland sein, oder die diesen Heiland mit wahrem Glauben annehmen, müssen Alles in ihm haben, das zu ihrer Seligkeit vonnöthen ist.“ Die Frage selbst aber lautet also: „Glauben denn die auch an den einigen Seligmacher Jesum, die ihre Seligkeit und Heil bei Heiligen, bei ihnen selbst, oder anderswo suchen?“ Das thaten die Ebräer, an welche der Apostel diese Epistel schrieb, denn sie suchten ihre Seligkeit und Heil bei den Engeln. Obschon sie das Evangelium von der Gnade gehört, auch sich dazu bekannt und die beseligende Wirkung davon erfahren: so hatten sie doch den Muth nicht, ihr Heil und Seligkeit lediglich bei dem Herrn Jesu zu suchen, und es auf seine Gnade zu wagen und ankommen zu lassen; sondern neben diesem einzigen Mittler Gottes und der Menschen suchten sie sich Nebenmittler, die für sie eintreten möchten bei Gott, und diese Nebenmittler waren die Engel. Da hält nun der Apostel Paulus ihnen die ganze Herrlichkeit des Herrn Jesu vor, auf daß sie sich mit wahrem Glauben diesem Herrn völlig ergeben und ihr Heil und ihrer Seelen Seligkeit lediglich auf ihn bauen möchten.
Aus diesem kurzen Bericht muß es euch mit einemmal deutlich sein, daß dieses Capitel für uns einen Schatz der Belehrung, der Zurechtweisung und des Trostes enthält; denn es gibt Niemanden unter uns, der davon so ganz rein wäre, daß er seine Seligkeit und sein Heil nicht (und wäre es auch nur dann und wann) bei sich selbst oder anderswo sucht, wo das Heil und die Seligkeit nicht zu finden ist. Auch gibt es Niemanden unter uns, dem es nicht fortwährend zur Ermuthigung geprediget werden muß: daß Jesus uns selig macht von unsern Sünden, und daß bei keinem Andern einige Seligkeit oder Heil zu suchen noch zu finden ist.
Text: Ebräer Cap. 1 Vers 1, und 2.
Nachdem vorzeiten Gott manchmal und mancherlei Weise geredet hat zu den Vätern durch die Propheten, hat er am letzten in diesen Tagen zu uns geredet durch den Sohn, welchen er gesetzet hat zum Erben über Alles, durch welchen er auch die Welt gemacht hat.
„Gott hat geredet“ schreibt der Apostel. Das ist im Voraus sehr tröstlich, wenn man einhergeht von dem Gefühle niedergedrückt, daß man in sich selbst verloren ist und daß Gott heftig zürnet, beides über angeborne und wirkliche Sünden, und daß er dieselben nach seinem gerechten Gericht zeitlich und mit der ewigen Verdammniß strafen muß. Wo man Gott mit seinen Sünden erzürnt hat, und Alles dumpf um uns schweiget und nur die Hölle vor uns offen ist, und man möchte doch aus dem hohen Himmel, von Gott selbst ein Wort vernehmen: ob noch Vergebung von Sünden, ob noch Erlösung von Schuld und Strafe, ob noch Hoffnung der Seligkeit für uns da ist? - da ist es ein großer Trost, zu vernehmen: „Gott hat geredet“. Vom Frieden nämlich; geredet davon, daß Rath, Heil und Erlösung für den Verlornen da ist; daß Gott ihm nicht will vergelten nach seinen Sünden, sondern seinen Uebertretungen gnädig sein, ihn selbst bei der Hand nehmen und in seinen Wegen und Geboten leiten will. Denn das ist es, was der Apostel meint, das Gott geredet hat: daß Er den Tod des Sünders nicht will, sondern ihm über alle seine Sünden und Erwartung ewigen Todes die gewisse Verheißung seiner Gnade und ewigen Lebens gibt.
„Gott hat vorzeiten zu den Vätern geredet“. Vorzeiten hat es auch Solche gegeben, welche verloren waren und gebeugt gingen unter der Last des Zornes Gottes; Selche, die das schwere Joch des Gesetzes nicht tragen konnten - und waren darüber mühselig und beladen, wußten nicht, wie dahinter zu kommen, daß sie vor Gott gerecht sein möchten: - zu denen hat Gott geredet, wie er zu Adam redete, da er sich vor Seiner Stimme hinter die Bäume verkroch. Denn da bereits hat Gott geredet von Gnade und Erbarmen und von einem Weibessamen, der der Schlange den Kopf zertreten würde.
