Kohlbrügge, Hermann Friedrich - „Siehe das ist Gottes Lamm“

Kohlbrügge, Hermann Friedrich - „Siehe das ist Gottes Lamm“

Gesang vor der Predigt.

Psalm 38, Vers 1-4.

Großer Gott! du liebst Erbarmen!
Straf mich Armen
Doch in deinem Zorne nicht.
Züchtigst du, ach, deine Stimme
Ruf im Grimme
Mich nicht vor dein Zorngericht!

Ich bin voller Angst und Schrecken,
Und es stecken
Deine Pfeile tief in mir.
Schwer ist deine Hand; gebücket,
Schier erdrücket
Lieg ich in dem Staub vor dir.

Sieh, mein ganzer Leib erkranket,
Alles wanket;
Wie zermalmend ist dein Dräun1)!
Ach, vor meinen vielen Sünden,
Fühl ich schwinden
Fried und Ruh in dem Gebein.

Meine Missetaten steigen
Hoch und beugen
Mein mit Scham bedecktes Haupt;
Ihre Last drückt mich darnieder,
Meine Glieder
Sind von aller Kraft beraubt.

Zwischen-Gesang.

Psalm 119, Vers 88.

Gib Leben mir, dann lob und preis ich dich.
Auch im Gericht wirst du mir Heil gewähren.
Ein irrendes, verlornes Schaf bin ich!
Mein Hirte, lass mich deine Stimme hören!
Ich bin ja noch dein Knecht, ach, suche mich!
Nie lass ich nach, Herr, dein Gebot zu ehren!

Siehe, das ist Gottes Lamm

Predigt über Ev. Johannis Kap. 1, Vers 29,

gehalten am 14. Oktober 1849.

Wenn je, so ist es heute an der Zeit, des Herrn Tod zu verkündigen2). Wo Gottes Gerichte hereintreten, da lernen die Leute des Erdbodens Gerechtigkeit. Der gerechte Gott muss uns strafen unserer Ungerechtigkeit wegen; aber mitten im Zorne will er doch eingedenk sein des Erbarmens. Er straft und betrübt uns nicht von Herzen, sondern wenn er uns zu Boden wirft, so tut er es, auf dass wir uns zu ihm bekehren, die Ungerechtigkeit loslassen und seine Stärke ergreifen, und gerecht werden in der Gerechtigkeit, welche vor ihm gilt. Er lässt sein Wort kommen: des Tages du davon isst, wirst du des Todes sterben. Hinwiederum beweist er es, wie sehr es ihm von Herzen geht, wenn er, der Herr Herr, zu uns spricht: Ich habe keinen Gefallen am Tode des Sterbenden. Ja, das spricht er mit einem Schwur: So wahr ich lebe, spricht der Herr Herr: Ich habe keinen Gefallen am Tode des Gottlosen, sondern dass sich der Gottlose bekehre von seinem Wesen und lebe. So bekehrt euch doch nun von euerm bösen Wesen. Warum wollt ihr sterben, ihr vom Hause Israel! Er immerdar der Erste, wo es drum geht einen Verlorenen zu erretten, hat nicht gewartet, bis Adam ihn hat aufgesucht, sondern da Adam tot lag in Sünde und Übertretung, und sich vor Gott versteckte aus Furcht, weil er nackt war, da ist der Herr der Erste gewesen, dem Adam seine Übertretung des heiligen Gebotes, das ihm zum Leben gegeben war, aufzudecken und ihm die Worte des ewigen Lebens kundzutun. Nunmehr sollte er aber das Leben nicht mehr haben in eigener Hand, sondern Christus, als der Same des Weibes, sollte von nun an sein Leben sein gegen seinen Tod und trotz seines Todes.

Und wie der Herr es bei Adam gemacht hat, so macht er es noch. Er ist noch immerdar der Erste, und lässt in unserm Tode und in unserm Abgekommensein von ihm das gute Wort des Lebens uns zukommen, und auf dass wir doch ja keinen Zweifel daran haben, er wolle unsern Tod nicht, gibt er uns Zeichen und Siegel oder Unterpfänder seiner Gnade, wodurch er nicht allein als durch die geeignetsten Bilder, um das auszudrücken, was er meint, es uns bezeugen lässt, dass er seinen Christum zu unserm Leben gegen unsern Tod und trotz unsers Todes gegeben hat: sondern es uns auch durch sein Wort und Geist an unserm Herzen versiegeln will, dass Christus unsrer Seelen Speise und Trank ist, uns bei dem ewigen Leben zu erhalten.

