Körber, Emil - Ölblatt - Der Heiland und die Geheilten.

Körber, Emil - Ölblatt - Der Heiland und die Geheilten.

(12. Januar 1873.)

Text: Luk. 17, 11-19.
Und es begab sich, da er reiste gen Jerusalem, zog er mitten durch Samaria und Galiläa. Und als er in einen Markt kam, begegneten ihm zehn aussätzige Männer, die standen von ferne, und erhoben ihre Stimme, und sprachen: Jesu, lieber Meister, erbarme dich unser! Und da er sie sah, sprach er zu ihnen: Geht hin, und zeigt euch den Priestern. Und es geschah, da sie hingingen, wurden sie rein. Einer aber unter ihnen, da er sah, dass er gesund geworden war, kehrte er um, und pries Gott mit lauter Stimme, und fiel auf sein Angesicht zu seinen Füßen, und dankte ihm. Und das war ein Samariter. Jesus aber antwortete, und sprach: Sind ihrer nicht Zehn rein geworden? Wo sind aber die Neune? Hat sich sonst Keiner gefunden, der wieder umkehrte, und gäbe Gott die Ehre, denn dieser Fremdling? Und er sprach zu ihm: Stehe auf, gehe hin, dein Glaube hat dir geholfen.

Das Christfest ist vorüber, die lieblichen Weihnachtslieder sind verklungen, der himmlische Lobgesang auf Bethlehems Fluren ist verstummt. Auch das alte Jahr ist zu Ende und hinabgesunken ins tiefe Meer der Vergangenheit, in deren unergründlichem Schoß, seit Menschen auf Erden leben, sündigen und sterben, schon tausend und abertausend Freudenlieder und Jubelgesänge, schon Millionen von Seufzern und Tränen zur stillen Grabesruhe gelangt sind. Ein neues Jahr ist aus dem Strom der Zeiten aufgestiegen, jung und frisch wie das Morgenrot, das über die Höhen der Berge sich ausbreitet; und wir haben mit des Herrn Hilfe schon eine kleine Strecke auf der neuen Bahn des Lebens zurückgelegt, und neue Gnade, neuen Segen, neue Hilfe, neuen Frieden empfangen. Denn der Herr, unser Gott, ist freundlich, und seine Güte nimmt kein Ende mit dem Wechsel der Jahre; seine Liebe wechselt und schwindet nicht mit dem Fluge der Zeiten, sondern währt ewiglich, ja

Gottes Güte
Steht allein in ew'ger Blüte.

Aber das neue Jahr und die kleine Strecke Weges, die wir in demselben zurückgelegt haben, hat auch neue Sünden gebracht, neue Sorgen und Kümmernisse, neue Schmerzen und Leiden. Ach, wie mancher frische Grabhügel ist auf dem Ruheplatz der Toten zu sehen, und darunter schlummert eine teure, heißgeliebte Gattin, oder eine liebevolle Mutter und Großmutter, oder ein treuer, edler Gatte und Vater, oder ein vielgeliebtes Kind. Dazu kommt noch, dass mit dem neuen Jahr nicht gleichsam ein Strich gemacht ist unter die alte Rechnung der Sünden und Leiden, der so viel sagen will: nun ists fertig damit! O nein, gar Viele haben die alten Sünden und Schulden aus dem alten ins neue Jahr herübergenommen. Gar manche Wunden in Staat und Kirche, in Schule und Haus, wie im einzelnen Kämmerlein und Herzen bluten und schmerzen im neuen Jahr wie im alten, und sehnsüchtig schauen wir aus nach dem Arzt und Helfer, der Hilfe bringt. Ist denn keine Salbe in Gilead? oder ist kein Arzt da? Warum ist denn die Tochter meines Volkes nicht geheilt? so ruft unsere Seele mit dem Propheten Jeremia. Gar mancher Kranke muss auch im neuen Jahre seufzen: Ach Herr, wie so lange? Ist deine Hand zu kurz, dass sie nicht helfen kann? Mein Leiden ist immer vor mir. Ich schwemme mein Bett die ganze Nacht mit Tränen. Gar mancher Hausvater und manche Hausmutter wird von der drückenden Last der Sorgen fast in den Boden hinein gedrückt. Da weiß ich, im Herrn Geliebte, keinen andern Rat als mich und euch im neuen Jahre, auf dessen ersten Stufen wir noch stehen, hinzuweisen auf den alten Heiland, dessen Heilandskraft nie altert, sondern ewig frisch und jung ist. Ja ohne Christus möchte ich meine Pilgerfahrt durch dieses Jahr und Leben nicht fortsetzen, sondern am liebsten gleich das Wanderbündel niederwerfen und den Pilgerstab niederlegen. Aber mit Christus, mit dem Heiland der Welt - o da ist es herrlich und selig hienieden zu wandern, durch Leiden und Freuden, bergauf bergab, durch Täler und Schluchten, über Höhen und Berge, wie Er uns führt.