Zu seinem Volke Israel, zu den Mühseligen und Beladenen, auch zu den Abtrünnigen, und die es nun gar zu arg gemacht hatten, hat Gott manchmal geredet. Eben dann, wenn es mit ihnen eine ganz verdorbene Sache, wenns mit ihnen ein Gar-aus war. Er hat auch auf mancherlei Weise geredet, bald so, bald wieder anders; in allerlei Bildern sogar, auf daß sie ihn begreifen und verstehen, und zu ihm ein Herz fassen möchten, daß er den Armen und Elenden wohl will. So hat er geredet in den Propheten, wie in Moses, in David, in Jesaias, in Jeremias u. s. w. und immerdar dieselbe Wahrheit, das ewige Evangelium: „Ich vertilge deine Missethat wie eine Wolke und deine Sünde wie den Nebel. Kehre dich zu mir, denn ich erlöse dich“.1) So hat Gott in den Propheten geredet, denn Er war in ihnen, daß sie alle dasselbe Zeugniß ablegten von Christo, dem Wiederbringer aller Dinge, dem Schlangenzertreter, dem Lamme Gottes, geschlachtet für unsere Sünden; wie auch Petrus bezeugt: „Von diesem Christo zeugen alle Propheten, daß durch seinen Namen Alle, die an ihn glauben, Vergebung der Sünden empfangen sollen, und daß in keinem Andern Heil ist, auch kein anderer Name den Menschen gegeben, darinnen wir sollen selig werden“. Dabei aber hat Gott es nicht bewenden lassen, sondern „am Letzten, in diesen Tagen“ hat er auch zu uns geredet. Die Zeit von Christi Geburt an bis auf Christi Wiederkunft zum Gericht heißt bei allen Evangelisten: „die letzte Stunde“. Es ist noch um ein Kleines, so wird Gottes Zorn kommen über alle Ungläubige und Unbußfertige, und werden sie geworfen werden in die ewige Finsterniß. Vor solchem zukünftigen Zorne bangt es einem Jeglichen, der sich in sich selbst verloren fühlt. Wo nun aber die Zeit erfüllet worden, welche vorüberging in Gottes großer Langmuth, und die Sünde mächtig geworden ist: da ist die Gnade viel mächtiger geworden, da hat Gott auch zu uns geredet; wiederum geredet von Gnade, von Vergebung von Sünden, von ewigem Leben, und zwar nicht mehr in einem Propheten, sondern in einem Sohne.
Will man noch mehr, um zu wissen, ob Gott oben im Himmel Gedanken des Friedens hat über einen armen Sünder? ob er ihm gewogen sein will? ob er dem Reumüthigen alle Sünden verzeihen und ihn in seine ewige Seligkeit aufnehmen will? - Braucht's hier noch Nebenmittler, noch Engel, oder sonstige Heilige, daß dieselben sich in's Mittel legen, um Gnade und Versöhnung für uns zu erwirken oder Heil zu schaffen?