So gibt uns der Herr in seiner wunderbaren Gnade Wort und Sakrament und ist der Erste damit, solches an uns zu bringen, auf dass wir in unserm Tode gegen unsern Tod und trotz unseres Todes, Trost und Gewissheit ewigen Lebens haben, auch der gewissen Hoffnung sein dürfen, Gott der Herr werde uns aus Gnade das ewige Leben finden lassen, wenn es nun unsere Zeit sein wird, dass wir aus diesem elenden Leben abberufen werden. -

Wort und Sakrament leiten uns zu Christo hin, als unserem Leben und als unsers Todes Tod. Dazu gab uns Gott Wort und Sakrament. Was das Wort uns predigt, besiegelt uns das Sakrament; auf dass wir aber die Besiegelung des Sakraments erhalten, tut es uns Not, uns auf das Wort zu verlassen. Gott weiß, was Gemächte wir sind; darum gibt er der treuen und aller Annehmung werten Worte gar viele. Wir wollen zu dieser Stunde eins herausnehmen, welches besonders geeignet ist, uns Herz und Mut zu machen gegen unsern Tod, alle argen Gedanken von Gott abzulegen, an Christo hangen zu bleiben, an ihn zu glauben als unser Leben, und also die Frucht des Sakraments zu haben, welches ist der Trost und das freudige Bekenntnis unserer Wiedervereinigung in Christo mit Gott, und unserer ewigen Seligkeit durch Christum bei Gott.

Text: Evangelium Johannis Kap. 1, V. 29.

Siehe, das ist Gottes Lamm, welches der Welt Sünde trägt!

Wir betrachten Christum unsern Herrn:

I. als das Lamm;
II. als das Lamm Gottes;
III. als das Lamm, das die Sünde der Welt trägt.
IV. Widmen wir unsre Andacht dem Wörtlein „Siehe“.

I. Christus als das Lamm.

An mehreren Stellen der Heiligen Schrift kommt Christus vor unter dem Bilde eines Lammes. So heißt es bei Jesaias von ihm: Da er gestraft und gemartert ward, tat er seinen Mund. nicht auf, wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird. So bei Petrus: Wisst, dass ihr nicht mit vergänglichem Silber oder Gold erlöst seid von euerm eitlen Wandel nach väterlicher Weise, sondern mit dem teuren Blute Christi, als eines unschuldigen und unbefleckten Lammes. So in der Offenbarung: Und ich sah und siehe, mitten im Stuhl und den vier Tieren und mitten unter den Ältesten stand ein Lamm, wie es erwürgt war, und wiederum: Das Lamm, das erwürgt ist, ist würdig zu nehmen Kraft und Reichtum, und Weisheit und Stärke, und Ehre und Preis und Lob, - und wiederum: Die Seligkeit sei unserm Gott, der auf dem Stuhl sitzt, und dem Lamm, - und wiederum: Sie haben ihre Kleider helle gemacht im Blute des Lammes, - und nochmal: Sie haben ihn überwunden durch des Lammes Blut und durch das Wort ihres Zeugnisses, und nochmal: Das Lamm ist ihre Leuchte….