An seinen Händen geh' ich weiter
Und fürchte nicht, was kommen mag;
Wo Sonnen glänzen, ist es heiter,
Und wo Er waltet, ist es Tag.
Er ist mit mir an jedem Morgen,
Wie Er auch gestern mit mir war;
Ihm ist mein Elend unverborgen,
Mir sein Erbarmen offenbar.

So tritt denn heute wieder die alte liebe Heilandsgestalt vor unsere Seele zu unserer Erquickung und Stärkung auf der Pilgerreise zur stillen Ewigkeit. Und zwar sehen wir den Herrn in seiner herablassenden und heilenden Liebe. Diese darf ein Häuflein unglücklicher Menschen, zehn Aussätzige, reichlich erfahren. Aber nur Einer ist dankbar, Neun sind undankbar ein trauriges Bild des menschlichen Herzens!

So wollen wir denn heute miteinander reden

Vom Heiland und den Geheilten.

Wir betrachten:

I. den Heiland in seiner herablassenden und heilenden Liebe;
II. die Geheilten, den dankbaren Samariter und die neun undankbaren Juden.

Du aber, Herr Jesus, du Heiland aller Welt! neige dich auch zu uns in deiner treuen Heilandsliebe, die nicht müde wird zu suchen und selig zu machen, was verloren ist. Wandle auch unter uns, wie du mitten durch Samaria und Galiläa nach Jerusalem gingest, so wandle auch jetzt im Geiste durch die heiligen Hallen dieses Gotteshauses, durch unsere Hütten und Häuser; und wo du Krankheit Leibes und der Seele, Kummer, Angst und Not siehst, da lege deine Hände auf, liebend und segnend, schirmend und schützend, tröstend und erquickend, heilend und stärkend. Vor Allem aber hilf uns von dem schnöden Undank unseres Herzens, und nimm von unserer Seele den Grundschaden, an dem wir leiden, die Sünde; dann ist uns geholfen für Zeit und Ewigkeit. Amen.

I.

Beim Heiland sollen heute vor Allem unsere Gedanken weilen. Er ist und bleibt eben die Summa, der Kern und Stern, die Krone des ganzen Evangeliums, die Sonne des Neuen Bundes, an deren hellem Glanze wir uns nicht satt sehen, an deren süßem Lichte wir uns nicht genug erfreuen, laben und erquicken können. Gerade so geht es dem Apostel Paulus, wenn er spricht: Christum lieb haben ist viel besser, denn alles Wissen und Verstehen; und wenn er nach Korinth schreibt: Liebe Brüder, als ich zu euch kam, kam ich nicht mit hohen Worten oder hoher Weisheit, euch zu verkünden die göttliche Predigt; denn ich hielt mich nicht dafür, dass ich. etwas wüsste unter euch, ohne allein Jesum Christum, den Gekreuzigten. So macht es noch heute jeder wahrhaft evangelische Prediger. Er hascht nicht nach schönen und hohen Worten menschlicher Weisheit, er spielt nicht den Gelehrten, der immer wieder etwas Neues und Interessantes bringen kann im Sinne der Welt - o nein, er treibt in jeder Predigt Jesum Christum, den Heiland, kindlich und einfältig, mit Glaubenskraft und Glaubensmut. Und dieses Evangelium ist immer wieder neu, frisch, interessant, vielseitig, ja allseitig und unerschöpflich, so dass ein ganzes Leben, ein ganzer Reichtum von Verstand, eine ganze Fülle von Beredsamkeit nicht ausreicht, es auszudenken und auszureden.