Gott hat in diesen letzten Tagen, worin man keine Propheten mehr hat, wie vormals, zu uns geredet in einem Sohne. Gibt's Etwas, was Gott näher sein kann; Etwas, was mehr bei ihm vermag, als sein eignes Schooß- und Herzenskind? Gibt es Einen, der es uns noch besser sagen kann, was der große Erbarmer für uns sein will, als dieser Sohn? - Dieser, gleichen Wesens mit dem Vater, hat mit ihm ewigen Umgang, kennt also des Vaters Herz, weiß ganz genau ob Gott einen Verlornen verdammen oder selig machen will; - und dieser nun ist von dem Vater ausgegangen, von dem Vater gesandt, daß er uns den heimlichen Rath und Willen Gottes von unserer Erlösung vollkommen offenbarete. Und das ist der Wille Gottes, daß, wer den Sohn siehet und glaubet an ihn, habe das ewige Leben. Das hat Gott also geredet zu uns in dem Sohne, daß wir, die wir von der feurigen Schlange, dem Teufel, tödtlich gebissen sind, wie ja auch der Tod in unsern Gliedern wüthet - auf diesen Sohn sehen, an ihn glauben dürfen, daß er wider unsere Sünde und sündliches Sein von Gott zur Sünde gemacht ist; und daß wir durch ihn an Gott so glauben dürfen, daß er uns um Jesu Christi willen ein gnädiger, lieber Vater sein und uns mit ihm Alles gnädig schenken will. Darum wir wahrlich unser Heil und der Seelen Seligkeit von keinen Nebenmittlern, von Engeln oder Heiligen, viel weniger von uns selbst, auch nicht von allen Werken unserer Frömmigkeit erwarten sollen, - sondern lediglich zu glauben haben an Christum, unsere Gerechtigkeit, unsern einzigen Mittler. Denn in ihm und von ihm ist allem alle Gerechtigkeit, worin wir vor Gott bestehen sollen, auch alles Heil und Abhülfe von allerlei Drangsal, von aller Herrschaft der Sünde, von aller Gewalt des Todes und der Hölle.
Gott hat also in diesen letzten Tagen zu uns geredet nicht in einem Satanas, der ein Lügner ist von Anbeginn und den Menschen predigt, daß sie durch Werke selig werden müssen; auch nicht in einem Gesetze, daß der Fluch auf uns bliebe und der Zorn auf uns ruhete, weil wir nicht geblieben in allen Worten des Gesetzes; nicht in einem Gesetze, daß es heißen sollte: wenn du das Alles gethan hast, so wirst du selig, und eher nicht! Gott hat auch nicht zu uns geredet Worte einer Seligkeit die vermittelst der Engel kommen sollte, daß wir den Engeln glauben müßten, oder den Heiligen: - denn was können mich alle Geschöpfe trösten, wenn ich die Verdammniß vor mir habe? - Da muß Gott selbst zu mir reden, sonst komme ich um in der Gluth seines Zornes, welche auf mir ist; da muß ich es von ihm selbst wissen; da muß er aber zu mir reden, daß, wenn ich seine Stimme vernehme, ich dabei nicht völlig zu Grunde gehe vor Angst und Schrecken vor seiner Majestät, welche so sehr zu fürchten ist; da muß ich eine freundliche, gnädige, süße, liebliche Stimme vernehmen, daß mein beladenes Gemüth es durch und durch inne werde: „das ist die Stimme eines versöhnten Vaters, eines Gottes, der mir gewogen sein will“. Da gebe ich denn lustig und freudig dran alle Mittler, alle Heilige, alle Engel, Alles, was im Himmel, auf Erden und bei mir selbst sonst von mir gesucht ward, und spreche also: Ich habe meinen Gott selbst gehört, er ist mir gnädig, auf ewig gnädig, er selbst hat es zu mir gesagt: „Meine Gnade soll nicht von dir weichen“. Da ist mir die Sündenlast von dem Rücken, das Joch von der Schulter!
Nun, so hat Gott zu uns geredet in seinem Sohne, in dem Mittler des neuen Testamentes, dem einzigen, - Jesu; und auf Grund der Besprengung mit seinem Blute, redet Gott zu uns: Er sei der Unsere und wir sein. „Thue deinen Mund weit auf, laß mich ihn füllen“. Gott hat zu uns geredet in einem Sohne, und in ihm hat er es uns wissen lassen: „daß er also die Welt geliebet hat, daß er seinen eingebornen Sohn gab, auf daß Alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern ewiges Leben haben“. Was also ewiges Leben hat durch den Glauben an Christum, braucht es nicht durch Vermittlung etwelcher Geschöpfe, sie seien Engel oder sonstige Geschöpfe, zu suchen: es hat an dem Glauben genug. Was ewiges Leben hat, findet auch bei dem Herrn wohl Durchkommen durch dieses Leben, allerlei Errettung aus leiblicher sowol als aus geistlicher Noth; braucht darum auch in dieser Beziehung sein Heil von keinen Nebenmittlern zu erwarten.