In einem Lamm hat Gott vollkommen das abgebildet, was Christus für uns ist als unser Leben wider unsern Tod, als unsere Gerechtigkeit wider unsere Sünde. Es gibt kein Tier, dessen ganzes Wesen so schuldlos, so sanft, so anspruchslos ist; kein Tier lässt so Alles mit sich machen, was man will, keins ist so geduldig, so folgsam, so gehorsam. Wenn Johannes hier Christum das Lamm nennt, hat er alle die Lämmer vor seiner Andacht, welche die Juden sich anschafften auf die Passafeier, um sie zu schlachten vor dem Herrn und sie zu essen. Besonders hat er also das von dem Herrn nach seinem Gesetz verordnete Passahlamm vor seiner Andacht, mit dessen Blut die Kinder Israels die Überschwelle und die Pfosten ihrer Türen bestrichen, auf dass der Würgengel bei ihnen vorüberginge, und dessen Fleisch, am Feuer gebraten, sie aßen mit ungesäuertem Brote und mit bitteren Salzen in der Nacht, da der Herr sie aus Ägyptenland führte. Auch hatte er das Lamm vor seiner Andacht, welches die Kinder Israels dem Herrn zum Brandopfer bringen mussten, und auf dessen Haupt sie sich zu stützen, ihre Sünden zu legen hatten, so dass das Lamm ihre Sünde wurde, und als solches geschlachtet und verbrannt wurde auf dem Altar. Indem Johannes auf Christum weiset als auf das Lamm, will er damit andeuten: Er sei das rechte Lamm, welches Gott gemeint, da er den Befehl gab, ein Lamm zu bringen und zu schlachten für die Sünde; alle anderen Lämmer seien nur Vorbilder und Schatten dieses Lammes. Dieses sei das eigentliche Lamm, welches geschlachtet wurde von Anfang der Welt.

Johannes der Täufer zeigt uns hier also Christum, wie er ist der Gerechte, der Schuldlose, der, welcher Gehorsam gebracht hat, der geschlachtet ist, der freiwillig für uns gelitten hat. Solches tut er aber nicht aus sich selbst, dass er auf Christum als auf das Lamm weist, sondern Solches tut er aus Gott, Solches tut Gott durch ihn.

Nun stecken wir vor Gott tief in Schuld, sind nicht heilig, sondern von innen und außen befleckt mit allerlei Gräuel der Sünde; wir haben dem Gesetz Gottes den Gehorsam, den wir ihm schuldig sind, in keinem Stücke gebracht; auch ist in uns kein freier Wille dazu, vielmehr fühlen wir uns unter die Sünde verkauft: darum verdammt uns das gute Gesetz Gottes, und heißen wir vor Gottes Richterstuhl verflucht, weil wir nicht sind geblieben in allen Worten des Gesetzes. Wir müssen deshalb sterben, sterben den ewigen Tod, müssen ewig von Gott, unserm höchsten Gut, geschieden sein.

Was Rat in solchem schrecklichen Zustande? Wie kommen wir wieder zu Gott? Was sollen wir ihm bringen, dass wir ihm wieder angenehm gemacht seien, - wer will unsere Sünden auf sich nehmen? Wer für uns Sünde werden? Wer den vollkommenen Gehorsam bringen? Wer unsern Tod sterben? Woher haben wir Erlösung von Sünde, Schuld und Strafe? Woher Gerechtigkeit des Lebens? Hier bangt es einem Jeglichen vor Gott, bebt und zittert Jeder vor der Glut seines Zorns. Aber hier ist Gott der Erste, er sagt es uns an, wer das Alles für uns ist; von wem wir das Alles haben, was uns Not tut, um Gott wieder angenehm zu sein, um wieder zu ihm gebracht zu sein; wer das reine Tier gewesen, um deswillen wir unreine Tiere in den Himmel aufgenommen werden; das unbefleckte Tier, auf welches wir alle unsere Befleckung der Sünde legen sollen. Christus ist das Lamm, spricht Gott, und es ist sein Befehl, sein Gesetz, dass wir dieses Lamm ihm bringen, uns auf dessen Haupt stützen, auf dasselbe unsere Sünde legen sollen, um vor ihm gerechtfertigt, angenehm und versöhnt zu sein.

Darum heißt es auch: Siehe das Lamm Gottes!