Heute nun sehen wir den Herrn auf einer Reise. Er hat den Wanderstab in der Hand und tritt seinen letzten schweren Leidens- und Todesgang an. Das Ende der Reise ist Jerusalem, die alte Priester-, Königs- und Prophetenstadt; da soll er seinen Lauf vollenden als das Lamm Gottes, das der Welt Sünde trägt. Den Weg nimmt der Herr mitten. durch Samaria und Galiläa, wie unser Text gleich zum Eingang ausdrücklich erzählt. Schon die Wahl dieses Weges, ohne dass wir ein Wort aus des Herrn Mund vernehmen, oder eine Tat seiner Liebe sehen, predigt uns laut und deutlich die herablassende Liebe des Heilandes. Ist denn nicht Galiläa das verachtete Galiläa der Heiden, von dem die Juden sagten: Was kann aus Nazareth, aus Galiläa Gutes kommen? Forsche und siehe, in Galiläa steht kein Prophet auf! Ist nicht Samaria niedrig und gering geschätzt von dem stolzen Israel?

Aber Jesus nimmt seinen Weg nach Jerusalem mitten durch Samaria und Galiläa; er wandelt mit seinem heiligen Fuß gerade durch das verachtete und geringe Land, um uns so recht handgreiflich, klar und deutlich gleichsam mit jedem Zoll Landes, den er durchwandert, zu zeigen, wie er eine herablassende Heilandsliebe hat, wie er gerne auf das Niedrige sieht, wie er gekommen ist, den Armen, den Gedrückten, den Verachteten das Evangelium zu predigen. Es darf also keines unter uns schüchtern sein und meinen, es sei zu niedrig, zu armselig, zu elend für den Herrn; nein, wir dürfen Alle, so geringe Leute wir auch sein mögen, ein Herz zu ihm fassen und freimütig zu seinem Thron der Gnade eilen. Jesus Christus, unser Heiland, ist wohl ein Herr der Herrlichkeit, aber kein so vornehmer Herr, dass er nur mit den Reichen und Hohen dieser Erde gerne zu schaffen hätte. Nein, Er hat ein Herz für alle Menschenkinder, und für die ärmsten und elendesten hat er das wärmste Herz; der geringste Mann aus dem Volke hat freien Zutritt bei dem König aller Könige und Herrn aller Herren. Der Zugang zu unserem Gott und Heiland ist nicht durch Türhüter und Wachposten verwehrt, muss auch nicht erst durch vermittelnde Priester und Leviten oder durch Reiche und Gewaltige dieser Erde erschlossen werden, sondern der elendeste und verachtetste Mensch findet allezeit eine offene Türe, allezeit ein offenes, barmherziges Heilandsherz, allezeit Trost, Rat und Hilfe bei Jesus in aller Not. O dass wir dieses Evangelium in alle Hütten der Armut, des Elends und der Not tragen könnten! Wir brauchen nicht weit zu gehen und nicht lange zu suchen. Ach, in unserer nächsten Umgebung sind gar manche solcher Stätten des Elends; und der äußere Jammer ist oft so groß, dass einem Menschen, wenn er nicht gerade von Stein ist, das Herz bluten möchte ob der Bettelarmut, ob dem Gram, dem Kummer, der Verzweiflung, dem Unfrieden auf den Gesichtern, ob den bleichen, hohläugigen, schlecht genährten, hungernden und oft noch dazu kranken Kindern. Aber, was das Ärgste ist, in diesen Hütten des Elends wird Jesus, sein Wort, seine barmherzige Heilandsliebe so wenig, oft gar nicht gekannt. Sie gehen nicht in Gottes Haus, sie haben diese und jene Ausflüchte und Ausreden, um sich zu entschuldigen; sie lesen nicht in der Bibel und beten nicht; und darum ist ihr Elend doppelt und dreifach groß, ja das ist oft die Quelle des Elends. Ach, ihr Armen, hört es, wer es hören will! Jesus Christus hat eine herablassende Heilandsliebe! Jesus Christus will gerne in euern Hütten einkehren, wenn sie auch noch so klein und armselig sind. Nehmt ihn auf mit Freuden und sprecht: Komm herein, du Gesegneter des Herrn, und mache Wohnung bei uns! Und Er kommt gerne und mit Ihm kommt Segen und Heil, Friede und Leben, Zufriedenheit und Glück, Hilfe und Errettung auch aus der äußeren Not, so dass ihr keinen Mangel habt, wenn ihr euer Vertrauen ganz auf den Herrn setzt.