Gott hat in seinem Sohne zu uns geredet, daß wir durch seinen Sohn Leben und Ueberfluß, Eingang und Ausgang und Weide finden sollten. Wo Gott zu uns geredet in einem Sohne, da hat er uns auch in diesem Sohne gesegnet mit aller geistlichen Segnung in dem Himmel. Dieser ist der Bürge, der Mittler, der Ausrichter eines ewigen Bundes: „Ich will eurer Sünden und eurer Untugenden gar nicht mehr gedenken“, - und ist Christus der rechte Mann, der uns vertritt als ein treuer Hohepriester, der Gottes Segen auf sein Volk legt, trotz Allem, was dawider reden will.
Ich möchte auch wissen, was denn alle himmlischen Mächte, alle Heilige und Vollendete zusammen zu unserm Heile und Seligkeit zubringen könnten; oder was alles das uns helfen kann, worauf ein schwaches Gemüth außer Christo seine Seligkeit bauen will? Alle Engel und Heilige wissen nichts von uns, es sei denn, daß Gott es ihnen offenbaret; sie haben auch nichts zu geben, es sei denn, daß Gott es ihnen erst gibt. Was sie haben, haben sie für sich selbst in Gott; von sich selbst können sie nichts mittheilen. Ganz anders sieht es aus mit diesem Sohne, in welchem Gott zu uns geredet hat. Diesen hat er gesetzet zum Erben über Alles, wie er auch selbst spricht: „Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden“; und wiederum: „Alle Dinge sind mir übergeben von dem Vater“; und „Niemand kennet den Sohn, denn nur der Vater; und Niemand kennet den Vater, denn nur der Sohn, und wem es der Sohn will offenbaren“. Auf welche Worte er darum auch aus solcher Macht sagen kann: „Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, Ich will euch erquicken“2); und wiederum: „Meinen Schafen gebe ich das ewige Leben, und Niemand reißet sie mir aus meiner Hand“.
Sehet, meine Geliebten! wir sind nun wohl nicht so jüdisch, daß wir buchstäblich von Engeln erwarten werden, was zu unserm Heile und Seligkeit dient; auch sind wir Protestanten nicht so katholisch, daß wir buchstäblich rufen werden: „Heiliger du, und Heilige du, bitte für mich!“: - aber verstehen wir wirklich, daß das Gesetz geistlich ist und gehen wir auf die geistliche Bedeutung des Gebotes ein: „Nicht wirst du andere Götter neben mir haben“, wahrlich, so werden wir bald Ursache haben, uns vor Gott zu demüthigen; denn wir finden, daß es in unser Aller trotzigem und verzagtem Herzen steckt: unsere Seligkeit und Heil bei Heiligen, bei uns selbst oder anderswo zu suchen; wir finden, daß wir mit unsern Gedanken und Ueberlegungen: wie wir vor Gott gerecht sein und ein seliges Ende bekommen mögen, uns bald hier, bald dort umtreiben, aber so selten auf dem einigen Punkt stehen, auf welchem all unser Heil und unsre ganze Seligkeit beruht, nämlich: Christo! Das ist aber eine greuliche Uebertretung, daß wir so selten auf diesem einen Punkte bleiben, worauf all unser Heil und die ganze Vergebung unserer Sünden, auch unsere Erlösung von allem Bösen beruht.
Wenn wir nun Solches in Demuth von uns bekennen, so mögen wir es denn auch ja zu unserm Troste, Herzensstärkung und Ermuthigung hinnehmen, was uns der Apostel hier lehrt, daß wir doch ja unser Heil nirgendwo sonst, als nur bei Christo suchen; denn dazu schreibt er: „Gott hat ihn gesetzt zum Erben über Alles“.