II. Christus, als das Lamm Gottes.

Gottes heißt es, weil es von Gott kommt, weil Gott es gegeben hat für unsere Sünde, und es ihm zukommt, so dass wir kein anderes bringen dürfen als dieses Lamm, dass wir vor Gott angenehm gemacht seien. Gottes heißt es, weil nur dieses Lamm in den Augen Gottes gut ist, dieses allein ihm gefällt, dieses allein seinem Gesetze entspricht. Von diesem Lamme schreibt Petrus: dass es zwar zuvor versehen ist, ehe der Welt Grund gelegt ward, aber offenbart zu den letzten Zeiten um unseretwillen. Johannes der Täufer war davon so erfüllt, dass, nach dem 36. Verse, da er Jesum wandeln sah, er abermals von ihm ausrief: Siehe, das ist Gottes Lamm! Wenn Petrus sagt, dass Christus als ein unschuldiges und unbeflecktes Lamm zuvor versehen ist, ehe der Welt Grund gelegt ward, so meint er, dass Gott ihn, ehe der Welt Grund gelegt ward, versehen, gekannt, prädestiniert hat, um solches Alles für die Verlorenen zu sein, was es Gott gefallen auszudrücken in einem schuldlosen und unbefleckten Lamme, in einem Lamme, das sich willig zur Schlachtbank führen ließ, in einem Lamme, das Sünde für Sünder wurde, und also eine ihm fremde Bürde trug, und als Sünde für Sünder verbrannt wurde. Gottes Lamm also, weil Gott sich desselben versah in den Gründen der Ewigkeit seiner Barmherzigkeit, auf den Gipfeln seiner ewigen Liebe und des Rats der Erwählung nach seinem Vorsatz.

Dieses Lamm, welches Gott sich versah, da er den Ratschluss fasste aus ewiger freier Liebe und Gewogenheit: rettungslos Verlorene wieder zu sich aufnehmen; dieses Lamm, welches Gott für uns gab, da die Zeit erfüllt ward, und welches er uns offenbart hat durch sein heiliges Evangelium zur Zeit der Liebe, auch uns vor und nach offenbart; welches Gott auch allein angenehm ist, haben wir Gott zu bringen, als das uns von Gott gegebene Lamm. Gott bekennt sich lediglich zu diesem Lamme, als zu seinem Lamme, welches vollkommen seinem Gesetze entspricht.

Christus heißt das Lamm Gottes, denn Gott hat ihn, der gar nicht von Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht, auf dass wir würden in ihm Gerechtigkeit Gottes. Gott tat ihn für uns unter Gesetz, und er ward ein Fluch für uns. - Wie ein Lamm, obschon so schuldlos, so anspruchslos, dennoch gewöhnlich für die Schlachtbank bestimmt ist, so hat Gott sein Lamm um unseretwillen für die Schlachtbank seines Zornes und Gerichtes über unsere Sünden bestimmt, und hat ihn schlachten lassen durch die Hände von uns Gottlosen, auf dass wir durch den Glauben aus der Schlachtung am Tage seines Zornes gerettet, das Leben und Erlösung hätten durch ihn. Gott musste einen vollkommenen Gehorsam haben, eine ewiggeltende Gerechtigkeit und Erfüllung seines heiligen Gesetzes; dazu bestimmte Gott dieses sein Lamm, das blieb stumm und geduldig unter der Hand seines Scherers, wie denn geschrieben steht: Deinen Willen, o mein Gott, tue ich gerne, und dein Gesetz habe ich in meinem Herzen. Dieses Lamm gab sein Leben freiwillig zur Schulddarbringung, weil Gott es so wollte zum Preise seiner ewigen Erbarmung.

Und nun sehen wir auf das Gesetz, auf das „tue das“. Wir haben Gottes Gebote nicht gehalten. Was sollen wir Gott bringen? Unseren erstgeborenen Sohn? unsere Habe und Gut? Gott nimmt Nichts von unsern Händen an und alle unsere Werke taugen Nichts vor ihm; wir taugen auch nicht, sind vergriffen, und vergriffen ist unser Werk, wir stecken in dem Tod und der Tod wartet unser. Wie entgehen wir dem Zorn, dem Gericht? Wenn wir in Übereinstimmung sind mit Gottes Gesetz; wenn wir von ihm und vor ihm gerechtfertigt sind. Wie werden wir das? Wenn wir Gott glauben; wenn wir darin seinen Willen tun, dass wir zu ihm mit seinem Lamme kommen, was er uns Fluchwürdigen gegeben hat; wenn wir auf dieses Lamm unsere Sünden legen, uns auf dasselbe stützen, bekennen, dass es von Gottes wegen für uns geschlachtet ist, und es dafür halten, dass, da es auf die Schlachtbank, auf den Altar des Kreuzes gebracht, dahingegeben, getötet wurde, es für uns, unsere Schuld, Sünde und Strafe von Gottes wegen aus dem Mittel getan hat; denn so sind wir gerechtfertigt, geheiligt und geborgen in seiner Gerechtigkeit und Unschuld durch seinen Gehorsam und freiwilligen Tod nach dem Gesetz, Willen, Bund und Gebet des Gottes, der unseren Tod nicht gewollt.