Jesus Christus hat eine herablassende Heilandsliebe. Dieses teure, trostreiche Evangelium geht uns Alle an, Arm und Reich. Du magst heißen, wie du willst, und sein, wer du willst, und die Not, die dich drückt, mag klein oder groß sein, innerlich oder äußerlich: du darfst Alles deinem Gott und Heiland sagen und klagen, ihm dein ganzes Herz ausschütten, und Er neigt sich huldvoll, gnädig und liebreich zu dir. Schaut doch den Heiland wandern durch das verachtete und geringe Samaria und Galiläa, steht still und denkt dabei: Er, der sich nicht geschämt hat, seinen Fuß zu sehen in der Galiläer und Samariter Land, wird auch mich armes, von Not gedrücktes Menschenkind nicht verachten noch verschmähen. Der in der Höhe und im Heiligtum wohnt, der wohnt auch bei denen, so zerschlagenen und demütigen Geistes sind, auf dass er erquicke den Geist der Gedemütigten und das Herz der Zerschlagenen. Die Opfer, die Gott gefallen, sind ein geängsteter Geist; ein geängstet und zerschlagen Herz wirst du, Gott, nicht verachten. O drücke dir diese Worte recht ins Herz hinein, bewege sie und lasse sie nie aus deinem Sinn kommen! Ein geängstet und zerschlagen Herz wird Gott nicht verachten!

Die ihr arm seid und elende,
Kommt herbei,
Füllet frei
Eures Glaubens Hände!
Hier sind alle guten Gaben,
Und das Gold,
Dran ihr sollt
Eure Herzen laben.

Das ist die herablassende Liebe unseres Heilandes. Nun wollen wir den Herrn weiter begleiten auf seiner Reise; da schauen wir seine heilende Liebe. Jesus geht ruhig seine Straße, vielleicht still und nachdenklich, denn das Ziel ist ja Jerusalem, da er geschlachtet werden soll als das Opferlamm; vielleicht aber auch in heiligen Gesprächen begriffen mit seinen Jüngern, die er einweihen will in das Geheimnis seines Leidens und Sterbens. Siehe da, was geschieht? In der Nähe eines Dorfes begegnet ihm eine kleine Gesellschaft von Männern. Es sind aber nicht etwa reiselustige, muntere Leute, die fröhlich und heiter, lachend und scherzend einherziehen; ach nein, es ist eine Gesellschaft von Kranken, von zehn aussätzigen Männern. Die standen von ferne sie durften ja den Gesunden nicht nahen nach dem Gesetz erhoben ihre Stimme, ihre vom Aussatz heisere und leise Stimme, und riefen einmütig: Jesu, lieber Meister, erbarme dich unser! Da wird das Herz Jesu im Grunde bewegt und seine heilende Liebe bricht hervor und glänzt, wie die Sonne am Mittag strahlt. Er lässt die Männer nicht lange bitten, nicht lange anhalten und schreien. Da er sie sah in ihrem elenden, jämmerlichen, beklagenswerten Zustande, mit faulenden Fingern, Händen und Füßen, mit Beulen bedeckt, in denen Würmer wuchsen, mit verschwollenen Augen, mit entblößtem Haupt und zerrissenen Kleidern da er sie sah, sprach er in mitleidigem Erbarmen mit göttlicher Vollmacht und Majestät: Geht hin und zeigt euch den Priestern! Und es geschah, da sie hingingen im Glaubensgehorsam, wurden sie rein.

O meine Lieben! noch heute kann und will Jesus uns heilen, auch von unseren leiblichen Gebrechen, wenn es gut und heilsam ist für unsere Seelen; es fehlt oft nur am rechten Bitten, Flehen, kindlichen Rufen: Jesu, lieber Meister, erbarme dich unser! Aber ganz gewiss und absonderlich will der Herr uns heilen von unseren geistlichen Gebrechen und Seelenschäden, von dem inneren Aussatz der Sünde. Wie viele unter uns müssen da noch von ferne stehen, wie die Aussätzigen! Ihr Gewissen, das gegen sie zeugt, lässt sie nicht freudig zu Gott nahen, nicht frei und kindlich aufschauen zum himmlischen Vater; ihre Sünden scheiden sie und ihren Gott, weil sie noch keine Buße, keine Versöhnung, keine Vergebung der Sünden haben. O Brüder! o Sünder! wie lange wollt ihr in der Ferne stehen, fern von Gott, fern vom Heiland, fern von seiner Gemeinde? Wie lange wollt ihr euern Aussatz der Sünde umhertragen und dem verlorenen Sohne gleich euer Gut umbringen mit Prassen, mit Essen und Trinken, mit Huren, mit Augenlust, Fleischeslust und Hoffart des Lebens, mit Neid, Zank, Hader und Streit? O Sünder, ist es euch sowohl in der Sünde? Nein! die Gottlosen haben keinen Frieden, spricht mein Gott; sie sind wie ein ungestüm Meer, dessen Wellen Kot und Unflat auswerfen. Und wenn ihr dennoch bei der Sünde Ruhe im Herzen habt, so ist euere Ruhe nichts Anderes, denn eine Todes- und Grabesruhe, welche in der Ewigkeit zu einer qualvollen Unruhe werden wird, wenn ihr nicht in der Zeit bei dem Friedefürsten Gottes Ruhe und Frieden sucht und findet. Darum tretet herzu aus der Gottesferne zu Jesus und ruft: Jesu, lieber Meister, erbarme dich unser!