Das ist das, was wir mit Luther singen: „Tod, Sünd', Teufel, Leben und Gnad', Alles in Händen er hat; Er kann erretten Alle, die zu ihm treten.“ Denn wozu hat Gott Christum zum Erben über Alles gesetzt, wenn nicht dazu, daß er, als der zweite Adam, als das zweite Haupt einer verlornen Menschheit, als Haupt der Gemeine, als Mittler des ewigen Bundes der Gnaden, Allen die seinen Namen anrufen, Allen die in ihm erfunden sind, Allen die an ihn glauben, aus solcher Fülle eines ewigen Erbtheiles gegen alle ihre Leibes- und Seelennoth und gegen alle ihre Sünden ertheile Gnade um Gnade, Errettung und Heil für und für? Denket euch den ganzen Erdboden mit aller seiner Fülle, mit allem Gold und Silber, mit allen Dingen, welche darauf sind um den verschiedenartigsten Bedürfnissen der Menschen abzuhelfen: und das Alles hat Christus in seiner Hand, in seinem Besitzthum! über das Alles hat ihn der Vater zum Erben gesetzt! Denket euch die ewige Herrlichkeit der ewigen Seligkeit, das ewige selige Zusammensein mit dem vollseligen Gott, den ewigen Vollgenuß seiner wunderbaren Liebe, das ewige Wohnen mit Gott und vor Gott in seinem Hause dort oben, wo Freude die Fülle ist und ein ewiges liebliches Wesen zu seiner Rechten: das Alles hat Christus ererbt! Er kann das Alles ertheilen, wem er will; Er kann machen, daß Einer zugelassen werde zu dem Genusse des vollseligen Gottes! Er hat die Hölle auch ererbt, den Teufel und den Tod auch. So ist er Herr der Hölle, daß der Teufel da keinen hineinschleppen kann, wenn Christus es nicht haben will. So ist er Herr des Todes, daß der Tod Einen mit seinem Stachel nicht verwunden soll, wenn er es nicht zulassen will. So ist er Herr des Grabes, daß das Grab Einen nicht halten kann, wenn er ihn heraus haben will. So ist er Herr des Erdreichs, daß die Seinen dennoch das Erdreich ererben sollen, wie ein armes und elendes Volk sie auch sein mögen. So ist er Herr des Weges von hinnen nach dem neuen Jerusalem, daß alle geistlichen Mächte der Hölle seine armen Pilger müssen passiren lassen, und alles auf dem Wege den Seinen zum Guten mitwirken muß. So ist er Herr des himmlischen Jerusalems, des neuen Paradieses, daß er einen Schacher, der zu ihm schreit: „Herr, gedenke an mich!“ von Stund an da hinaufnehmen kann; wie er gesagt hat: „Ich trage die Schlüssel der Hölle und des Todes“. Und so ist er endlich ganz besonders Herr aller derer, die ihm von dem Vater gegeben sind. Diese sind sein besonderes Eigenthum, und ihnen zu gut, zu ihrem ewigen Heile, und auf daß er zu nichte mache alles Zeug, das sich wider die Seinen erhebt, hat er alles ererbt. Seine Heiligen sind sein eigenstes Eigenthum, und der Himmel mit allen seinen Engeln, Mächten und Thronen; die Erde mit all' ihrer Fülle; die Hölle mit all' ihrer Gewalt und List und scheinbarem Sieg; der Tod mit seinem Stachel; die Verkehrtheit und Bosheit der Feinde: - er hat's Alles in seiner Hand, es Alles ererbt, es soll ihm Alles dienen zum Guten seiner Auserwählten, auf daß bei ihnen die Verheißung wahr werde: „die Gerechten haben es gut“.