Oder sollen wir durch unsere tägliche und augenblickliche Sünde, durch unsere Grundverdorbenheit und Verlorenheit, durch unsere Verdrehtheit und Verkehrtheit uns davon abhalten lassen, auf Gottes Lamm unsere Sünden zu legen und so damit vor Gott zu kommen? Sollen wir, da Gott uns dieses Lamm gegeben hat, es um unserer Sünden willen dafürhalten, dass wir dennoch Gotte nicht angenehm sein werden, dass er uns dennoch nicht annehmen wird?

Ich bekenne es, das arge Herz wirft uns hier mit Hilfe des Satanas Allerlei vor, um uns zu entmutigen; aber so spricht Gott zu uns durch Johannes den Täufer: Es trägt die Sünde der Welt.

III. Das Lamm, das die Sünde der Welt trägt.

Hier das „Fürwahr“ des Propheten Jesaias: Fürwahr, er trug unsere Krankheit und lud auf sich unsere Schmerzen. Er ist um unserer Missetat willen verwundet, und um unserer Sünden willen zerschlagen, die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt. Wir gingen Alle in der Irre wie Schafe, ein Jeglicher sah auf seinen Weg; aber der Herr warf unser Aller Sünde auf ihn. Aber weil der Herr unser Aller Sünde auf ihn warf, so hat er sie auch getragen. Wie auch der Apostel Petrus bezeugt: Welcher unsere Sünden selbst hinaufgetragen hat an seinem Leibe an das Holz, auf dass wir von der Sünde abgekommen, der Gerechtigkeit leben, durch welches Wunden ihr seid heil geworden.

Ist noch Etwas von dem, was wir Sünde heißen, ausgeschlossen, wenn Gott durch den Täufer sagt: er trägt die Sünde? Ist damit nicht gemeint der gänzliche Abfall von Gott, die gänzliche Verdrehtheit und Verkehrtheit, die gänzliche Ungerechtigkeit, welche uns eigen ist, in welcher wir empfangen und geboren sind, dazu alle die Gräuel und Unreinigkeiten, welche aus dem Herzen hervorkommen? Ist damit nicht gemeint alle die Missetat, zu welcher jeder Mensch fähig ist, welche er auch begangen hat und begeht, wiederholt begeht: alle die argen und gotteslästerlichen Gedanken von Gott, alle die Zweifel gegen seine Wahrheit, Güte, Gerechtigkeit und alle Sünden, begangen mit aufgehobenem Schild; der Hass Gottes und unseres Nächsten; die innere gewaltige Feindschaft wider den einzigen Weg des Heiles, die Härte und Verstocktheit in der Sünde, bis dass Gott das Herz zerbricht; dazu alle die Verkehrtheiten und Gräuel, begangen oft mit Willen gegen Gott und unsern Nächsten; die Sünden der Gedanken, der übrigen Glieder des Leibes, namentlich des Geizes, des Stolzes, der Hoffart, der Lustseuche, der Eigenliebe, der Eigengerechtigkeit, der Lieblosigkeit? Wo sollte ich anfangen, wo enden? Wir, sowie wir leiben und leben, haben in uns einen Pfuhl allerlei Gottlosigkeiten. Und diese sind hier alle auf einen Haufen geworfen und heißen zusammen die Sünde, durch welche „der Tod gekommen ist und ist zu uns Allen durchgedrungen.“