Und Er wird sich erbarmen. Das Blut Jesu Christi, des Sohnes Gottes, macht uns rein von allen Sünden.

Ach, verwerfet doch, ihr Sünder,
Den nicht, der euch retten kann;
Kommt und werdet Gottes Kinder,
Betet euern König an!
Eilt zu ihm und säumet nicht,
Macht euch auf und werdet Licht!

II.

So haben wir den Herrn betrachtet in seiner herablassenden Liebe und in seiner heilenden Liebe. Nun die Geheilten. Als die zehn aussätzigen Männer hingingen, wurden sie rein. Wie mag da ihr Herz so hoch geschlagen und gejubelt haben, wie sahen sie fröhlich und vergnügt einander an! Rein, ganz rein vom Aussatz! Die Schmerzen, das Beißen, das Nagen und Stechen und Brennen verschwunden! Statt Eiter und Beulen ein kräftiges, blühendes Aussehen! O was für ein Wonnegefühl nach der langen, furchtbaren Qual strömte diesen Männern durch Leib und Seele! Jetzt ging es in die Heimat, zuerst zu den Priestern und dann heim, zu Vater und Mutter, zu Weib und Kind; nun müssen sie nicht mehr ferne von ihnen stehen, sondern sie dürfen sie ans Herz drücken, in die Arme schließen und küssen. Wer kann die Freude der Männer fassen! Sie beflügeln ihre Schritte und laufen eilends dahin. Aber siehe da, Einer bleibt hinter dem Zuge zurück, er steht still! Was fällt dem ein, was bewegt der im Herzen? Der Herr hat Großes an mir getan, des bin ich fröhlich, gebt unserem Gott die Ehre! Lobe den Herrn, meine Seele, und was in mir ist, seinen heiligen Namen. Lobe den Herrn, meine Seele und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat, der dir alle deine Sünde vergibt und heilt alle deine Gebrechen, der dein Leben vom Verderben erlöst und dich frönet mit Gnade und Barmherzigkeit. Seht, Geliebte, das bewegt der Samariter, der Fremdling, im Herzen. Er ist besser bekannt mit den Psalmen Israels als die neun Juden. Vorwärts mit den neun alten Leidensgefährten kann er nicht, rückwärts treibt es ihn zum Wohltäter, zum Helfer, zum Heiland. Er kehrte um und pries Gott mit lauter Stimme, und fiel auf sein Angesicht zu Jesu Füßen und dankte: ihm. Und das war ein Samariter! Und nun, ihr Christen, wie steht es bei uns? Muss uns vielleicht der Samariter beschämen und zu Schanden machen? Haben wir auch aus der Undankbarkeit, aus der Gedankenlosigkeit heraus, welche Gottes Gaben als Raub hinnimmt, den großen und seligen Schritt getan hinein in herzliche Dankbarkeit gegen Gott? Sind wir auch stille gestanden auf unserem Lebenswege vor der Güte, Liebe und Langmut unseres Gottes und haben sagen müssen:

Ach ja, wenn ich überlege,
Mit was Lieb und Gütigkeit
Du durch so viel Wunderwege?
Mich geführt die Lebenszeit:
So weiß ich kein Ziel zu finden,
Noch die Tiefen zu ergründen.
Tausend, tausendmal sei dir,
Großer König, Dank dafür!