Was will doch unser Fleisch und Blut, wenn es sich Engel, Heilige, oder wenn es sich Werke der Selbstgerechtigkeit, Werke der Selbstwahl und des Sich-müde-laufens als Nebenmittler aufsucht? Will es Gott sich dadurch gewogen machen? Werden Engel, Heilige, werden Werke unserer Hände und unseres Thuns Gott etwa besänftigen? seinen Zorn über die Sünde stillen können? werden sie bei Gott etwas ausrichten? Gottes Zorn über uns um so mehr reizen, das können sie; denn Gott will, daß wir ihm glauben, wie er zu uns redet in seinem Sohne. Mit diesem Sohne sollen wir kommen, in ihm haben wir den Zutritt, diesen sieht und nimmt Gott allein an, an ihm hat er allein sein Wohlgefallen, nur er hat ein Opfer Gotte gebracht welches ewiglich gilt, ihn hat Gott gesetzt zum Erben über Alles. So steht es bei Gott fest, so ist es der Rath seines Willens, zum Preise seiner Gnade. Dieser Sohn ist uns von dem Vater gegeben, ein rechter Eljakim, der als der Menschensohn, als der erhöhete Mittler, Ehre, Herrlichkeit und Herrschaft ererbet hat. Ihm sind am väterlichen Hofe allein alle Würden übertragen, ihm ist von dem Vater alle Gewalt in die Hand gegeben, daß er Vater sei derer, die zu Jerusalem wohnen und des Hauses Juda. Auf seine Schulter sind die Schlüssel zum Haufe Davids gelegt, daß er aufthue und Niemand zuschließe, daß er zuschließe und Niemand aufthue. So hat er den Stuhl der Ehren in seines Vaters Hause, und hat ihn Gott zum Nagel gesteckt an einen festen Ort, daß man an ihn hänge alle Herrlichkeit seines Vaters Hauses, Kind und Kindeskinder, alle kleinen Geräthe, beides Trinkgefäße und allerlei Saitenspiel.3) Weil also Gott ihn als unsern einzigen Mittler zum Erben über Alles gesetzt hat, so würden alle Engel, alle Heilige, alle Werke der Selbstwahl, falls sie für uns bei Gott eintreten könnten, auf's geringste gesagt, die Antwort vor dem Throne bekommen: „Laß den Menschen da auf meinen Sohn sehen, den habe ich zum Erben über Alles gesetzt, ich habe es ihm auch gegeben, alle andere Mittler und Vermittlung zu zerschmettern in seinem Zorn; denn wer ihn nicht ehret, der ehret mich nicht. Dazu habe ich ihn gesetzt, daß der Sünder, der Noth- und Gefahrleidende seinen Namen anrufe, und in ihm, als in einem vollkommenen Seligmacher Alles habe, was ihm zu seinem tagtäglichen und ewigen Heil vonnöthen ist“.
Auf daß nun die Ebräer Solches zu Herzen nehmen und für wahr und gewiß halten möchten, daß sie in Christo durch den Glauben Alles hatten, was ihnen zu ihrer Seligkeit vonnöthen war, und sie deshalb ihr Heil und ihre Seligkeit nicht anderswoher zu suchen brauchten, schreibt der Apostel weiter, „durch welchen er auch die Welt gemacht hat“.
Denn damit gibt der Apostel zu verstehen, wie alles Heil und Seligkeit lediglich von Christo abhängig ist, und daß er selig macht und Heil ertheilt nach seinem Gefallen und in der Weise, wie er will. „Gotte sind seine Werke von Ewigkeit her bekannt“; von Ewigkeit her hat er bei sich selbst beschlossen, wie die Welt sollte regiert werden, und durch welchen Weg und welches Mittel die Welt sollte errettet werden von dem Verderben. Gott legte es seiner ewigen Weisheit auf die Hand, wie die Welt, welche alsbald nachdem sie gemacht wäre, von ihm in Adam abfallen würde, sollte angeordnet werden, und welchen Lauf sie durch diese Erschaffung und Anordnung haben sollte. Hat Gott durch seinen Sohn die Welt gemacht, so weiß sein Sohn auch am allerbesten, wie Alles zusammenhängt, wie Alles sich wenden und drehen, wie Alles gehen soll. Darum wird uns Gott allein dann gewogen sein können, wenn wir unser Heil und Seligkeit bei keinen Geschöpfen suchen, sie mögen sein, welche sie wollen, oder von ihnen eine Ausmittelung der Hülfe erwarten, sondern uns dieser ewigen Weisheit Gottes, das ist seinem Sohne, mit Leib und Seele, für Zeit und Ewigkeit anvertrauen und ihn hören als unsern einzigen Propheten.
In dem ewigen Rathe des Friedens nahm der Sohn es auf sich, eine verdorbene Welt wieder herzustellen. So wollte Gott denn auch durch ihn die Welt machen, daß Alles so angeordnet wäre, daß der ganze Name Gottes, der ganze Rath seines Wohlgefallens, seine ewige Gerechtigkeit und Heiligkeit, alle seine Tugenden und Vollkommenheiten, durch die wundervolle Darstellung und Regierung des Ganzen von allen Seiten hervorleuchte; dagegen alles Geschaffene sich offenbare als unfähig, Heil und Seligkeit darzustellen.