Diese Sünde trägt das Lamm Gottes. Es hat sie getragen, es trägt sie. Dieses Tragen ist eine bleibende Tat, und dass es unsere Sünden getragen hat, gilt vor Gott als ein ewiges Tragen. Weshalb es nicht heißt: Das Blut Jesu Christi des Sohnes Gottes machte uns rein, sondern macht uns rein von aller Sünde. Wie lieblich ist hier das Wort: tragen! Nach der Griechischen oder Aramäischen Sprache, in welcher dieses ausgesprochen wurde durch den Täufer, heißt es: Wohl wägen, was man auf sich nimmt, die ganze Last desselben kennen, dennoch aufnehmen und wegtragen. Und da mag es Beides bedeuten: dass dieses Lamm Gottes die Last der Sünde, des Zornes Gottes und der Strafe, unter welcher wir erdrückt lagen, von uns ab und auf sich nahm, und, dass es die Sünde aus dem Mittel getan, ausgetilgt, zunichte gemacht hat. Aber wer denkt hier nicht als von selbst auch an den ledigen Bock, welcher vor den Herrn gestellt wurde am Feste des jährlichen Versöhnopfers? wovon es heißt 3. B. Mosis, Kap. 16, V. 21: Da soll denn Aaron seine beiden Hände auf sein Haupt legen, und bekennen auf ihn alle Missetat der Kinder Israel und alle ihre Übertretung in allen ihren Sünden; und soll sie dem Bock auf das Haupt legen, und ihn durch einen Mann, der vorhanden ist, in die Wüste laufen lassen. Dass also der Beck alle ihre Missetat auf ihm in eine Wildnis trage. Ach, sein ganzes Leiden im Fleische war für ihn eine Wildnis, in welche er sich freiwillig treiben ließ, um uns sein Paradies zu eröffnen. Er trug alle unsere Missetat auf ihm in eine Wildnis.

Aber hat dieses Lamm Gottes auch meine Sünden getragen? So spricht Gott durch den Täufer: welcher die Sünde der Welt trägt. Wie auch Johannes schreibt: Er ist nicht allein eine Versöhnung für unsere Sünden, sondern auch für die Sünden der ganzen Welt. Weshalb auch der Herr selbst sagt: Also hat Gott die Welt geliebt. Willst du kein besonders bevorrechteter Jude sein, sondern ein Heidenkind? Gehörst du zu der Welt? Willst du dich zu der Welt schlagen: so hat dieses Lamm Gottes auch deine Sünde getragen. So ist auch dir die Verheißung: dass in Christo sich alle Völker der Erde glücklich preisen sollen. Die Verheißung reicht so weit, als die Welt reicht, und Welt reichen beide eben weit. Wo Menschen sind, da ist die Welt; wo die Welt ist, da ist die Sünde; dieser Welt Sünde hat getragen das Lamm Gottes, und hast du Lust, so hast du Freiheit und Befehl kraft des ewigen Gesetzes deine Sünden zu legen auf dieses gesegnete Haupt. So fern der Morgen ist vom Abend, so fern trägt dieses Lamm deine Sünden von dir weg, dass ihrer in Ewigkeit nicht mehr vor Gott gedacht wird.