Aber nicht nur stille stehen gilt es auf dem Lebenswege und danken; sondern zu einer wahren Dankbarkeit gehört auch eine gründliche Umkehr zu Gott. Der Samariter kehrte um. O lasst uns umkehren, im Herrn Geliebte, von der breiten Straße, die zum Verderben führt! Lasst uns umkehren vom Pfade der Selbstsucht und Weltliebe, und mit entschlossenem Mute wandeln auf dem schmalen Pfade, der zum Leben führt, in wahrer Selbst- und Weltverleugnung. Der Samariter kehrte um und „pries Gott mit lauter Stimme.“ Zur wahren Dankbarkeit gehört, dass man Gott preist innerlich im Herzen, und auch mit lauter Stimme vor den Menschen ihm die Ehre gibt, dass man sich seines Heilands nicht schämt. Dankbare Christen gehen singend, preisend und lobend auf den Wegen des Herrn; auf dem schmalen Pfade hört man Lobgesänge zur Ehre Christi erschallen; da tönt es und klingt es: Das Lamm, das geschlachtet ist, ist würdig zu nehmen Preis und Ehre und Anbetung. Das ist ein köstlich Ding, dem Herrn danken und lobsingen deinem Namen, du Höchster, des Morgens deine Gnade und des Nachts deine Wahrheit verkündigen. Singt dem Herrn ein neues Lied, singt dem Herrn, alle Welt, singt dem Herrn und lobt seinen Namen!

O dass ich tausend Bungen hätte
Und einen tausendfachen Mund!
Ich stimmte damit um die Wette
Bom allertiefsten Herzensgrund
Ein Loblied nach dem andern an
Von dem, was Gott an mir getan.

Der Samariter „pries Gott mit lauter Stimme, fiel nieder auf sein Angesicht zu Jesu Füßen und dankte ihm.“ Das ist noch das schönste Stück der Dankbarkeit: die stille Demut, die zu des Herrn Füßen liegt in heiliger Anbetung, zerflossen und hingenommen von der Liebe Christi, die alles Denken übersteigt.

Der Samariter bietet ein liebliches Bild dar. Aber die neun Trauergestalten der undankbaren Juden, die flüchtig davon eilen, sind auch da. Sind ihrer nicht zehn rein geworden, wo sind aber die Neune? Also fragt Jesus schmerzlich bewegt, mit tiefer Wehmut. Also muss er auch heute noch fragen, und in unsere Gemeinde, in die ganze Christenheit hineinrufen: Wo sind aber die Neune? Sind ihrer nicht zehn rein geworden? hundert? tausend? durch das Bad der Wiedergeburt in der Taufe, durch das heilige Abendmahl und die Predigt des Evangeliums: wo sind aber die Neune? Ach, sie haben schnöde ihrem Gott und Herrn den Rücken gekehrt. Ein trauriger Zustand! Aber noch trauriger wird es sein, wenn der Samariter in den Himmel eingegangen zu den Füßen Jesu sitzt im oberen Heiligtum, in des Hirten Arm und Schoß liegt in Wonne und Seligkeit, an den Lebenswassern lustwandelt, unter dem Schatten der Lebensbäume sich ergötzt - dann wirds heißen: wo sind aber die Neune? Draußen sind die Undankbaren, die Gott und Christum, den Himmel und die Ewigkeit aus Weltlust und Weltliebe vergessen haben. Draußen, ruft Johannes am Schlusse der Offenbarung, draußen sind die Verzagten und Ungläubigen, und die Hurer und Totschläger und die Abgöttischen und Alle, die lieb haben und tun die Lügen. Wo sind aber die Neune? Draußen sind die Undankbaren, in der äußersten Finsternis, da ihr Wurm nicht stirbt und ihr Feuer nicht erlischt, da wird sein Heulen und Zähneknirschen. - Wem willst du gleichen? Dem Samariter, dem Fremdling, der dankbar zu den Füßen Jesu liegt, oder den undankbaren Juden, die über der Gabe den Geber, den Heiland, vergessen?

Wenn Alle untreu werden,
So bleib' ich dir doch treu,
Dass Dankbarkeit auf Erden
Nicht ausgestorben sei.
Für mich umfing dich Leiden,
Vergingst für mich in Schmerz:
Drum geb' ich dir mit Freuden
Auf ewig dieses Herz.

Ja, mein Herr Jesu, dabei soll es bleiben: auf ewig Dieses Herz!

Amen.

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