Hat weiter Gott durch Christum die Welt gemacht, so soll es ihm auch zustehen, der ganzen Welt zu seiner Zeit eine solche neue Gestalt zu geben, daß sie eine mit Gott versöhnte sei, nicht durchs Blut der Böcke und Kälber, nicht durch Werke des „Thue das“, nicht durch Vermittlung eines Moses, eines vergänglichen Priesterthums und einer fleischlichen, äußerlichen Heiligung, sondern durch wahrhaftige, innere Heiligung, durch Erneuerung vom Heiligen Geiste und durch Besprengung des eigenen Blutes dessen, durch welchen die Welt gemacht ist. Ist Christus zum Erben über Alles von Gott gesetzt, ja, ist durch ihn das Haus alles Sichtbaren gebaut, worin er schalten, walten und regieren sollte als Sohn, als Lehrer, als Priester, als König: so wird man die Welt wol so Welt müssen sein lassen, wie Christus sie gemacht; nämlich so, daß darin nichts mehr bei uns Geltung habe, und nichts anderes als Zuflucht gesucht werde gegen alle Noth Leibes und der Seele, als der nunmehr offene Gnadenstuhl. Früher hat Gott die Welt so gemacht, daß man wegen der Herzenshärtigkeit ein Joch auf der Schulter hatte, welches Niemand tragen konnte; da gab es Gebot auf Gebot, allerlei Opfer, womit die Gewissen nicht gereiniget wurden; nunmehr hat er durch seinen Sohn die Welt so gemacht, daß das Gewissen, ja der ganze Mensch von aller Unreinigkeit, von allen Sünden, von begangenen, von heutigen, von zukünftigen Sünden gereiniget wird auf einmal und ein für allemal, durch einen ewigen Ablaß; nunmehr hat er gemacht, daß der Mensch gar keine Mittler oder Vermittlung der Geschöpfe oder der Werke seiner Hände braucht, um sich Gott gewogen zu machen, sondern die Gewogenheit geht nunmehr gradezu von Gott aus, so daß Gott selbst Einen, der um und um Sünde ist, seine Gerechtigkeit heißt, und zieht ihm neue Kleider an. darum, weil in dieser Umgestaltung der Welt Einer die ganze Last auf sich genommen hat, der Eine, auf welchen Gott unser Aller Sünden warf, da wir Alle wie Schafe in der Irre gingen.
Wenn euch nun hungert und dürstet nach Gerechtigkeit, so verstehet ihr durch die Erklärung dieser beiden ersten Verse unseres ersten Capitels des Ebräer-Briefes das ganze Capitel. Denn da wird es uns durch Heiligen Geist, aus der Feder des Apostels, in einer Steigerung vorgehalten, welch einen vollkommenen Heiland wir von Gottes wegen haben, welch einen mächtigen und gewaltigen Heiland, welch einen gnädigen und erbarmenden Heiland; auch, wie er ewiglich bleibt; dazu, wie in ihm Alles unser ist, es sei das Gegenwärtige oder das Zukünftige, es sei Engel oder Fürstenthum; auf daß wir doch ja nicht unser Heil und Seligkeit bei Quasi-Heiligen, bei uns selbst oder anderswo suchen, sondern mit allem Vornehmen des Herzens und Freudigkeit des Glaubens beharren bei der Gewalt und der Gnade Jesu Christi.
Selig sind eure Ohren, welche Solches hören, und selig eure Herzen, welche sich darauf verlassen und darnach thun. Sie halten mit solcher Wahrheit den innern Papst, den Teufel und alle Widerchristen von sich; sie werden ihn dereinst schauen, der ein solcher Mittler und Bürge ist, daß er auch das Geringste für uns zurecht gebracht hat. Amen.
Schluß-Gesang
Psalm 31, Vers 11 u. 12.
Ich, Jehova, ich Bin dein Gott, dein Erbe, Ich erlöste dich Aus Egyptenland Mir, mit starker Hand, Und du wardst mein Erbe.
Thue auf den Mund, Zeig mir dein Verlangen! Sieh den Gottesbund: Alles bin ich dir, Du wirst stets von mir Volle Gnüg' empfangen.