IV. Widmen wir unsre Andacht dem Wörtlein „Siehe“.

Ach, wird Mancher denken, könnte ich doch Jemanden finden, der sich meiner noch annehmen wollte, der Mitleiden mit meiner Not hätte, mir noch gut sein wollte, der mir nicht meine Sünde vorwürfe, mich nicht in die Hölle stieße, sondern mich zu Gott brächte, dass ich ein Wort des Lebens aus seinem Munde hätte: Ich bin dir gut, ich bin dir gnädig, ich stehe für dich ein, ich nehme deine Sünde, deine Bürde auf mich! Siehe, heißt es hier, siehe, das ist Gottes Lamm. Was du unter Menschen nicht finden kannst, das findest du in ihm. Er will dir gnädig sein von Gottes wegen. Er hat das Gesetz der Bruderliebe erfüllt, er will dir von deiner Not abhelfen. Er hat deine Sünde getragen. Das war sein Amt von Gottes Willen, in welchem er sich schlachten ließ für dich, dich deiner Sünde, des Zornes und der Verdammung zu entledigen, und dich wiederum zu Gott zu bringen, dich Gott wiederum angenehm zu machen, mit seiner Gnade dich zu bedecken, in Liebe zu schweigen über deine Sünden und sie immerdar wegzutragen. Siehe das Lamm Gottes. Nach Gottes Willen und Bund hat dieses Lamm für dich genug getan. In ihm ist Gott verherrlicht, dass er dir die Sünde vergeben kann und auch will, wenn du auf dieses Lamm siehst. In ihm rechtfertigt Gott das, was sich selbst vor Gott verklagt und Gott Recht gibt, und er macht das Verlorene dieses Lammes heiliger Unschuld und Gerechtigkeit vor seinem Richterstuhl teilhaftig! Ach, ruft Mancher, möchte doch der Herr mein Gefängnis wenden und auch mich zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes bringen! Ach, was ist es doch, was mich gefangen hält. Meine Verdrehtheit hält mich fest und meine Unaufrichtigkeit hemmt den Verkehr mit Gott! Meine Eigenliebe lässt mich Träber essen. Ach, zuweilen wüten so schreckliche Sünden in mir, dass ich fast nicht weiß, ob Gott mich verdammt hat, oder ob noch Gnade für mich da ist. O hätte ich nur lebendige Reue, ein lebendiges Hungern nach Gerechtigkeit, nur ein Schmachten nach Erlösung! Aber ich fühle in mir sogar Gleichgültigkeit gegen die Sünde, Hartheit, Verstocktheit! Aus den Augen wollen keine Tränen, das Herz will nicht brechen! O, wäre nur wahre Traurigkeit nach Gott da, fühlte ich nur ein zerschlagenes Gemüt in mir, aber ein Stein ist nicht so kalt, so hart als ich! Mutwillig habe ich gesündigt! Sollte noch ein Opfer für mich da sein? Siehe Den, der die Sünde der Welt trägt! Was suchst du noch eine Tugend, Kraft oder etwas Gerechtes in dir? „Siehe“, heißt es von Gottes wegen. Suche Gerechtigkeit und Leben in ihm! - Siehe das Lamm Gottes zur Rechten des Vaters! In dir der Schlangenbiss, der Tod, das Gift; - in ihm die Genesung, Vergebung von Sünden, Leben und Seligkeit, Gerechtigkeit und Stärke. Die Wurzel Isai steht zum Panier den Völkern, und seine Ruhe ist Ehre. „Sie werden mich ansehen“ ist seine Verheißung. Siehe über ihm den Gottesbund! Es gibt sonst kein Opfer, sonst keine Gerechtigkeit noch Heiligung. Nur er kann dir den Geist der Gnade und des Gebets geben, welchen er erworben, dass du erneuert seiest am Geiste deines Gemüts. Siehe Den, der die Sünde der Welt trägt! An einem Tage hat er sie weggetragen, vergangene, gegenwärtige, zukünftige Sünde. Er will dir eine Heiligung sein. In ihm, in deinem treuen Fürsprecher zu Gott hin; er hat das Joch von deiner Schulter gebrochen. Siehst du auf ihn, so siehst du die Quittung, dass Alles sei bezahlt.

Ihr, die ihr bis dahin in der Welt und in dem Dienste der Sünde steckt, und noch nie mit sterbenden Augen auf dieses Lamm Gottes gesehen, lasst Euch durch Gottes Gerichte mahnen, Euch zu ihm aufzumachen, seine Stärke zu ergreifen, und Frieden mit ihm zu machen, auf dass auch Euer Tod von seinem Leben verschlungen sei, und Ihr nicht umkommt unter dem Zorne dieses Lammes!

Und Ihr, die Ihr mühselig und beladen herzutretet zu dem Tisch des Herrn, um seinen Tod zu verkündigen, um dieses Lammes Fleisch zu essen, dass Ihr durch dessen Kraft durch die Wüste kommt, und mit dessen Blut die oberste Schwelle und Türpfosten Eures Herzens zu bestreichen: das Wort haltet dem Verkläger, dem Satanas, dem Tode, dem zaghaften Herzen und verklagenden Gewissen vor, - das Wort, womit Gott Euch zuvorkommt, und es stärke Euch, die Zeichen und Siegel der Gnade Christi im Glauben zu Euch zu nehmen, das Wort: Siehe das Lamm Gottes, siehe den Träger der Sünde der Welt! Amen.

Schlussgesang:

Psalm 38, Vers 21 und 22.

Stehe du in diesem Streite
Mir zur Seite,
Herr, mein Gott, verlass mich nicht!
Ohne dich besteh' ich nimmer
Zeig' du immer
Mir dein holdes Angesicht,
Wirst du nicht von allem Bösen
Mich erlösen?
Bist du nicht mein Gott, mein Teil?
Eile dann mir beizustehen,
Hör' mein Flehen,
Herr, ich warte auf dein Heil!

1)
Drohen
2)
Ausgesprochen vor der Feier des heiligen Abendmahles.
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